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Gesundheitsmagazin

Psychologie

Emotionales Essen

Veröffentlicht am:02.08.2022

6 Minuten Lesedauer

Ein Stück Schokolade nach einem konfliktreichen Arbeitstag oder eine Tüte Chips bei Liebeskummer – manchmal fühlen wir uns durch Lebensmittel besser. Doch warum ist das so und wie können wir emotionales Essen stoppen?

Frau sitzt auf einem Sofa zwischen einer Schüssel Chips und einer Schüssel Popcorn – sie  leidet unter emotionalem Essverhalten.

© iStock / Andrii Bicher

Porträt von Prof. Dr. Michael Macht, Psychologischer Psychotherapeut mit einer eigenen Praxis in Würzburg.

© privat

Prof. Dr. Michael Macht ist Psychologischer Psychotherapeut mit einer eigenen Praxis in Würzburg. Im Interview verrät er, wodurch sich emotionales Essen auszeichnet und warum manche Menschen dazu neigen, andere hingegen nicht.

Was ist emotionales Essen?

Emotionales Essen ist ein Essmuster, bei dem Menschen aus Gefühlszuständen heraus essen und nicht alleine, weil sie Hunger haben. In der Psychologie betrachten wir das emotionale Essen aber nicht als psychische Störung. Das liegt daran, dass dieses Essmuster zunächst nicht krankhaft ist. Erst dann, wenn Betroffene in kurzer Zeit Lebensmittel in großen Mengen zu sich nehmen und das Gefühl haben, den wiederkehrenden Essanfällen machtlos gegenüberzustehen, kann eine Essstörung vorliegen. Diese bezeichnen Psychologen als Binge-Eating-Störung.

Für die Diagnosestellung müssen Betroffene aber ein bestimmtes Verhalten zeigen – zum Beispiel Essattacken an mindestens zwei Tagen pro Woche über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten. Bei vielen Menschen trifft diese Diagnose aber nicht zu, sie nutzen Lebensmittel in eher unregelmäßigen Abständen, um sich besser zu fühlen. Emotionales Essen ist übrigens recht weit verbreitet – Schätzungen zufolge essen hierzulande 30 Prozent der Menschen aus einem Gefühl heraus.

„Erst dann, wenn Betroffene in kurzer Zeit Nahrung in großen Mengen zu sich nehmen und das Gefühl haben, den wiederkehrenden Essanfällen machtlos gegenüber zu stehen, kann eine Essstörung vorliegen.“

Prof. Dr. Michael Macht
Psychologischer Psychotherapeut mit einer eigenen Praxis in Würzburg.

Was versuchen Menschen mit emotionalem Essen zu kompensieren?

Menschen, die zu emotionalem Essen neigen, nutzen die Nahrungsaufnahme als Antwort auf emotionale Belastungen. Da sie die Gefühlswelt eng mit dem Essen verknüpfen, nutzen sie Lebensmittel als Chance, um sich besser zu fühlen. Ein emotionaler Esser greift zur Nahrung, wenn er unangenehme Emotionen empfindet. Auffällig ist, dass diese Emotionen zunächst einmal nichts mit dem Essen zu tun haben. Klassische Auslöser sind beispielsweise Ärger, Angst oder Einsamkeit. Was Betroffene zum emotionalen Essen bewegt, ist also ganz unterschiedlich. Manche greifen zu einem Stück Schokolade nach einem stressigen Arbeitsalltag, andere fühlen sich nach einer Trennung einsam – die Pommes frites sollen dann die innere Leere füllen.

Emotionales Essen: Welche Symptome deuten darauf hin?

Emotionaler und physischer Hunger können sich sehr ähnlich anfühlen. Physischer Hunger entwickelt sich aber langsam und geht mit körperlichen Anzeichen wie Magenknurren oder Konzentrationsproblemen einher. Grundsätzlich können dann alle Lebensmittel den Hunger stillen.

Bei emotionalem Essen ist vieles anders:

  • Die Nahrungsaufnahme erfolgt aus einem Gefühl heraus, Hunger spielt hier meist keine Rolle.
  • Beim emotionalen Essen rücken Speisen in den Vordergrund, die ein Wohlbefinden auslösen, zum Beispiel sehr kalorienreiche oder süße Lebensmittel.
  • Das Essverhalten hilft bei dem Versuch, emotionale Belastung zu reduzieren und Stress zu bewältigen.
  • Nach der Nahrungsaufnahme können emotionale Esser negative Gefühle wie Schuldgefühle entwickeln. „Warum habe ich mich nicht im Griff ?“ oder „Jetzt nehme ich wieder zu!“ – diese Art von Gedanken können für Betroffene sehr quälend sein.

Wann ist emotionales Essen problematisch?

Emotionales Essen ist immer dann problematisch, wenn Betroffene es über lange Zeit als sogenannte Vermeidungsstrategie einsetzen. Sie nutzen Lebensmittel also, um die unangenehmen Situationen beiseitezuschieben. Damit lösen emotionale Esser das eigentliche Problem natürlich nicht. Im Gegenteil, Probleme können sich dadurch sogar noch verstärken. Das ist der Fall, wenn Betroffene unzufrieden mit ihrem Essverhalten sind oder deutlich an Gewicht zulegen, denn dann kann auch die psychische Belastung zunehmen. Greifen emotionale Esser vor allem zu sehr kalorienreichen Lebensmitteln, erhöht sich zudem das Risiko für deutliches Übergewicht und für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Außerdem besteht auch immer die Gefahr, dass das emotionale Essen in eine Essstörung übergeht.

Junges Paar genießt gemeinsame Zeit beim Kochen.

© iStock / Ridofranz

Bei emotionalem Essverhalten können Betroffene nicht unterscheiden zwischen physischem und emotionalem Hunger.

Können Lebensmittel tatsächlich dazu beitragen, das Wohlbefinden zu stärken?

Ja, denn Lebensmittel können durchaus eine besänftigende Wirkung im Körper entfalten. Das geschieht auf ganz unterschiedlichen Wegen. Zunächst kann der Wohlgeschmack dazu führen, dass emotionale Esser sich besser fühlen. Außerdem assoziiert jeder von uns bestimmte Lebensmittel mit einer schönen Erinnerung – vielleicht erinnern Erdbeeren an ein vergangenes Picknick in der Natur oder Schokolade ruft Kindheitserinnerungen wach. Lebensmittel liefern zudem Energie und verleihen uns somit Kraft. Manchmal stecken auch psychoaktive Substanzen in Nahrungsmitteln, wie Tryptophan und Theobromin in Kakao – sie sollen die Laune anheben. Die positiven Wirkungen sind aber nur von recht kurzer Dauer. Die sensorischen Erlebnisse, also der Geschmack, der Geruch und das Gefühl der Lebensmittel auf der Zunge, lassen schnell nach. Sie halten nur so lange an, wie die Lebensmittel die Sinnesorgane reizen. Auch die Effekte der Wohlfühl-Nährstoffe wie Tryptophan und Theobromin halten bestenfalls einige Stunden an.

Warum neigen manche Menschen zum emotionalen Essen?

Noch wissen Psychologen nicht genau, warum einige Menschen einen Hang zum emotionalen Essen haben und andere wiederum nicht. Allerdings gibt es dazu einige Thesen. Zunächst nehmen Psychologen an, dass es sich bei dem emotionalen Essen um ein erlerntes Verhalten handelt – Betroffene haben gelernt, dass sie sich mit bestimmten Lebensmitteln besänftigen können. Scheinbar tragen selbst Einflüsse aus Kindheitstagen zur Erlernung dieses Essverhaltens bei. Dass eine Mutter ihr Kind stets mit Gummibärchen tröstet, sobald es hinfällt, könnte eine mögliche Erklärung dafür sein, warum die Person später zu emotionalem Essen neigt.

Auch biologische Einflüsse schließen Psychologen nicht aus. Möglicherweise reagieren einige Personen sehr empfindlich auf die Belohnung in Form von Lebensmitteln, weil das Belohnungssystem in ihrem Gehirn gut darauf anspricht. Spannend ist in dem Zusammenhang auch, warum manche Menschen über Jahre emotionales Essen betreiben und keine weiterführenden Probleme haben und andere eine Essstörung entwickeln. Dazu gibt es aber noch keine abschließenden Erklärungen.

„Möglicherweise reagieren einige Personen sehr empfindlich auf die Belohnung in Form von Lebensmitteln.“

Prof. Dr. Michael Macht
Psychologischer Psychotherapeut mit einer eigenen Praxis in Würzburg

Emotionales Essen stoppen: Wie geht das?

Die gute Nachricht für alle emotionalen Esser ist, dass sie das erlernte Verhalten auch wieder umlernen können. Das klappt, indem sie alternative Bewältigungsstrategien bei negativen Gefühlen anwenden. Wie diese Bewältigungsstrategien aussehen, hängt von der Person selbst und von dem vorliegenden Auslöser ab. Esse ich zum Beispiel, wenn ich Stress auf der Arbeit habe, könnte ich mit meinem Vorgesetzten klären, wie ich mehr Entlastung erfahre. Fühle ich mich hingegen einsam, könnte ich mir als Alternative zum emotionalen Essen Hobbys aussuchen, mit denen ich neue Menschen kennenlerne. Als ersten Zwischenschritt können Betroffene auch versuchen, den emotionalen Hunger zunächst von ungesunden Lebensmitteln abzukoppeln. Der Griff zur Möhre anstatt zur Schokolade löst zwar das Problem nicht, stößt aber einen wichtigen Veränderungsprozess an und mildert negative Auswirkungen wie zum Beispiel Schuldgefühle und Übergewicht.

Da emotionales Essen häufig sehr automatisiert und wenig geplant abläuft, kann Betroffenen auch ein Achtsamkeitstraining helfen. Mit Achtsamkeit können emotionale Esser erspüren, ob sie aus Hunger oder aus einem Gefühl heraus essen.

Gibt es eine Therapie für Menschen, die emotional essen?

Emotionale Esser können sich vertrauensvoll an einen Psychologen wenden. Im Rahmen von Gesprächen vermitteln Psychologen Betroffenen Fertigkeiten zur Selbstbeobachtung, beispielsweise mithilfe von Achtsamkeitsübungen. Damit erlernen sie, physiologischen von emotionalem Hunger zu unterscheiden. Außerdem erfahren emotionale Esser, wie sie den Impuls zum Essen kontrollieren und die Emotion anders bewältigen. Spannend ist, dass eine therapeutische Begleitung recht schnell zu Erfolgen führen kann, also den Hang zum emotionalen Essen vermindert. Sieben Gruppenstunden, bei denen mehrere Patienten und ein Psychologe anwesend sind, leiten in der Regel bereits eine bessere Impulskontrolle (Verhaltensgewohnheiten zu beherrschen) und alternative Bewältigungsstrategien ein.

Eine therapeutische Begleitung kann in folgenden Situationen sinnvoll sein:

  • Die Person versucht, sich mit Lebensmitteln in regelmäßigen Abständen zu trösten.
  • Der Betroffene empfindet einen Leidensdruck und ein Gefühl von Kontrollverlust.
  • Die Person hat das Gefühl, dass sie die negativen Emotionen nur mit Lebensmitteln in den Griff bekommt.
  • Der Betroffene sieht sich außerstande, das unerwünschte Verhalten selbst zu ändern.

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