Psychologie
Entscheidungen treffen: Diese Methoden helfen
Veröffentlicht am:05.01.2023
6 Minuten Lesedauer
Das Leben stellt Menschen vor unzählige Entscheidungen – für viele ist kein ausgiebiges Grübeln nötig. Größere Entscheidungen wie ein möglicher Jobwechsel bedeuten aber oft eine Herausforderung. Welche Methoden helfen dann bei der Entscheidungsfindung?
Inhalte im Überblick
Prof. Gerd Gigerenzer ist Gründer und Gesellschafter von „Simply Rational – Das Institut für Entscheidung“. Im Interview verrät er, warum es Menschen manchmal schwerfällt, Entscheidungen zu treffen, und welche Methoden die Entscheidungsfindung unterstützen.
Wie viele Entscheidungen treffen wir am Tag und welche Beispiele gibt es?
Wir treffen jeden Tag unzählige Entscheidungen – einige davon bewusst und andere unbewusst.
Im Supermarkt beschäftigen sich Einkaufende beispielsweise mit unbewussten und bewussten Entscheidungen. Dort kaufen Menschen wiederholt dieselben Lebensmittel ein. Brot, Cornflakes oder Bananen – das alles befördern sie, ohne darüber nachzudenken, in den Einkaufskorb. Zwar treffen sie eine Entscheidung, diese läuft aber meist unbewusst im Hintergrund ab. Supermärkte fördern mit gezieltem Marketing auch bewusste Entscheidungen. Die Regale sind so arrangiert, dass Einkaufende beispielsweise an der Kasse auf Produkte wie Zigaretten, Süßigkeiten oder Alkohol treffen – das sind Artikel, die viele Menschen ansprechen. Durch die schnelle Verfügbarkeit und die Wartezeit an der Kasse können genau diese Produkte einen Entscheidungsprozess anstoßen. Einkaufende setzen sich bewusst mit dem Gedanken auseinander, ob sie die Süßigkeiten nun kaufen oder nicht. Manche Entscheidungen nimmt uns wiederum unsere Umwelt ab. Jemand, der sich zum Beispiel ein YouTube-Video anschaut, hat zuvor nicht unbedingt eine Wahl getroffen. Stattdessen haben die YouTube-Algorithmen entschieden, welches Video vorgeschlagen wird.
Warum fällt es manchen Menschen schwer, Entscheidungen zu treffen?
Es gibt sogenannte Optimierer. Das sind Menschen, die nur das Beste anstreben und nicht weniger. Optimierer sind stets auf der Suche nach einer noch besseren Alternative. Wenn ein Optimierer beispielsweise eine Hose kaufen möchte, schaut er sich zunächst das Sortiment im ersten Kleidungsgeschäft an. Auch wenn der Suchende hier bereits eine passende Hose findet, geht er in den nächsten Laden. Schließlich könnte es sein, dass es dort eine noch bessere Hose gibt. Vielleicht hat die Boutique um die Ecke die perfekte Jeans für mich? Der Optimierer sucht dann bis kurz vor Ladenschluss und entscheidet sich aus Zeitnot für eine Hose, die eigentlich gar nicht so richtig passt.
Was im Kleidungsgeschäft noch recht harmlos ist, kann sich für Optimierer bei der Partnerwahl als echte Herausforderung darstellen, vor allem beim Online-Dating. Hier gibt es eine große Auswahl an möglichen Partnern beziehungsweise Partnerinnen, das verleitet Optimierer dazu, ständig weiterzusuchen. Immer etwas noch Besseres hinter der nächsten Ecke zu vermuten, ist ein Rezept zum Unglücklichsein. Allerdings fällt es nicht nur Optimierern schwer, Entscheidungen zu treffen. Manchmal ist es auch die Angst vor Konsequenzen oder davor, Verantwortung zu übernehmen, die eine schnelle Entscheidung verhindert.
„Immer etwas noch Besseres hinter der nächsten Ecke zu vermuten, ist ein Rezept zum Unglücklichsein.“
Prof. Gigerenzer
Gründer und Gesellschafter von „Simply Rational – Das Institut für Entscheidung“
Gibt es Menschen, die Entscheidungen einfacher treffen?
Ja, die gibt es. Menschen, die sogenannte Heuristiken, also Faustregeln anwenden, gelingt es im Vergleich zu Optimierern viel einfacher, Entscheidungen zu fällen. Im Restaurant treffen Personen ihre Entscheidungen für eine Speise zum Beispiel ganz unterschiedlich. Es gibt Menschen, die studieren die gesamte Speisekarte von unten nach oben – die Entscheidung dauert bei den Optimierern erwartungsgemäß lange.
Manche Besucher und Besucherinnen wenden aber folgende Faustregeln an:
- Sie bestellen stets das Gleiche.
- Sie entscheiden sich für das Erste, was sich für sie gut anhört.
- Sie bestellen das, was andere sich bestellen.
- Sie fragen, was der Kellner oder die Kellnerin empfiehlt.
Spannend ist, dass laut meiner Untersuchung die meisten Menschen im Restaurant Optimierer sind, nämlich 53 Prozent. Sie lesen die Speisekarte akribisch durch und versuchen dann das Beste für sich herauszusuchen. Ein Drittel der Menschen liest nur so lange in der Speisekarte weiter, bis etwas gut klingt, und bestellt dann. Ungefähr 17 Prozent bestellen stets die gleichen Gerichte und fünf Prozent fragen um Rat, zum Beispiel den Kellner oder die Kellnerin. Das Imitieren ist hierzulande eher unbeliebt – nur ein Prozent der Personen bestellt das, was andere sich aussuchen. Keine schnellen Entscheidungen treffen zu können, ist also nichts Ungewöhnliches.
Wer sich künftig schneller entscheiden möchte, für den eignen sich Faustregeln besonders gut – sie gestalten den Entscheidungsprozess nicht nur einfacher, sondern auch viel schneller. Personen, die regelmäßig Faustregeln anwenden, lernen mit der Zeit, sich schneller zu entscheiden und mehr Mut für die Entscheidung zu fassen.
Wie gelingt es, Zweifel zu überwinden?
Alle Entscheidungen, die Menschen tagtäglich treffen, bergen ein Restrisiko und eine gewisse Unsicherheit. Sich das bewusst zu machen und mit der verbleibenden Unsicherheit zu leben, kann die Zweifel verringern. Aus Angst vor Konsequenzen oder Zweifeln alle Pläne über Bord zu werfen, ist meist nicht die richtige Strategie. Bei ausgeprägten Zweifeln ist stattdessen ein genaues Abwägen der Vor- und Nachteile wichtig. So bereiten sich Betroffene automatisch auf Entscheidungen vor, die vielleicht zukünftig als Konsequenz auf sie warten. Sich in der aktuellen Coronalage beispielsweise für ein Sommerfest zu entscheiden, ist grundsätzlich möglich. Bei steigenden Fallzahlen kann es aber sein, dass ich später die Entscheidung für eine Absage des Festes treffen muss.
„Alle Entscheidungen, die Menschen tagtäglich treffen, bergen ein Restrisiko und eine gewisse Unsicherheit.“
Prof. Gigerenzer
Gründer und Gesellschafter von „Simply Rational – Das Institut für Entscheidung“
Was hilft dabei, schwere Entscheidungen zu treffen?
Bei schweren Entscheidungen hilft es, sich gründlich mit der gegebenen Situation auseinanderzusetzen. Dafür bieten sich verschiedene Schritte an:
- Verlässliche Quellen finden: Um eine Entscheidung treffen zu können, wissen Betroffene im besten Fall, welche Folgen ihre Wahl hat und welche Verantwortung damit einhergeht. Steht beispielsweise eine Entscheidung für eine Operation an, können sich Betroffene im Internet über den medizinischen Eingriff informieren. Dafür eignen sich hochwertige Inhalte, wie die der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.
- Alternativen abwägen: In der Regel gibt es mehrere Alternativen. Betroffene versteifen sich bestenfalls nicht nur auf eine, sondern ziehen auch andere Möglichkeiten in Betracht. Um beim Beispiel der Operation zu bleiben: Vielleicht gibt es andere Behandlungsoptionen oder eine Zweitmeinung?
- Zeit für den Entscheidungsprozess nehmen: Betroffene verschaffen sich optimalerweise genügend Zeit, um die zusätzlichen Informationen zusammenzutragen, Vor- sowie Nachteile abzuwägen und ein gewisses Maß an Sicherheit zu erlangen. Dabei können auch Familienangehörige, Freunde oder Bekannte helfen. Im besten Fall unterstützt sie die Person nicht nur mit einer Meinung, sondern auch mit Fachwissen. Vielleicht ist es auch eine Option, sich das nötige Wissen für die Entscheidung gemeinsam anzueignen.
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Gibt es etwas, das schlechte Entscheidungen begünstigt?
Die Zeit kann durchaus ein kritischer Faktor sein. Allerdings ist Zeitdruck eher weniger das Problem, sondern eher zu viel Zeit. Menschen, die sehr lange vor einer Entscheidung grübeln, treffen nicht unbedingt die bessere Wahl. Das gilt vor allem bei einfachen Entscheidungen wie beim Kauf einer Hose. Schwere Entscheidungen benötigen natürlich durchaus eine gewisse Bedenkzeit. Außerdem kann eine Selbstüberschätzung schlechte Entscheidungen begünstigen. Trauen sich Menschen also mehr zu, als sie tatsächlich imstande sind zu leisten, können ihre getroffenen Entscheidungen zu großem Stress führen.
Kopf oder Bauch – wer ist der bessere Ratgeber?
Hier gibt es kein Entweder-oder – Kopf und Bauch gehören bei Entscheidungen immer zusammen. Wann eine Person zunächst ihren Kopf oder Bauch befragt, hängt vom Problem ab. Entwickelt ein Mensch beispielsweise ein technisches Gerät, trifft er eine Reihe von Entscheidungen mit dem Verstand. Danach nutzt er in der Regel seine Intuition, also den Bauch, um ein Gefühl für den voraussichtlichen Erfolg der Innovation zu bekommen. Im Anschluss kommt wieder der Kopf zum Einsatz, um zu überprüfen, ob das Bauchgefühl zutreffen kann. Kopf und Bauch duellieren sich also nicht, sondern entscheiden gemeinsam.