Psychologie
Nomophobie – was bedeutet die Angst, ohne Handy zu sein?
Veröffentlicht am:23.07.2024
7 Minuten Lesedauer
Viele Menschen können sich den Alltag ohne ein Smartphone nicht mehr vorstellen. Haben Personen aber regelrecht Angst, kein Handy bei sich zu tragen, spricht man von Nomophobie. Doch ist das schon eine Erkrankung?
Was ist eine Nomophobie?
Nachrichten lesen, in Kontakt mit der Familie bleiben und durch den Straßenverkehr navigieren – das Smartphone ist komfortabel und vermittelt vielen Menschen Sicherheit. Einige Personen fühlen sich mit ihrem Handy jedoch derart verbunden, dass sie Unbehagen, Beklemmung oder Angst empfinden, wenn sie keinen Zugriff darauf haben – in diesem Zusammenhang taucht inzwischen häufig das Wort „Nomophobie“ auf. Ursprünglich stammt der Begriff aus England, geprägt durch eine Studie des britischen Postdienstes aus dem Jahr 2008.
Der Begriff setzt sich aus „no-mobile“ („Mobile“ ist der britische umgangssprachliche Begriff für „Mobiltelefon“) und „Phobie“ zusammen – manchmal betiteln Experten und Expertinnen das Phänomen deshalb auch als „Kein-Mobiltelefon-Phobie“. Mit dem Begriff „Phobie“ bezeichnen Mediziner und Medizinerinnen spezifische Angststörungen, wie zum Beispiel die Angst vor Spinnen (Arachnophobie). Viele Menschen haben spezifische Ängste vor bestimmten Objekten oder Situationen. Als Erkrankung werden diese Ängste jedoch nur eingestuft, wenn sie übermäßig sind, mehrere Monate bestehen und zu starkem Stress oder einem Vermeidungsverhalten führen, das die Betroffenen in ihrem Alltag erheblich beeinträchtigt.
Auch wenn es gut vorstellbar ist, dass einige Handybesitzende ohne ihren Begleiter Angst empfinden, ist die Nomophobie bislang keine anerkannte eigenständige Krankheit. Das Phänomen wird derzeit weder in der in Europa angewandten Internationalen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD) noch in dem in den USA verwendeten Diagnostischen und Statistischen Handbuch Psychischer Störungen (DSM) beschrieben.
Symptome und Anzeichen einer Nomophobie
Menschen mit einer Nomophobie verspüren ohne ihr Handy oft ähnliche Symptome, wie sie bei einer Angststörung auftreten: Sie sind ängstlich, schwitzen, sind aufgeregt und haben Herzklopfen. Viele erleben auch ein Gefühl sozialer Bedrohung, das zu starkem Stress führt. Deshalb bemühen sich Betroffene im Alltag stark darum, ihr Handy immer bei sich zu haben und es funktionsfähig zu halten.
Das kann auf eine Nomophobie hindeuten:
- Nutzer und Nutzerinnen sind psychisch nicht dazu in der Lage, das Smartphone auszuschalten – es bleibt rund um die Uhr an.
- Betroffene ertragen es nicht, vom Handy getrennt zu sein – sie können es zum Beispiel nicht zu Hause lassen, wenn sie einen Spaziergang machen.
- Die Personen sorgen sich, dass sie ohne ihr Handy keine Hilfe bekommen können, wenn sie diese benötigen.
- Schaffen es Nutzer und Nutzerinnen nicht, das Telefon auf Nachrichten zu überprüfen, sind sie gereizt oder ängstlich.
- Das Handy ist überall mit dabei, sogar im Badezimmer.
- Personen überprüfen nahezu ständig, wo sich ihr Smartphone befindet, sie vergewissern sich zum Beispiel immer wieder, dass es noch auf dem Tisch liegt.
Wie unterscheidet sich die Nomophobie von der Handysucht?
Sowohl bei der Nomophobie als auch bei der Handysucht steht das Smartphone im Mittelpunkt. Allerdings ist auch die Handysucht bislang nicht als eigenständige Diagnose definiert. Nur die Internet-Spielsucht ist in der ICD-11 ein eigenständiges Krankheitsbild mit klar festgelegten Kriterien. Sie wird wie die schon lange bekannte klassische Spielsucht den nicht-stoffgebundenen Suchterkrankungen zugeordnet. Beim Beschwerdebild der Nomophobie ist dagegen noch nicht klar, ob es sich hier – analog zur Internet-Spielsucht – um eine Verhaltenssucht handelt, oder – wie der Name suggeriert – eher um eine Angsterkrankung. Die Nomophobie-Beschwerden treten bei Betroffenen zum Beispiel auf, wenn der Handyakku leer ist, sie das Smartphone zu Hause vergessen haben oder der Netzempfang ausfällt – in diesen Situationen empfinden sie Angst, weil sie nicht erreichbar sind und sich regelrecht digital entwurzelt fühlen. Bei der Internet- oder Handysucht sind Personen dagegen nicht ängstlich, sondern verlieren die Kontrolle über ihr Nutzungsverhalten und stellen andere Bedürfnisse und Verpflichtungen zurück, wie den regelmäßigen Schlaf, schulische oder berufliche Aufgaben.
Was sind Risikofaktoren für eine Nomophobie?
Forscher und Forscherinnen vermuten, dass verschiedene Risikofaktoren eine Nomophobie begünstigen. Insbesondere eine übermäßige Smartphone-Nutzung steht hier im Verdacht. Ein weiteres Phänomen, das mit Nomophobie im Zusammenhang steht, ist die „Fear of missing out“, also die Angst, etwas zu verpassen. Außerdem scheinen Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl anfälliger zu sein. Die Angst, vom Handy getrennt zu sein, wurde auch häufiger bei Personen beobachtet, die bereits an anderen Angststörungen oder Suchterkrankungen litten oder die traumatische Ereignisse erlebt hatten und seitdem befürchteten, ohne ihr Handy nicht schnell genug Hilfe zu bekommen.
Wie viele Menschen leiden unter der Angst, ihr Handy nicht parat zu haben?
Wie groß der Anteil der Menschen ist, die in Angst verfallen, wenn sie ihr Handy verlieren oder vergessen, ist nur schwer zu beziffern. Das liegt daran, dass es keine einheitlichen Bewertungskriterien für das Phänomen gibt – in einer Studie ist ein Mensch womöglich lediglich gefährdet, in einer anderen gilt er bereits als betroffen. In einer systematischen Überprüfung haben Experten und Expertinnen insgesamt 108 Studien analysiert. Als Ergebnis hielten sie fest, dass besonders junge Menschen von diesen Beschwerden betroffen sind. Auch Frauen könnten etwas häufiger betroffen sein, obwohl die Ergebnisse der Einzelstudien diesbezüglich nicht einheitlich sind. Je nach Studie galten 13 bis 79 Prozent der Teilnehmenden als gefährdet. Allerdings wurden in den Studien unterschiedliche Kriterien für das Beschwerdebild der Nomophobie verwendet und die untersuchten Zielgruppen waren oft nicht repräsentativ für die Gesamtbevölkerung– eine definitive Aussage zur Häufigkeit von Nomophobie-Beschwerden ist bislang also noch nicht möglich.
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Diese Folgen kann eine Nomophobie haben
Den Alltag so auszurichten, dass das Handy ständig in Reichweite liegt und funktionsfähig ist, kann stressig sein – manche Menschen sorgen zum Beispiel dafür, dass sie immer ein Ladegerät dabei haben. Müssen sie durch äußere Umstände, wie eine Reise mit dem Flugzeug oder ein Meeting, offline gehen, beeinflussen die körperlichen und psychischen Symptome das Wohlbefinden. Da Personen mit Nomophobie auch dazu neigen können, virtuelle Kontakte persönlichen Begegnungen vorzuziehen, kann zudem das soziale Leben auf der Strecke bleiben. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben außerdem einen Zusammenhang zwischen Handy- oder Internetsucht, Depression, Einsamkeit und Nomophobie gefunden – wie stark sich die psychischen Zustände gegenseitig beeinflussen, ist aber noch schwer zu sagen.
Wie kann eine Nomophobie behandelt werden?
Da es sich bei der Nomophobie um ein relativ neues Beschwerdebild und bislang keine klar definierte, eigenständige psychische Erkrankung handelt, gibt es auch noch kein hinreichend überprüftes Therapiekonzept. Wenn Menschen an Symptomen einer Nomophobie leiden, muss daher zunächst geprüft werden, ob das Beschwerdebild der Betroffenen die Kriterien einer nicht-stoffgebundenen Verhaltenssucht oder einer spezifischen Angsterkrankung erfüllt. Je nach dem Ergebnis dieser diagnostischen Einordnung kann dann geplant werden, ob beispielsweise eine Psychotherapie angebracht ist. Falls keine klinisch manifeste Erkrankung vorliegt, kann auch eine Beratung zu geeigneten Selbsthilfemaßnahmen und der Einsatz von Methoden zur Stressreduzierung wie die progressive Muskelentspannung oder Meditationsübungen hilfreich sein. Ein selbst auferlegtes Programm mit einer schrittweisen Gewöhnung an den Zustand ohne einsatzbereites Handy ist ebenfalls sinnvoll. Dieses kann damit beginnen, das Mobiltelefon beim Abendessen bewusst im Nebenzimmer zu lassen oder beim Treffen mit Freunden in der Tasche zu behalten. Wenn dies gut gelingt, können Zeiten ganz ohne einsatzbereites Handy eingeplant werden, um sich an diesen Zustand zu gewöhnen und damit verbundene Ängste schrittweise abzubauen.
Tipps zur Vorbeugung von Nomophobie
Welchen Stellenwert das Smartphone im Leben bekommt, entscheiden Nutzer und Nutzerinnen selbst. Folgende Tipps können dabei helfen, die Handyzeit zu begrenzen und damit einer Nomophobie vorzubeugen:
- Bildschirmzeit beobachten: Viele Smartphones bieten die Möglichkeit, das eigene Nutzungsverhalten zu kontrollieren – Anwendende bringen damit in Erfahrung, wie viel Zeit sie beispielsweise in sozialen Netzwerken verbringen.
- Nutzung begrenzen: Eine von mehreren Fachgesellschaften 2023 veröffentlichte Leitlinie zur Prävention fehlregulierten Bildschirmmediengebrauchs empfiehlt für Jugendliche von 16 bis 18 Jahren, die Bildschirmzeit auf zwei Stunden am Tag zu begrenzen. Auch für Erwachsene, die einer Nomophobie vorbeugen wollen, ist dies ein guter Orientierungswert zur Handynutzung in der Freizeit.
- Benachrichtigungen abstellen: Damit das Handy nicht ständig Aufmerksamkeit auf sich zieht, können Nutzende den Konzentrationsmodus einstellen – damit gibt es für eine festgelegte Zeit keine Benachrichtigungen mehr von Apps. Außerdem ist es sinnvoll, Push- Benachrichtigungen, die in der Statusleiste erscheinen, zu deaktivieren.
- Alternativen bestimmen: Das Smartphone ist oft ein Lückenfüller – mit einem spannenden Hobby, Sport – idealerweise gemeinsam mit Freunden – oder Verabredungen kann man Langeweile vermeiden und seine Freizeit sinnvoll und aktiv selbst gestalten.
- Solo-Ausgänge machen: Im besten Fall ist das Handy kein Dauerbegleiter. Nutzer und Nutzerinnen können versuchen, das Handy vermehrt beiseitezulegen oder es während Spaziergängen zu Hause zu lassen – der Zeitraum ohne Handy lässt sich so Schritt für Schritt verlängern.
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Stressbewältigung kann Menschen mit Nomophobie helfen durchzuatmen. Mit den Kursen zur Stressbewältigung der AOK lernen Teilnehmende, besser mit Stress umzugehen und sich selbst Pausen im Alltag zu schaffen.