Psychologie
Tipps für Angehörige von „Messies“
Veröffentlicht am:17.08.2022
5 Minuten Lesedauer
Sind die Wohnräume so verstopft, dass man sie kaum durchqueren kann, verlieren Angehörige sogenannter „Messies“ oft das Verständnis. Folgende Tipps helfen dabei, das Krankheitsbild des pathologischen Hortens einzuordnen und damit umzugehen.
Ursachen des Messie-Syndroms: Das steckt hinter pathologischem Horten
„Messie-Syndrom“ ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für pathologisches Horten (englisch Hoarding Disorder). Die Betroffenen haben Schwierigkeiten, sich von Gegenständen zu trennen – auch von solchen, die die meisten Menschen als wert- oder nutzlos betrachten würden. Manchmal wird daher von einer Wertbeimessungsstörung gesprochen. Zu der Schwierigkeit, nicht mehr benötigte Dinge wegzuwerfen, kommt der Drang neue Dinge durch Kauf oder Mitnahme von frei erhältlichen Objekten anzusammeln. Entscheidend für die Diagnose ist, dass diese Verhaltensweisen zu erheblichen Beeinträchtigungen des häuslichen, gesellschaftlichen oder beruflichen Lebens oder anderer wichtiger Lebensbereiche führen. So kann es dazu kommen, dass einzelne Wohnbereiche durch das Horten nicht mehr benutzbar oder sicher sind oder sogar Zugangswege in die Wohnung nicht mehr normal begehbar sind.
Pathologisches Horten ist keine Angewohnheit, die sich von außen durch Ermahnungen oder einzelne Aufräumaktionen in den Griff bekommen lässt. Es handelt sich um ein Krankheitsbild aus der Gruppe der Zwangsstörungen und verwandter Störungen, das im neuen Diagnosesystem ICD-11 erstmals den Status einer eigenständigen Diagnose erhält.
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Abzugrenzen ist das pathologische Horten von ähnlichen Verhaltensweisen, die bei anderen psychischen Störungen auftreten können, zum Beispiel:
- Depressionen: Bei schweren Depressionen kann es durch die Antriebsminderung zeitweise zur Vernachlässigung des häuslichen Umfelds und zur Akkumulation nicht mehr benötigter Dinge kommen (zum Beispiel leere Lebensmittelverpackungen, alte Zeitungen etc.). Diese Akkumulation entsteht jedoch unbeabsichtigt, die Betroffenen verbinden mit den angesammelten Dingen nichts und sind durch deren Wegwerfen nicht belastet.
- Zwangsstörungen: Menschen, die an Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen leiden, haben manchmal auch einen Zwang Dinge zu horten. Bei ihnen dient dieses Verhalten aber der Neutralisierung unangenehmer Gefühle und wird als belastend wahrgenommen, während es beim pathologischen Horten mit angenehmen Gefühlen verbunden ist.
- Demenz: An Demenz Erkrankte horten Dinge manchmal infolge fortschreitender neurokognitiver Defizite, haben aber weniger Interesse an den Dingen selbst und sind durch das Wegwerfen weniger belastet. Zudem zeigen sie weitere demenztypische Symptome, wie Gedächtnisstörungen und Veränderungen der Persönlichkeit und des Verhaltens.
Von pathologischem Horten Betroffene fühlen sich durch ihr Verhalten in der Regel nicht beeinträchtigt; ihre gesammelten Gegenstände vermitteln ihnen vielmehr das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Dagegen löst die Aufforderung, nicht mehr benötigte Dinge wegzuwerfen, negative Gefühle, wie Angst oder Anspannung, aus. Die Krankheitseinsicht ist bei den Betroffenen unterschiedlich ausgeprägt: manche erkennen, dass ihre Weigerung, Dinge wegzuwerfen, nicht rational begründbar ist oder dass das Horten zu problematischen Einschränkungen in ihrem Haushalt und anderen Lebensbereichen führt. Andere Betroffene sind wiederum trotz erheblicher objektiver Einschränkungen überzeugt davon, dass ihr Verhalten unproblematisch ist.
Ist mein Freund oder Partner ein „Messie“?
Freunden und Angehörigen fällt das pathologische Horten meist durch den Zustand der Wohnräume auf: Hier türmen sich oft unterschiedliche Gegenstände, sodass in manchen Wohnungen nur noch schmale Trampelpfade von einem Raum in den nächsten führen. In vielen Fällen sind nicht nur Schränke und Regale, sondern auch Schreibtische, Treppen, der Fußboden und andere Oberflächen komplett zugestellt. Küchen und Bäder lassen sich teilweise nicht mehr normal benutzen. Viele Betroffene weiten ihr Verhalten auf Keller, Garagen, Dachböden und andere Räume aus.
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Charakteristisch für die Betroffenen ist, dass sie oft eine emotionale Bindung zu den gehorteten Gegenständen haben, zum Beispiel, weil diese sie an bestimmte Ereignisse oder Personen erinnern. Es werden aber auch Dinge gehortet, die als nützlich wahrgenommen werden, weil man sie vielleicht irgendwann noch einmal brauchen könnte, oder weil ihnen ein intrinsischer Wert beigemessen wird. Der Gedanke, sich von diesen Dingen zu trennen, löst bei den Betroffenen innere Widerstände und Stressgefühle aus. Pathologisches Horten ist eine chronisch fortschreitende Erkrankung. Die typischen Verhaltensweisen beginnen meist schon in der Kindheit und Jugend, sind dort aber durch das Eingreifen der Eltern und durch das Umfeld bedingt (z.B. geringe Kaufkraft mangels eigenem Einkommen) schwerer zu erkennen. Die Folgen des pathologischen Hortens werden mit zunehmendem Alter sichtbarer, weil sich im Laufe des Lebens mehr und mehr Dinge anhäufen. Häufiger tritt die Erkrankung bei Männern und alleinlebenden Menschen auf. Teilweise gibt es auch eine Tendenz zum Horten in der Familiengeschichte.
Manchmal kann sich eine anfängliche Sammelleidenschaft zum pathologischen Horten weiterentwickeln. Entscheidend für die Abgrenzung dieser beiden Verhaltensmuster ist, ob das Verhalten zu Beeinträchtigungen in bestimmten Lebensbereichen führt. Das wäre beispielsweise dann der Fall, wenn die gesammelten Gegenstände nicht mehr nur in Regalen oder Abstellräumen gelagert werden, sondern normale Wohnbereiche blockieren und dadurch das Alltagsleben beeinträchtigen. In der Regel lässt sich eine Sammelleidenschaft gut von pathologischem Horten abgrenzen.
Die wichtigsten Unterschiede sind:
- Sammlungen sind in der Regel in einem bestimmten System geordnet und die gesammelten Objekte leicht zugänglich (zum Beispiel in Ordnern, Setzkästen oder Schachteln). Zudem erwerben Sammlerinnen und Sammler meist gezielt nur bestimmte Objekte und planen deren Erwerb gut. Hinter dem Horten steckt hingegen kein erklärbares System und die Wohnbereiche sind in weiten Teilen mit den gehorteten Gegenständen zugestellt oder „verschüttet“.
- Beim pathologischen Horten ist das Wohlergehen der Betroffenen und/oder ihrer Angehörigen beeinträchtigt, zum Beispiel weil sich Wohnräume nicht mehr betreten, nutzen oder sauber halten lassen.
Richtiger Umgang: Wie helfe ich einem Angehörigen mit „Messie-Syndrom“?
Wenn Sie den Verdacht haben, dass Ihre Freundin oder Ihr Freund, Ihre Partnerin oder Ihr Partner oder ein Familienmitglied unter pathologischem Horten leidet, ist die wichtigste Maßnahme, mit ihm gemeinsam professionelle Hilfe zu suchen. Der erste Schritt kann ein Gespräch mit dem Hausarzt oder der Hausärztin sein. Bereits das kann sich jedoch schwierig gestalten, wenn Betroffene ihre Krankheit nicht als solche wahrnehmen. Oft kommt die Angst dazu, dass jemand kommen und die zugestellte Wohnung auf- beziehungsweise ausräumen könnte. Daher ist es wichtig, dass Sie betonen, dass Ihnen das Wohlergehen und die Gesundheit des oder der Betroffenen am Herzen liegt – und dass sie oder ihn niemand zwingen wird, die Gegenstände radikal zu entsorgen.
Hilfe mit Feingefühl
Selbst wenn die Betroffenen ihr Problem einsehen, ist es für sie ohne Hilfe kaum möglich, aus dem gewohnten Verhalten auszubrechen. Auch eine Aufräumaktion hinter dem Rücken Ihres Angehörigen kann das Problem meist nur vorübergehend überdecken, aber nicht beheben.
Bei der Behandlung des pathologischen Hortens kommt meist eine kognitive Verhaltenstherapie zum Einsatz. Bestimmte Therapieprogramme sind speziell auf die Erkrankung zugeschnitten. Die Betroffenen lernen hier im ersten Schritt, ihre Besitztümer zu ordnen und zu organisieren. Zudem wird untersucht, welche Funktion das Ansammeln neuer Gegenstände für die Betroffenen hat und welche alternativen Verhaltensweisen diesen Zweck erfüllen könnten. Ebenso wird in den Blick genommen, warum die Betroffenen Dinge aufbewahren, welche Befürchtungen sie mit dem Wegwerfen verbinden und wie diese Überzeugungen sinnvoll verändert werden können. Danach üben die Betroffenen systematisch das Wegwerfen nicht mehr benötigter Dinge und den bewussten Verzicht auf das Ansammeln neuer Gegenstände. Angehörige können in diesem schrittweisen Prozess eine große Hilfe sein, indem sie in Absprache mit der Therapeutin oder dem Therapeuten die Betroffene oder den Betroffenen unterstützen und begleiten.