Zum Hauptinhalt springen
AOK WortmarkeAOK Lebensbaum
Gesundheitsmagazin

Psychologie

Was ist eine Psychose? Wissenswertes zu Symptomen, Ursachen und Behandlung

Veröffentlicht am:26.01.2022

8 Minuten Lesedauer

Psychose: Man hört den Begriff oft, aber was ist das genau? Und an welchem Verhalten erkennt man, dass ein Mensch unter einer Psychose leidet? Grundlegende Fragen zu dieser psychischen Erkrankung und welche unterstützende Rolle Angehörige spielen können, klärt der Experte in diesem Interview.

Ein an Psychose erkrankter Mann lehnt sich verzweifelt gegen eine Wand und verbirgt das Gesicht in der Armbeuge.

© iStock / Rattankun Thongbun

Porträt von Prof. Dr. med. Alkomiet Hasan,Inhaber des Lehrstuhls für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Augsburg und Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Augsburg.

© Universität Augsburg

Menschen mit einer Psychose nehmen die Realität verändert wahr. Wie genau und welche Therapieformen es gibt, erläutert Prof. Dr. med. Alkomiet Hasan, Inhaber des Lehrstuhls für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Augsburg und Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Augsburg.

Einmal ganz allgemein gefragt: Was ist eine Psychose?

Psychose ist ein Begriff, der sich gewandelt hat. Früher hat man zwischen „affektiven“ und „nicht-affektiven“ Psychosen unterschieden. Die affektiven Psychosen kennen wir heute als Depression oder manisch-depressive Erkrankung. Die nicht-affektiven sind die klassische Schizophrenie und Schizophrenie-Spektrum-Erkrankungen. Das sind genau die Erkrankungen, die heute gemeint sind, wenn wir von Psychosen sprechen: Erkrankungen, Verhaltensweisen oder Verhaltensänderungen, die mit einer veränderten Wahrnehmung des Ichs und der Umwelt einhergehen, mit Denkstörungen, Konzentrationsproblemen und Halluzinationen.

Wie äußert sich eine Psychose?

Was bei sehr vielen Betroffenen auftritt und typisch ist für eine Psychose im Sinne einer Schizophrenie-Spektrum-Erkrankung, sind akustische Halluzinationen (das klassische „Stimmenhören“). Auch wahnhafte Symptome als Anzeichen einer paranoiden Psychose kommen oft vor: Verfolgungswahn und Beobachtungserleben (sich beobachtet fühlen) oder das Gefühl, andere Menschen können die eigenen Gedanken lesen. Bei sehr schweren Fällen einer Psychose gibt es solch bizarre Ideen, dass die Organe hin- und herwandern oder dass man von Außerirdischen beeinflusst wird. Das kann so weit gehen, dass sich ein Betroffener nicht mehr bewegen kann. Das sind aber extreme Verläufe. Die häufigsten Symptome sind die akustischen Halluzinationen, Verfolgungswahn und Beobachtungserleben.

Oft wird eine Psychose mit optischen Wahnbildern verbunden. Wird das durch die Praxis bestätigt?

Optische Halluzinationen, also Trugbilder, sind eine Randerscheinung. Wenn Menschen zu uns in die Klinik kommen, die optische Halluzinationen haben, denken wir nicht als Erstes an eine Psychose, sondern an eine Intoxikation oder an körperliche Ursaschen der Symptomatik. In Filmen oder Medien wird Schizophrenie mit optischen Halluzinationen assoziiert, aber in der Praxis sind sie ein äußerst seltenes Symptom für schizophrene Psychosen.

Mehr zum Thema

Warnsignale für eine Psychose und mögliche Ursachen

Kann man erste Anzeichen einer Psychose benennen, die ein Alarmsignal für Angehörige darstellen?

Man muss zwei Ebenen der Frühwarnzeichen unterscheiden: Warnzeichen vor der ersten Diagnose einer Psychose und solche, die nach der Diagnose und Therapie einen Rückfall andeuten. Für die Familie oder Angehörige ist es schwer, die Frühwarnzeichen für eine Psychose richtig zu deuten: sozialer Rückzug, Konzentrationsstörungen, Abfall der Leistungsfähigkeit, ungewöhnliche Verhaltensweisen, leichte Wahnvorstellungen. Das sind Auffälligkeiten, die vielfältige Ursachen haben können. Aber es sind eben auch mögliche Frühwarnzeichen für eine Psychose, aufgrund derer zum Beispiel Eltern mit ihrem Kind einen Facharzt oder eine Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie aufsuchen sollten. Die meisten Menschen mit solchen Frühwarnzeichen entwickeln aber glücklicherweise keine Psychose!

„Für die Familie oder Angehörige ist es schwer, die Frühwarnzeichen für eine Psychose richtig zu deuten.“

Prof. Dr. med. Alkomiet Hasan
Inhaber des Lehrstuhls für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Augsburg und Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Augsburg

Wie entsteht eine Psychose?

Die Ursachen sind vielfältig, aber es gibt ein paar gesicherte Erkenntnisse: Es handelt sich immer um eine Erkrankung, bei der eine eigene erbliche Veranlagung, mit Umweltfaktoren zusammentrifft. Jeder Mensch hat eine Wahrscheinlichkeit von einem Prozent, dass eine psychotische Störung im Verlauf seines Lebens auftreten könnte. Zum Auslösen einer Psychose müssen jedoch andere Faktoren hinzukommen, zum Beispiel eine Traumatisierung in der Kindheit oder, was sehr häufig ist, Cannabisgebrauch in der Jugend. Diese Interaktion aus Genen und Umwelteinflüssen bedingt, dass irgendwann eine psychotische Störung auftritt. Es gibt keine monokausale Erklärung, das beruht immer auf mehreren Faktoren.

Lässt sich die Rolle einer genetischen Vorbelastung näher erläutern?

Ein anschauliches Beispiel: Wenn ein Elternteil bereits unter einer Psychose leidet, steigt das eigene Psychose-Risiko von einem auf ca. acht Prozent. Das ist ein sehr großer Anstieg bei der Wahrscheinlichkeit, heißt aber noch nicht, dass der Betroffene zwingend selbst eine Psychose bekommen muss. Dazu bedarf es, wie gesagt, weiterer Faktoren: zum Beispiel soziale Isolation, Stress, Traumatisierung, Cannabisgebrauch oder eine körperliche Krankheit.

Für die Ursachen sind die Begriffe primäre und sekundäre Psychose wichtig. Was ist der Unterschied?

Die Unterscheidung zwischen primär und sekundär gibt es in der Medizin allgemein, auch losgelöst von der Psychiatrie und Psychotherapie. Unter primären Psychosen verstehen wir solche Psychosen, für die wir keine messbare Ursache finden. Das ist die häufigste Form, denn in den meisten Fällen können wir nicht mit Sicherheit sagen, woher die Psychose genau kommt, wodurch sie konkret ausgelöst wurde. Bei sekundären Psychosen gibt es einen klaren körperlichen oder externen Auslöser. Typische Beispiele für sekundäre Psychosen sind solche im Kontext einer Hirnentzündung oder einer Multiplen Sklerose. Die größte Gruppe unter den sekundären Psychosen stellen die drogeninduzierten Psychosen dar. Drogengebrauch ist mit Abstand die häufigste Ursache für eine sekundäre Psychose: Alkohol, Amphetamine, moderne psychoaktive Substanzen und vor allem Cannabis.

Wenn man aufhört, Drogen zu konsumieren, hört dann automatisch auch die Psychose auf?

Nicht unbedingt. Eine sekundäre Psychose kann irgendwann auch ohne die schädigende Substanz oder den schädigenden Umstand auftreten. Dann ist sie im Krankheitsbild von einer primären Psychose kaum zu differenzieren.

Mehr zum Thema

Diagnose und Therapie der Psychose

Wie wird eine Psychose festgestellt?

Die entsprechende medizinische Leitlinie gibt ein stufenweises Vorgehen vor. Es gibt eine Basisdiagnostik, die immer erfolgen muss, und eine ergänzende Diagnostik, wenn es konkrete Verdachtsmomente gibt. Die Basisdiagnostik umfasst ein ausführliches Gespräch mit Erfassung der psychopathologischen Symptome, also derjenigen Symptome, die auf eine psychische Erkrankung hindeuten. Außerdem eine körperliche Untersuchung, eine Laboruntersuchung von Blut, um Entzündungen festzustellen, ein Drogenscreening des Urins, und schließlich wird mittlerweile auch eine Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt, um ein Bild vom Kopf zu haben und sekundäre Ursachen ausschließen zu können.

Wenn man Verdachtsmomente hat, beispielsweise besonders stark ausgeprägte Symptome oder sehr schwere Verläufe, schließt man immer noch eine Untersuchung des Nervenwassers, eine ausführliche neuropsychologische Untersuchung und eine Elektroenzephalographie (EEG) an. Bei außergewöhnlichen Symptomen sucht man auch seltene Ursachen wie Stoffwechselerkrankungen und Immunerkrankungen. Das ist die letzte Stufe, die aber nur sehr wenige Menschen betrifft. Bei den meisten Menschen gelangen Sie mit der Basisdiagnostik zur richtigen Diagnose und können eine Psychose entweder bestätigen oder ausschließen.

Wie oft kommen Psychosen vor und kann eine Psychose geheilt werden?

Wie bereits gesagt, die Lebenszeitprävalenz liegt bei einem Prozent, was die Häufigkeit angibt, einmal im Leben zu erkrankten. In Bezug auf andere psychische Erkrankungen in der Bevölkerung wie Angst und Depression sind Psychosen daher selten. Was die Heilungsaussichten betrifft, so behandeln wir bei den meisten Erkrankungen in der Medizin Symptome, um darüber eine langfristige Lebensqualität aufrechtzuerhalten. Das ist bei der Psychose nicht anders, das heißt, sie ist nicht heilbar – was die wenigsten ernsthaften Krankheiten sind –, aber behandelbar.

„Bei den meisten Erkrankungen behandeln wir in der Medizin Symptome, um darüber eine langfristige Lebensqualität aufrechtzuerhalten. Das ist bei der Psychose nicht anders.“

Prof. Dr. med. Alkomiet Hasan
Inhaber des Lehrstuhls für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Augsburg und Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Augsburg

Wie sieht diese Behandlung aus?

Die Behandlung einer Psychose ruht auf vier Säulen:

Zum einen gibt es ganz entscheidend wirksame Medikamente, die Antipsychotika. Diese sind wichtig in der Akutbehandlung und zur Rückfallprophylaxe.

Zweitens ist eine Psychotherapie zum Erlernen des Umgangs mit der Symptomatik notwendig, so wie ein Mensch mit Diabetes lernen muss: „Was darf ich essen und was nicht?“ Menschen mit Psychose können lernen, wie sie reagieren, wenn etwa Stress aufkommt oder man sich in einer bestimmten Situation befindet.

Die dritte Säule bilden die psychosozialen Therapien, vor allem als Hilfe für die Rückkehr an den Arbeitsplatz oder Ähnliches und als Unterstützung bei den Wohnformen. Ferner gehören Fertigkeitstraining, Ergotherapie und Kombitraining dazu.

Die vierte Säule ist die Behandlung des Körpers.

Viele Menschen mit einer Psychose haben genetisch bedingte, durch den individuellen Lebensstil verursachte oder als Nebenwirkung von Medikamenten auftretende körperliche Probleme, beispielsweise Übergewicht oder eine Zuckerkrankheit. Das muss natürlich auch behandelt werden. Man darf keinen dieser Ansätze isoliert verfolgen. Es ist nicht ausreichend, ein Medikament zu verschreiben und zu denken, damit sei es getan.

Eine junge Therapeutin bespricht sich auf einem Sofa mit einem psychisch kranken Teenager-Mädchen und ihrer Mutter.

© iStock / Valeriy_G

Die Einbindung von Angehörigen ist wichtig für eine erfolgreiche Psychosetherapie.

Mehr zum Thema

Wenn eine Psychose an sich nicht heilbar ist, hält sie dann ein Leben lang an?

Vorhandene Daten und der wissenschaftliche Diskurs weisen darauf hin, dass 20 Prozent aller Patienten nur einen einzigen psychotischen Schub haben. Bei diesen treten durch die Therapie keine weiteren Schübe mehr auf. Aber im Umkehrschluss bedeutet das auch, dass 80 Prozent wiederkehrende psychotische Schübe haben, was die Bedeutung eines ganzheitlichen und langfristigen Therapieansatzes unterstreicht.

Kann ein an Psychose Erkrankter mit der richtigen therapeutischen Begleitung den Alltag meistern?

Es geht um eine möglichst frühzeitige, umfassende Therapie. Wenn am Anfang einer Psychose nicht rechtzeitig genug und qualitativ nicht ausreichend therapiert worden ist, kann eine Psychose sehr schnell chronisch werden. Dann wird es sehr problematisch für den Alltag. Die weitere Herausforderung stellt sich dadurch, dass Menschen, bei denen eine Psychose erstmals diagnostiziert wird, in der Regel junge Menschen sind. Bei ihnen ist häufig die sogenannte Medikamenten-Compliance, das ist die Bereitschaft, Medikamente zu nehmen, gering und ebenso die Bereitschaft, regelmäßig die Therapien aufzusuchen. Mit Absetzung der Therapie gibt es häufig Rückfälle. Beispielsweise wird auch wieder Cannabis konsumiert. Das erschwert die Alltagsgestaltung zusätzlich. Natürlich gibt es auch allgemein schwere Verläufe, die trotz guter Therapie weiterhin schwer verlaufen – wie bei anderen Krankheiten auch.

Lebensqualität trotz Psychose: Angehörige sind wichtig

Für die Bewältigung des Alltags kommt es auch auf Bezugspersonen an. Was können Angehörige tun?

Zunächst ist wichtig, dass Angehörige gegenüber dem Menschen mit Psychose wertschätzend und empathisch bleiben und sich auch helfen und beraten lassen, denn die Erkrankung ist eine massive Belastung für das soziale Miteinander. Die Arbeit mit den Angehörigen von Menschen mit einer Psychose ist mitentscheidend für die Behandlung. Angehörigenarbeit bedeutet, die Angehörigen zu trainieren, beispielsweise Eltern zu Experten für die Erkrankung ihres Kindes zu machen. Aber auch, Angehörige mit Hilfsangeboten zu entlasten und sie auf Probleme hinzuweisen und vorzubereiten, die im Zusammenleben mit einem Psychosekranken entstehen können. Das ist sehr wirksam, um Rückfälle in der Erkrankung zu verhindern. Und es ist wichtig, dass sich Angehörige nicht überfordern.

„Es ist wichtig, dass Angehörige gegenüber dem Menschen mit Psychose wertschätzend und empathisch bleiben und sich helfen und beraten lassen, denn die Erkrankung ist eine massive Belastung für den sozialen Zusammenhalt.“

Prof. Dr. med. Alkomiet Hasan
Inhaber des Lehrstuhls für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Augsburg und Ärztlicher Direktor des Bezirkskrankenhauses Augsburg

Ist Angehörigenarbeit die fünfte Säule der Psychosebehandlung?

Zu einer guten Psychosetherapie gehört Angehörigenarbeit zumindest immer dazu. Beispielsweise die Arbeit in Angehörigengruppen, was eigentlich alle Kliniken anbieten. Das sind keine Selbsthilfegruppen, sondern Gruppen, in den Angehörige „Profis“ werden können. Die Angehörigenarbeit gemeinsam mit dem behandelnden Arzt empfiehlt sich zusätzlich gleich zu Beginn der Erkrankung.

Das dritte Element in diesem Kontext ist die trialogische Arbeit mit Erkrankten, Angehörigen und Professionellen. Trialog bedeutet Austausch und Arbeit auf Augenhöhe zwischen diesen drei Beteiligten.

Mehr zum Thema

Unterscheiden sich die Warnzeichen für einen Rückfall von denen für eine beginnende Psychose?

Typisch bei Rückfällen sind: Gereiztheit, Schlafstörungen, Rückzug und ein beginnendes paranoides Erleben. Mit einer guten Angehörigenarbeit lassen sich solche Frühwarnzeichen für einen Rückfall in die Erkrankung hoffentlich gut erkennen. Und wenn solche Warnzeichen bemerkt werden, ist umgehendes Handeln erforderlich und es sollte professionelle Hilfe geholt werden.

Waren diese Informationen hilfreich für Sie?

Noch nicht das Richtige gefunden?