Psychologie
Selbstgespräche können gesund sein
Veröffentlicht am:19.04.2024
5 Minuten Lesedauer
„Wo habe ich denn schon wieder den Schlüssel hingelegt?“ Wenn Sie gelegentlich so einen Satz laut aussprechen, obwohl Sie allein in der Wohnung umherlaufen, ist das ganz normal. Wer will, kann Selbstgespräche sogar auf positive Weise für sich nutzen.
Selbstgespräche sind weiter verbreitet als viele denken
Dass Menschen Selbstgespräche führen, ist ein weit verbreitetes Phänomen. Forschende sprechen im weiteren Sinne auch von Autokommunikation oder intrapersoneller Kommunikation. Diese umfasst auch schriftliche Notizen wie in einem Tagebuch oder auf einem Einkaufszettel. Es werden zwei Arten des Selbstgesprächs unterschieden:
- das leise Selbstgespräch, etwa in Form konkreter Gedanken oder innerer Dialoge
- das laute Selbstgespräch, etwa gemurmelte Worte und Sätze ohne einen äußeren Ansprechpartner oder eine Ansprechpartnerin
Nahezu alle Menschen führen stille Selbstgespräche. Auch, dass diese Gedanken zwischenzeitlich eine hörbare Stimme bekommen, ist ganz normal. Forschende nehmen an, dass sich das Selbstgespräch im Kindesalter ausbildet – eng verbunden mit dem Prozess des Sprechenlernens – und als Ausdrucksmittel verinnerlicht. Im Alter von fünf bis sieben Jahren reden Kinder besonders häufig hörbar mit sich selbst, etwa im Spiel oder wenn sie bestimmte Aufgaben erledigen. Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass das Sprechen mit sich selbst einen wichtigen Zwischenschritt in der kindlichen Gehirn- und Sprachentwicklung darstellt. Mit der Zeit verlagert sich dieses Selbstgespräch in die gedankliche Ebene und wird zur „inneren Stimme“.
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Wann reden Menschen häufiger mit sich selbst?
Einige Faktoren sorgen nach aktuellem Kenntnisstand auch bei Erwachsenen dafür, dass sie häufiger mit sich selbst reden. Dazu gehören:
- Soziale Isolation: Wer wenige oder unbefriedigende soziale Kontakte hat, neigt Studien zufolge eher zu Selbstgesprächen. Insbesondere eine selbst wahrgenommene Einsamkeit scheint mit mehr „Self-Talk“ einherzugehen. Ob das gleichermaßen auf Menschen zutrifft, die selbst gewählt allein leben und damit zufrieden sind, ist noch nicht abschließend erforscht.
- Aspekte aus der Kindheit: Einzelkinder, die in ihrer Kindheit häufig allein gespielt haben, scheinen noch im Erwachsenenalter stärker zu Selbstgesprächen zu neigen als Geschwisterkinder. Besonders viel Autokommunikation berichten in Befragungen jene, die als Kind einen imaginären Freund hatten.
- Selbstbewusstsein: Menschen mit geringem Selbstwertgefühl und negativen Gedanken über sich selbst scheinen tendenziell häufiger Selbstgespräche zu führen.
- Persönlichkeit: Wer in Befragungen berichtet, häufiger mit sich selbst zu reden, gibt auch eher an, mehr Spaß an abstrakten Denkaufgaben und Rätseln zu haben. Die kursierende Behauptung, Selbstgespräche seien ein Zeichen für Intelligenz, lässt sich bislang nicht wissenschaftlich belegen. Jedoch neigen „Self-Talker“ mehr zu Gewissenhaftigkeit – bis hin zu Zwanghaftigkeit.
Wann führen Menschen Selbstgespräche?
Selbstgespräche sind nicht nur normal, sondern erfüllen auch verschiedene Funktionen; unter anderem:
- Problemlösung und Organisation: Gedanken auszuformulieren und gegebenenfalls laut auszusprechen kann dabei helfen, sie zu strukturieren, ein Problem zu analysieren oder eine Aufgabe in einzelne Schritte zu zerlegen. („Erst den Biskuit-Teig backen, vorm Durchschneiden muss der noch auskühlen, dann die Buttercreme und erst ganz zum Schluss die Deko – und kam da nicht irgendwann noch Marmelade dazwischen?“)
- Fokus und Konzentration: Bei Aufgaben, die viel Konzentration erfordern, sind Selbstgespräche eine Möglichkeit, den eigenen Fokus zu lenken. („An den Puderzucker denken! Der ist doch im dritten Regal links. Puderzucker, Puderzucker, Puderzucker.“)
- Stressreduktion: Innere Monologe können dabei helfen, in unerwarteten Situationen die eigenen Emotionen zu regulieren und ruhig zu bleiben. („Oh nein, Puderzucker ist da, aber jetzt hab‘ ich die Butter vergessen! Okay, erstmal tief durchatmen. Buttercreme ohne Butter, kein Problem. Das kriegen wir hin.“)
- Lernen und Gedächtnis: Bestimmte Lern- und Merkinhalte wie Vokabeln oder Telefonnummern auszuformulieren – gerne auch laut – hilft vielen Menschen dabei, sie tiefer im Gedächtnis zu verankern. („25 Minuten backen, also muss der Biskuit um 14 Uhr aus dem Ofen. Nicht vergessen, 14 Uhr!“)
- Motivation: Angesichts schwieriger und anstrengender Aufgaben ist ein positives Selbstgespräch oft hilfreich. („Puh, okay, die Torte sieht vielleicht nicht perfekt aus, aber ist mit ganz viel Liebe gebacken und schmeckt bestimmt trotzdem allen. Fast geschafft, es fehlen nur noch die Mandelblättchen.“)
Studien zeigen, dass junge Erwachsene bei Lern- und Denkaufgaben besser abschneiden, wenn sie in dem Prozess laut mit sich selbst reden. Eine Untersuchung weist darauf hin, dass Selbstgespräche für Schulkinder ein wichtiges Werkzeug sind, um sich selbst in schwierigen und frustrierenden Situationen zu motivieren und ihre Gefühle zu regulieren. In weiteren Studien kam heraus: Tennisspieler und -spielerinnen sprechen während eines Turniers häufiger spontan mit sich selbst, wenn sie Punkte verlieren – und je positiver ihr Selbstgespräch, desto höher ihre Gewinnchancen. Ähnliche Ergebnisse zeigten sich auch in anderen Sportarten wie der Rhythmischen Sportgymnastik.
Positive und negative Selbstgespräche
Selbstgespräche unterscheiden sich in der Art, wie Menschen mit sich selbst sprechen. So sind gezielte positive Selbstgespräche inzwischen ein gängiges Werkzeug in der Sportpsychologie und im Coaching. Viele Menschen geraten jedoch allzu oft in negative Unterhaltungen mit sich selbst und sagen sich Sätze wie: „Das schaffe ich sowieso nicht“ oder „Ich Idiot, das ist ja typisch, dass ich das wieder verbockt habe!“ Wer häufig solche negativen Selbstgespräche führt, kann damit in einen Teufelskreis aus destruktiven Gedanken, geringem Selbstwert und frustrierenden Erlebnissen geraten. Negative Selbstgespräche haben zum Beispiel auch eine enge Verbindung und ungünstige Wechselwirkung mit Depressionen, Angststörungen, Neurotizismus und chronischen Schmerzen .
Oft ist es bereits hilfreich, sich dieser Mechanismen bewusst zu sein und vermehrt auf seine Gedanken und die Selbstansprache zu achten. Wenn Sie sich dabei erwischen, dass Sie in Gedanken mit sich selbst schimpfen, fragen Sie sich: Ist das objektiv betrachtet gerechtfertigt? Hilft mir dieser Gedanke oder schade ich mir damit selbst? Vielleicht schaffen Sie es, den Gedanken umzudrehen oder durch einen bestärkenden zu ersetzen, zum Beispiel: „Ich schaffe das!“ oder „Ich habe viele Talente und Fähigkeiten – und wenn ich einen Fehler mache, ist das nicht schlimm und ich kann daraus lernen.“
Wie kann ich meine Selbstgespräche abstellen?
Auch verbalisierte („laute“) Selbstgespräche sind in den meisten Fällen normal und müssen Ihnen nicht peinlich sein. Bei manchen Aufgaben helfen sie sogar noch besser als rein gedankliche Selbstgespräche.
Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihre Selbstgespräche überhandnehmen und Sie sie nicht kontrollieren können, hilft es möglicherweise, wenn Sie Ihre aktuelle Stressbelastung analysieren und nach Möglichkeit Gegenmaßnahmen ergreifen. Fühlen Sie sich häufig einsam, finden Sie in unserem Artikel zum Thema hilfreiche Tipps, um die Einsamkeit zu überwinden.
Suchen Sie sich professionelle Hilfe, wenn:
- Ihre Selbstgespräche Sie stark belasten
- Ihre Selbstgespräche sich zwanghaft oder wie Stimmen von außen anfühlen
- Sie das Gefühl haben, keine Kontrolle über negative Selbstgespräche und Gedankenspiralen zu haben
- Sie sich häufig wertlos, leer oder hoffnungslos fühlen