Psychologie
Professionelle Sterbebegleitung: Was leistet die Palliativmedizin?
Veröffentlicht am:10.08.2022
6 Minuten Lesedauer
Mit der Palliativmedizin steigern Mediziner und Medizinerinnen die Lebensqualität von Menschen, die sich im Sterbeprozess befinden. Doch was ist Palliativmedizin genau, wo erhalten Patienten oder Patientinnen sie und wie können Angehörige begleiten?
Was benötigt ein Mensch, der sich am Lebensende befindet?
Studien belegen, dass Menschen am Ende ihres Lebens recht einfache Dinge benötigen. So wünschen sich Sterbende, die noch verbleibende Zeit schmerzfrei, sozial eingebunden und gut umsorgt zu verbringen. Die Wünsche konzentrieren sich weniger auf eine medizinische Versorgung, sondern vielmehr auf eine persönliche Zuwendung – die Patienten und Patientinnen möchten Nähe erfahren und sich mit Angehörigen austauschen. Natürlich gibt es auch Situationen, in denen die Medizin eingreifen muss, beispielsweise um Betroffenen das Atmen zu erleichtern. Insgesamt ist es aber wichtig, dass Patienten oder Patientinnen am Lebensende ein ausbalanciertes Angebot erhalten – also eine gute Mischung zwischen medizinischen beziehungsweise pflegerischen Leistungen und dem, was Sterbende sonst noch benötigen. Die Palliativarbeit verfolgt stets einen ganzheitlichen Ansatz und ermöglicht beispielsweise auch eine spirituelle Unterstützung.
„Es gehört zum Leben dazu, zu sterben. Es ist sozusagen gesund, zu sterben.“
Dr. Raymond Voltz
Palliativmediziner und Direktor des Zentrums für Palliativmedizin an der Uniklinik Köln
Wie kann ein Mensch mit dem Leben abschließen?
Wir sterben alle unterschiedlich, genauso wie wir unterschiedlich leben. Daher gibt es keine pauschale Antwort darauf, wie ein Mensch am besten mit seinem Leben abschließt. Während der eine sich viel Gesellschaft in seinen letzten Tagen und Stunden wünscht, zieht sich ein anderer Mensch lieber zurück. Grundsätzlich entscheidet jeder für sich, was er in seinem Leben aus seiner Sicht noch abschließen muss. Angehörige können dabei meist nur bedingt helfen. Allerdings kann die Palliativmedizin in Zusammenarbeit mit den Angehörigen einen Rahmen für einen Abschluss schaffen. Zum Beispiel, indem der Patient oder die Patientin die Möglichkeit erhält, das eigene Leben rückwirkend zu betrachten – das klappt oft mit intensiven Gesprächen.
„Palliativversorgung und Hospizbegleitung können helfen, Menschen auf ihrem absehbaren Weg der letzten Lebensmonate, des letzten Lebensjahres angemessen zu begleiten, wenn sie es wünschen und benötigen.“
Dr. Raymond Voltz
Palliativmediziner und Direktor des Zentrums für Palliativmedizin an der Uniklinik Köln
Was ist Palliativmedizin und wie berücksichtigt sie Patientenbedürfnisse?
Die Linderung von bestehenden Symptomen ist nur eine Aufgabe in der Palliativmedizin. Palliativmediziner oder Palliativmedizinerinnen und Pflegefachpersonen betreuen Menschen in der Sterbephase, ermöglichen den Kontakt zu ehrenamtlich Helfenden und unterstützen Angehörige in der Trauerzeit. Das Konzept der Palliativversorgung dient als Vorbild für das gesamte Gesundheitssystem, denn hier stehen die Betroffenen im Mittelpunkt und ihre Symptome erfahren eine ganzheitliche Behandlung.
An welchen Orten erhalten sterbende Menschen Palliativmedizin?
Sterbende Menschen können ihre letzte Lebenszeit in ihrem Zuhause, bei Angehörigen, in einem Hospiz, einem Krankenhaus oder einem Pflegeheim verbringen. Überall dort erhalten Patienten und Patientinnen auf Wunsch und bei Bedarf palliativmedizinische Versorgung. Bei der Palliativmedizin zu Hause oder der Sterbebegleitung in Hospiz und Co. gibt es aber häufig ein Problem: Die Angebote erreichen Patienten und Patientinnen zu spät. Das liegt daran, dass die Beteiligten, also die Mediziner und Medizinerinnen, Betroffene und Angehörige, meist nicht offen über Diagnosen sprechen. Was können wir noch machen, welche Therapien stehen noch zur Verfügung? Diese Fragen nehmen viel Raum ein, das Gespräch über den baldigen Tod steht dann häufig hinten an. Das führt dazu, dass Betroffene nicht genügend Zeit haben, genau zu überlegen, wie und wo sie das Lebensende gestalten möchten. Genau deshalb ist ein offener Umgang mit dem Thema Tod so wichtig – dazu können neben Medizinern oder Medizinerinnen auch Pflegefachpersonen und Angehörige beitragen.
„Palliativversorgung leistet das gesamte Gesundheitssystem, nicht nur die spezialisierte Palliativmedizin. Leider ist das allgemeine Gesundheitssystem noch nicht optimal auf die Versorgung im letzten Lebensjahr vorbereitet, so berichten uns viele Angehörige von Verstorbenen.“
Dr. Raymond Voltz
Palliativmediziner und Direktor des Zentrums für Palliativmedizin an der Uniklinik Köln
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Was ist ein Hospiz und was passiert dort?
Ein Hospiz ist eine Einrichtung für schwerkranke Menschen, die sich in ihrer letzten Lebensphase befinden. Die medizinische Situation der Menschen in der letzten Lebensphase sollte aber nicht akut sein – in dem Fall sind die Patienten oder Patientinnen besser auf einer Palliativstation im Krankenhaus aufgehoben. Zwar handelt es sich bei einem Hospiz um eine Einrichtung, aber die Verantwortlichen gestalten die Räume sehr wohnlich und tragen so zu einer angenehmeren Atmosphäre bei. In einem Hospiz erhalten die Bewohner und Bewohnerinnen neben einer pflegerischen und medizinischen Versorgung auch Beistand von Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen. Außerdem können Sie die Unterstützung von Seelsorgern und Seelsorgerinnen in Anspruch nehmen.
Zu Hause oder in einer Einrichtung sterben?
Laut einer Umfrage, initiiert durch den Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verband, möchten die meisten Menschen (58 Prozent) zu Hause sterben. Menschen in der letzten Lebensphase können ihre restliche Lebenszeit in ihrem gewohnten Umfeld oft ein Stück weit persönlicher gestalten. Außerdem haben sie ihre Angehörigen dann meistens in direkter Umgebung. Doch manchmal ist es schlichtweg nicht mehr möglich, die Versorgung zu Hause zu gewährleisten – zum Beispiel, wenn sich An- und Zugehörige durch den intensiven Pflegeaufwand und die starke psychische Belastung überfordert fühlen. Eine stationäre Einrichtung bietet dann ein ganzheitliches Konzept und eine Unterstützung durch ein interdisziplinäres Team vor Ort.
Wie können die Wünsche bei der Örtlichkeit berücksichtigt werden?
Die persönlichen Wünsche spielen eine große Rolle, allerdings kann nicht jeder Wunsch erfüllt werden. In einem Familiengespräch können Angehörige mit dem oder der Betroffenen Wünsche besprechen und herausfinden, ob ein Hospiz oder eine andere stationäre Versorgung infrage kommt. Manchmal ist zu Anfang auch nicht ganz klar, ob die Lösung dauerhaft klappt. Menschen in der letzten Lebensphase müssen sich aber nicht sofort festlegen – sie haben beispielsweise die Möglichkeit, zuerst im häuslichen Umfeld zu leben und später in ein Hospiz oder auf eine Palliativstation zu wechseln. Allerdings gibt es in vielen Hospizen Wartelisten. Eine vorausschauende Behandlung beziehungsweise Betreuung des Patienten oder der Patientin ist daher sinnvoll. Die Kosten für die Palliativversorgung trägt im ambulanten und stationären Bereich die Krankenkasse.
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Wie können Angehörige Betroffene bestmöglich unterstützen?
Angehörige können zunächst einmal für den Betroffenen oder die Betroffene da sein und auf Wunsch die Unterbringung für die letzte Lebensphase organisieren, gemeinsam mit dem Patienten oder der Patientin Therapievorschläge hinterfragen oder eine Zweitmeinung ermöglichen. Menschen, die sich in ihrer letzten Lebensphase befinden, sind häufig sehr mit sich selbst beschäftigt und dankbar für die Unterstützung von außen. Im Übrigen können Angehörige für ihr Familienmitglied wertvolle Kontakte herstellen – zum Beispiel zu einem ambulanten Hospizdienst oder einem Palliativnetzwerk vor Ort.
„Es gibt das Leben nach dem Tod, nämlich das der Angehörigen nach dem Versterben des Patienten. Trauerbegleitung ist in Deutschland immer noch ausschließlich bürgerschaftlich-hospizlich organisiert.“
Dr. Raymond Voltz
Palliativmediziner und Direktor des Zentrums für Palliativmedizin an der Uniklinik Köln
Wo erhalten Betroffene und Angehörige Unterstützung?
Viele Anlaufstellen bieten Patienten oder Patientinnen sowie Angehörigen eine Beratung oder Unterstützung im Alltag an. Eine Verpflichtung, diese Hilfen in Anspruch zu nehmen, gibt es dabei nicht – oft empfinden Betroffene sie aber als sehr entlastend.
Folgende Anlaufstellen gibt es für Sterbende und deren Angehörige:
- AOK-Palliativwegweiser
- AOK-Pflegeberatung
- Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e.V.
- Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin
- Wegweiser für Palliativmedizin
- Regionale Palliativ-Netzwerke vor Ort
- Ambulante Hospizdienste
Erfahrungsgemäß leidet die Lebensqualität von Angehörigen, wenn sich eine nahestehende Person im Sterbeprozess befindet. Angehörige sollten sich daher unbedingt auch um sich selbst sorgen. Dazu gehört, Trauer, schon vor dem Tod, zuzulassen. Ambulante Hospizdienste helfen Angehörigen dabei, Trauer zu verarbeiten, indem sie beispielsweise Gespräche anbieten.
Familiencoach Pflege – lernen, mit belastenden Situationen umzugehen
Pflegende Angehörige setzen sich täglich mit viel Herz für die Versorgung ihrer Liebsten ein. Befindet sich das Familienmitglied am Ende seines Lebenswegs, ist das für Angehörige eine besondere Herausforderung. Der Familiencoach Pflege stellt Angehörigen Informationen in Form von Videos, Audiodateien und interaktiven Übungen bereit. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf sehr belastenden Pflegesituationen wie der Sterbebegleitung. Hier erfahren Angehörige, wie sie besser mit der seelischen Belastung und mit Gefühlen wie Wut, Trauer oder Angst umgehen können. Der Familiencoach ist für AOK-Versicherte kostenlos und leitet Interessierte durch verschiedene Module – Angehörige können die Module ganz nach ihren Bedürfnissen zusammenstellen.
Der AOK-Pflege-Report 2022
Um Pflegebedürftige in der letzten Lebensphase gut begleiten zu können, sollten Hospizdienste stärker in Einrichtungen der Langzeitpflege eingebunden werden. Das schließt der AOK-Bundesverband aus dem Pflege-Report 2022 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).