Psychologie
So erkennen Sie emotionalen Missbrauch durch Gaslighting
Veröffentlicht am:19.09.2023
4 Minuten Lesedauer
Bei Gaslighting handelt es sich um eine Form der psychischen Gewalt: Mit gezielten Aussagen oder Verhaltensweisen versucht eine Person, eine andere zu verunsichern und an der eigenen Wahrnehmung zweifeln zu lassen. Was steckt dahinter?
Was bedeutet Gaslighting?
„Habe ich das wirklich gesagt? Kann das sein, dass ich mich immer falsch an Situationen erinnere? Werde ich vielleicht verrückt?“ Solche und ähnliche Fragen stellen sich die Opfer von Gaslighting ab einem bestimmten Punkt immer öfter. Grund dafür ist nicht ihre eigene mentale Zurechnungsfähigkeit, sondern eine manipulative Person im Umfeld – ein sogenannter Gaslighter oder Gaslighterin. Gaslighting ist eine Form des emotionalen Missbrauchs.
Der Begriff Gaslighting geht auf das 1938 uraufgeführte Theaterstück „Gas Light“ von Patrick Hamilton zurück. Darin versucht ein Ehemann, seine Frau systematisch in den Wahnsinn zu treiben, um an ihr Erbe zu kommen. Später wurde das Stück als Verfilmung berühmt und prägte den Begriff Gaslighting in der Psychologie. Mit ihrem Buch „The Gaslight Effect“ (2007) brachte die Psychoanalytikerin Dr. Robin Stern den Begriff ins öffentliche Bewusstsein. Heute gilt Gaslighting als ein manipulatives Verhalten, bei der eine Person absichtlich falsche Informationen, Lügen oder Verzerrungen präsentiert, um das Selbstwertgefühl, die Realitätswahrnehmung und das Vertrauen einer anderen Person zu untergraben. Das geschieht, indem der Gaslighter oder die Gaslighterin die andere Person dazu bringt, den eigenen Gefühlen, Gedanken und Wahrnehmungen nicht mehr zu vertrauen.
Wie funktioniert Gaslighting?
Häufig manipulieren Menschen, die wenig Empathie besitzen und sich selbst über andere stellen. Soziopathische und narzisstische Persönlichkeiten neigen eher zum Gaslighten. Das Ziel der manipulierenden Person ist es, die Gedanken, Gefühle und Handlungen des Opfers zu kontrollieren. Das tut sie, indem sie ihr Opfer durch gezielte Desinformation, Verdrehungen der Tatsachen oder Unterstellungen verunsichert und an sich selbst zweifeln lässt.
Gaslighting betrifft größtenteils partnerschaftliche Beziehungen. Aber auch in anderen sozialen Umfeldern finden sich solche Muster: in der Familie, in der Schule oder am Arbeitsplatz. In gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen wird ebenfalls von Gaslighting die gesprochen – etwa, wenn in einem totalitären Regime bestimmte Gruppen abgewertet werden oder eine Regierung gezielt Desinformation verbreitet.
Beim Gaslighting in zwischenmenschlichen Beziehungen spielen oft gesellschaftliche Aspekte eine Rolle, etwa das Klischee der schwachen und „hysterischen“ Frau, das die manipulative Person ausnutzt. Gaslighting ist unabhängig vom Geschlecht, das heißt sowohl Männer als auch Frauen können Täter oder Täterin sowie Opfer sein.
Passende Artikel zum Thema
Gaslighting in Beziehungen erkennen – Beispiele
Manche Verhaltensweisen sind typische Gaslighting-Anzeichen. Sie geben Hinweise darauf, dass eine Person gezielt versucht, eine andere zu verunsichern:
- Gefühle absprechen oder umdeuten: „Du bist hysterisch/überempfindlich. Du verstehst das ganz falsch. Hattest du mal wieder einen schlechten Tag?“
- Lügen und leugnen: „Das habe ich nie gesagt. Warum erfindest du so etwas?“
- Vergangene Ereignisse bestreiten: „Er ist nie hier gewesen. Das bildest du dir ein.“
- Vorgeschobene Sorge: „Geht es dir schlecht, Schatz? Du wirkst in letzter Zeit so verwirrt.“
- Abwerten: „Das kannst du doch nicht. Du bekommst gar nichts allein hin.“
- Soziale Isolierung: „Deine Freunde sind nicht gut für dich. Sie benutzen dich nur.“
Hinzu kann das Manipulieren von Gegenständen kommen. Das Auto steht zum Beispiel plötzlich woanders, Dokumente, Gegenstände oder Nachrichten verschwinden.
Wichtig
Wenn Sie allerdings meinen, ein solches Verhalten Ihnen gegenüber häufiger zu beobachten, sollten Sie aufmerksam werden.
Wie beginnt Gaslighting?
Manipulation bedeutet per Definition: Ein Mensch beeinflusst ganz bewusst einen anderen durch nicht durchschaubare und rücksichtslose Techniken, um bestimmte Ziele zu erreichen. Oft merken Gaslighting-Opfer erst nach Jahren, dass eine vertraute Person sie gezielt manipuliert und gesteuert hat. Meist beginnt Gaslighting mit kleinen Anschuldigungen und Unterstellungen, die das Opfer zunächst nicht ernst nimmt. Betroffene erklären das Verhalten etwa durch Stress, Fürsorge oder Eifersucht des oder der anderen („Er redet mir bestimmt nur aus, zu der Weihnachtsfeier zu gehen, weil er Angst hat, ein Kollege könnte mit mir flirten“). Die Psychoanalytikerin Dr. Robin Stern unterscheidet bei Gaslighting bezogen auf das Opfer drei Phasen:
- Unglaube: Die Aussagen und Anschuldigungen des Gaslighters oder der Gaslighterin erscheinen so überzogen oder absurd, dass das Opfer sie nicht glauben kann. Bei einem Streit beharrt das Opfer auf seinem Standpunkt.
- Verteidigung: In diesem Stadium versucht das Opfer, die Gunst des oder der Manipulierenden zu erhalten, indem es sich rechtfertigt oder versucht, Gegenbeweise zu liefern.
- Depression: An diesem Punkt ist das Opfer bereits tief verunsichert und versucht (oft vergeblich), dem Gaslighter bzw. der Gaslighterin alles recht zu machen. Das Opfer übernimmt seine oder ihre Ansichten und empfindet sich selbst als minderwertig, inkompetent oder unzurechnungsfähig. Gaslighting kann langfristige und zum Teil schwerwiegende Folgen für die Opfer bedeuten, etwa die Entwicklung von Angststörungen oder Suizidgedanken.
Wie kann man sich gegen Gaslighting wehren?
Wenn Sie das Gefühl haben, diese Formen der Manipulation zu erkennen, ist das bereits ein wichtiger Schritt. Diese Strategien helfen bei Verdacht auf Gaslighting:
- Vertrauen Sie auf Ihr Gefühl, Ihre eigene Wahrnehmung und Erinnerung.
- Führen Sie Tagebuch, machen Sie Fotos und sprechen Sie mit Freunden und Freundinnen über Ereignisse, um im Zweifelsfall sichergehen zu können.
- Wenn möglich, geben Sie dem Gaslighter oder der Gaslighterin möglichst frühzeitig ein Stoppsignal: „Ich weiß, dass ich Recht habe.“
- Gehen Sie auf Abstand – auch wenn das eine Trennung bedeutet.
Wenden Sie sich für professionelle Unterstützung unbedingt an eine Beratungsstelle, einen Psychotherapeuten oder eine Psychotherapeutin. Eine erste Anlaufstelle kann für Frauen beispielsweise das bundesweite Hilfetelefon des Bundesamtes für Familie unter der Telefonnummer 08000 116 016 sein. Das Bundesfamilienministerium hat Beratungsangebote für Männer zusammengestellt.
Der AOK-Newsletter – Einfach gesünder leben
Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie regelmäßig spannende Informationen rund um Themen wie Ernährung, Bewegung, Körper & Psyche und Familie.