Psychologie
Schizophrenie – wie sich Betroffene fühlen
Veröffentlicht am:30.01.2023
7 Minuten Lesedauer
Menschen mit einer Schizophrenie nehmen ihre Umgebung anders war – manche von ihnen hören Stimmen, andere sind davon überzeugt, dass Mitmenschen ihre Gedanken lesen. Welche Unterstützungsangebote für Betroffene dann wichtig sind.
Eine Schizophrenie ist für Patientinnen und Patienten eine große Herausforderung. Prof. Dr. Dr. Andreas Heinz ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Charité Campus Mitte. Im Interview erklärt er, wie sich Betroffene fühlen.
Was ist Schizophrenie und welche Formen gibt es?
Die Schizophrenie ist eine psychische Erkrankung, bei der sich das Erleben der Wirklichkeit grundlegend verändert. Betroffenenverbände bevorzugen übrigens meist den Begriff „Psychosen“ anstelle von Schizophrenie. Übersetzt bedeutet das Wort Schizophrenie „Spaltung der Seele“. Die Seele ist bei Betroffenen aber nicht gespalten, vielmehr sind die Wortassoziationsketten bei ihnen anders. Viele Menschen bringen zum Beispiel mit dem Wort „Tür“ ein Türschloss in Verbindung. Personen mit einer Schizophrenie können zwar die gleichen Assoziationen haben, geraten bei dem Gedanken an den Begriff aber womöglich ins Stocken. Zum Beispiel dann, wenn sie sich für einen verfolgten Grafen halten, der auf der Flucht eine Tür zuschlägt. Die Wortassoziationsketten sind bei Patientinnen und Patienten also häufig gespalten, daher der Begriff Schizophrenie.
Der Schizophrenie ordnen Experten verschiedene Formen zu:
- Paranoide Schizophrenie: Dabei haben Betroffene Wahnvorstellungen. Ein Patient oder eine Patientin kann beispielsweise davon überzeugt sein, dass die schwarze Hose seines Gegenübers dazu bestimmt ist, ihm zu signalisieren, dass er der Kirche beitreten soll.
- Katatone Schizophrenie: Bei dieser Form zeigen Patienten und Patientinnen Auffälligkeiten im Bewegungssystem – sie haben zum Beispiel eine erhöhte Muskelspannung oder sie geraten in eine erregte Bewegung.
- Hebephrene Schizophrenie: Der Begriff gilt heute als veraltet. Damit wurden Menschen mit frühem Beginn der Erkrankung und oft auffälligem Verhalten bezeichnet.
Diese Unterscheidung tritt aber oft in den Hintergrund, wenn man mit Laien über die Erkrankung „Schizophrenie“ spricht. Zum einen, weil die meisten Patienten und Patientinnen eine paranoide Form der Schizophrenie haben. Zum anderen erfolgten die Beschreibungen der Formen im letzten Jahrhundert und haben oft einen abwertenden Klang.
Wie äußert sich eine Schizophrenie?
Im Vordergrund stehen oft Halluzinationen wie das Hören von Stimmen oder Wahnwahrnehmungen. Das Typische ist, dass Menschen mit einer Psychose etwas in der Umgebung wahrnehmen und auf sich selbst beziehen. Sie sind beispielsweise davon überzeugt, dass der Fernsehmoderator von ihnen spricht.
Diese Schizophrenie-Symptome können auftreten:
- Betroffene hören Stimmen, die sie als freundlich oder bedrohlich wahrnehmen.
- Erleben von Wahnwahrnehmungen – Betroffene sehen beispielsweise auf sie gerichtete Zeichen und fühlen sich zu etwas Besonderem berufen oder auch als Teil einer Verschwörung.
- Betroffene schreiben sich Gedanken oder Handlungen nicht mehr selbst zu, sie fühlen sich fremdgesteuert.
- Ihr Erleben kann dazu führen, dass sie ängstlich, apathisch oder depressiv werden.
„Das Typische ist, dass Menschen mit einer Psychose etwas in der Umgebung wahrnehmen und auf sich selbst beziehen. Sie sind beispielsweise davon überzeugt, dass der Fernsehmoderator von ihnen spricht.“
Prof. Dr. Andreas Heinz
Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Charité Campus Mitte
Warum haben Patienten Wahnvorstellungen?
Der Wahn ist für Betroffene ein Versuch, sich das rational zu erklären, was um sie herum und in ihnen geschieht. Hören wir permanent Stimmen oder sind wir der Überzeugung, dass das Universum uns ständig Zeichen sendet, neigen wir dazu, Erklärungsversuche zu unternehmen. Die Wahnwahrnehmung, also dass Patienten die Veränderungen auf sich beziehen, gehört wahrscheinlich direkt zum Krankheitsgeschehen. Aus den unterschiedlichen Wahnvorstellungen kann sich bei Betroffenen unter Umständen ein Verfolgungswahn entwickeln. Zum Beispiel dann, wenn sie sich fragen: Wo kommen all diese Stimmen her? Manche Menschen bauen sich dann ein Konstrukt, an das sie felsenfest glauben. Betroffene können beispielsweise davon überzeugt sein, dass Außerirdische ihnen mit Laserpistolen Gedanken in den Kopf übermitteln.
Welche Schizophrenie-Ursachen unterscheiden Mediziner?
Es gibt eine genetische Veranlagung für Psychosen, die Schizophrenie kann also in einer Familie gehäuft auftreten. Allerdings spielt auch die Lebensgeschichte der Betroffenen eine entscheidende Rolle. Oft beobachten wir, dass Menschen eine Psychose entwickeln, wenn sie in der Vergangenheit eine soziale Ausgrenzung, Traumatisierungen oder persönlich tiefgreifende Verletzungen erfuhren. Eine These geht zudem davon aus, dass ein überaktives Dopaminsystem die Schizophrenie-Krankheit begünstigt. Der Botenstoff Dopamin macht uns tatsächlich aufmerksamer für unsere Umwelt, damit wir zum Beispiel in gefährlichen Situationen flüchten können. Ein überaktives Dopaminsystem wäre eine Erklärung dafür, warum Betroffene Umwelteindrücke als bedeutsamer empfinden. Warum sie ihnen dann fremd erscheinen, ist damit nicht geklärt.
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Wie behandeln Mediziner eine Schizophrenie?
Zunächst ist es wichtig, eine Art Bestandsaufnahme zu machen. Ist die Person noch einsichtsfähig? Also versteht sie, dass sie zum Beispiel Nahrung aufnehmen muss, auch wenn sie der Ansicht ist, dass die Lebensmittel alle vergiftet sind? Danach folgen im besten Fall konkrete Hilfsangebote wie Gespräche oder soziale Unterstützung. Dabei ist es natürlich entscheidend, in welcher Situation sich die Person momentan befindet. Bei Menschen mit Psychosen besteht konkret oft die Gefahr, dass sie durch ihre Erkrankung die Arbeit oder ihre Wohnung verlieren. Diese Patienten profitieren von sozialen Hilfsangeboten, falls sie die Wohnung tatsächlich verlieren, beispielsweise von einer Unterbringung in einer betreuten Wohnform. Fast allen Patienten hilft außerdem ein psychotherapeutischer Zugang. Das müssen aber nicht die klassischen 50 Minuten einmal die Woche sein, denn viele Patienten brauchen flexiblere Termine mit ihrem Psychotherapeuten. Manchmal benötigen sie zwischendurch jemanden, der ihnen zuhört, wenn sie beispielsweise den Eindruck haben, dass der Nachbar zu einem Verschwörungsnetzwerk gehört. Neben der Psychotherapie sind Medikamente eine wichtige Säule in der Behandlung von Psychosen. Mediziner und Medizinerinnen können Patienten und Patientinnen ein sogenanntes Antipsychotikum, das die Dopaminrezeptoren blockiert, verordnen. Etwa die Hälfte aller Patienten und Patientinnen würde von einer Therapie mit Medikamenten profitieren. Allerdings möchten nicht alle von ihnen ein Arzneimittel einnehmen – hier ist die Abstimmung mit dem Betroffenen also sehr wichtig. Viele Patienten und Patientinnen empfinden übrigens Musik, körperliche Aktivität oder Gespräche mit Familienmitgliedern oder Freunden als hilfreich.
Sind Menschen mit Schizophrenie lebenslang therapiebedürftig?
Nein, nicht zwangsläufig. Wir beobachten, dass mindestens ein Drittel der Verläufe gut ist. Das bedeutet, die Psychose besteht über einen kurzen Zeitraum und geht wieder weg. Es gibt aber auch Menschen, bei denen die Beeinträchtigungen bleiben, mit der richtigen Unterstützung können sie mit der Erkrankung aber gut leben. Manchmal leidet ein Betroffener oder eine Betroffene an einem chronischen, schweren Verlauf – dann profitiert er oder sie von einer besonders engmaschigen Behandlung. Die Verläufe sind also sehr unterschiedlich.
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Ist eine Schizophrenie heilbar?
Eine Schizophrenie ist im Sinne einer endgültigen Beseitigung aller Ursachen nicht heilbar, aber es gibt den sogenannten Recovery-Ansatz. Dabei bestimmen Patienten auch selbst, was Heilung für sie bedeutet. Eine Heilung kann für Betroffene beispielsweise bedeuten, dass sie sich mit den Stimmen arrangieren. Die klassische Heilung kann bei der Psychose also durchaus nebensächlich sein, wenn Arzt oder Ärztin und Patient oder Patientin sich darauf einigen. Wichtig ist, dass die Betroffenen die Behandlung und Betreuung erhalten, die sie benötigen, um trotz der Psychose eine gute Lebensqualität zu erreichen.
Was macht die Schizophrenie im Vergleich zu anderen Erkrankungen so schwierig?
Eine Psychose stellt Betroffene selbst, aber auch Angehörige oder Freunde vor eine große Herausforderung. Viele Menschen sind bereits mit anderen Personen mit depressiven oder manischen Phasen in Berührung gekommen. Für sie ist es aber völlig unverständlich, warum die ihnen bekannte Person auf einmal misstrauisch ist oder Dinge hört, die Angehörige nie gesagt haben. Daraus kann eine große Unsicherheit entstehen. Zum Beispiel dann, wenn sich die Ehepartnerin fragt, ob ihr Gatte wirklich gerade aus eigenem Impuls so handelt oder ob die Stimmen im Kopf ihm das womöglich befehlen. Die Schwierigkeit bei der Schizophrenie besteht darin, das zwischenmenschliche Miteinander trotz der Symptome aufrechtzuerhalten. Auch Armut ist ein Thema. Ist die Schizophrenie stark ausgeprägt, kann das so weit führen, dass die Betroffenen ihren Alltag nicht mehr bewältigen können. Sie kündigen beispielsweise ihre Wohnung, weil sie der Überzeugung sind, dass sich dort überall Kameras befinden. Sowohl Betroffene als auch ihre Angehörigen sollten immer psychische und soziale Hilfsangebote erhalten.
„Die Schwierigkeit bei der Schizophrenie besteht darin, das zwischenmenschliche Miteinander trotz der Symptome aufrechtzuerhalten.“
Prof. Dr. Andreas Heinz
Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Charité Campus Mitte
Welche Schizophrenie-Vorurteile gibt es und inwiefern treffen sie zu?
Tatsächlich gibt es noch immer viele Vorurteile beim Thema Schizophrenie.
- Bei dem Krankheitsbild handelt es sich nicht, wie häufig angenommen, um eine gespaltene Persönlichkeit. Menschen mit einer Psychose wechseln also nicht zwischen verschiedenen Persönlichkeiten hin und her. Vielmehr verändern sich bei ihnen die Gedanken und Wahrnehmungen im Alltag.
- Manche Personen glauben, dass eine Schizophrenie zu einer ständigen Aggression führt. Die allermeisten Patientinnen und Patienten sind nicht aggressiv, sondern ängstlich. Fühlen sich Menschen mit einer Psychose bedroht, vor allem, wenn sie unter Drogeneinfluss stehen, können sie vereinzelt zu Aggressionen neigen.
- Schizophrenie-Patienten hegen auch nicht zwangsläufig Suizidgedanken. Zwar ist die Rate unter Menschen mit Psychosen rechnerisch (statistisch) leicht erhöht, die meisten Patienten setzen sich mit dem Thema aber nicht auseinander.
- Ein weiteres Vorurteil ist, dass die meisten Betroffene gegen ihren Willen in einer Klinik untergebracht sind. Dem ist aber nicht so. Viele von ihnen kommen von selbst ganz freiwillig in eine Klinik, zum Beispiel, weil sie sich bedroht fühlen. In der Regel leben Menschen mit einer Schizophrenie aber mitten unter uns – oft sogar, ohne dass die Gesellschaft sie als auffällig empfindet.