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Experten-Interview: Diabetische Neuropathie vorbeugen und behandeln

Veröffentlicht am:25.04.2025

9 Minuten Lesedauer

Menschen mit Diabetes sollten ihren Füßen besonders viel Aufmerksamkeit schenken und diese regelmäßig kontrollieren, sogar mehrmals täglich. Diabetes-Experte Prof. Dr. Andreas Fritsche gibt Tipps.

Frau mit Diabetes massiert ihre Füße.

© iStock / Thai Liang Lim

Warum sollten Diabetiker und Diabetikerinnen bewusst auf die Gesundheit ihrer Füße achten? Und was steckt eigentlich hinter einer Neuropathie? Diabetes-Experte Professor Andreas Frische von der Universität Tübingen und Mitglied des Vorstands der Deutschen Diabetes Gesellschaft gibt Antworten.

Ursachen und Konsequenzen der Neuropathie

Herr Professor Frische, was ist die diabetische Polyneuropathie?

Andreas Frische: Bei dieser Krankheit handelt es sich um eine Schädigung der Nerven. In der Wissenschaft überwiegt die Auffassung, dass sie durch den erhöhten Blutzucker geschädigt werden.

Man unterscheidet zwischen einer sogenannten peripheren und einer autonomen Neuropathie. Im ersten Fall sind die sensiblen Empfindungs- und motorischen Bewegungsnerven geschädigt, meist zuerst in den Beinen, im anderen Fall sind innere Organe des Körpers betroffen.

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Welche Schädigungen treten bei einer Neuropathie auf?

Bei einem Teil der Patienten und Patientinnen verursacht die Neuropathie Schmerzen und Missempfindungen in den Beinen. Viele Betroffene spüren ein Brennen und „strumpfförmige“ Schmerzen. Das belastet oft sehr und schränkt die Lebensqualität der Patienten und Patientinnen stark ein. Aufgrund der Schädigung der Nerven werden die Beine aber häufig auch gefühllos. Das normale Schmerzempfinden und die Sinnesempfindungen in den Beinen überhaupt gehen verloren. Man bekommt nicht mehr signalisiert, wo man geht und steht.

Was für Konsequenzen hat die Erkrankung?

Zum einen führt sie oft zu einem unsicheren Gang. Damit steigen die Sturzgefahr und das Risiko von Frakturen. Zum anderen: Wer keine Schmerzen empfindet, spürt auch nicht, wenn die Schuhe zu klein sind oder wenn ein Fremdkörper im Schuh ist. Es kann also passieren, dass man zwei Wochen mit einem Steinchen im Fuß herumläuft, ohne etwas zu merken. Dazu kommt, dass infolge der Neuropathie die Haut oft rissig wird. Dann können Keime eindringen und es entstehen Geschwüre, die eine Gefahr für die Füße darstellen und im schlimmsten Fall zu Amputationen von Teilen oder sogar des ganzen Fußes führen können.

„In der Wissenschaft überwiegt die Auffassung, dass die Nerven durch den erhöhten Blutzucker geschädigt werden.“

Professor Doktor Andreas Frische
Universitätsklinikum Tübingen

Illustration eines mehrgewichtigen Mannes Ende 50 auf einem Sofa sitzend. In der linken Hand hält er eine brennende Zigarette, in der rechten Hand eine Broschüre. Links neben ihm steht ein alkoholisches Getränk ein einem Glas mit Trinkhalm auf einem Tisch. Am anderen Ende des Sofas sitzt eine braune Katze auf dem Boden.

© AOK

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Behandlungsmöglichkeiten und richtige Fußpflege bei Neuropathie

Wie wird die Neuropathie behandelt?

Das Wichtigste ist, den Blutzucker zu senken. Das ist die einzige Therapie, die an der Ursache der Erkrankung ansetzt. Der Zusammenhang ist erwiesen: Die Schmerzen nehmen ab und die Beschwerden bessern sich, wenn sich der Blutzuckerspiegel normalisiert. Natürlich braucht das seine Zeit, mindestens drei bis sechs Monate. Und bis eine Besserung der Nervenfunktion eintritt, kann es durchaus ein Jahr dauern. Das müssen die Patienten oder Patientinnen wissen, sonst kommen sie nach kurzer Zeit und sagen: Sie haben doch versprochen, dass sich meine Beschwerden bessern, wenn der Blutzuckerwert sinkt.

Diabetische Neuropathie: Mit diesen drei Tipps können Sie vorbeugen

Menschen mit Diabetes-Typ-2 können mit folgenden Tipps einem diabetischen Fuß entgegenwirken:

  • Ändern Sie Ihren Lebensstil: Stellen Sie Ihre Ernährung um. Verzichten Sie auf Zwischenmahlzeiten, um die Bauchspeicheldrüse zu entlasten und die Kalorienaufnahme nicht unnötig zu erhöhen. Eine Diät sollte generell bei Diabetes mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin abgesprochen werden.
  • Bewegen Sie sich regelmäßig: Integrieren Sie leichte Bewegungsabläufe in Ihren Alltag, zum Beispiel mit Yoga.
  • Holen Sie sich Rat vom Experten oder der Expertin: Ein Diabetologe oder eine Diabetologin berät Sie nicht nur bei einer nötigen Insulinzugabe, um einer Unterzuckerung und deren Folgen optimal entgegenzuwirken, sondern auch bei der richtigen Gestaltung Ihres Lebensstils.

Welche anderen Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Die Schmerzen lassen sich medikamentös behandeln. Viele Patienten und Patientinnen kommen wiederholt zum Arzt oder zur Ärztin, bis ein geeignetes Medikament gefunden ist. Deshalb sollten bei Bedarf auch Neurologen beziehungsweise Neurologinnen oder Schmerztherapeuten oder -therapeutinnen in die Behandlung einbezogen werden. Bei der Therapie kommen manchmal auch Antidepressiva zum Einsatz, also Medikamente gegen Depressionen. Betroffene bekommen sie aber nicht verschrieben, weil sie unter Depressionen leiden, sondern weil sie die Schmerzen bekämpfen. Mit Hilfe der Medikamente kann man die Schmerzen meist so weit eindämmen, dass die Patienten oder Patientinnen eine deutlich höhere Lebensqualität erreichen und nachts nicht mehr wegen brennender Füße wach liegen.

Können Patienten oder Patientinnen auch selbst etwas tun?

Natürlich. Patienten oder Patientinnen sollten ihre Füße unbedingt zwei- bis dreimal täglich selbst kontrollieren. Das heißt, sie sollten sich ihre Füße genau anschauen und mit den Händen abtasten. Wer nicht mehr so beweglich ist, kann Hilfsmittel wie einen Spiegel benutzen. Oder man bittet den Partner oder die Partnerin um Hilfe. Wir sind es gewohnt, dass uns unsere Füße dienen und tun oft zu wenig, um sie zu pflegen und gesund zu erhalten. Wer Diabetes hat, kann sich das nicht leisten. Er muss sich ganz bewusst um seine Füße kümmern.

„Kontrollieren bedeutet, sich die Füße genau anzuschauen und mit den Händen abzutasten.“

Professor Doktor Andreas Frische
Universitätsklinikum Tübingen

Andere Formen der diabetischen Neuropathie

Was hat es mit anderen Formen der diabetischen Neuropathie auf sich?

Die sogenannte autonome Neuropathie schädigt die Nerven von inneren Organen. Die Symptome können ganz verschieden sein. Sie reichen von Verstopfung und Durchfall bis zu Erektionsstörungen bei Männern und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr bei Frauen. Aber auch das Herz kann betroffen sein. Es passt sich nicht mehr an wechselnde Belastungen an, sondern schlägt in einem durch. Das kann dann zu Herzrhythmusstörungen führen.

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Wie wird die Diagnose gestellt?

Das ist leider nicht so einfach, die Symptome sind sehr unspezifisch. Die autonome Neuropathie tritt allerdings meist erst auf, wenn ein Patient oder eine Patientin schon lange an Diabetes erkrankt ist. Bei Patienten und Patientinnen, bei denen das nicht der Fall ist, kann man zunächst von anderen Ursachen ausgehen. Diese Form der Neuropathie kommt im Übrigen deutlich seltener vor als die periphere Neuropathie.

Wie sieht die Behandlung aus?

Im Prinzip ähnlich wie bei der peripheren Neuropathie. Die Senkung des Blutzuckers und der Einsatz entsprechender Medikamente stehen im Fokus. Je nach Krankheitsbild werden auch Fachärzte oder Fachärztinnen hinzugezogen, beispielsweise aus der Urologie. Und bei den Magen-Darm-Problemen sollten Betroffene als erstes eine Ernährungsberatung erhalten.

Im Video spricht Moderator Felix Berndt über Diabetes.

Wie groß ist die Gefahr, eine Neuropathie zu bekommen?

Ich habe zunehmend Patienten und Patientinnen in der Uniklinik Tübingen, die seit 50 bis 60 Jahren einen Typ-1-Diabetes oder seit 40 Jahren einen Typ-2-Diabetes haben und nicht an schweren Folgeerkrankungen leiden. Das heißt: Man kann heute als Diabetiker oder Diabetikerin eine normale Lebenserwartung haben und eine hohe Lebensqualität erreichen, wenn man den Zucker rechtzeitig gut einstellt. Doch selbst dann, wenn man eine Neuropathie hat, kann man durch eine gute Pflege und Kontrolle der Füße das Schlimmste verhindern und erreichen, dass die Erkrankung einen milderen Verlauf nimmt.

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