Stoffwechsel
Endokrine Disruptoren: chemische Stoffe, die auf das Hormonsystem wirken
Veröffentlicht am:21.03.2025
8 Minuten Lesedauer
Ob Verpackungen oder Kosmetika: Endokrine Disruptoren können in vielen Dingen des täglichen Lebens enthalten sein. Wie die hormonaktiven Substanzen unsere Gesundheit gefährden und wie wir uns schützen können.

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Inhalte im Überblick
- Was sind endokrine Disruptoren?
- Wie endokrine Disruptoren wirken
- Welche Substanzen gelten als endokrine Disruptoren?
- Wie nehmen wir endokrine Disruptoren auf und wie gefährlich sind sie?
- Können wir uns vor endokrinen Disruptoren und ihrer Wirkung schützen?
- Tipps, um die Auswirkungen von endokrinen Disruptoren zu verringern
Was sind endokrine Disruptoren?
In der modernen Industriegesellschaft sind wir Menschen täglich einer Vielzahl von Chemikalien ausgesetzt, die auf unseren Organismus einwirken. Eine Gruppe solcher Substanzen sind die endokrinen Disruptoren. Sie sind zum Beispiel in bestimmten Kunststoffen von Verpackungen, in Spielzeug, Möbeln, Kleidung, Kosmetika, Hygieneartikeln oder Reinigungsmitteln enthalten. Endokrine Disruptoren kommen aber auch natürlich vor, zum Beispiel in Pflanzen wie Soja oder Klee. Die meisten sind jedoch synthetischen Ursprungs.
Die Bedeutung des Begriffs „endokriner Disruptor“ ergibt sich schon aus dessen beiden Bestandteilen: Das Hormonsystem im menschlichen Körper wird auch als endokrines System bezeichnet und das englische Wort disrupt bedeutet „stören“. Endokrine Disruptoren sind Substanzen oder eine Mischung von Substanzen, die unser Hormonsystem stören und dadurch gesundheitsschädliche Auswirkungen haben.
Das Hormonsystem dient als Kommunikationssystem des Körpers, wobei die Hormone (zum Beispiel Insulin, Adrenalin, Cortisol oder Testosteron) als Botenstoffe fungieren. Die meisten Hormone werden in sogenannten endokrinen Drüsen (zum Beispiel Schilddrüse, Bauchspeicheldrüse oder Nebennieren) gebildet und von diesen ins Blut abgegeben. Das endokrine System steuert wichtige Körperfunktionen und wenn endokrine Disruptoren dieses natürliche Hormonsystem stören, kann das weitreichende Folgen haben. Weil endokrine Disruptoren auf viele unterschiedliche Hormone wirken, können sie auch vielzählige Körperfunktionen wie Schlaf, Blutkreislauf, Stoffwechsel, Atmung, Nerven- und Immunsystem, Sexualität und Fortpflanzung, Wachstum, Verhalten oder die Entwicklung des Fötus beeinflussen.
Wie endokrine Disruptoren wirken
Endokrine Disruptoren können auf unterschiedliche Weise in das Hormonsystem eingreifen. Das Hormonsystem ist sehr komplex und besteht aus einer Vielzahl von Einzelsystemen, die untereinander in Wechselwirkung stehen. Entsprechend vielfältig sind die Wirkmechanismen der endokrinen Disruptoren, die zum Teil von der Wissenschaft noch nicht vollständig erforscht sind. Die folgende Charakterisierung der verschiedenen Wirkungsweisen von endokrinen Disruptoren kann daher nur stark vereinfacht erfolgen.
Teilweise wirken endokrine Disruptoren direkt auf Hormonrezeptoren, über die die Hormone üblicherweise wichtige Informationen an bestimmte Zellen weitergeben. Oder sie beeinflussen die Verfügbarkeit oder die Konzentration von Hormonen im Organismus:
- Einige endokrine Disruptoren haben eine ähnliche Struktur wie natürliche Hormone und docken an den Hormonrezeptoren in den Zellen an, wo sie entweder unerwünschte Wirkungen auslösen oder erwünschte Wirkungen unterdrücken, indem sie körpereigene Hormone blockieren.
- Andere schwächen oder verstärken die Aktivität der Rezeptoren oder wirken auf bestimmte Proteine, die zum Transport oder zur Signalübertragung von Hormonen dienen.
- Außerdem gibt es endokrine Disruptoren, die die Hormonkonzentration verändern, indem sie entweder die Bildung von Hormonen oder deren Abbau beziehungsweise deren Ausscheidung fördern.
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Welche Substanzen gelten als endokrine Disruptoren?
Es gibt eine Vielzahl von natürlich vorkommenden oder synthetisch hergestellten Substanzen, die den Hormonhaushalt beeinflussen können. Viele natürliche Stoffe in unserer Nahrung wirken auf unser Hormonsystem, zum Beispiel hormonaktive sekundäre Pflanzenstoffe wie die sogenannten Phytoöstrogene, die zum Beispiel in Getreide, Hülsenfrüchten und Samen wie Leinsamen vorkommen. Sie haben jedoch keine schädigende Wirkung und gelten daher nicht als endokrine Disruptoren. Hormonelle Wirkungen machen sich außerdem bestimmte Arzneimittel zunutze, beispielsweise Medikamente zur Empfängnisverhütung.
Mit endokrinen Disruptoren sind jedoch nicht solche Stoffe gemeint, sondern Substanzen, denen wir im alltäglichen Leben ausgesetzt sind und die als unbeabsichtigte Nebenwirkung einen störenden Einfluss auf das Hormonsystem haben.
Es wird geschätzt, dass mehr als 1.000 synthetische Stoffe eine solche Wirkung haben könnten. Nicht alle sind gut erforscht, aber einige Stoffe gelten gesichert als endokrine Disruptoren.
Endokrine Disruptoren: Häufig verwendete hormonaktive Stoffe
Bisphenol A (BPA) Bestimmte Phthalate Konservierungsmittel Manche Flammschutzmittel Pestizide
Verbotene Stoffe haben eine Langzeitwirkung
Zwar sind viele der als endokrine Disruptoren eingestuften Substanzen inzwischen national oder international verboten, so zum Beispiel polychlorierte Biphenyle (PCB), die unter anderem bei der Herstellung von Elektrogeräten verwendet wurden, oder das Tensid Nonylphenol, das in Waschmitteln zum Einsatz kam. Solche Stoffe sind aber oft noch lange in Böden und Gewässern nachweisbar. Das bedeutet, dass endokrine Disruptoren nicht nur den Menschen schaden, sondern auch eine Gefahr für den Hormonhaushalt von Wildtieren und das Ökosystem insgesamt darstellen.
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Wie nehmen wir endokrine Disruptoren auf und wie gefährlich sind sie?
Enthalten Lebensmittelverpackungen endokrine Disruptoren, die sich aus dem Kunststoff lösen können, oder wurden solche Stoffe bei der landwirtschaftlichen Erzeugung oder Weiterverarbeitung verwendet, können wir sie über den Verzehr von Lebensmitteln und Getränken aufnehmen. Bei Kosmetika ist auch eine Aufnahme über die Haut möglich. In der Luft zirkulierende Chemikalien werden auch über die Atmung aufgenommen, das spielt aber eine untergeordnete Rolle.
Die Dosis macht das Gift – auch bei endokrinen Disruptoren?
Wie groß die Wahrscheinlichkeit für unerwünschte Wirkungen einer Chemikalie ist, hängt von den schädlichen Eigenschaften der Substanz, ihrer Wirkstärke und der Dosis ab. Daher ist zu beachten: Die Tatsache, dass ein potenziell gefährlicher Stoff in einem Produkt enthalten ist, bedeutet noch nicht, dass die Konzentration für Verbraucher und Verbraucherinnen schädlich ist. Oft schützt die sachgemäße Verwendung eines Produktes vor dem Kontakt mit dem Schadstoff. Weil das Hormonsystem aber bereits auf geringe Veränderungen reagiert, stehen endokrine Disruptoren im Verdacht, dass schon niedrige Dosen eine Wirkung haben können. Allerdings ist es bei endokrinen Disruptoren meist schwierig bis unmöglich, eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen bestimmten Stoffen und einer Wirkung nachzuweisen.
Das individuelle Risiko lässt sich nur schwer einschätzen
Das erschwert die Risikobewertung. Obwohl regelmäßig über mögliche Zusammenhänge zwischen endokrinen Disruptoren und Adipositas, Krebs, ADHS, Immunstörungen oder Fruchtbarkeitsproblemen berichtet wird, lässt sich nicht sicher sagen, wie gefährlich endokrine Disruptoren tatsächlich sind. Diese Frage muss für jeden einzelnen Stoff gesondert beantwortet werden; aber auch im konkreten Einzelfall ist es schwierig, einen endokrinen Disruptor als Auslöser für gesundheitliche Probleme nachzuweisen. Außerdem wirkt jede einzelne chemische Substanz bei jedem Menschen anders. Aussagen wie „BPA steigert das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder hormonell bedingten Krebs“ sind daher nur sehr allgemein möglich und sagen nichts über das individuelle Risiko aus.

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In bestimmten Lebensphasen reagieren wir stärker auf hormonelle Veränderungen
Was jedoch gesagt werden kann, ist, dass die Empfindlichkeit gegenüber endokrinen Disruptoren je nach Lebensabschnitt unterschiedlich ist. Dies gilt insbesondere für Schwangerschaft und frühe Kindheit, wenn sich der Mensch in einer Phase der körperlichen Entwicklung befindet und empfindlicher auf einige dieser Stoffe reagiert. Auch die Pubertät ist eine solche sensible Phase, in der hormonelle Störungen bestimmte Körperfunktionen dauerhaft verändern können.
Können wir uns vor endokrinen Disruptoren und ihrer Wirkung schützen?
Der Einsatz endokriner Disruptoren ist auf EU-Ebene reguliert, um Gesundheits- und Umweltrisiken zu vermeiden, beispielsweise in Vorschriften für Pflanzenschutzmittel, Kosmetika und Medizinprodukte. Übergreifend gilt die sogenannte Chemikalienverordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe, kurz: REACH („Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals“). Im Rahmen dieser Regularien werden auch endokrine Disruptoren auf ihre Risiken für Mensch und Umwelt bewertet. Ihre Verwendung in Konsumgütern kann eingeschränkt oder verboten werden. Dazu werden Verbraucherprodukte wie beispielsweise Kosmetika, Brotdosen aus Kunststoff oder Spielzeug auf hormonaktive Stoffe untersucht. Für Materialien, die mit Lebensmitteln in Kontakt kommen, werden Höchstmengen festgelegt, die maximal aus dem Produkt freigesetzt werden dürfen, ohne gesundheitsschädlich zu sein.
Da jedoch bei endokrinen Disruptoren bereits geringe Mengen gesundheitlich relevant sein können, möchten manche Verbraucher und Verbraucherinnen auf Grenzwerte nicht vertrauen. Um endokrine Disruptoren für sich selbst möglichst zu vermeiden, hilft es, sich über die Inhaltsstoffe von Kosmetika und Spielzeug genau zu informieren und den Verbrauch von industriell verpackten Lebensmitteln zu reduzieren.
Tipps, um die Auswirkungen von endokrinen Disruptoren zu verringern
- keine oder weniger hochverarbeitete Lebensmittel
- Zubereitungsangaben bei Fertigprodukten genau beachten (zum Beispiel die Temperatur).
- Lebensmittel nur mit Materialien in Kontakt kommen lassen, die für den Gebrauch mit Lebensmitteln zugelassen sind.
- Herstellerangaben bei Küchenutensilien immer genau befolgen und beschädigte Behälter ersetzen.
- Bei Kosmetika die Gebrauchsanweisungen der einzelnen Produkte beachten und Produkte mit wenigen Inhaltsstoffen bevorzugen.
- Spielzeug auf CE-Kennzeichnung überprüfen und Gebrauchsanweisung beachten. Spielwaren ausschließlich im Fachhandel oder bei vertrauenswürdigen Internetanbietern kaufen. Berücksichtigen Sie auch die Altersempfehlungen der Hersteller. Dies gilt insbesondere für Kleinkinder, die Gegenstände in den Mund nehmen.
- Neue Kleidungsstücke vor dem ersten Tragen waschen.
- Möbel und andere Gegenstände enthalten Kunststoffe, Klebstoffe, Farben, Lacke oder Flammschutzmittel. Diese Stoffe können in die Luft ausdünsten oder sich im Staub niederschlagen. Regelmäßiges Lüften und Staubwischen helfen, die Belastung zu verringern.
- Bei Chemikalien wie Reinigungsmitteln oder Farben sind insbesondere die Gefahrensymbole und -hinweise zu beachten. Ebenso wichtig ist es, die Anwendungsvorschriften des Herstellers zu beachten (zum Beispiel Handschuhe, Schutzbrille oder Atemschutzmaske tragen).