Stoffwechsel
Erfahrungsbericht: Diabetes beim Kind erkennen
Veröffentlicht am:17.01.2025
4 Minuten Lesedauer
Ein Typ-1-Diabetes kündigt sich eher leise an. Das zeigt der Fall der kleinen Sarah-Léonie. Wie eine Mutter und ihre Tochter gelernt haben, die Krankheit im Alltag zu bewältigen.

© iStock / FatCamera
Die unerwartete Diagnose: Typ-1-Diabetes
Mitte 2019 passierte es. Sarah-Léonie besuchte gerade ihre Großeltern in Niedersachsen. Sie wollten die damals Sechsjährige etwas aufpäppeln. Das sonst so quirlige Kind fühlte sich schon seit einer Weile unwohl und erschöpft, wollte plötzlich nicht mehr zum Ballett gehen oder das langersehnte Seepferdchen-Abzeichen machen. Sie hatte stark abgenommen und zuletzt auch mit Übelkeit zu kämpfen.
Sarah-Léonies Mutter Maren Sturny tippte auf einen hartnäckigen sommerlichen Magen-Darm-Infekt. „Damals dachte ich, ihre Schlappheit wäre auf das anstrengende letzte Kindergartenjahr zurückzuführen, gekoppelt mit einem Virus“, erzählt die 50-Jährige, die mit ihrer Tochter in der Nähe von München wohnt. „Die Auszeit bei den Großeltern kam also gerade zur richtigen Zeit.“ Doch wider Erwarten ging es Sarah-Léonie dort nicht besser. Im Gegenteil. In der ersten Nacht und am nächsten Morgen übergab sie sich erneut mehrfach. Sie war sogar zu schwach, um selbst zu laufen. Alarmiert über ihren kritischen Zustand, entschieden Mutter Maren und die Großeltern, das Kind sofort in die Notaufnahme des lokalen Krankenhauses zu bringen.
Sarah-Léonie kam direkt auf die Intensivstation. Weil sie gefährlich dehydriert war, wurde sie zwei Tage lang künstlich ernährt. „Die Ärzte sagten mir damals, sie hätten nichts mehr für unsere Tochter tun können, wenn wir nur zwölf Stunden später gekommen wären“, erinnert sich Sturny. Ein großer Schock für die ganze Familie. Ein Bluttest offenbarte die Ursache hinter den Beschwerden. Bei dem Mädchen lag ein Diabetes mellitus Typ 1 vor, und ihr Stoffwechsel war gefährlich entgleist.
Was ist Typ-1-Diabetes?
Typ-1-Diabetes entsteht häufig bereits im Kindes- oder Jugendalter. Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört. Infolgedessen kann der Körper kein Insulin mehr herstellen. Erkrankte Menschen müssen es sich daher täglich von außen zuführen. Das Hormon ist notwendig, um den Blutzuckerspiegel zu regulieren, indem es Glukose aus dem Blut zur Energieversorgung in die Körperzellen transportiert.
Diabetes: Erste Anzeichen oft übersehen
Nach der Diagnose ist der Familie bewusst, dass Sarah-Léonie damals die wichtigsten vier Warnzeichen für einen Typ-1-Diabetes gezeigt hat. So musste die Sechsjährige häufiger auf die Toilette. Sie war auch durstiger und schlapper als sonst, was sich ihre Mutter jedoch durch das heiße Augustwetter erklärte. Weil ihr Gewicht öfter mal schwankte, erschien auch der Gewichtsverlust zunächst nicht bedenklich. Viele Eltern würden die klassischen Symptome zunächst übersehen, sagt Professor Andreas Neu, Kinderdiabetologe aus Tübingen. Das sei auch verständlich. „Die betroffenen Kinder haben keine akuten Schmerzen, sie bluten nicht, da werden Mama und Papa nicht gleich unruhig.“ Auch Familie Sturny nahm die ersten Anzeichen zunächst nicht wahr, reagierte dann aber noch rechtzeitig.
Noch in der Klinik wurde Familie Sturny vom medizinischen Fachpersonal über die Stoffwechselerkrankung aufgeklärt. Sie lernte, wie sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper richtet und die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört. Dass der Körper ohne Insulin den Zucker aus der Nahrung nicht in die Zellen befördern kann und erkrankte Menschen sich das Hormon daher von außen zuführen müssen.
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Was passiert, wenn der Diabetes nicht rechtzeitig behandelt wird?
Unbehandelt kann Diabetes Typ 1 in eine schwere Stoffwechselentgleisung führen, auch diabetische Ketoazidose genannt. Sie tritt auf, wenn im Körper kaum oder kein Insulin mehr vorhanden ist. Dann beginnt er, anstelle von Glukose Fett als Energiequelle zu nutzen. Beim Abbau von Fett entstehen jedoch sogenannte Ketonkörper, die in hoher Konzentration zu einer Übersäuerung des Blutes führen. Auch der Wasser- und Salzhaushalt geraten durcheinander.
„Wenn alle vier Warnzeichen zusammen auftreten, darf man keine Zeit verlieren“, betont der Facharzt. „Eine Ketoazidose kann in nur wenigen Stunden zum Koma oder sogar zum Tod führen.“ Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen und ein nach Azeton riechender Atem zeigen an, dass sich die Situation zuspitzt. In einer Haus- oder Kinderarztpraxis können erhöhte Zuckerwerte mit einfachen Bluttests binnen Minuten festgestellt werden.
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AOK-Curaplan Diabetes Typ 1 und Typ 2
Über das AOK-Programm Curaplan erhalten Diabetikerinnen und Diabetiker eine kontinuierliche ärztliche Betreuung, regelmäßige Kontrolluntersuchungen und eine umfassende Schulung über Symptome und erforderliche Behandlungen.

© Bernhard Huber
Was kann die Insulinwerte beeinflussen?
Für Mutter Sturny begann unvermittelt ein neues Leben, in dem sie das komplexe Diabetesmanagement der kleinen Tochter federführend steuerte. Um Sarah-Léonies Stoffwechsel möglichst stabil zu halten, sind täglich viele Korrekturen in Form von Insulingaben oder der Zufuhr von Kohlenhydraten notwendig. Und das& rund um die Uhr. „Ich vergleiche den Diabetes gern mit einem wilden Rock-’n’-Roll-Tanz“, sagt die gebürtige Niedersächsin. „Vor allem deshalb, weil er mir immer wieder schlaflose Nächte bereitet und den Alltag so turbulent und unvorhersehbar macht.“
Gemeinsam tastete sich die Familie voran und lernte, wie sich verschiedene Lebensmittel, Krankheiten, Wachstumsschübe, Hormone, Stress, Aufregung, Bewegung und vieles mehr auf den Blutzuckerspiegel auswirkten. „So vieles beeinflusst die Werte“, meint Sturny, die inzwischen zwei Bücher über den Umgang mit Diabetes verfasst hat. Den Stoffwechsel gut einzustellen, gleicht einem ständigen Balanceakt. Was dabei nie zu kurz kommen darf: „Sarah-Léonie soll Kind bleiben können und sich nicht über ihren Diabetes definieren. Dafür dürfen die Werte auch einmal temporär keine Rolle spielen“, betont ihre Mutter.
Blutzucker im Griff
Diabetes Typ 1 beginnt häufig bereits im Kindes- und Jugendalter. Bei folgenden Warnzeichen sollten Eltern eine ärztliche Praxis aufsuchen:
- anhaltend starker Durst und übermäßiges Trinken
- häufiges Wasserlassen
- unerklärliche Gewichtsabnahme
- Müdigkeit, Erschöpfung, Leistungseinbruch

© Bernhard Huber
Moderne Systeme unterstützen die Insulin-Kontrolle
Seit Mai 2022 nutzt das Mädchen ein Diabetesmanagement-System mit derzeit neuester Technologie: einem Sensor am Arm, der den Gewebezucker kontinuierlich misst, und einer intelligenten Pumpe mit Katheter am Bauch, die bedarfsweise selbstständig Insulin regulieren kann. Das System erleichtert den Sturnys ihren Alltag, vor allem nachts. Dennoch wird der Zuckerspiegel weiterhin von Mutter und Tochter aktiv gemanagt und immer wieder neu eingestellt. Immerhin entwickele sich Sarah-Léonie stetig weiter, und ihr Alltag verändere sich, meint Sturny. Je älter das Mädchen wird, desto selbstständiger kümmert es sich um seinen Diabetes. Da heißt es für Mutter Maren cool bleiben, wenn die ersten Selbstversuche in Sachen Diabetesmanagement nicht immer gleich fruchten. Worauf sie sich in solchen Momenten verlässt? „Dass wir ein super Team sind, der Diabetes, meine Tochter, die Technik, die ganze Familie, die tatkräftig unterstützt, und ich.“