Stoffwechsel
Mächtige Botenstoffe: Wie Hormone unser Leben steuern
Veröffentlicht am:23.01.2025
8 Minuten Lesedauer
Die Macht der Hormone: Sie steuern unser Wachstum, lösen die Pubertät aus, erhalten eine Schwangerschaft – und noch viel mehr. Wie die Botenstoffe unser Leben von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter beeinflussen, lesen Sie hier.
Wozu gibt es eigentlich Hormone?
Sprachlich leitet sich das Wort Hormon vom altgriechischen Begriff „horman“ ab, was so viel bedeutet wie „antreiben“. Damit ist die Hauptaufgabe der chemischen Botenstoffe schon gut beschrieben. Im Wesentlichen von sechs Organen produziert und ausgeschüttet, zirkulieren sie durchs Blut zu ihren Zielzellen, docken dort an und setzen eine Reaktion in Gang – vereinfacht gesagt. Denn die Botenstoffe unterliegen einem komplizierten Regelkreis, und sie beeinflussen sich wechselseitig. Hinzu kommt, dass die meisten Hormone nicht nur eine Aufgabe haben, ihr Wirkungsspektrum ist vielfältig. Im Laufe unseres Lebens gewinnen oder verlieren einige Hormone an Bedeutung, übernehmen anderer Funktionen und beeinflussen sich gegenseitig. Damit dies reibungslos abläuft, bedarf es vielschichtiger Prozesse, die hier zum besseren Verständnis vereinfacht dargestellt sind.
Hormone bewirken, dass Kinder heranwachsen
Von der Geburt bis zum Erwachsenenalter verändert sich der menschliche Körper ständig – er wächst und erlangt schließlich die Geschlechtsreife. Das wäre ohne Hormone wie das Wachstumshormon „STH“ (somatotropes Hormon) nicht möglich. Es wird von der Hypophyse im Zwischenhirn ausgeschüttet, wandert durch die Blutbahn und löst in verschiedenen Zellen Stoffwechselvorgänge aus, die zum Wachstum von Knochen, Muskeln und Organen führen. Auch die Schilddrüse setzt Hormone frei, dazu gehören „T3“ und „T4“ (mit drei bzw. vier Jodatomen). Sie regulieren den Stoffwechsel und sind bei Kindern auch am Wachstum beteiligt. In den ersten Lebensjahren sorgen sie für die Ausreifung des Gehirns. Sie gewährleisten somit eine gesunde geistige und körperliche Entwicklung.
Dr. Dirk Schnabel, pädiatrischer Endokrinologe an der Charité in Berlin, betont daher, wie wichtig es ist, ab der Geburt alle Vorsorgetermine bei der Kinderärztin oder dem Kinderarzt wahrzunehmen. „Sie können dann frühzeitig ziemlich sicher erkennen, ob das Hormonsystem der Kleinen intakt ist.“ Wichtig für eine gesunde Entwicklung ist auch die Ernährung. Und dass Eltern sich Zeit für ihre Kinder nehmen und ihre motorische und intellektuelle Entwicklung fördern. Sind alle diese Voraussetzungen erfüllt, so der Experte, könne ein Kind optimal heranwachsen.
Wie die Hormone in der Pubertät umgestellt werden
Die Pubertät startet im Fettgewebe. Seine Botenstoffe geben dem Zwischenhirn Bescheid, dass der Körper bereit für die große Umstellung ist. Erst dann regen Hypothalamus und Hypophyse in Hoden und Eierstöcken die Produktion von Testosteron und Östrogen an. Schamhaare sprießen, bei Mädchen wachsen die Brustdrüsen und bei Jungen Hoden und Penis. Zwei bis drei Jahre später setzt bei Mädchen die Periode ein. „Der Zyklus ist anfangs noch sehr unregelmäßig“, sagt die gynäkologische Endokrinologin Dr. Julia Rehnitz vom Universitätsklinikum Heidelberg. „Nach ein bis zwei Jahren hat er sich dann meist eingepegelt.“ Wann der erste Besuch bei der Frauenärztin oder dem Frauenarzt ansteht, ist nicht festgelegt – nach Möglichkeit aber vor dem ersten Geschlechtsverkehr.
Ein wichtiger Termin, findet Expertin Rehnitz. „Es sollte sich ein Vertrauensverhältnis aufbauen können, das den Mädchen ermöglicht, alle Belange anzusprechen.“ Etwa, wenn der Zyklus Beschwerden verursacht. „Sehr starke Schmerzen oder auch Stimmungsschwankungen sollten immer abgeklärt werden“, so die Ärztin. Ein Tagebuch kann helfen, in verschiedenen Phasen des Monats mögliche Trigger für Schmerzen zu ermitteln – oder zu prüfen, wann etwa Sport leichter fällt und wann der Körper mehr Ruhe braucht. „Der weibliche Zyklus ist ein hochkomplexer Ablauf, an dem neben Östrogen viele weitere Hormone mitwirken“, so Rehnitz. Es dauert, bis man sich an die neuen Umstände gewöhnt hat. Mit deutlich weniger Hormonumschwung läuft die Pubertät bei Jungen ab. Hier wirkt hauptsächlich das Testosteron und kümmert sich schleichend um den Übergang vom Kind zum Erwachsenen.
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Wie Hormone wichtige Prozesse im Körper steuern
Viele Hormone bestimmen unser tägliches Leben. Abends, wenn es dunkel wird, schüttet die Epiphyse im Gehirn Melatonin aus. Das Schlafhormon reguliert den Biorhythmus und macht müde. Das Stresshormon Cortisol unterliegt typischen tageszeitlichen Schwankungen – morgens zum Beispiel steigt der Cortisolspiegel an. Ist man in der Früh spät dran und muss sich beeilen, wird zusätzlich Adrenalin aus den Nebennieren aktiv. Es wirkt schneller als Cortisol, lässt Herzfrequenz und Blutdruck steigen, sodass wir in kurzer Zeit mehr Energie mobilisieren können. „Anders als viele denken, sind Stresshormone nicht schlecht für den Organismus“, sagt Professor Stephan Petersenn, Leiter einer Praxis für Endokrinologie und Andrologie in Hamburg. „Im Gegenteil – sie helfen uns, in einer Leistungs- oder auch Gefahrensituation voll fokussiert zu sein. Aber natürlich erschöpft der Körper irgendwann, wenn er zur ständigen Leistung angetrieben wird.“ Daher sei es so wichtig, nach einer stressigen Phase Zeit für Ruhe und Erholung einzuräumen.
Haben wir länger nichts gegessen, signalisiert das Hormon Ghrelin aus der Magenschleimhaut: „Ich habe Hunger!“ Nach der Mahlzeit nehmen zahlreiche Botenstoffe die Arbeit auf. Schilddrüsenhormone beschleunigen den Stoffwechsel. Insulin aus der Bauchspeicheldrüse transportiert Zucker aus dem Blut zu den Zellen, um ihnen Energie bereitzustellen. Botenstoffe aus den Nebennieren regen den Körper an, Fett einzulagern, um Energiereserven aufzubauen.
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Die Botenstoffe entstehen in verschiedenen Organen
Wo in unserem Körper werden die Hormone gebildet? Was löst diese Prozesse aus, wie laufen sie ab und was bewirken bestimmte Hormone? Hier ein Überblick:
Das Gehirn – die Produktion anregen
Im Zwischenhirn liegt die Hormonsteuerzentrale. Der Hypothalamus beobachtet, was im Körper vor sich geht, und reagiert mit der Abgabe von Botenstoffen. Diese aktivieren die Hypophyse, auch Hirnanhangdrüse. Sie sendet stimulierende Stoffe aus, um in anderen Organen die Hormonproduktion zu starten oder zu stoppen. Einige Hormone entfalten eine direkte Wirkung. Somatropin etwa reguliert in der Kindheit das Wachstum von Knochen, Muskeln und Organen. Durch Prolaktin wachsen in der weiblichen Pubertät die Brüste, nach der Geburt regt es die Milchproduktion an. Oxytocin löst Wehen aus, kurbelt die Libido an und stärkt das Gefühl, anderen verbunden zu sein. Und sobald die Epiphyse abends Melatonin ausschüttet, werden wir müde.
Die Schilddrüse – den Stoffwechsel eintakten
Die Schilddrüse liegt unterhalb des Kehlkopfes und bringt mit ihren Hormonen T3 und T4 den Stoffwechsel auf Trab. Auf ihr Kommando schaltet der Körper in den „Leistungsmodus“: Das Herz schlägt schneller, die Energieverbrennung wird angekurbelt, und die Zellen arbeiten aktiver. Bei einer Überfunktion läuft der Stoffwechsel auf Hochtouren, während eine Unterfunktion den Organismus verlangsamt. Die von ihr produzierten Botenstoffe Calcitonin und Parathormon steuern den Kalziumstoffwechsel. In der Kindheit und Pubertät stimuliert das Organ das Körperwachstum und die Reifung des Gehirns.
Die Bauchspeicheldrüse – den Blutzucker regulieren
Die Bauchspeicheldrüse liegt hinter dem Magen und ist maßgeblich an der Verdauung beteiligt. Sie produziert Enzyme zur Fett-, Kohlenhydrat- und Eiweißspaltung. Aber auch Insulin und Glukagon, die beide den Blutzuckerspiegel regulieren. Insulin bringt den Zucker aus dem Blut in die Zellen, wo er als Energiequelle genutzt wird. Wenn der Blutzuckerspiegel sinkt, mobilisiert Glukagon gespeicherte Reserven, indem es Zucker aus Speichern in der Leber freisetzt. Liegt ein Diabetes vor, ist die Blutzuckerregulierung gestört. Unbehandelt verursacht die Erkrankung Schäden an Nerven, Gefäßen und Organen.
Die Nebennieren – auf Stress reagieren
Wie zwei Kappen sitzen sie auf den Nieren: die Nebennieren. Über Aldosteron regulieren sie den Salz- und Wasserhaushalt. In angespannten Situationen produzieren sie blitzschnell Adrenalin und Noradrenalin, sogenannte Stresshormone. Der Herzschlag beschleunigt sich, der Blutdruck steigt, und Energie wird kurzfristig mobilisiert. Auch Cortisol zählt zu den Stressregulatoren der Organe. Seine Bildung dauert zwar länger, dafür wird der Körper auch bei andauernden Herausforderungen mit Energie versorgt. Bei Dauerstress können sich die Hormone negativ auswirken – etwa indem sie das Immunsystem schwächen, den Blutdruck erhöhen und eine Gewichtszunahme oder Schlafstörungen begünstigen.
Die Sexualorgane – Körper und Lust stimulieren
In den Eierstöcken der Frau und in den Hoden beim Mann werden die Sexualhormone hergestellt und steigern unter anderem das sexuelle Verlangen. Ab der Pubertät erhöht sich ihr Spiegel im Blut stark. Testosteron sorgt bei Jungen für Körperbehaarung, Muskeln, eine tiefere Stimme und lässt die Spermienproduktion starten. Östrogen und Progesteron fördern bei Mädchen das Brustwachstum und leiten den Zyklus ein. Kommt es zu einer Schwangerschaft, bereiten Progesteron und Östrogen den Körper auf das heranwachsende Baby und die Geburt vor. Ab der Lebensmitte sinkt die Hormonproduktion in den Eierstöcken. Der Zyklus gerät ins Wanken und bleibt nach den Wechseljahren ganz aus. Der Testosteronspiegel hingegen sinkt nur leicht, die Produktion versiegt nie komplett.
„Anders als viele denken, sind Stresshormone nicht schlecht für den Organismus.“
Professor Stephan Petersenn
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Wie Hormone bis zur Geburt eines Kindes wirken
Vor allem in den Jahren zwischen 30 und 35 haben viele Menschen in Deutschland den Wunsch, Eltern zu werden. Glückt die Befruchtung, steigt im weiblichen Körper bald der Spiegel des sogenannten Schwangerschaftshormons „beta-HCG“ (Humanes Choriongonadotropin) an. In handelsüblichen Schwangerschaftstests wird daher der HCG-Gehalt im Urin geprüft. HCG fördert die Bildung von Progesteron, das den Umbau der Gebärmutterschleimhaut auslöst und zusammen mit Östrogen das Wachstum der Plazenta anregt – ein Organ, das erst während der Schwangerschaft heranwächst und ebenfalls Hormone bildet. Die Plazenta, auch als „Mutterkuchen“ bekannt, versorgt den Embryo mit allen Nährstoffen und bereitet den Körper der Schwangeren auf die Geburt vor. Zugleich fördern Prolaktin und Östrogen das Wachstum der Milchdrüsen. Deshalb schwellen die Brüste bis zur Geburt an. Kurz bevor es so weit ist, löst Oxytocin die Wehen aus. Sobald die Mutter ihr Kind in den Armen hält, sorgt das gleiche Hormon meist für eine wohlige Verbundenheit. Nicht umsonst trägt Oxytocin den Namen „Kuschelhormon“.