Sucht
Abstinent bleiben – Ein Leben ohne Alkohol bewältigen
Veröffentlicht am:16.11.2023
5 Minuten Lesedauer
Trocken zu werden ist mühsam – und trocken zu bleiben manchmal noch schwieriger. Trotzdem kann es auch bei Abhängigkeit gelingen, langfristig auf Alkohol zu verzichten. Wichtig sind die passenden Tipps und Hilfsangebote.
Was bedeutet Abstinenz?
In Zusammenhang mit Alkohol bedeutet Abstinenz (lateinisch abstinere: sich enthalten, fernhalten), dass eine Person aus eigenem Entschluss keinen Alkohol mehr trinkt. Die Trinkmenge zu reduzieren kann dabei ein Zwischenschritt sein – wer tatsächlich abstinent lebt, verzichtet vollständig auf Alkohol in jeder Form.
Die ersten Tage und Wochen sind oft die schwierigsten. Wer körperlich bereits schwer abhängig ist, braucht dazu oftmals einen Alkoholentzug in einer Klinik oder eine engmaschige ambulante Begleitung. Im Anschluss gilt es, das Leben ohne Alkohol neu zu lernen, einen gesünderen Alltag zu gestalten sowie sich für kritische Situationen zu wappnen – und trocken zu bleiben.
Warum ist es so schwer, trocken zu bleiben?
Wenn selbst lange Zeit nach einem Alkoholentzug der Impuls aufkommt, zur Flasche oder zum Glas zu greifen, bedeutet das nicht, dass Sie schwach sind – das ist normal und geht vielen trockenen Alkoholikern und Alkoholikerinnen so. Das Gehirn hat gelernt, dass Alkohol das sogenannte Belohnungszentrum mit körpereigenen „Glückshormonen“ wie Endorphinen und Dopamin aktiviert. Daran erinnert es sich typischerweise in unangenehmen Gefühlslagen wie Stress, Frust oder Einsamkeit. Auch in Situationen, die für Sie persönlich lange Zeit eng mit Alkohol verknüpft waren – etwa der Feierabend oder bestimmte Feste –, meldet sich womöglich dieses sogenannte Suchtgedächtnis.
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Warum lohnt sich Abstinenz?
Eine hilfreiche Vorstellung ist, wenn Sie sich bewusst machen: Sie sind mehr als Ihr Suchtgedächtnis. Rational wissen Sie, dass es Ihnen mit Alkohol rasch wieder schlecht geht. Alkohol ist zerstörerisch für Ihre körperliche und psychische Gesundheit, Ihre Leistungsfähigkeit, Ihre Beziehungen und eventuell Ihre Finanzen. Um sich nicht von Impulsen aus dem Suchtgedächtnis übermannen zu lassen, hilft es, wenn Sie sich Ihre persönliche Motivation vor Augen führen: Für manche sind das die eigenen Kinder, für die anderen ein gesunder Körper oder eine glückliche Beziehung.
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Nicht in Versuchung bringen
Hilfreich ist, wenn Sie im ersten Schritt alle alkoholischen Getränke aus dem Haushalt verbannen. Gegebenenfalls sollten Sie, zumindest vorübergehend, den Besuch von Veranstaltungen meiden, auf denen viel getrunken wird.
Sport und Bewegung
Viele Menschen nutzen Alkohol, um Stress und andere unangenehme Gefühle zu dämpfen. Auch wenn es sich zunächst ungewohnt anfühlt, kann Bewegung ein deutlich gesünderes Ventil sein: Einige können den Kopf am besten „abschalten“, wenn sie mit Musik durch die Felder joggen oder in die Pedale ihres Rennrads treten (nur bitte nicht so laut, damit Sie Ihre Umgebung noch hören). Andere entspannen mithilfe von Yoga oder langen Spaziergängen mit dem Hund. Sport hat zudem den großen Vorteil, dass er ebenfalls zu positiven Hormonausschüttungen führt. Probieren Sie aus, was Ihnen liegt – vielleicht ist es auch eine Kombination verschiedener Sportarten.
Nein sagen lernen
Ob mit oder ohne Anlass – soziale Situationen, in denen Ihnen andere Menschen Alkohol anbieten, lassen sich langfristig kaum vermeiden. Legen Sie sich am besten schon vorher die passenden Entgegnungen parat. Im Idealfall vertreten Sie mit Selbstbewusstsein, dass Sie grundsätzlich keinen Alkohol trinken. Dabei ist es meist hilfreich, Freunde, Freundinnen und Familienmitglieder in ein bestehendes Alkoholproblem einzuweihen. Lassen Sie sich keinesfalls zum Trinken überreden oder unter Druck setzen.
Notfallstrategien und Ablenkung
Manchmal entstehen allen guten Vorsätzen zum Trotz heikle Situationen, in denen die Gedanken plötzlich nur noch um Alkohol kreisen. Dann können unter anderem folgende Strategien helfen:
- Gedanken umlenken: Zählen Sie rückwärts, konjugieren Sie unregelmäßige französische Verben oder überlegen Sie, ob Sie alle 16 Bundesländer mit Hauptstädten aufzählen können.
- Wasser trinken, bis eine Art Völlegefühl eintritt. (Achtung: Trinken Sie nicht bis zur Übelkeitsgrenze und halten Sie sich an empfohlene Mengen.)
- Starke Reize: Duschen Sie kalt, nehmen Sie eine Brausetablette in den Mund, beißen Sie auf eine Chilischote oder drücken Sie einen Igelball.
Was tun nach einem Rückfall?
Es kann vorkommen, dass alle Strategien versagen und der Suchtdruck die Überhand gewinnt. Für manche Betroffene fühlt sich das wie ein heftiges Scheitern an. Sie kippen in die Vorstellung, dass es „nun sowieso egal“ sei und trinken umso mehr. Andere spielen den Rückfall als Ausrutscher herunter oder reden sich ein, sich rational dafür entschieden zu haben.
Verurteilen Sie sich nicht für einen Rückfall. Gestehen Sie sich zu, dass es eine große Herausforderung ist, nach einer längeren Phase der Abhängigkeit abstinent zu leben. Aber nehmen Sie den Rückfall ernst und analysieren Sie im Nachhinein, welche Situation, Gedanken und Gefühle dazu geführt haben – und wie Sie diese in Zukunft am besten vermeiden. Dafür kann es hilfreich sein, sich mit anderen Betroffenen auszutauschen oder mit Fachleuten darüber zu sprechen, falls Sie sich für eine begleitende Psychotherapie entschieden haben. Wenn Sie einen Rückfall analysieren, kann er Ihnen sogar dabei helfen, langfristig stabil abstinent zu bleiben.
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Hilfsangebote für trockene Alkohol-Abhängige
Ein Leben ohne Alkohol kann erfüllend und voller Möglichkeiten sein – aber auch herausfordernd. Sie müssen sich nicht allein durch alle Stolperfallen kämpfen. Wenn Sie merken, dass es Ihnen schwerfällt, trocken zu bleiben, finden Sie an verschiedenen Stellen Hilfe:
- Bei Ihrem Hausarzt oder Ihrer Hausärztin können Sie das Problem offen ansprechen und mögliche körperliche Beschwerden abklären lassen. Die Fachperson hilft auch bei der Einschätzung, ob eine begleitende Psychotherapie für Sie sinnvoll ist.
- Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bietet die Möglichkeit einer Telefon- und Onlineberatung für Menschen mit Alkoholproblemen.
- Über das Suchthilfeverzeichnis der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) können Sie Beratungsstellen für Menschen mit Suchterkrankungen in Ihrer Nähe finden. Alternativ sind auch zahlreiche Beratungsstellen im Katalog des Blauen Kreuzes in Deutschland verzeichnet.
- Für viele trockene Alkohol-Abhängige ist der Kontakt zu anderen Betroffenen hilfreich und stärkend. Die beste Anlaufstelle hierfür sind Selbsthilfegruppen, zum Beispiel bei den Anonymen Alkoholikern, beim Kreuzbund oder bei den Freundeskreisen der Suchtkrankenhilfe.
Auch für Angehörige alkoholkranker Menschen gibt es zahlreiche Informations- und Beratungsangebote, wie etwa vom Kreuzbund e.V..