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Feierabendbier: Wie gefährlich ist Alkohol, um Stress abzubauen?

Veröffentlicht am:12.08.2024

8 Minuten Lesedauer

Für viele ist es ein festes Ritual: Nach einem stressigen Tag gönnen wir uns ein Feierabendbier oder ein anderes alkoholisches Getränk. Wie gefährlich Alkohol zur Emotionsregulation tatsächlich ist, erklärt Prof. Dr. Sabine Vollstädt-Klein.

Drei Männer sitzen um einen Holztisch auf dem halb mit Bier gefüllte Biergläser stehen. Vor den Männern sind nur die auf den Tisch gelegten Arme und Teile der Oberkörper zu sehen. Jeder hat eine Han um ein Bierglas gelegt. Es sieh aus, als hätten sie gerade alle gemeinsam einen Schluck getrunken und seien jetzt gerade dabei, ihr Bierglas auf dem Tisch abzusetzen.

© iStock / Aleksandar Karanov

Prof. Dr. Sabine Vollstädt-Klein

© Zentralinstitut für Seelische Gesundheit

Prof. Dr. Sabine Vollstädt-Klein ist außerplanmäßige Professorin an der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Seit 2015 leitet sie dort die Arbeitsgruppe „Neuroimaging abhängigen Verhaltens“. Schwerpunkte ihrer Arbeit und Forschung sind die neurobiologischen Grundlagen zur Entstehung und zum Verlauf von Abhängigkeits­er­krankungen. Außerdem forscht sie zur Wirksamkeit neuartiger therapeutischer Interventionen.

Warum trinken Menschen gern Alkohol?

Alkohol kann entspannend und stimmungsaufhellend wirken und soziale Interaktionen erleichtern. Manche Menschen setzen ihn gezielt zur Belohnung und zum Stressabbau ein, aber auch um mit negativen Gefühlen besser umzugehen zu können. In vielen Kulturen gehört er als Genussmittel bei geselligen Anlässen dazu.

Was macht der Alkohol im Feierabendbier mit uns?

Alkohol wirkt auf verschiedene Botenstoffe im Gehirn und hat dämpfende Effekte auf das zentrale Nervensystem. Es kommt beim Alkoholkonsum zur Ausschüttung der Glückshormone Serotonin und Dopamin, was das Wohlbefinden steigern kann. Kurzfristig wird durch Alkohol die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol reduziert, was entspannend wirkt.

Warum ist das Abschalten nach der Arbeit und am Wochenende so wichtig?

Diese Erholungsphasen sind wichtig, um neue Kraft zu tanken, Stress abzubauen und die psychische Gesundheit zu erhalten. Außerdem fördern sie eine bessere Schlafqualität, Wohlbefinden und Produktivität.

Ein vergnügter Mann mittleren Alters geht an einem Flussufer auf einem Weg entlang. Bäume, die gerade anfangen auszuschlagen, stehen links und rechts des Weges. Der Mann trägt eine Brille, einen dunklen, leicht angegrauten Vollbart und ein Basecap. Er hat die linke Hand in die Hosentasche seiner Jeans gesteckt und sich eine Jacke über die rechte Schulter geworfen und den Zeigefinger seiner rechten Hand in den Kragen gehakt, um sie festzuhalten.

© iStock / sankai

Symbolbild. Ein schöner Spaziergang ist auch ein guter Weg, den Arbeitstag ausklingen zu lassen.

Warum ist das Feierabendbier ein so beliebtes Ritual?

Manche Menschen trinken am Abend Alkohol, um sich den Übergang vom Arbeitsalltag zum Feierabend zu erleichtern. Das „Feierabendbier“ kommt ja in vielen Kulturen vor: der „After-Work-Drink“ in Großbritannien, zum Beispiel, oder der „Apéro“ in Frankreich. Zunächst hat das Trinken von Alkohol auch meist eine stimmungsaufhellende und stressreduzierende Wirkung. Nach etwa ein bis zwei Stunden schüttet der Körper aber vermehrt Cortisol und Adrenalin aus, was Nervosität und Anspannung zur Folge hat. Statt uns abschalten zu lassen, verschlimmert Alkohol also langfristig das Stressproblem und macht stressanfälliger.

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Warum wird das „Feierabendbier“ trotzdem positiv erlebt?

Das Ritual des Feierabendbieres ist mit Entspannung, Genuss und Wohlbefinden verbunden. Die positive Wahrnehmung kann zudem durch angenehme soziale Interaktionen verstärkt werden, zum Beispiel der After-Work-Drink im Kollegenkreis.

Diese angenehmen Erlebnisse aktivieren das Belohnungssystem im Gehirn – und das Gehirn „merkt“ sich diese wiederholten positiven Erfahrungen. Nach einer Zeit kann allein der Gedanke oder Anblick eines alkoholischen Getränks zum Feierabend angenehme Gefühle auslösen. Man spricht von einer sogenannten Konditionierung, die angenehmen Gefühle sind dann eine konditionierte Reaktion auf diese Reize.

Ab wann wird der regelmäßige Alkoholkonsum gefährlich?

Ein moderater, bewusster Konsum von Alkohol kann unbedenklich sein. Sobald er aber regelmäßig über bestimmte Mengen und Häufigkeiten hinausgeht und eine Stressbewältigung oder Entspannung nur schlecht ohne Alkohol möglich ist, wird es auf alle Fälle problematisch. Dann kann sich eine Abhängigkeit entwickeln.

Wie merkt man, dass man das „Feierabendbier“ braucht?

Hinweise können sein, dass man immer häufiger und größere Mengen trinkt, man also eine Toleranz entwickelt hat und dass man gar nicht mehr ohne Alkohol entspannen kann oder dass man nervös wird, wenn man darauf verzichtet.

Und wie schnell kann sich daraus eine Sucht entwickeln?

Im Gegensatz zu manchen anderen Substanzen kann sich eine Alkoholabhängigkeit schleichend entwickeln, oft über Jahre hinweg. Zu Beginn stehen oft die genussvollen und entspannenden Aspekte im Vordergrund. Wenn dann immer mehr oder häufiger getrunken wird, gewöhnt sich der Körper an Alkohol. Es entwickelt sich eine psychische und physische Abhängigkeit, Entzugserscheinungen treten auf.

Wer ist besonders gefährdet, eine Alkoholsucht zu entwickeln?

Besonders gefährdet sind Menschen mit psychischen Problemen wie Angsterkrankungen, ADHS oder Depressionen oder aber Personen, die hohem Stress ausgesetzt sind oder traumatische Erfahrungen hinter sich haben. Dann kann Alkohol häufig als schlechte Bewältigungsstrategie eingesetzt werden. Es gibt aber auch genetische Dispositionen für Suchterkrankungen.

Was raten Sie diesen Menschen?

Gut ist, ein Trinktagebuch zu führen. Damit kann man den Alkoholkonsum kritisch beobachten und gegebenenfalls reduzieren. Es gibt gesündere Rituale zum Abschalten, aber die meisten, die das Ritual bei sich etabliert haben, entscheiden sich trotzdem für das Feierabendbier, da es für sie oft belohnender wirkt und einfacher umzusetzen ist.

In aktuellen Studien untersuchen wir, inwieweit kognitives Training auf der Basis des Brettspiels Schach hilfreich sein kann, die Kontrolle über Alkohol- oder Tabakkonsum zu behalten oder wiederzuerlangen. Bei Problemen oder ersten Anzeichen, dass man abhängig sein könnte, empfiehlt es sich, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, bei einer Suchtberatungsstelle, zum Beispiel, bei Psychotherapeutinnen oder Psychotherapeuten.

So können Sie auch ohne Feierabendbier Stress abbauen

Wenn Sie vom Job oder im Privatleben gestresst sind, helfen Alkohol oder andere Substanzen nicht weiter. Ungelöste Probleme oder Konflikte auf der Arbeit sind spätestens am nächsten Morgen wieder da.

Hier ein paar Tipps, wie Sie besser abschalten und mit den Herausforderungen des Alltags gelassener umgehen können:

  • Bewegung macht den Kopf frei. Machen Sie nach der Arbeit einen schönen Spaziergang, eine kleine Radtour oder gehen Sie ins Fitnessstudio.
  • Fahren Sie mit dem Rad zur Arbeit. So können Sie schon auf dem Nachhauseweg durch die körperliche Betätigung Stress abbauen.
  • Nehmen Sie sich mehr Zeit für sich und gönnen Sie sich regelmäßige Pausen im Alltagsstress.
  • Haben Sie ein Hobby, das Sie schon länger vernachlässigen? Nehmen Sie es wieder auf. Oder versuchen Sie ein Neues, wie meditatives Malen. Spezielle Malbücher für Erwachsene helfen bei der achtsamkeitsbasierten Stressbewältigung.
  • Trainieren Sie Übungen zur Achtsamkeit und bauen Sie diese in Ihren Arbeitsalltag ein.
  • Versuchen Sie es bei Stress und Anspannung mit einem Entspannungsverfahren wie der Progressiven Muskelentspannung oder mit Autogenem Training.

Gibt es praktische Tipps für den Umgang mit dem Feierabendbier?

Es kann hilfreich sein, den Konsum auf bestimmte Tage zu beschränken und nicht täglich zu trinken. Mindestens zwei alkoholfreie Tage in der Woche sollten eingehalten werden. Alkoholfreies Bier kann eine Alternative sein. Es gibt auch alkoholfreie Weine oder Cocktails.

Das ist aber nicht ratsam, wenn sich schon eine Abhängigkeit entwickelt hat, da durch konditionierte Reaktionen durch den Anblick oder den Geschmack die Gefahr besteht, bei diesem Anlass auf Alkohol umzusteigen. Sehr wichtig ist, den eigenen Konsum zu reflektieren und bewusst zu konsumieren.

Was sind vernünftige Grenzen beim Alkoholkonsum?

In den letzten Jahren hat sich das Wissen und die Meinung zum risikofreien Konsum geändert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat unlängst ein Statement abgegeben, dass es beim Alkoholkonsum keine gesundheitlich unbedenkliche Menge gäbe. Das bedeutet, dass nach derzeitigem Kenntnisstand keine Schwelle existiert, ab der die schädlichen Wirkungen von Alkohol beginnen. Von riskantem Konsum spricht man, wenn das Risiko für gesundheitliche Folgeschäden erhöht ist. Sicher risikofrei ist nur Alkoholabstinenz. Als risikoarm galten bis vor kurzem Grenzen von zwölf Gramm für Frauen (etwa ein kleines Glas Bier oder ein Achtel Wein), bei Männern das Doppelte. Mittlerweile gibt aber auch die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen keine Empfehlungen mehr für solche Grenzwerte.

Das Trinkverhalten der Deutschen

Knapp acht Millionen der 18- bis 64-Jährigen in Deutschland nehmen Alkohol in gesundheitlich riskanter Ausprägung zu sich. Eine alkoholbezogene Störung, also Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit, liegt bei etwa drei Millionen Personen dieser Altersgruppe vor.

Im Jahr 2021 war bei etwa 14.000 Verstorbenen in Deutschland eine durch Alkoholkonsum bedingte Krankheit die Todesursache. In fünf Prozent aller Straßenverkehrsunfälle mit Personenschaden ist Alkohol im Spiel, ebenso bei etwa 9,5 Prozent der Straftaten. Die direkten und indirekten Kosten des Alkoholkonsums in Deutschland werden aktuell auf rund 57,04 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt, davon 16,59 Milliarden Euro für das Gesundheitssystem.

Wie sieht es mit anderen Substanzen zur emotionalen Regulierung aus?

Neben Alkohol wird häufig auch zu anderen Substanzen wie Nikotin, Cannabis oder Beruhigungsmitteln gegriffen. Alle können auch zu Abhängigkeiten führen und negative gesundheitliche Auswirkungen haben. Was Cannabis angeht, muss man abwarten, wie sich der Konsum nach der Teillegalisierung langfristig entwickelt. Bisher liegen dazu noch kaum Daten vor. Experten erwarten – auch nach Erfahrungen in anderen Ländern – eine Zunahme der Konsumenten. Manche Menschen greifen auch zu Süßigkeiten, um Stress zu bewältigen. Kurzzeitig Freude und Ablenkung verschafft manchen Personen auch Shopping. Es ist wichtig, gesündere Wege zur Stressbewältigung zu finden, um das Wohlbefinden langfristig zu fördern und Abhängigkeiten zu vermeiden.

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Information, Beratung und Hilfe

Auf diesen Webseiten finden Sie weitere Informationen und Beratungsmöglichkeiten zu Alkohol und anderen suchgefährdenden Substanzen:

Das Infotelefon der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) gibt Beratung zur Suchtvorbeugung, bei Suchtproblemen und vermittelt Anschriften zu Suchtberatungsstellen und weiteren Ansprechpartnern.

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) bietet ein Suchverzeichnis für verschiedene Substanzen und Schwerpunkte wie Alkohol, illegale Drogen und problematisches Essverhalten zur Beratung, Behandlung und zum Entzug.

Auf der Webseite des Blauen Kreuzes gibt es Angebote zur Suchtvorbeugung und Suchthilfe wie Beratungsstellen und die Möglichkeit des Online-Austauschs für Betroffene.

Unter Kenn-dein-Limit können sich Jugendliche und junge Erwachsene über die Risiken von Alkohol informieren und das eigene Konsumverhalten kritisch betrachten.

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. bietet ein Trinktagebuch als kostenlose App.

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