Sucht
Alkohol und Kokain: Daniels Weg aus der Sucht
Veröffentlicht am:27.11.2024
5 Minuten Lesedauer
Mehr als 30 Jahre lang haben Alkohol und Kokain Daniels Leben bestimmt. Seit anderthalb Jahren ist er nun clean – und möchte anderen helfen, Wege aus der Sucht zu finden.
Kokain und Alkohol waren lang Daniels Leben
© AOK / Kasimir Weichert
Daniel, 46, in Berlin geboren und aufgewachsen. 33 Jahre lang hat er Alkohol und Kokain konsumiert. Seit anderthalb Jahren ist er clean und engagiert sich ehrenamtlich bei einer Hilfsorganisation für Alkoholkranke. Er arbeitet im Krankenbegleitservice im Krankenhaus.
„Ich habe im Leben nichts ausgelassen“
Daniel fährt mit seinem Mountainbike in den Garten seiner Hilfsorganisation für Alkoholkranke, und setzt sich auf einen weißen Plastikgartenstuhl unter dem kleinen Wellblechdach. Er kommt fast jeden Tag her, auch wenn seine Therapie schon länger vorbei ist. Es ist Mitte April. Der AKB hat ihm dabei geholfen, clean zu werden – schnell und unbürokratisch.
Daniel trägt blaue, weit geschnittene Jeans. Im rechten Hosenbein ist am Knie ein großes Loch. Dazu ein schwarzes, ebenfalls weites T-Shirt und weiße Sneaker. Er ist stark gebaut, die Haare sind kurz, sein Bart rasiert. Rein äußerlich haben die Drogen kaum Spuren hinterlassen.
Als er mit ihnen aufhört, ist Daniel 46 Jahre alt und hat 50.000 Euro Schulden bei der Bank. „Es ist ja nicht so, dass ich jetzt ein Auto vor der Tür stehen habe oder mal eine schöne Reise gemacht hätte von dem Geld. Das ist einfach weg.“ Ausgegeben für Drogen und Alkohol.
„Mit zwölf hatte ich meinen ersten Vollrausch“
Daniel kommt schon früh mit Drogen und Alkohol in Kontakt. Der Vater abhängig von Cannabis und Medikamenten. Seine Mutter, Alkoholikerin, zieht den Sohn allein groß. Er ist zwölf, als er das erste Mal Alkohol trinkt. Es ist Silvester, seine Mutter ist dabei. Einen „Futschi Cola“ darf er trinken. Futschi – das ist Kirschwasser und Fruchtsaft. Mit Cola schmeckt man den Alkohol kaum. „Der eine hat gereicht“, sagt Daniel. „Am nächsten Tag konnte ich mich an nichts erinnern. Ich hatte eine Beule am Kopf und drei Tage lang einen Kater.“ Mit dreizehn raucht Daniel seinen ersten Joint, mit fünfzehn probiert er weitere Drogen aus. Er schwänzt die Schule und zeigt zunehmend Verhaltensprobleme, die andere kaum begrenzen konnten. Der Sozialdienst wird auf ihn aufmerksam. Das Verhältnis zwischen Mutter und Sohn gestaltet sich zunehmend schwierig. Die nächste Station ist eine Kinder- und Jugendpsychiatrie. Mit fünfzehn kommt Daniel in ein Heim in Norddeutschland. Mit sechzehn fängt er eine Lehre als Glaser an. „Ich habe völlig besoffen in einer Kneipe gegenüber der Berufsschule randaliert.“ Kurz darauf wird ihm gekündigt.
Daniel fängt in Berlin eine Tischlerlehre an, hängt mit Freunden von früher ab. Sie nehmen immer mehr Drogen. Schließlich zieht Daniel zurück in die Kleinstadt. Die nächsten drei Jahre lang ist er arbeitslos, nimmt Drogen und trinkt jeden Tag Alkohol. Irgendwann steht er zu Hause nackt vor dem Spiegel und sieht, wie abgemagert er ist. „Das will ich nicht, das bin ich nicht“, dachte Daniel. Er geht zur Bundeswehr. Mit den Drogen ist es dann vorbei. Aber in der Kaserne wird jeden Abend getrunken, „und ich war immer ganz vorne mit dabei“, erinnert sich Daniel. Nach vier Jahren zieht er zurück in die Kleinstadt. Er heiratet seine Freundin, wird 2005 Vater. Fünf Jahre später die Trennung. Daniel zieht zurück nach Berlin. Er trifft auf Freunde von damals und taucht wieder in der Partyszene ab.
Passende Artikel zum Thema
Nachts Alkohol, tagsüber Kokain
Inzwischen ist Daniel Anfang 30. Ein Freund verschafft ihm einem Job im Krankenhaus – Krankenbegleitservice. Das Geld war ganz gut, erzählt Daniel, „und dann ging es mit dem Koks los.“ Unter der Woche trinkt er abends Bier, am Wochenende zieht er mit Freunden um die Häuser. „Ich war irgendwann immer so besoffen, dass ich mich kaum noch artikulieren konnte. Dann eine Nase Koks und du bist wieder nüchtern und kannst weiter trinken und feiern. Das hat super funktioniert“. Anfangs nimmt er nur am Wochenende Kokain. Dann bietet ihm ein Kollege auf der Arbeit etwas an. „Da habe ich gemerkt: Das funktioniert ja auch zur Leistungssteigerung“. Einige seiner Kollegen konsumieren ebenfalls während der Arbeit. Irgendwann nimmt Daniel täglich Kokain. Abends geht es dann mit „Saufen weiter“. Sein Körper brauchte stetig mehr. „Drei bis vier Gramm Kokain am Tag waren es bald“, sagt Daniel.
„Irgendwann brauchst du immer mehr, damit es knallt“
Der Konsum hat Folgen. Erst bekommt Daniel starke Nierenschmerzen – „ich habe trotzdem weitergemacht“, sagt er. Dann verlässt ihn seine damalige Freundin. Daniel hat großen Liebeskummer und konsumiert noch mehr. Der Konsum von Kokain habe ihn immer fasziniert, erzählt er: „Das gesamte Ritual – vom Kaufen des Stoffs, bis zum Legen und Ziehen der Bahn. Das Gefühl, wenn man es durch die Nase zieht, der Geschmack im Mund. Das hat mich alles angezogen.“
Erst einige Monate später besinnt Daniel sich. Auch diesmal ist eine Eskalation Auslöser für eine Veränderung. Daniel kommt betrunken und high zur Arbeit und beleidigt zwei Kollegen. Er greift sie sogar körperlich an. Fast verliert er seinen Job. „Da habe ich gemerkt, ich muss was ändern, ich habe keine Lust mehr auf den ganzen Mist.“ Daniel erzählt seinem Arbeitgeber von seinem Suchtproblem – und bekommt Unterstützung. In seinem Arbeitsvertrag steht die sogenannte „Suchtklausel“: Sie verpflichtet Arbeitgeber dazu, ihre Mitarbeitenden bei Suchtproblemen zu unterstützen – bis hin zur Rehabilitation in den Arbeitsplatz. Daniel kommt zuerst in die Entgiftung im Krankenhaus, dann das zwölfwöchige Therapieprogramm der Anonymen Alkoholkrankenhilfe (AKB), das von Suchtbetroffenen, die nicht mehr konsumieren, geleitet wird.
„Mit 46 Jahren beginne ich nochmal ein neues Leben“
Daniel zieht aus dem Berliner Süden zurück in den Bezirk, in dem er aufgewachsen ist. Derzeit wohnt er noch in einer Einrichtung für suchtkranke Menschen, doch schon bald möchte er sich wieder eine eigene Wohnung suchen und auf eigenen Beinen stehen. Er arbeitet auch wieder, im Krankenhaus. Den Kontakt zu seinen Freunden von früher hat er komplett abgebrochen. „Ich brauchte einen Cut“, sagt Daniel. Im AKB findet er neue Freunde. Menschen, die abstinent leben – so wie er. Die AKB-Selbsthilfegruppe ist immer noch Teil seines Lebens, inzwischen engagiert er sich selbst für den Verein und stellt ihn regelmäßig Entzugsstationen in Berlin vor.
„Seit ich aufgehört habe, geht es mir viel besser. Psychisch und körperlich“, sagt Daniel. Statt wie früher mit Freunden um die Häuser zu ziehen, verbringt er jetzt viel Zeit in der Natur. Er fährt Fahrrad, schwimmt und entdeckt ganz neue Seiten an sich. „Ich lerne mich gerade erst richtig kennen, mit 46 Jahren. Mein Hirn war ja immer benebelt. Auf einmal male ich, höre klassische Musik – Dinge, über die ich mich früher lustig gemacht hätte.“
Hilfe für Angehörige
Suchthilfeverzeichnis der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V.
Wenn Familienmitglieder oder Freunde süchtig werden möchte man gern helfen, weiß aber oft nicht wie. Erste Anlaufstelle kann eine Suchtberatungsstelle sein. Oder der Hausarzt oder die Hausärztin, sie wissen oft über lokale Unterstützungsangebote Bescheid.