Zum Hauptinhalt springen
AOK WortmarkeAOK Lebensbaum
Gesundheitsmagazin

Sucht

Dopamin und Sucht: Wie hängen sie zusammen?

Veröffentlicht am:01.08.2024

6 Minuten Lesedauer

Der Botenstoff Dopamin spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Suchtverhalten. Der Suchtmediziner Prof. Dr. Falk Kiefer erklärt, wie er das Belohnungssystem des Gehirns triggert und was es mit dem Mode-Begriff Dopamin-Detox auf sich hat.

Ein junges Mädchen mit dunklen, in der Mitte gescheitelten Haaren bäuchlings auf dem Bett und schaut in ihr Handy. Das Zimmer ist dunkel, ihr Gesicht wird von dem Licht des Mobiltelefons erhellt.

© iStock / Georgijevic

Die Rolle von Dopamin bei der Entstehung von Suchtverhalten

Den Impuls ständig nach dem Handy greifen zu wollen, kennen die meisten – er fällt uns besonders dann stark auf, wenn wir es aus Versehen zuhause vergessen haben und ins Leere greifen. Viele sind daran gewöhnt, es immer bei sich zu haben. Und wer kennt nicht das Gefühl, wenn das Handy in der Tasche klingelt oder vibriert und wir voller Erwartung nachgucken wollen, welche scheinbar wichtige Nachricht uns auf dem Bildschirm erwartet. Das alles erscheint alltäglich und völlig harmlos, ist aber bereits ein Beispiel für den Zusammenhang zwischen erlerntem Verhalten und Dopamin. Darüber haben wir mit dem Suchtexperten Prof. Dr. Falk Kiefer gesprochen.

Prof. Dr. Falk Kiefer

© v. Felbert

Prof. Dr. Falk Kiefer ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim. Schwerpunkte seiner Arbeit und Forschung sind die Entwicklung von Abhängigkeitserkrankungen und deren Bewältigung.

Prof. Dr. Kiefer, Dopamin gilt im Volksmund als das Glückshormon. Was ist Dopamin genau?

Dopamin ist kein Hormon, sondern ein Neurotransmitter, also ein Botenstoff zwischen Nervenzellen, der dafür sorgt, dass Nervenzellen miteinander kommunizieren können. Und das Dopamin in der Region des Gehirns, die für die Sucht wichtig ist, wirkt insbesondere im Belohnungssystem des Gehirns.

Wie hängt die Entstehung einer Sucht – auch einer Verhaltenssucht ­– mit der Dopamin-Freisetzung und dem Belohungssystem unseres Gehirns zusammen?

Viele Menschen glauben, dass Dopamin glücklich macht. Das ist ein großes Missverständnis, denn das ist nicht der Fall. Dopamin hat die Aufgabe, auf mögliche Belohnungen hinzuweisen, also eine belohnungsankündigende Wirkung. Das spielt beim Belohnungslernen eine große Rolle. Wenn wir etwas Positives erleben – wenn wir zum Beispiel hungrig sind und etwas essen oder wenn wir Zuwendung von einem anderen Menschen bekommen ­– dann wird Dopamin ausgeschüttet und markiert diese Situation als wichtig. Das heißt, wenn wir beim nächsten Mal an der Person vorbeigehen, die nett zu uns war, dann wird Dopamin ausgeschüttet, denn wir haben gelernt, dass es hier etwas Schönes geben könnte. Situationen, die mit Belohnungen einhergehen, werden gewissermaßen durch das Dopamin gelikt und dann im Suchtgedächtnis abgespeichert als etwas, das mit Belohnung verbunden ist.

„Ein Dopamin-Hoch führt zu einer selektiven Aufmerksamkeit“

Wie nutzen die sozialen Medien diese Lernmechanismen unseres Gehirns?

Zunächst einmal: unser Gehirn muss Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden. Und das Wichtigste für Lebewesen sind einerseits Gefahren, andererseits aber auch belohnungsassoziierte Reize, sonst würden wir bei Hunger am Essen vorbeilaufen. Und deshalb führt ein Dopamin-Hoch zu einer selektiven Aufmerksamkeit. Dinge, die mit Dopamin markiert worden sind, werden immer wichtiger. Und so funktioniert das auch mit den sozialen Medien. Sie bekommen beispielsweise in sozialen Netzwerken nette Kommentare, dann assoziieren wir das mit dem Handy. Die Belohnungserwartung setzt dann in dem Moment ein, in dem wir aufs Handy gucken oder wenn das Handy vibriert. Das Handy im Raum wird dann immer wichtiger und die anderen Sachen, die im Raum sind, nimmt man weniger wahr – weil sie nicht so relevant sind wie das, was mit dem Dopamin markiert wurde, in diesem Fall das Handy.

Kann man hier auch von einem klassischen Suchtverhalten sprechen?

Das hat durchaus Aspekte von Suchtverhalten. Normalerweise ist unser Körper ganz gut vor so einer ausgeprägten selektiven Aufmerksamkeit geschützt. Aber natürlich werden die sozialen Netzwerke extra so konstruiert, dass sie immer wieder das Dopaminsystem anstacheln. Die sozialen Netzwerke nutzen unser Belohnungssystem des Gehirns und das kann in Extremfällen zu einer Ähnlichkeit mit klassischen Abhängigkeiten führen.

Typische Symptome von Suchtverhalten

  • Craving: Es besteht ein starker, schwer bezwingbarer Wunsch, das suchtartige Verhalten auszuüben oder das Suchtmittel zu konsumieren.
  • Toleranzentwicklung: Um den gleichen positiven Effekt zu erleben, sind höhere Dosen des Suchtmittels oder des suchtartigen Verhaltens erforderlich.
  • Vernachlässigung anderer Lebensbereiche: Dem Nachgehen der Sucht wird Vorrang vor anderen Interessen und Verpflichtungen gegeben.
  • Entzugssymptome: Bei Beendigung oder Reduktion des Konsums können körperliche und/oder psychische Entzugssymptome auftreten.
  • Kontrollverlust: Es wird zunehmend schwieriger, den Substanzkonsum oder das Ausmaß des süchtigen Verhaltens bezüglich Dauer und Intensität zu kontrollieren.
  • Anhaltender Konsum trotz bereits eingetretener Schäden: Der Substanzkonsum bzw. das Suchtverhalten wird fortgesetzt, obwohl es bereits zu schädlichen Folgen geführt hat.

Gerade die Gehirne von Jugendlichen reagieren besonders empfindlich auf die Ausschüttung von Dopamin. Wie wirkt sich die Nutzung von sozialen Medien auf sie aus?

Das Gehirn von Jugendlichen ist besonders sensibel für neue Prägungen, sich also auf neue Belohnungsreize auszurichten. Das ergibt evolutionär viel Sinn, weil in dieser Phase die Ablösung von ehemaligen Belohnungsreizen wie der Mutter und der Familie stattfindet und Jugendliche eine neue Ausrichtung brauchen. In der Jugend werden neue Präferenzen gesetzt und da spielt das Dopamin eine große Rolle. In heutigen Zeiten beinhaltet das die Gefahr sich stark auf das Handy und soziale Netzwerke auszurichten und das wird man dann auch schwer wieder los.

Passende Artikel zum Thema

In einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung haben Sie erklärt, dass man das Belohnungssystem des Gehirns gewissermaßen austricksen kann und zwar durch eine „andauernde Exposition bei ausbleibender Verstärkung“. Funktioniert das auch mit dem Handy und den sozialen Medien?

Stellen Sie sich vor, Sie sind alkoholabhängig. Dann können Sie nicht mehr unbefangen an einer Kneipe vorbeigehen, weil ihr Anblick mithilfe des Dopamins in ihrem Gedächtnis als etwas sehr Relevantes abgespeichert wurde: als Hinweis auf eine mögliche Belohnung. Das können Sie aber nach und nach wieder loswerden, wenn Sie regelmäßig an Kneipen vorbeigehen ohne etwas zu trinken. Dann lernt das Gehirn: Das war eine falsche Belohnungsvorhersage: es kam nichts. Und dann wird dieses Belohnungssignal nach und nach geringer. Das Therapiemittel bei Alkohol oder Drogen ist die Abstinenz und in der Abstinenz kann man umlernen und sich auf neue Belohnungserfahrungen ausrichten. Bei der Handynutzung ist das natürlich deutlich schwieriger, weil ein Leben ohne Handy praktisch gar nicht mehr funktioniert. Man kann sich aber in bestimmten sozialen Netzwerken abmelden, die einen besonders triggern.

Ein junger Mann mit dunklen Locken, schwarzem T-Shirt und schwarzen Jeans liegt entspannt mit geschlossenen Augen rücklings im Gras. Um ihn herum blühen Gänseblümchen und Löwenzahn.

© iStock / chabybucko

Einfach mal ganz bei sich sein und Leben ohne digitale Reize genießen – dieses uralte Prinzip der Entspannung wird heute von vielen als „Dopamin Detox“ bezeichnet.

„Dopamin-Detox kennt die Menschheit schon seit Jahrtausenden“

Hat das was mit der Modeerscheinung „Dopamin-Detox“ zu tun?

Ja, das ist ein neuer Name für etwas, das die Menschheit schon seit Jahrtausenden kennt. Menschen, die zu sich kommen wollen, müssen sich abschotten von äußeren Reizen. In der heutigen Welt gibt es besonders viele dieser Reize, gerade über die vielen Medien, die uns beschallen. Wenn sich Eremiten früher in die Einsamkeit zurückgezogen haben, war das letztendlich auch eine Form von Dopamin-Detox. Heute verzichtet man dann häufig auf sein Handy und andere Dinge, die einen ablenken. Das kann man auch Rückzug nennen. Wenn man sich von äußeren Triggern abschottet, dann reagiert das Dopamin nicht andauernd auf äußere Signale, es gibt keine Höhen und Tiefen. Das beste Beispiel dafür ist die Meditation. Das ist ein Zustand, den Menschen anstreben, um zu ihrem Inneren zu gelangen.

Ist es dann so, dass man nach einem Dopamin-Detox gelassener durchs Leben geht?

Den Moment der Meditation kann man natürlich genießen, das hat für sich einen Zweck. Es kann darüber hinaus dazu führen, dass man nicht gleich wieder in alte Verhaltensmuster zurückfällt. Wenn man allerdings ein mediales Dopamin-Detox macht und danach gleich wieder zum Handy greift, ist alles wieder reaktiviert. Aber wenn sie versuchen, ihr Verhalten langfristig zu verändern, dann kann der Einstieg mit einer Detox ein guter Startpunkt sein.

Passende Angebote der AOK

Waren diese Informationen hilfreich für Sie?

Noch nicht das Richtige gefunden?