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Sucht und andere psychische Krankheiten

Veröffentlicht am:15.07.2024

6 Minuten Lesedauer

Eine Sucht besteht oft zeitgleich mit anderen psychischen Erkrankungen – beides kann sich gegenseitig beeinflussen. Doch welche Zusammenhänge gibt es dabei und warum werden manche Menschen schneller süchtig als andere?

Nahaufnahme eines jungen Mannes, der so zusammengesunken vor einem braunen Holztisch sitzt, dass er fast dahinter verschwindet. Auf dem Tisch steht ein Glas Whiskey.

© iStock / Ignatiev

Sind psychisch kranke Menschen häufiger süchtig?

Es gibt viele unterschiedliche Arten von Süchten – von Substanzabhängigkeiten bis zu den sogenannten Verhaltenssüchten. In diesem Beitrag geht es ausschließlich um die Wechselwirkung von Substanzsuchterkrankungen und psychischen Störungen. Hier ist vor allem wichtig: Nicht jeder Mensch mit einer Sucht entwickelt eine psychische Erkrankung und nicht jede psychisch kranke Person ist süchtig. Trotzdem zeigen wissenschaftliche Studien, dass es hier einen deutlichen Zusammenhang gibt. Demnach können mehr als die Hälfte der psychiatrischen Patienten und Patientinnen eine Substanzgebrauchsstörung aufweisen. Sie konsumieren zum Beispiel Cannabis, Alkohol, Nikotin, Halluzinogene wie LSD oder Stimulanzien wie Kokain. Der Anteil der Suchtkranken ist damit unter Menschen, die an psychischen Krankheiten leiden, deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung. Aber warum ist das so?

Mit dieser Frage haben sich viele Forschende beschäftigt. Sie gehen davon aus, dass sowohl Suchterkrankungen als auch andere psychische Erkrankungen auf verschiedenen sich überschneidenden Faktoren beruhen. Dabei spielen beispielsweise die Genetik und Einflüsse in der konkreten Lebenssituation eine Rolle.

Darüber hinaus konsumieren manche Betroffene Suchtmittel, um beginnende seelische Beschwerden und später auch Symptome ihrer psychischen Erkrankung oder die Nebenwirkungen ihrer Medikamente abzumildern. Dies bezeichnet man als Selbstmedikationsversuch.

Die Gene machen Menschen anfälliger für psychische Erkrankungen

Die Gene bestimmen unser Aussehen und bilden die Grundlage für unsere Intelligenz und unser Temperament. Sie können aber auch an Komorbiditäten beteiligt sein. Damit ist gemeint, dass Menschen gleichzeitig eine Substanzgebrauchsstörung und eine andere psychische Störung haben. Experten und Expertinnen schätzen, dass die Gene zu 40 bis 60 Prozent die Anfälligkeit für eine Substanzgebrauchsstörung mitbestimmen könnten. Die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen mit einer solchen Suchterkrankung eine weitere psychische Störung entwickeln, könnte auch davon abhängen, wie die Gene miteinander oder mit äußeren Einflüssen wie Lebensumständen und biografische Einflüssen interagieren.

Wer als Jugendlicher zum Beispiel häufiger Cannabis konsumiert, besitzt als Erwachsener ein höheres Risiko, Psychosen zu entwickeln – besonders dann, wenn man eine bestimmte Genvariante in sich trägt. Einige Untersuchungsergebnisse legen nahe, dass es Gene gibt, die das Risiko für Suchterkrankungen und andere psychische Störungen erhöhen. Dazu zählen zum Beispiel jene, die die Wirkung von Neurotransmittern beeinflussen. Neurotransmitter sind körpereigene biochemische Substanzen, die Nachrichten von einer Nervenzelle zur nächsten weitergegeben. Bei Menschen mit psychischen Erkrankungen kommt es häufig zu einer Fehlregulation von Neurotransmittern wie Dopamin oder Serotonin.

Eine Frau mit dunklen langen Locken und einem lilafarbenen Oberteil sitzt einer Ärztin gegenüber, die, mit dem Rücken zur Kamera, nur leicht verschwommen vorn im Bild zu erkennen ist. Die Frau mit den Locken hat den Blick gesenkt, sie stützt sich mit den Ellenbogen an der Tischkante auf, die Hände liegen gefaltet auf dem Tisch.

© iStock / FatCamera

Welche Rolle spielt das Gehirn bei Sucht und psychischen Erkrankungen?

Sucht und andere psychische Erkrankungen spielen sich größtenteils im Gehirn ab – das Zusammenspiel der Nervenzellen dort kann empfindlich auf die missbräuchliche Einnahme von Substanzen wie Drogen, Alkohol oder Medikamenten reagieren. Außerdem können psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Schizophrenie das Zusammenspiel der Gehirnzellen aus dem Gleichgewicht bringen. Diese Balance ist jedoch zentral für die menschliche Entscheidungsfindung, die Kontrolle von Impulsen sowie die Vermittlung von Emotionen und Belohnungsgefühlen im Gehirn.

Äußere und innere Einflüsse tragen zum Risiko bei

Ausschließlich die Genetik und das Gehirn, also die biologischen Komponenten, für Substanzgebrauchsstörungen und andere psychische Erkrankungen verantwortlich zu machen, wäre zu einfach gedacht – auch Faktoren wie die Lebensumstände und die individuellen früheren und aktuellen Lebenssituationen erhöhen das Risiko. Die gemeinsame Basis für Sucht und andere psychische Krankheiten kann zum Beispiel chronischer Stress oder eine negative Erfahrung in der Kindheit sein. Dabei geht es in der Regel um tiefgreifende Ereignisse oder andauernde beziehungsweise sich wiederholende Erlebnisse, die auf den Körper oder die Psyche einwirken. Bei Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung aufgrund von Kriegserfahrungen entwickelt ungefähr eine von fünf Personen eine Substanzgebrauchsstörung. Einige Betroffene nehmen unter anderem Drogen oder Alkohol zu sich, um ihre Angst zu lindern.

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Schlechte Idee: Suchtmittel als Selbstmedikation

Viele Menschen erleben eine psychische Erkrankung als sehr belastend. Manche von ihnen nehmen Suchtmittel, um sich besser zu fühlen – als Selbstmedikation. Tatsächlich ist es möglich, dass einige Substanzen die Symptome einer psychischen Erkrankung vorübergehend bessern – nicht selten aber verschlimmern sie auf lange Sicht die Beschwerden und verursachen zusätzliche Probleme, wie eben eine Suchterkrankung. Manche Menschen sind aber auch deshalb anfälliger für Suchtmittel, weil eine mit ihrer psychischen Erkrankung zusammenhängende Veränderung der Gehirnaktivität das Belohnungsgefühl verstärkt – und die negativen Konsequenzen ihres Verhaltens ausblendet. Der Substanzkonsum fühlt sich deswegen möglicherweise besser und harmloser an, bleibt aber selbstverständlich gefährlich. Menschen, die wegen einer psychische Erkrankung Medikamente nehmen müssen, können die Nebenwirkungen der Psychopharmaka als so unangenehm empfinden, dass sie Suchtmittel konsumieren – als Versuch, diese unangenehmen Begleiterscheinungen zu lindern. Besser ist hier natürlich die Beratung durch die ärztliche Fachperson, ob sich durch Veränderung der Medikation Verbesserungen im individuellen Fall erzielen lassen.

Ist der Krankheits-Sucht-Teufelskreis programmiert?

Es kommt häufig vor, dass Menschen mit einer psychischen Erkrankung süchtig werden oder süchtige Personen eine psychische Krankheit entwickeln. Es ist aber kein Automatismus. Und es gibt durchaus Möglichkeiten, dies besser in den Griff zu bekommen. Doch dafür brauchen die Betroffenen meist Hilfe. Zwar kann man die genetischen Merkmale oder Gehirnstrukturen der Betroffenen nicht ändern, aber man kann gemeinsam mit den behandelnden Fachpersonen nach Lösungen suchen, die helfen, Wege aus der Sucht zu finden. Ein wichtiger Schritt ist, die Dinge, die sich beeinflussen lassen, so zu ändern, dass sie nicht mehr zu einer Komorbidität beitragen. Zum Beispiel sollten Menschen, die aufgrund eines Ereignisses traumatisiert sind, psychotherapeutische Hilfe erhalten – damit wird auch das Risiko geringer, dass sie Suchtmittel nutzen, um ihre Ängste, Trauer oder Schmerz zu lindern. Personen mit einer Suchterkrankung nutzen idealerweise Therapieangebote, um ihre Erkrankung zu überwinden – das kann dazu beitragen, das Risiko für psychische Krankheiten zu verringern. Ärztlicher Rat ist in jedem Fall wichtig, ganz gleich, ob es sich um eine Sucht oder um eine andere psychische Erkrankung handelt.

Bei einer komorbiden Störung ist Zusammenarbeit gefragt

Menschen mit einer Sucht und einer anderen psychischen Erkrankung profitieren vor allem von einer kombinierten Behandlung. Dies hat sich als wesentlich erfolgreicher erwiesen, als wenn beide Störungen getrennt voneinander therapiert werden. Es braucht zuerst eine Entzugsbehandlung, damit Betroffene für psychotherapeutische Angebote erreichbar sind. Bei einer integrierten Behandlung werden oft Strategien der kognitiven Verhaltenstherapie angewendet – sie können die Bewältigungsfähigkeiten und die Motivation stärken. Außerdem ist oft eine medikamentöse Behandlung der begleitenden psychischen Erkrankung wie Schizophrenie, Depression oder Angststörung notwendig. Damit Patienten und Patientinnen bestmöglich aufgefangen werden, können Ärzte und Ärztinnen mit unterstützenden sozialen Diensten zusammenarbeiten, die zur Überwindung gravierender sozialer Probleme beitragen, zum Beispiel für Obdachlose und Opfer häuslicher Gewalt. Patienten und Patientinnen können sich in einem ersten Schritt an ihren behandelnden Hausarzt oder ihre Hausärztin wenden – sie vermitteln weitere Hilfen und können eine Überweisung zu einem Psychiater oder einer Psychiaterin oder an eine passende Klinik veranlassen. Selbsthilfegruppen können sowohl Betroffene als auch Angehörige begleiten – ein Ansprechpartner ist hier beispielsweise die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V.

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