Pflegeformen
Sind Pflegeroboter die Zukunft?
Veröffentlicht am:15.12.2022
14 Minuten Lesedauer
Bis 2030 werden allein wegen der alternden Bevölkerung zusätzlich 130.000 Pflegekräfte gebraucht. Pflegeroboter können ein Teil der Lösung sein. Wie Roboter in der Zukunft eingesetzt werden könnten, erklärt Robotik-Experte Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin.
Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin ist Direktor des Munich Institute of Robotics and Machine Intelligence (MIRMI) der Technischen Universität München (TUM). Er ist Deutschlands wichtigster Robotik-Forscher. Im Interview verrät er, ob Roboter uns eines Tages die Zähne putzen, was sie heute schon draufhaben und warum sie Pflegekräfte nie ganz ersetzen können.
Werden wir in Zukunft alle von Robotern gepflegt?
Nein! Meine Vision ist es, dass Roboterassistenten dem Pflegepersonal in 20 Jahren sehr viele Aufgaben abnehmen. Eine Versorgung nur durch Maschinen halte ich dagegen für sehr unwahrscheinlich. Dieses Science-Fiction-Szenario hat sich in vielen Köpfen festgesetzt, wird aber keine Realität.
Warum wird es keine Pflege einzig durch Roboter geben?
Weil Robotik und künstliche Intelligenz die Fachkräfte nicht ersetzen können, nur unterstützen. Ich bin deshalb auch kein Freund des Wortes Pflegeroboter. Es vermittelt den Eindruck, einer Maschine ausgeliefert zu sein. Ich bevorzuge stattdessen Pflegeassistent. Roboterassistenten werden wie eine Art Butler funktionieren: Sie stehen auf Abruf bereit, erkennen aber auch, wenn eine Person beispielsweise ihre Ruhe haben möchte.
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Haben Kinder einen leichteren Zugang zu Robotern?
Kinder sind Robotern gegenüber sehr aufgeschlossen, weil sie an die Helfer spielerisch herangehen. Doch die Akzeptanz ist keine Frage des Alters: Auch ältere Menschen mögen die Roboter in der Regel. Dass sie die Pflegeassistenten ablehnen, erlebe ich wirklich nur selten.
Welche Rolle spielt die Optik der Pflegeroboter dabei?
Sie ist der wichtigste Faktor. Sobald Roboterassistenten zu menschlich sind, lösen sie ein unbehagliches Gefühl aus und werden abgelehnt, zeigt eine Studie.
Wie sieht der ideale Roboterassistent aus?
Nehmen wir als Beispiel den beliebten R2-D2 aus „Star Wars“: Er hat einen Torso, zwei Arme, einen Kopf und fast ein Gesicht. Nur ein zweites Bein fehlt. Ein bisschen menschlicher darf es in der Pflege schon sein – beispielsweise mit Augen. Ein humanoides Abbild wie der Roboter aus dem Film „I, Robot“ mit Will Smith dagegen wird nicht funktionieren. Es ist aber auch nicht mein Ansinnen, so einen menschen-ähnlichen Roboter zu erschaffen.
Wie wird die Pflege der Zukunft aussehen?
Ich stelle mir vor, dass sich der Roboterassistent in einer Einrichtung oder zu Hause zu einer bestimmten Uhrzeit oder auf Zuruf einschaltet und den Pflegebedürftigen beispielsweise aus dem Bett hilft, die Pillendose befüllt und sie bei der Körperhygiene unterstützt. Letzteres ist für Menschen besonders wichtig, um sich ein Gefühl der Autonomie zu bewahren. Daher arbeiten wir viel an Roboterassistenten, die beim Kämmen, Zähneputzen oder Rasieren zur Seite stehen, ohne die Tätigkeiten ganz zu übernehmen. Fachkräfte haben leider dafür oft zu wenig Zeit. Meine Vision für die Pflege: Durch den Einsatz von Pflegeassistenten können sich Fachkräfte wieder mehr den zwischenmenschlichen, verbindenden Tätigkeiten widmen.
„Meine Vision für die Pflege: Durch den Einsatz von Pflegeassistenten können sich Fachkräfte wieder mehr den zwischenmenschlichen, verbindenden Tätigkeiten widmen.“
Dr.-Ing. Sami Haddadin
Direktor des Munich Institute of Robotics and Machine Intelligence (MIRMI) der Technischen Universität München
Ein Roboter könnte also in 50 Jahren den Bart meines Sohnes stutzen?
Wenn er das möchte, ja! Wir entwickeln Robotersysteme, die bei den täglichen Aufgaben helfen, sodass die Menschen möglichst lange zu Hause leben können. Dabei bestimmen die Fähigkeiten des Pflegebedürftigen den Grad der Unterstützung des Roboters. Dieser kann uns nur den Rasierer reichen, sogar die Hand führen oder das Rasieren komplett übernehmen.
Das ist noch Zukunftsmusik. Wie ist denn der Stand der Technik aktuell?
Roboterassistenten sind erst in einigen wenigen Pflegeeinrichtungen im Einsatz und übernehmen derzeit noch eher unkomplizierte Aufgaben. Sie erinnern beispielsweise an die Einnahme von Tabletten, helfen beim Heben sowie in der Bewegungstherapie oder unterstützen an Demenz Erkrankte beim Gehirntraining.
3 überraschende Fakten über Roboter
- Dialekte erkennen: Durch die richtige Programmierung sollen Pflegeassistenten schon bald Dialekte und Menschen, die unter Schmerzen sprechen, verstehen können.
- Haushaltshilfe bei Demenz: Ist der Herd aus? Wann ist der nächste Arzttermin? Bei Demenzkranken soll der Pflegeroboter fehlende Gedächtnisfunktionen ausgleichen.
- Rettung im Ernstfall: Die Roboterassistenzsysteme der Zukunft werden den Notarzt rufen. Dieser kann über den Roboter in Sekundenschnelle erste Notfall-Medikamente geben.
Welche Fähigkeiten und Eigenschaften sollte ein Pflegeroboter haben?
Die Roboterassistenten müssen sich auf die individuellen Bedürfnisse der Menschen einstellen lassen. Aber auch die Feinfühligkeit, also der Tastsinn in den Fingern, hat einen hohen Stellenwert. Schließlich muss der Roboterassistent beim Heben und in der Körpertherapie sanft mit den Menschen umgehen können.
Wird ein Roboter jemals so gut sein können wie eine Pflegefachkraft?
Nein. In puncto Körperkontakt, Zuneigung, Anteilnahme oder Kreativität wird er Menschen nicht das Wasser reichen können. Das ist auch nicht wünschenswert. Die Pflegebedürftigen sind sich heute stets bewusst, dass sie mit Maschinen interagieren. Das wird auch bei den nächsten Generationen so sein.
Sind andere Länder uns beim Thema Robotik in der Pflege voraus?
Wenn es um den Stand der Forschung geht, sind wir mit anderen hoch entwickelten Ländern auf Augenhöhe. Deutschland muss allerdings im Bereich der medizinischen und pflegerischen Versorgung aufholen. Dort steuern wir sonst direkt in eine Pflegekrise. Das ist aber Aufgabe der Politik.
Roboter oder nicht: Wie möchten Sie selbst im Alter gepflegt werden?
Es ist wohl ein typischer Wunsch: Es wäre ideal, mit meiner Frau zu Hause zu leben und mich weitestgehend selbst versorgen zu können. Dabei würde ich mir von Roboterassistenten und Pflegekräften helfen lassen. So haben die Fachkräfte Zeit fürs Zwischenmenschliche. Aktuell fehlt uns die Wertschätzung dieses Dienstes an der Menschheit.