Fitness
Eishockey-Spieler Christian Ehrhoff: „Meine Zähne sind noch alle drin“
Veröffentlicht am:11.03.2022
7 Minuten Lesedauer
Ein Wunder, dass mein Körper dieses Pensum verkraftet hat. Mehr als 1.500 Eishockeyspiele in 20 Jahren ohne schwere Verletzungen. Wie habe ich das geschafft? Was kann jeder für sich tun, um Höchstleistungen beim Sport zu bringen? Ich erzähle es euch.
Mein Durchbruch beim Eishockey
Ich bin bei einem Turnier in Füssen mit der U18-Nationalmannschaft. Es ist viel los, volle Ränge. Ich spiele gut und werde zum besten Verteidiger gewählt. Plötzlich spricht mich ein Talent-Scout an. Er ist von den San Jose Sharks, ausgerechnet von dem Verein in der NHL, bei dem damals der spätere Bundestrainer Marco Sturm spielt. Wie dem auch sei: Ein paar Tage später taucht der Scout mit Verstärkung in Krefeld auf, um mich erneut zu beobachten. Und den Experten aus den USA gefällt offenbar, was ich auf dem Eis zeige. Als im Sommer 2001 der Draft, der Auswahlprozess der US-Teams ansteht, werde ich tatsächlich gezogen. Es ist das ganz große Los. Aber ich bin noch ein Teenager und muss noch viel lernen. Sie schicken mich nach verschiedenen Trainingscamps in Kalifornien zunächst nach Krefeld zurück.
Kein Problem für mich, weil ich nicht nur an Erfahrung gewinne, sondern mit meinem Team vom KEV sogar sensationell die Deutsche Meisterschaft. Dieser Erfolg ist für mich emotional auf dem gleichen Niveau wie der Gewinn der Silbermedaille bei den Olympischen Spielen 2018. Als Deutscher Meister unterschreibe ich meinen Vertrag mit San Jose und bin damit Spieler in der NHL. Das heißt: gut 30 Spiele mehr als in Deutschland, wobei die Saison nur 180 Tage dauert. Danach kommen (hoffentlich) die Playoffs mit bis zu 28 weiteren Spielen.
„2001 habe ich das große Los gezogen: Die NHL hat mich gedraftet.“
Christian Ehrhoff
Eishockey-Spieler
Die Fitness für diesen Marathon erarbeitet man sich im Sommer. Da schwitze ich drei- bis viermal pro Woche beim Krafttraining. Dazu kommen beinahe täglich Intervall- und Treppenläufe. Bevor es am 15. September ins erste Trainingscamp geht, bin ich schon sechs Wochen auf dem Eis. Zur Erholung steht das volle Programm zur Verfügung: Massagen, Sauna, Eisbäder, Magnetfeldtherapie. Natürlich achte ich zudem auf ausreichend Schlaf. Da ich nicht nur in der Saisonvorbereitung äußerst diszipliniert bin, erarbeite ich mir über die Jahre den Ruf eines Musterprofis.
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Natürlich gehe ich nicht nach Amerika, um dort einfach nur irgendwie mitzuspielen. So bin ich nicht. Ich hoffe darauf, eines Tages den wichtigsten Pokal der Eishockey-Welt in Händen zu halten: Den Stanley Cup. Wayne Gretzky ist mein großes Vorbild. Er ist der beste Spieler aller Zeiten und hat ihn viermal gewonnen. Uwe Krupp, ebenfalls eine große Leitfigur für mich, hat den Stanley Cup als erster Deutscher geholt. Das war 1996.
Für mich soll sich 2011 der Traum erfüllen. Mit den Vancouver Canucks kämpfe ich mich erfolgreich durch die Playoffs und so treffen wir im NHL-Finale auf die Boston Bruins. In der Best-of-Seven-Serie liegen wir bereits mit 3:2-Siegen vorne, doch dann verlieren wir Spiel 6 und 7. Die letzte Partie zu Hause sogar mit 0:4. Uns ist die Luft ausgegangen. Ich werde nie vergessen, wie ich aus unserer Kabine gehe und von einigen meiner besten Kumpels, meiner Mutter und meiner Frau erwartet werde. Ich sehe sie da stehen und fange an zu weinen. Ich wollte den Stanley Cup nicht nur für mich und die Canucks gewinnen, ich wollte diesen Triumph so gerne mit allen teilen. In diesem Augenblick habe ich das Gefühl, alle enttäuscht zu haben. Es nagt an mir, auch wenn ich anschließend durch meinen Wechsel zu den Buffalo Sabres ein neues Kapitel meiner Karriere aufschlage. So richtig verarbeitet habe ich diese Niederlage wohl bis heute nicht.
Olympia beweist es: Teamgeist ist das A und O
Noch ein Gefühl, das mich für immer begleiten wird, stammt von den Olympischen Spielen 2018. Mit welchem Willen und mit welcher positiven Einstellung die Mannschaft in Pyeongchang das Turnier spielt, finde ich bis heute unglaublich. Mancher, der im Verein als Leistungsträger überzeugt, muss sich hier mit wenig Eiszeit begnügen. Nehmen wir zum Beispiel Dennis Endrass, unseren dritten Torwart: Obwohl er nicht spielt, kommt er morgens mit einem Lächeln und einem guten Spruch zum Frühstück. Das ist nur möglich, weil Marco Sturm, unser Trainer, jedem eine klare Aufgabe zugedacht hat und alle bereit sind, diese so gut wie möglich zu erfüllen. Das ist der Spirit, durch den ein Team über sich hinauswächst. Unser 4:3-Sieg nach Verlängerung im Viertelfinale gegen Schweden ist dafür ein eindrucksvoller Beweis. Dass wir uns dann im Halbfinale gegen Kanada nochmals steigern – das ist sensationell. Wir führen 4:1 gegen den Titelverteidiger. Absolut verdient und nach tollen Toren. Es ist ein Traum, auch wenn das Spiel für meine Ansprüche am Ende zu knapp ausgeht. Für die Fans ist unser 4:3 extrem spannend – ich aber hätte nichts dagegen gehabt, wenn wir das Ding souveräner über die Bühne geschaukelt hätten.
Wenn ich dann ans Endspiel denke – nun –, wir haben es durch dieses verdammte „Golden Goal“ in der Verlängerung verloren. Wir sind damals ganz nah am Gold und dann gelingt den Russen in der letzten Spielminute noch das 3:3. Es bleibt am Ende ein seltsames Gefühl: Auf die Niedergeschlagenheit folgt der Stolz auf unsere Leistung und die Silbermedaille.
Der Beginn meiner Eishockey-Laufbahn
Die Silbermedaille, die Deutsche Meisterschaft und 13 Jahre in der NHL? Nichts davon lässt sich auch nur erahnen, als ich das erste Mal die Eishalle in Moers betrete. Ich begleite Katrin, meine ältere Schwester, die hier regelmäßig zum Eiskunstlauf-Training geht. Ab sofort rutsche ich dort auch gerne übers Eis und bekomme mit sechs meine ersten Schlittschuhe geschenkt. Irgendwann sehe ich im Fernsehen ein Eishockeyspiel und mir wird in der Sekunde bewusst: Das will ich machen. Bei den Bambinis des Krefelder EV bringt mir Jugendtrainer Peter Kaczmarek bei, was man können muss. Eishockey ist für Kinder übrigens generell eine tolle Teamsportart, die koordinativ anspruchsvoll ist und riesigen Spaß macht. Vor Verletzungen muss keiner Angst haben. Kinder machen noch keine Bodychecks und tragen eine gute Schutzausrüstung.
Ich jedenfalls mache mit meinem großen Ehrgeiz schnell Fortschritte und mit 14 Jahren sagt mir KEV-Manager Rüdiger Noack, dass ich vielleicht das Zeug zum Profi habe. Ich spiele auch recht ordentlich Tennis, aber meine Leidenschaft entfacht sich auf dem Eis. In Klasse 12, also mit 17, fällt dann eine wichtige Entscheidung: Ich darf nach langem Hin und Her schon vor dem Abitur die Schule abbrechen und mich ganz auf den Sport konzentrieren. Morgens trainiere ich in Krefeld, abends in Duisburg und ich bekomme die ersten Einladungen zu den Lehrgängen der Nationalmannschaft. Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt.
Sport wird mich immer begleiten!
Wer damit beginnt, eine Sportart professionell zu betreiben, verlangt spätestens jetzt Höchstleistungen von seinem Körper und seiner Psyche. Da merkst du schnell: Wer viel verlangt, sollte auch viel zurückgeben, ansonsten wird langfristig nichts aus der Traumkarriere. Ich habe mich schon immer gesund und ausgewogen ernährt. Aber man entwickelt sich weiter.
Seit 2016 bin ich Vegetarier und es tut mir sehr gut. Außerdem mache ich regelmäßig Krafttraining und Yoga, auch wenn meine Karriere auf dem Eis schon ein paar Jahre vorbei ist. Allerdings zu Hause, denn als Teilhaber meines Sport- und Gesundheitszentrums komme ich vor Ort zu nichts. Da sind immer andere Aufgaben zu erledigen. Zumal wir uns, seit ich im November 2017 eingestiegen bin, trotz aller coronabedingten Schwierigkeiten super entwickelt haben. Wir hatten damals 25 Mitarbeiter, mittlerweile brauchen wir doppelt so viele. Denn auch wir wollen dazu beitragen, dass unsere Mitglieder bis ins Alter eine hohe Lebensqualität genießen können. Das ist eines unserer Ziele und ganz grundsätzlich eine Erkenntnis, die ich aus dem Profisport mitgenommen habe: Wenn du das nächste Level erreichen willst, darfst du es dir nicht bequem machen. Du musst täglich an dir arbeiten – diesen Prozess habe ich durchlebt und die positive Einstellung dahinter möchte ich gerne weitergeben.
„Wer seinem Körper Höchstleistungen abverlangt, muss auch was zurückgeben.“
Christian Ehrhoff
Eishockey-Spieler
Trotz Eishockey-Karriere: Meine Zähne sind noch alle drin
Aber natürlich hatte ich auch Glück: Ich habe noch alle meine Zähne. Im Grunde habe ich, abgesehen von zwei Gehirnerschütterungen und einer schweren Augenverletzung als 19-Jähriger, nicht viel abgekriegt. Damals geriet ein Schläger unter mein Visier und traf ein Auge. Davon blieb im Sehzentrum eine Narbe, weshalb ich links nicht richtig scharf sehen kann. Das räumliche Sehen funktioniert aber trotzdem gut. Ich fühle mich keineswegs eingeschränkt oder so.
Das Wichtigste kommt zum Schluss: Ich wohne mit meiner Familie in Krefeld und nicht etwa an der Küste Kaliforniens. Auch wenn es dort wunderschön ist. Ich bin in Moers geboren und aufgewachsen – hier ist meine Heimat und die meiner Frau. Hier will ich meinen drei Töchtern ein Zuhause bieten und hier gehöre ich hin.