Achtsamkeit
Einsamkeit und Alleinsein: Was ist der Unterschied?
Veröffentlicht am:04.01.2021
6 Minuten Lesedauer
Über die Zusammenhänge und Unterschiede zwischen den beiden Begriffen spricht Dr. Marcus Mund vom Institut für Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Im Interview erklärt er, wie Einsamkeit entsteht, warum sie krank macht und wie Sie ihr begegnen können.
Inhalte im Überblick
- Wie definieren Sie Einsamkeit?
- Wie entsteht Einsamkeit und wer ist besonders anfällig?
- Steigt Einsamkeit in Zeiten vom Coronavirus?
- Wie gefährlich ist dauerhafte Einsamkeit für unsere Gesundheit?
- Kann ich selbst aus der Einsamkeit herauskommen?
- Wie grenzt sich Alleinsein von Einsamkeit ab?
- „Ich kann nicht allein sein“: Was steckt hinter dieser Aussage?
Wie definieren Sie Einsamkeit?
Einsamkeit ist ein Zustand, der nie selbst gewählt ist. Das Gefühl von Einsamkeit ist stets negativ und wird durch ein emotionales Defizit ausgelöst. Dieses Defizit wirkt sich wie jedes andere Defizit aus, vergleichbar mit Schmerz oder Hunger. In der Fachliteratur wird Einsamkeit daher auch oft als sozialer Schmerz umschrieben.
Betroffene empfinden das eigene Sozialleben als nicht ausreichend. Das betrifft alle Aspekte, die Nähe und Gemeinschaft betreffen. Menschen, die einsam sind, sind oft unzufrieden mit ihren Beziehungen. Sei es, dass diese nicht innig oder nicht emotional genug sind.
Wie entsteht Einsamkeit und wer ist besonders anfällig?
Zunächst ist Einsamkeit keine Krankheit, die Symptome zeigt. Im Grunde kann sich jeder einsam fühlen und vielen ging es auch schon so. Häufig entsteht Einsamkeit nach einer Trennung oder dem Tod einer geliebten Bezugsperson. Aber auch negative Erfahrungen im Alltag können dazu führen, dass man sich zurückgestoßen und isoliert fühlt. Diese Einsamkeit ist aber meist temporär und steht einer ernstzunehmenden andauernden Einsamkeit gegenüber.
Es spielt dabei auch keine Rolle, wie groß zum Beispiel das persönliche Umfeld ausfällt: Wer viele Freunde hat, kann sich trotzdem einsam fühlen. Und im Gegensatz dazu ist nicht jeder einsam, der wenige Freundschaften pflegt. Jemand, der nur wenige soziale Kontakte hat, kann damit komplett zufrieden sein.
Abgesehen vom Freundeskreis zeigen Studien jedoch, dass sich Menschen in Partnerschaften weniger einsam fühlen, als zum Beispiel Menschen, die Singles sind. Eine Partnerschaft bietet demnach einen Schutz vor Einsamkeit. Dennoch kann es auch innerhalb einer Beziehung dazu kommen, wenn der Wunsch nach Nähe und das Bedürfnis nach Austausch nicht erfüllt werden.
Steigt Einsamkeit in Zeiten vom Coronavirus?
Gesellige Menschen leiden jetzt im Lockdown mehr unter den Kontaktbegrenzungen als andere. Das ist aber nicht mit Einsamkeit gleichzusetzen. Andere Personen verspüren während der Corona-Beschränkungen hingegen kaum eine Veränderung, da ohnehin wenige Kontakte gepflegt werden.
Aus der Forschung geht bisher hervor, dass Einsamkeit während des Lockdowns für die meisten Menschen keine größere Rolle spielt als vorher. Fest steht aber, dass Personen, die zu einem Gefühl von Einsamkeit neigen, es jetzt besonders schwer haben. Sie leben tatsächlich sehr gefährlich.
Wie gefährlich ist dauerhafte Einsamkeit für unsere Gesundheit?
Ein andauerndes Gefühl von Einsamkeit, auch in Gesellschaft, ist sehr ernst zu nehmen. Bei Menschen mit einem beständigen Gefühl von Einsamkeit ist die gesundheitliche Auswirkung problematisch, so auch in der Literatur dokumentiert. Die Ursache für eine chronische Einsamkeit, also eine chronische Unzufriedenheit mit sozialen Beziehungen, lässt sich dabei schwer ausmachen.
Dieses Einsamsein ist buchstäblich stressig für den Körper. Das Stressystem im Körper ist bei Menschen, die unter andauernder Einsamkeit leiden, sehr aktiv. Daher können alle Folgen, die auch mit Stress einhergehen, auftreten. Zum Beispiel Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Was man ebenfalls beobachten kann ist, dass sich das Blutbild bei chronischer Einsamkeit verändert. Sogenannte Entzündungsmarker treten viel häufiger auf, als bei Menschen, die nicht oder weniger einsam sind.
„Das Stressystem im Körper ist bei Menschen, die unter andauernder Einsamkeit leiden, sehr aktiv.“
Dr. Marcus Mund
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Psychologie
Zudem pflegen einsame Menschen oft einem ungesünderen Lebensstil: Sie sitzen häufig zu viel, neigen zu Übergewicht und konsumieren mehr Alkohol und Tabak. Einer Studie zufolge ist chronische Einsamkeit in etwa so gesundheitsschädlich wie ein täglicher Tabakkonsum von 15 Zigaretten. Menschen, die einsam sind, sterben zudem früher.
Kann ich selbst aus der Einsamkeit herauskommen?
Das Gefühl von Einsamkeit wird immer als etwas Bedrohliches und Schmerzhaftes wahrgenommen. Menschen, die einsam sind, haben dazu oft Angst, verletzt oder abgewiesen zu werden: Einerseits würden sie gerne den Kontakt zu anderen suchen, um wieder mehr Nähe zu spüren, anderseits möchten sie verhindern, abgewiesen zu werden.
Einsamen Menschen fällt es deshalb schwer, sich zu öffnen oder auf andere zuzugehen. Man weiß inzwischen, dass Einsamkeit einhergeht mit Schüchternheit und einem geringeren Selbstwertgefühl. Allein aus schwerer Einsamkeit herauszufinden, ist daher alles andere als leicht.
Wenn es aber irgendwie geht, dann ist der erste Schritt natürlich, Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen, um aus der Isolation zu herauszukommen. Man kann dazu bewusst Orte auswählen, wo man mit Leuten ins Gespräch kommen kann, oder sich zunächst via Social Media verbinden, da dies oft leichter fällt, als sofort direkt ins Gespräch zu kommen. Wird die Einsamkeit aber wirklich gefährlich und Warnsignale von Depressionen tauchen auf, sollte man sich dringend an einen Arzt wenden und professionelle Hilfe suchen.
Wie grenzt sich Alleinsein von Einsamkeit ab?
Im Gegensatz zur Einsamkeit ist bewusstes Alleinsein ein selbst gewählter Zustand. Allein zu sein wird häufig mit positiven Aspekten verbunden: Man kann sich zurückziehen, die Batterien wieder aufladen. Aber, und das ist der entscheidende Unterschied zur andauernden Einsamkeit:
Ich kann den einen Tag bewusst allein verbringen und den nächsten wieder mit Freunden oder Familie. Anders ist es bei der buchstäblichen Definition von Alleinsein. Sind tatsächlich keinerlei Bezugspersonen vorhanden, spricht man nicht mehr vom Alleinsein, sondern von sozialer Isolation, was ein sehr negativer Zustand ist.
„Ich kann nicht allein sein“: Was steckt hinter dieser Aussage?
Da ist meiner Meinung nach schon etwas dran und ich würde die Aussage nicht einfachabtun. Dahinter steckt einfach ein sehr starkes Bedürfnis nach Nähe und Zweisamkeit. Nach diesem Bedürfnis wird dann das Umfeld ausgesucht: Ziehe ich zum Beispiel mit einem Partner zusammen oder in eine Wohngemeinschaft.
Jeder Mensch unterscheidet sich in seinen Bedürfnissen und so auch in seinem Bedürfnis nach Gesellschaft. Hier sprechen wir von eher introvertierten Menschen, die wenige soziale Kontakte benötigen, um sich wohl zu fühlen. Ihr Bedürfnis nach Nähe fällt geringer aus.