Entspannung
Heilsame Klänge: Musikhören wirkt positiv auf Körper und Geist
Veröffentlicht am:01.06.2021
5 Minuten Lesedauer
Musik baut Stress ab, beruhigt fast so gut wie ein Medikament und hält dazu noch jung. Wie das Musikhören diese Wirkung erzielt, haben Wissenschaftler herausgefunden. Der Experte Prof. Dr. Gunter Kreutz erforscht die gesundheitsfördernden Wirkungen von Musik und lehrt an der Universität Oldenburg.
Ist Musik gesund?
Zuerst ist da ein dunkles Pochen, das wie Herzklopfen klingt. Nach und nach wird es von ruhigen, langgezogenen Akkorden übertönt, ohne dahinter zu verschwinden. Dieser musikalische Puls verlangsamt sich vielmehr unmerklich: von 60 Schlägen pro Minute auf 50. Ebenso verlangsamt sich die Herzrate der meisten Zuhörer, die dem Stück „Weightless“ (auf Deutsch etwa „Schwerelos“) des Trios Marconi Union im Rahmen einer britischen Studie lauschen: Ihr Stresslevel nimmt um bis zu 65 Prozent ab. Blutdruck und Atemfrequenz sinken, Ängste und Sorgen scheinen durch den entspannten Sound wie weggeweht.
Einige Zuhörer schlafen sogar ein über dem acht Minuten langen Stück. „Man sollte es daher besser nicht beim Autofahren hören“, rät der Leiter der Studie, der Hirnforscher und Psychologe Dr. David Lewis-Hodgson. Damit gilt „Weightless“ als der entspannendste Song der Welt. Er kommt immer wieder an die Reihe, wenn Wissenschaftler und Mediziner die heilende Kraft der Musik erforschen wollen. So fanden jüngst Experten der Universität Pennsylvania heraus, dass eben dieses Stück Patienten kurz vor einer Operation auf ähnliche Weise entspannte wie ein Beruhigungsmittel. Die Musik hatte fast dieselbe Wirkung wie das Medikament – aber ganz ohne Nebenwirkungen.
Glück zum Hören
Musikstücke, deren Lautstärke nach und nach ansteigt – wie Edvard Griegs „Peer Gynt“ – machen Studien zufolge glücklich. Hört man sie bewusst über Kopfhörer, sensibilisieren sie zudem die Wahrnehmungsfähigkeit der Ohren.
Jungbrunnen Musikhören
Gemeinsames, aktives Musizieren, ob beim Singen oder mit einem Instrument, macht nicht nur nachweislich glücklich. Es hält auch das Gehirn jung und fördert die Gemeinschaft.
Beim aktiven Musizieren ist einiges los im Kopf: Nicht nur Hör-, Gedächtnis- und Emotionszentren im Gehirn sind aktiv, auch die Areale für Bewegungssteuerung (der Finger, der die Geige greift), die optische Wahrnehmung (das Auge, das die Noten liest) und der Tastsinn (Sensoren auf der Haut, die die Tasten der Trompete fühlen) sind in Bereitschaft. All dies, so legen Untersuchungen der Harvard Medical School nahe, kann sogar dafür sorgen, dass das Gehirn langsamer altert: Mithilfe von Hirnscans schätzten die Forscher das Gehirnalter von Amateurmusikern, die mit Spaß und ohne Stress musizieren, um viereinhalb Jahre jünger ein als deren tatsächliches Alter.
Wie entspannende Musik von Mozart den Herzschlag beruhigt
Ärzte der Ruhr-Universität Bochum machten ähnliche Erfahrungen mit Musik von Wolfgang Amadeus Mozart: Beim Lauschen der Symphonie Nr. 40, g-Moll (KV 550) sank die Herzfrequenz der Probanden um etwa sieben Schläge pro Minute, der systolische Blutdruckwert um etwa fünf, der diastolische um etwa drei Millimeter Quecksilbersäule (mmHg).
Auch die Konzentration des Stresshormons Cortisol sank messbar. Die Mediziner vermuten, dass dieser positive Effekt aufs Herz-Kreislauf-System von den sich laufend wiederholenden, eingängigen Melodien der Mozart-Symphonie herrührt: Sie kommt ohne Veränderungen von Lautstärke oder Rhythmus und ohne Text aus. Der Zuhörer muss sich nicht darauf konzentrieren und kann einfach entspannen.
Mithilfe vieler Studien wie dieser verstehen Mediziner und Psychologen weltweit in den vergangenen Jahren immer besser, wie vielfältig Musik auf Körper und Seele wirken kann. Das ist umso erstaunlicher, handelt es sich bei Musik doch physikalisch gesehen um nicht mehr als Luftschwingungen.
Im Ohr wandeln feinste Haarzellen diese Schwingungen in elektrische Impulse um, die unmittelbar an den Hirnstamm geleitet werden. Genau hier entfaltet Musik ihre besonderen Wirkungsweisen: Denn die Nervenimpulse gelangen auch zum vegetativen Nervensystem, das Herzschlag und Atmung beeinflusst. „Musik wird von Hirnforschern gerne gewählt, um etwas über unser Denkorgan zu lernen, weil sie alle Ebenen anspricht, von den einfachsten Reflexen bis zu komplexen Gedanken über die Schönheit eines Stückes“, erklärt Professor Gunter Kreutz, Musikwissenschaftler an der Universität Oldenburg. In einer Studie fand er unter anderem heraus, dass die positiven Emotionen, die beim Chorsingen entstehen, die Konzentration des Antikörpers Immunglobulin A im Blut ansteigen lassen: Musizieren stärkt somit das Immunsystem.
„Musik spricht alle Ebenen des Gehirns an.“
Prof. Dr. Gunter Kreutz
Musikwissenschaftler, Universität Oldenburg
Wie weckt Musik Erinnerungen und Gefühle?
Das Gehirn verarbeitet Musik ähnlich wie Sprache: „Kinder produzieren allerhand musikalische Klänge mit ihrer Stimme, bevor sie sprechen lernen“, erklärt Professor Kreutz. „Lallen und Brabbeln sind wichtige Elemente der Sprachentwicklung.“ Doch während Sprache Verstehen erfordert, funktioniert Musik ganz ohne Worte, unmittelbar über die Gefühlsebene. Jeder verbindet mit bestimmten Liedern besondere Erinnerungen und damit verknüpfte Gefühle: Etwa das wohlige Festtagsgefühl, das sich bei „O du Fröhliche“ einstellt. Beim Volkslied „Im Frühtau zu Berge“ tauchen wieder Bilder von fröhlichen Wanderungen der Jugendzeit vor dem inneren Auge auf. Und bei Elvis Presleys dahin gehauchtem „Are you lonesome tonight?“ denkt man vielleicht seufzend an die erste Verliebtheit beim Abschlussball – die Liste ist bei jedem Menschen anders.
Musik repräsentiert ein Stück Biografie. Und über sie werden Gefühle und Sinneswahrnehmungen wieder erlebbar. Mit dem faktenbasierten Gedächtnis hat diese Art der Erinnerung jedoch nichts zu tun. Man mag zwar nicht mehr die Namen der Personen wissen, mit denen man in jenem Sommer getanzt hat. An die Lieder erinnert man sich jedoch ganz genau.
Warum Demente sich eher an Musik als an Sprache erinnern
Musik ist allgegenwärtig und lässt sich kaum aus unserem Leben ausblenden. „Wir können unser Gehör weniger von der Umwelt abschotten als etwa den Sehsinn“, sagt Gunter Kreutz. „Wir orientieren uns an Klängen, weil wir darauf geprägt sind, auf alles zu achten und das, was wir hören, direkt zu bewerten.“ So löst Musik reflexartig emotionale Reaktionen aus. Wie zum Beispiel jene der 120 Säuglinge und Kleinkinder, die im Rahmen einer finnisch-schweizerischen Studie im Rhythmus von Mozarts „Kleiner Nachtmusik“ mitstrampelten.
„Die Erfahrung, dass Klänge wirken können, ohne uns etwas Bestimmtes mitzuteilen, begleitet uns über die ganze Lebensspanne“, bestätigt Professor Kreutz. Dieser Zauber der Töne und Harmonien bleibt auch dann erhalten, wenn wir viele andere Fähigkeiten bereits verloren haben: „Dementen Menschen ist es oft noch möglich, sich an Lieder zu erinnern, wenn sie kaum noch auf Sprache zugreifen können“, so Kreutz.
„Es ist möglich, sich an Lieder zu erinnern, wenn kaum eine Wortsprache mehr vorhanden ist.“
Prof. Dr. Gunter Kreutz
Musikwissenschaftler, Universität Oldenburg
Musik und Musizieren verbindet
Der Musikwissenschaftler, der sich besonders mit der Wirkung des gemeinschaftlichen Singens beschäftigt, betont, wie bedeutsam Musizieren für die menschliche Entwicklung ist. Musik schaffe Empathie und Kooperationsbereitschaft. Die Sorge, man sei unmusikalisch, entkräftet er: Musikalität habe nichts mit individueller Begabung oder Veranlagung zu tun. „Wir verfügen alle über mehr als genug Musikalität, um in einem Chor mitzusingen oder Tanzen zu gehen. Selbst ein Musikinstrument zu erlernen, ist überhaupt keine Frage des Alters, sondern der Motivation.“
Die genannten wissenschaftlichen Erkenntnisse machen klar:
Die heilsame Kraft der Musik ist immens vielfältig.
Professor Gunter Kreutz gibt aber zu bedenken: „Wir können nicht erwarten, dass Musik Krankheiten heilt.“ Sie lässt keine Viren oder Tumoren verschwinden und heilt auch keine Knochenbrüche. „Aber wir können sicher sein, dass sie die Lebensqualität vieler Menschen wesentlich mitbestimmt.“