Gesund im Job
Hilfe für Workaholics
Veröffentlicht am:19.01.2023
7 Minuten Lesedauer
Workaholics können die Arbeit nur schlecht ruhen lassen – ihre Gedanken kreisen fast ausschließlich um ihre Aufgaben. Genau das kann negative Folgen haben, zum Beispiel für die Partnerschaft.
Dr. Stefan Poppelreuter ist Leiter des Bereichs Analysen & Befragungen HR Consulting der TÜV Rheinland Akademie GmbH. Im Interview erklärt er, wie sich Workaholics aus ihrer Abhängigkeit befreien können.
Was ist ein Workaholic und wann ist man arbeitssüchtig?
Ein Workaholic ist eine Person, die sich nur schlecht von der Arbeit lösen kann. Das meint allerdings nicht nur die berufliche Tätigkeit. Auch die Arbeit, die im Haushalt oder im Ehrenamt anfällt, können Betroffene exzessiv ausüben. Um den Begriff „Workaholic“ näher zu erforschen, ist zunächst die quantitative Frage entscheidend. Das bedeutet: Wie viel Zeit meines Lebens widme ich meiner Arbeit? Eine feste Stundenanzahl, bis zu der alles in Ordnung ist oder ab der es gefährlich wird, existiert aber nicht. Allerdings gibt das Arbeitsschutzgesetz eine grobe Orientierung – hier ist eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von maximal 48 Stunden vorgesehen. Ein weiterer aussagekräftiger Aspekt ist die qualitative Frage. Die Psychologie rückt beim Workaholic hier folgende Frage in den Mittelpunkt: Welche Bedeutung nimmt die berufliche Tätigkeit ein? Personen, die ihrer Arbeit eine sehr hohe Bedeutung beimessen, regelrecht auf sie fixiert sind und das Leben um ihre beruflichen Aufgaben herum gestalten, können arbeitssüchtig sein. Auffällig ist außerdem, dass Workaholics oft nur wenig Interessen außerhalb ihres Berufslebens haben – Hobbys spielen entweder keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Arbeitssüchtige befassen sich sehr viel mit Themen rund um ihre Arbeit. Das gilt auch für Zeiten, die eigentlich zur Entspannung und Erholung dienen sollen. Workaholics beschäftigen sich selbst in unpassenden Situationen mit beruflichen Tätigkeiten, zum Beispiel im Urlaub, während einer Verabredung mit Freunden oder wenn sie krank sind.
Warum wird man zum Workaholic?
Workaholics berichten oft über eine sehr leistungsorientierte Erziehung im Elternhaus. Bei ihnen gab es Zuwendung und Liebe vor allem im Tausch gegen Leistung. Workaholics geben beispielsweise an, dass sie viel Aufmerksamkeit erfuhren, wenn sie sportliche oder schulische Herausforderungen meisterten. Dann erhielten sie auffällig viel Lob oder eine materielle Belohnung wie ein Spielzeug oder Geld. Betroffene haben damit gelernt: Ich bin das, was ich leiste. Die Workaholic-Ursachen liegen aber nicht immer in der Kindheit. Es gibt auch Menschen, die exzessiv arbeiten, weil sie Ängste und Sorgen haben. Gerade jetzt, in Zeiten von Krieg und Inflation, verspüren viele Angst um ihren Arbeitsplatz und machen sich Sorgen um ihre finanzielle Situation. Einige Menschen engagieren sich dann über alle Maßen, um sich im Unternehmen unverzichtbar zu machen. Außerdem vermittelt der gewohnte Arbeitsplatz Stabilität und Sicherheit. Berufstätige wissen hier, was von ihnen erwartet wird und mit wem sie auf welche Art kommunizieren können.
Wie erkennt man einen Workaholic, gibt es konkrete Symptome?
Noch gibt es keine klinische Diagnose für Menschen, die arbeitssüchtig sind. Psychologen und Psychologinnen können sich aber ein Stück weit an Abhängigkeitserkrankungen wie der Spielsucht orientieren, für die es bereits Diagnosekriterien gibt. Diese Abhängigkeitserkrankungen geben eine Idee davon, was einen Workaholic kennzeichnen könnte. Zu den Workaholic-Symptomen gehört – wie bei anderen Süchten auch – ein Toleranzerwerb. Das heißt, Betroffene arbeiten mit der Zeit immer mehr und beschäftigen sich auch mit Tätigkeiten, die eigentlich gar nicht zu ihrem Arbeitsbereich gehören. Psychologen und Psychologinnen beobachten bei der Arbeitssucht außerdem Entzugserscheinungen. So können Menschen, die in der Regel häufig und intensiv arbeiten, psychosomatische Reaktionen zeigen, wenn sie ihren beruflichen Tätigkeiten nicht nachgehen. Übelkeit, Schweißausbrüche, Nervosität, aber auch Aggressivität und Ungeduld können dann auftreten. Die Arbeitssucht beeinträchtigt bei vielen Betroffenen auch das soziale Leben. Workaholics gelingt es oft nicht, soziale Beziehungen – selbst zu nahen Angehörigen wie den eigenen Kindern – aufrechtzuerhalten. Außerdem kann es zu starken Konflikten in der Partnerschaft kommen, zum Beispiel, weil Betroffene in der wenigen Freizeit gedanklich nicht anwesend sind. Gespräche rauschen dann an ihnen vorbei, weil ihre Gedanken wiederholt um die Arbeit kreisen.
„Betroffenen gelingt es häufig nicht, soziale Beziehungen – selbst zu nahen Angehörigen wie den eigenen Kindern – aufrechtzuerhalten.“
Dr. Poppelreuter
Leiter Analysen & Befragungen HR Consulting TÜV Rheinland Akademie GmbH
Welche Folgen kann eine Arbeitssucht haben?
Menschen, die sich dauerhaft einer großen Arbeitsbelastung aussetzen, müssen mit gesundheitlichen Folgen rechnen. Betroffene können Magen-Darm-Beschwerden oder schwerwiegende kardiovaskuläre Erkrankungen bis hin zu einem Herzinfarkt bekommen. Außerdem entwickeln Personen, die den ganzen Tag vor dem Computer verbringen, oft Muskelerkrankungen und Verspannungen. Zu den körperlichen Arbeitssucht-Symptomen können sich auch psychische Beschwerden gesellen. Die permanente Belastung kann Depressionen oder ein Burnout-Syndrom hervorrufen. Manchmal greifen Workaholics auch zu Aufputschmitteln, um ihre Arbeitsleistung aufrechtzuerhalten oder auszubauen. Betroffene nehmen zudem nicht selten irrtümlich an, mit Alkohol einen stressigen Alltag kompensieren zu können. Aufputschmittel und Alkohol belasten den Körper zusätzlich und können weitere Süchte begünstigen. Auch wenn viele Workaholics bestreiten, dass sie unter ihrer exzessiven Tätigkeit leiden, handelt es sich dabei also um ein schädigendes Verhalten. Wann und in welcher Form exzessives Arbeiten solche Konsequenzen nach sich zieht, ist sehr individuell. Schließlich bestimmen die Gene und unsere Verarbeitungsstrategien darüber, wie gut wir mit einer hohen Belastung umgehen können.
„Auch wenn viele Workaholics bestreiten, dass sie unter ihrer exzessiven Tätigkeit leiden, handelt es sich dabei um ein schädigendes Verhalten.“
Dr. Poppelreuter
Leiter Analysen & Befragungen HR Consulting TÜV Rheinland Akademie GmbH
Inwiefern kann die Arbeitssucht die Partnerschaft belasten?
Workaholics sind durch ihren straffen Arbeitsalltag häufig nicht anwesend. Sind sie es doch, schweifen ihre Gedanken oft ab. Betroffene sind dadurch womöglich nicht in der Lage, dem Partner oder der Partnerin genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Auch wenn Paare einen Urlaub gemeinsam verbringen, klinken sich Arbeitssüchtige oft aus, um am Laptop zu arbeiten oder ein Telefonat zu führen. Die Kombination Arbeitssucht und Partnerschaft ist oft eine sehr schwierige. Auch deshalb, weil Workaholics die Menschen in ihrer Umgebung mit ihrem Verhalten unbewusst kränken. Schließlich vermitteln sie ihnen die Botschaft, dass die Arbeit stets Vorrang vor ihnen hat. Tiefgehende Beziehungen mit einem guten Austausch und wertvollen Erfahrungen sind meist nicht möglich. Das belastet die Partnerschaft, das Familienleben aber auch Freundschaften. Manchmal führt die Arbeitssucht so weit, dass Ehen auseinandergehen und Freunde sich distanzieren.
Kann man einer Arbeitssucht vorbeugen?
Wir alle können in einem gewissen Maße einer Arbeitssucht vorbeugen. Dabei kommt es vor allem auf die Ausgangssituation an. Angestellte lernen am besten, „Nein“ zu sagen: Nein, zu häufigen Überstunden und Nein zu einer Erreichbarkeit, die rund um die Uhr gegeben sein muss. Das klappt beispielsweise mit einem Diensthandy, das Angestellte nach Feierabend ausstellen – auch das E-Mail-Postfach checken sie bestenfalls nicht in ihrer Freizeit. Allerdings tragen auch Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen eine große Verantwortung. Sie können einen Beitrag zum betrieblichen Gesundheitsmanagement leisten, indem sie darauf achten, dass die Angestellten die zulässige Arbeitszeit pro Woche nicht überschreiten. Etwas schwieriger gestaltet sich die Vorbeugung bei Selbstständigen, die übrigens zur Risikogruppe gehören, wenn es um Arbeitssucht geht. Damit sie nicht zum Workaholic werden, schaffen sie sich am besten Rahmenbedingungen für ein gesundes Arbeiten. Dabei helfen möglichst feste Arbeitszeiten, die sich an den gesetzlichen Vorgaben orientieren können – also nicht mehr als 48 Stunden pro Woche. Viele Selbstständige arbeiten deshalb so viel, weil sie Sorge vor schlechten Zeiten haben, in denen sie weniger einnehmen. Legen sich Betroffene Geld für umsatzschwache Monate zurück, gewinnen sie ein Stück Sicherheit und können auch einmal einen Auftrag ablehnen.
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Was können Betroffene tun, wenn sie erkennen, dass sie arbeitssüchtig sind?
Stellen sie selbst fest, dass sie zu viel arbeiten oder bekommen sie Ansagen aus ihrem sozialen Umfeld wie: „Du bist gar nicht mehr für mich da“, ist es Zeit zu handeln. Workaholics können dann zunächst versuchen, ihre Arbeitszeit zu begrenzen oder die digitalen Endgeräte wie das Smartphone in der Freizeit auszustellen. Dieser Selbstheilungsversuch gelingt aber nicht immer. In dem Fall können Arbeitssüchtige Kontakt mit einer Selbsthilfegruppe für Workaholics aufnehmen. Dort unterstützen sich Betroffene gegenseitig und geben sich Tipps, um mehr Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit zu erreichen. Workaholics können sich außerdem an den Hausarzt oder die Hausärztin wenden. Die Mediziner und Medizinerinnen untersuchen, ob die Belastung bereits körperliche Spuren wie Bluthochdruck hinterlassen hat – bei psychischen Beschwerden können sie eine Überweisung an einen Psychotherapeuten oder eine Psychotherapeutin ausstellen.
Unterstützung finden
AOK-Programm „Lebe Balance“
Mit dem Achtsamkeitstraining „Lebe Balance“ bringt die AOK Ruhe und Ausgeglichenheit in das Leben.
Können Angehörige Workaholics unterstützen?
Damit Betroffene ihr Verhalten ändern, muss ein Leidensdruck bestehen. Dabei muss es sich aber nicht unbedingt um den eigenen handeln. Leidet der Partner oder die Partnerin unter der Situation, kann auch das zu einer Verhaltensänderung oder zur Inanspruchnahme von Hilfsangeboten beitragen. Angehörige können Betroffene auf zwei Kanälen wirksam erreichen. Der eine Kanal ist Ausdruck von Sorge: „Du bist mir wichtig und ich habe die Befürchtung, dass dir die viele Arbeit schadet. Ich wünsche mir, dass du zukünftig weniger arbeitest!“ Der andere Kanal vermittelt Konsequenz und erzeugt Druck. Einen Druck, den viele Betroffene oft benötigen, um etwas zu verändern. Der Partner oder die Partnerin könnte beispielsweise folgende Worte an den Workaholic richten: „Wenn du weiterhin im Urlaub arbeitest, können wir nicht mehr gemeinsam verreisen.“ Eine Trennung wäre dann die letzte Konsequenz, davor können Angehörige jedoch noch viele weitere Schritte gehen und Unterstützungsangebote machen. Zum Beispiel können sie mit Betroffenen klare Regelungen treffen: „Wenn du von der Arbeit nach Hause kommst, stellst du das Arbeitshandy aus.“ Gemeinsame Entspannungstage können besonders motivierend sein – am besten planen Paare sie gemeinsam und für einen festen Tag in der Woche ein.