Motivation
Warum man nie zu alt fürs Internet ist
Veröffentlicht am:22.07.2022
4 Minuten Lesedauer
Bessere Vernetzung, mehr Teilhabe, mehr Unterstützung – Medien-Experte Michael Doh sieht in den digitalen Medien viele Chancen für ältere Menschen. Was braucht es, um sich gut in der Online-Welt zu bewegen, und wie können die ersten Schritte gelingen?
Michael Doh ist Gerontologe und Erziehungswissenschaftler. Er ist Professor für Digitale Transformation im Sozial- und Gesundheitswesen an der Katholischen Hochschule Freiburg und erforscht den Umgang mit Medien im Alter.
Wie digital sind ältere Menschen in Deutschland unterwegs?
Das Internet wird von vielen Älteren genutzt. 81 Prozent der Menschen ab 60 Jahren sind online. Bei den über 85-Jährigen ist es noch jeder Dritte. Allerdings gibt es große Unterschiede in der Art und Häufigkeit der digitalen Nutzung in der Gruppe der Älteren: Die einen verwenden mehrmals täglich ihr Smartphone, die anderen nur einmal in der Woche. Das fand die SIM-Studie des Medien- pädagogischen Forschungsverbunds Südwest heraus, die erstmals Daten zur Mediennutzung von Senioren erhoben hat.
Woher kommen die Unterschiede bei der Mediennutzung?
Aus der Forschung wissen wir, wer digital affin ist: Das sind Menschen zwischen 60 und 69 Jahren. Männer und Personen mit höherem Bildungshintergrund sind digitaler. Die älteren, allein lebenden Frauen sind meist die, die nicht digital aktiv sind. Das hat mehrere Gründe. Wenn jemand beruflich mit dem Computer zu tun hatte, nutzt er mit größerer Wahrscheinlichkeit auch das mobile Internet. Die Geschlechterunterschiede liegen mitunter alten Rollenbildern zugrunde, die noch aus Zeiten stammen, zu denen Technik „nichts für Mädchen“ war. So sind viele Frauen aus älteren Generationen groß geworden.
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Wie gelingt es, im Alter digital zu werden, wenn man wenige Erfahrungen hat?
Viele Ältere meinen, dass es sich nicht lohnt, den Schritt ins Internet zu wagen. Aber es gibt kaum einen Menschen, für den die digitale Welt kein Zugewinn sein kann. Das Internet hat für fast alle einen Mehrwert. Das Gehirn ist zudem immer lernfähig.
Worauf kommt es beim Lernen im Alter an?
Ältere Menschen wollen nutzenorientiert lernen. Der Schlüssel ist die Selbstwirksamkeit. Man lernt am besten, indem man etwas selbst ausprobiert und übt – und zwar genau die Kompetenzen und Fertigkeiten, die man auch benötigt. Niemand muss alle Grundlagen des Internets verstehen. Es geht darum, sich seine eigene, kleine digitale Welt zu schaffen, die zum Alltag passt.
„Man lernt am besten, indem man selbst ausprobiert und übt – und zwar genau die Kompetenzen und Fertigkeiten, die man auch benötigt.“
Prof. Michael Doh
Gerontologe und Erziehungswissenschaftler
Wie lassen sich digitale Kompetenzen am besten trainieren?
Es geht viel um Vertrauen und Selbstsicherheit. Das Konzept der Peer-to-peer-Begleitung hat sich besonders bewährt. Dabei begleiten und beraten Gleichaltrige in informellen Lernsituationen, etwa zu Hause oder in einem Seniorenzentrum bei Kaffee und Kuchen. Die digitalen Begleiter gehen individuell auf Interessen und Bedürfnisse ein. So lernen die Frauen und Männer schnell und entwickeln Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten.
Lernbegleiter
„Wenn es um das Lernen und Üben geht, sind gleichaltrige Freunde oder ehrenamtliche Technikbegleiter oft die bessere Hilfe. Sie kommen aus einer ähnlichen Technikgeneration und können Unsicherheiten verstehen.“
Welche Hürden tun sich auf und wie überwindet man sie?
Die Bedienerfreundlichkeit ist leider häufig nicht gegeben. Viele haben Probleme mit dem Tippen. Auch die fremden Begriffe sorgen für Verunsicherung. Oft braucht es Vorwissen, um die digitalen Geräte zu bedienen. Wenn die Feinmotorik schwerfällt, kann es sinnvoller sein, ein Tablet oder ein Gerät mit großen Tasten anzuschaffen statt eines Smartphones.
Weniger Bankfilialen vor Ort, Online-Termine bei Ämtern: Was bedeutet die digitale Entwicklung für die Teilhabe Älterer?
Das ist Diskriminierung, wenn bestimmte Gruppen durch digitale Maßnahmen ausgeschlossen werden. Häufig mangelt es aber schon an der technischen Infrastruktur: Pflegeheime sind meist nicht digitalisiert, und im öffentlichen Raum fehlt oft der Zugang zum Internet. Das alles ist aber eine Voraussetzung, damit niemand außen vor bleibt. Und: Wir brauchen flächendeckend Beratungs- und Begleitsysteme, wo man gesellig zusammenkommen und sich über Fragen zu digitalen Themen austauschen kann.
Die digitale Teilhabe älterer Menschen stärken
Wenn eine digital-unerfahrene Seniorin Sie fragt, was ihr die Digitalisierung bringt, was antworten Sie?
Ich würde sie fragen, welche Interessen und Hobbys sie hat. Man muss herausfinden, in welchen Punkten die Digitalisierung sinnvolle Anknüpfungspunkte zum Lebensalltag bieten oder hilfreich sein könnte. Vielleicht ist es die Möglichkeit, sich die Einka ̈ufe nach Hause liefern zu lassen. Oder mehr Kontakt mit dem Enkelkind zu haben und Fotos schicken zu können. Sich über Nachrichtendienste auszutauschen, ist eine Möglichkeit geworden, Kontakte zu halten. Ich würde ihr genau das beibringen, was sie interessiert und was sie nutzen möchte.
„Ältere Menschen haben einen Riesenvorteil, wenn sie sich im digitalen Bereich bewegen und seriöse Gesundheitsinformationen nutzen können.“
Prof. Michael Doh
Gerontologe und Erziehungswissenschaftler
Gibt es Bereiche, in denen man im Alter von der Digitalisierung besonders profitiert?
Ältere Menschen haben einen Riesenvorteil, wenn sie sich im digitalen Bereich bewegen und seriöse Gesundheitsinformationen nutzen können. Durch eine Videosprechstunde kann man sich eine zweite ärztliche Meinung einholen. Die Vernetzung mit Ärzten, Apotheken und Gesundheitsanbietern kann die Versorgungsqualität verbessern. Digitale Plattformen und Netzwerke schaffen eine Basis für Helferstrukturen.