Interview Versorgung

Smart Hospital: Durch Lernerfahrungen vorwärtskommen

27.10.2023 Tina Stähler 5 Min. Lesedauer

Digitalisierung und Künstliche Intelligenz erleichtern Arbeitsabläufe im Krankenhaus. Welche Veränderungsprozesse die Universitätsmedizin Essen angestoßen hat, um ein „Smart Hospital“ zu werden, erläutert der Vorstandsvorsitzende und Ärztliche Direktor der Universitätsmedizin, Jochen A. Werner, im Interview.

Foto: Interface eines Computers mit digitalen Symbolen

Herr Professor Werner, was genau bedeutet Smart Hospital?

Prof. Dr. Jochen A. Werner: Mit Smart Hospital ist gemeint, dass wir den Mensch konsequent in den Mittelpunkt unseres Denkens und Handelns stellen. In einem Smart Hospital sind alle Abläufe eines Krankenhauses vernetzt und digitalisiert – vom Laborbefund über die Radiologie, medikamentöse Einstellung bis zur Pflegedokumentation. Das entlastet das Personal von administrativen Tätigkeiten und ermöglicht wieder mehr Zeit mit Patientinnen und Patienten. Diagnostische und therapeutische Entscheidungen können schneller getroffen und Fehler reduziert werden. Unser Ziel ist, die Medizin wieder empathischer zu machen und gleichzeitig die gesundheitliche Versorgung auf ein bestmögliches Niveau zu heben. Ganz wichtig: Smart Hospital ist ein umfassender Change-Prozess, bei dem Kommunikation nach innen und außen eine Schlüsseldisziplin ist.

Porträtfoto von Prof. Dr. Jochen Werner
Prof. Dr. Jochen A. Werner ist Vorstandsvorsitzender und Ärztlicher Direktor der Universitätsmedizin Essen.

Welche Lehren haben Sie aus diesem Transformationsprozess Ihres Hauses für die Entwicklung einer Nachhaltigkeitsstrategie gezogen?

Werner: Die Digitalisierung schafft in mehrfacher Hinsicht die notwendigen Voraussetzungen für die Weiterentwicklung zum Green Hospital. Zum einen erfordert die Digitalisierung eines Krankenhauses einen umfassenden Transformationsprozess. In der Universitätsmedizin Essen kommt uns diese Erfahrung und dieser „Spirit“ bei der Implementierung unserer Nachhaltigkeitsstrategie zugute. Zum anderen liefert Digitalisierung wesentliche Daten und Informationen, aus denen wir zielgerichtet Nachhaltigkeitsmaßnahmen ableiten und deren Erfolge messen können. Wichtig ist vor allen Dingen, anzufangen. Es wird zu Beginn nie zu 100 Prozent passen, aber nur durch Lernerfahrungen können wir vorwärtskommen.

Wie hilft Digitalisierung dabei, Nachhaltigkeitspotenziale im Krankenhaus zu heben?

Werner: In vielfältigen Punkten. Die Digitalisierung kann beispielsweise maßgeblich dabei helfen, Krankenhausaufenthalte zu verkürzen. Dadurch können Ressourcen wie der Wasserbedarf oder auch der entstandene Abfall pro Patient verringert werden. Das sind alles Faktoren, die darauf einzahlen, den Gesamtenergieverbrauch eines Krankenhauses zu senken. Es geht aber noch weiter: Liegen Patientendaten vor Aufenthalt digital vor, können diagnostische und therapeutische Behandlungsprozesse effizienter gestaltet werden. Vor- und nachstationäre Behandlungen können durch telemedizinische Prozesse, wie Videosprechstunden, die Anfahrt zum Krankenhaus ersparen. Verkehr und Parkraum werden entlastet, ein wichtiges Umweltthema, gerade in dicht besiedelten Gebieten wie dem Ruhrgebiet.

Welche Digitalisierungsprozesse helfen im Hinblick auf Nachhaltigkeit bereits jetzt im Arbeitsalltag?

Werner: 2018 haben wir konzernweit die elektronische Patientenakte (ePA) eingeführt. Unser Papierverbrauch inklusive Verbrauchsmaterial für Drucker hat sich enorm verringert. Die elektronische Verfügbarkeit der Daten ermöglicht effizientere und weniger fehlerbehaftete Prozesse. Befunde sind häufig noch am selben Tag für alle Bereiche des Krankenhauses sowie auch für Nachversorger und die Medikamentenbestellung in unserer zentralen Apotheke abrufbar. Die Künstliche Intelligenz (KI) ist ein weiterer großer Fortschritt in Richtung Nachhaltigkeit. Unsere Transfusionsmedizin hat zum Beispiel zusammen mit dem Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin ein KI-basiertes System entwickelt, um den Bedarf an Blutkonserven vorherzusagen. Der Bedarf hängt von geplanten operativen Eingriffen sowie von Notfallaufnahmen wie Unfällen ab. Aus unterschiedlichen in unseren Systemen vorliegenden Daten berechnet die KI eine Vorhersage zum Bedarf an Blutkonserven, so dass Beschaffungs- und Vorhalteaufwendungen sowie eine mögliche Entsorgung überzähliger Konserven reduziert werden können. Wir sehen jeden Tag, dass Digitalisierung, Menschlichkeit und Ressourcenschonung Hand in Hand gehen.

„Unser Ziel ist, die Medizin wieder empathischer zu machen und gleichzeitig die gesundheitliche Versorgung auf ein bestmögliches Niveau zu heben.“

Prof. Dr. Jochen A. Werner

Vorstandsvorsitzender und Ärztlicher Direktor der Universitätsmedizin Essen

Stichwort Mehrfachnutzung: Ist das überhaupt ein Thema für ein Krankenhaus?

Werner: Ja, es ist ein großes Thema, das aber auch – häufig vom Gesetzgeber vorgegebene – Grenzen kennt: Einige Medizinprodukte, beispielsweise Katheter, Handschuhe, Abdecksets, werden steril vom Hersteller geliefert. Diese bestehen aus Materialien, die für eine Wiederaufbereitung insbesondere in einer Zentralen Sterilgutversorgungsabteilung, ungeeignet beziehungsweise nicht freigegeben sind. Wir versuchen dennoch, wo immer möglich, das Abfallaufkommen zu reduzieren.

Welche konkreten Produkte kommen infrage?

Werner: Chirurgische Instrumente und flexible Endoskope sind speziell von den Herstellern für eine Mehrfachnutzung entwickelt. Aufgrund der Häufigkeit ihrer Nutzung bietet sich das an. Einwegmaterial in Stations- oder Funktionsbereichen ist dann wiederum sinnvoll, wenn Instrumente selten oder nur für Tätigkeiten mit kurzer Dauer, zum Beispiel Fäden entfernen, genutzt werden.

Wie viel Geld beziehungsweise Müll ließe sich mit Mehrfachnutzung einsparen?

Werner: Dies lässt sich pauschal schwer in einer Zahl beantworten. Aber natürlich spart die Verminderung von Ressourcen am Ende des Tages auch Geld.

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