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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
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EuGH 22.06.2023 - C-6/2 P1, C-16/21 P
EuGH 22.06.2023 - C-6/2 P1, C-16/21 P - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer) - 22. Juni 2023 ( *1) - „Rechtsmittel – Öffentliche Gesundheit – Humanarzneimittel – Verordnung (EG) Nr. 726/2004 – Versagung der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Humanarzneimittels Aplidin – Plitidepsin – Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) – Unparteilichkeit der Sachverständigen einer wissenschaftlichen Beratergruppe (WBG) – Politik der Europäischen Arzneimittel-Agentur in Bezug auf die Behandlung konkurrierender Interessen von Mitgliedern der wissenschaftlichen Ausschüsse und Sachverständigen – Begriff ‚pharmazeutisches Unternehmen‘ – Umfang des Ausschlusses von ‚Forschungsinstituten‘ – Begriff ‚konkurrierende Erzeugnisse‘“
Leitsatz
In den verbundenen Rechtssachen C-6/21 P und C-16/21 P
betreffend zwei Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 7. Januar 2021,
Bundesrepublik Deutschland, zunächst vertreten durch J. Möller und S. Heimerl, dann durch J. Möller und P.-L. Krüger als Bevollmächtigte (C-6/21 P),
Rechtsmittelführerin,
unterstützt durch
Königreich der Niederlande, vertreten durch M. K. Bulterman, J. Langer und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,
Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), vertreten durch S. Drosos, H. Kerr und S. Marino als Bevollmächtigte,
Streithelfer im Rechtsmittelverfahren,
andere Parteien des Verfahrens:
Pharma Mar SA mit Sitz in Colmenar Viejo (Spanien), vertreten durch M. Merola und V. Salvatore, Avvocati,
Klägerin im ersten Rechtszug,
Europäische Kommission, vertreten durch L. Haasbeek und A. Sipos als Bevollmächtigte,
Beklagte im ersten Rechtszug,
und
Republik Estland, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte (C-16/21 P),
Rechtsmittelführerin,
unterstützt durch
Bundesrepublik Deutschland, zunächst vertreten durch J. Möller und S. Heimerl, dann durch J. Möller und D. Klebs und schließlich durch J. Möller und P.-L. Krüger als Bevollmächtigte,
Königreich der Niederlande, vertreten durch M. K. Bulterman, J. Langer und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,
Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA), vertreten durch S. Drosos, H. Kerr und S. Marino als Bevollmächtigte,
Streithelfer im Rechtsmittelverfahren,
andere Parteien des Verfahrens:
Pharma Mar SA mit Sitz in Colmenar Viejo, vertreten durch M. Merola und V. Salvatore, Avvocati,
Klägerin im ersten Rechtszug,
Europäische Kommission, vertreten durch L. Haasbeek und A. Sipos als Bevollmächtigte,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin K. Jürimäe sowie der Richter M. Safjan, N. Piçarra, N. Jääskinen und M. Gavalec (Berichterstatter),
Generalanwalt: J. Richard de la Tour,
Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Oktober 2022,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Januar 2023
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Mit ihren Rechtsmitteln begehren die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Estland die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 28. Oktober 2020, Pharma Mar/Kommission (T-594/18, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2020:512), mit dem das Gericht den Durchführungsbeschluss C(2018) 4831 final der Kommission vom 17. Juli 2018, keine Genehmigung für das Inverkehrbringen (im Folgenden: GFI) des Humanarzneimittels Aplidin – Plitidepsin gemäß der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. 2004, L 136, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1027/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 (ABl. 2012, L 316, S. 38) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 726/2004) zu erteilen, für nichtig erklärt hat.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung Nr. 726/2004
In den Erwägungsgründen 7, 8 und 19 der Verordnung Nr. 726/2004 heißt es:
Die Erfahrung, die seit dem Erlass der Richtlinie 87/22/EWG des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Angleichung der einzelstaatlichen Maßnahmen betreffend das Inverkehrbringen technologisch hochwertiger Arzneimittel, insbesondere aus der Biotechnologie [(ABl. 1987, L 15, S. 38)], gewonnen wurde, hat gezeigt, dass ein zwingendes zentralisiertes Verfahren für die Genehmigung von technologisch hochwertigen Arzneimitteln, insbesondere aus der Biotechnologie, eingerichtet werden muss, damit das hohe Niveau der wissenschaftlichen Beurteilung dieser Arzneimittel in der Europäischen Union aufrechterhalten wird und das Vertrauen der Patienten und der medizinischen Fachkräfte in diese Beurteilung erhalten bleibt. … Dieses Vorgehen sollte insbesondere zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes im Arzneimittelsektor beibehalten werden.
Zur Harmonisierung des Binnenmarktes für neue Arzneimittel sollte dieses Verfahren auch für Arzneimittel für seltene Leiden … vorgeschrieben werden …
…
Die Hauptaufgabe der [Europäischen Arzneimittel-Agentur, im Folgenden: Agentur bzw. EMA] sollte darin bestehen, den Gemeinschaftsorganen und den Mitgliedstaaten wissenschaftliche Gutachten auf möglichst hohem Niveau bereitzustellen, damit diese die Befugnisse hinsichtlich der Genehmigung und Überwachung von Arzneimitteln ausüben können, die ihnen durch die Gemeinschaftsvorschriften im Arzneimittelbereich übertragen wurden. Erst nachdem die Agentur eine einheitliche wissenschaftliche Beurteilung der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit von technologisch hochwertigen Arzneimitteln auf möglichst hohem Niveau vorgenommen hat, sollte die Gemeinschaft in einem beschleunigten Verfahren, das eine enge Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten gewährleistet, eine [GFI] erteilen.“
Art. 9 der Verordnung Nr. 726/2004 bestimmt in den Abs. 1 und 2:
„(1) Die Agentur unterrichtet unverzüglich den Antragsteller, wenn das Gutachten des Ausschusses für Humanarzneimittel zu dem Ergebnis kommt, dass
der Antrag die in dieser Verordnung festgelegten Genehmigungskriterien nicht erfüllt,
…
(2) Innerhalb von 15 Tagen nach Erhalt des in Absatz 1 genannten Gutachtens kann der Antragsteller der Agentur schriftlich mitteilen, dass er um Überprüfung des Gutachtens ersucht. …“
Titel IV („Europäische Arzneimittel-Agentur – Zuständigkeit und Verwaltungsstruktur“) der Verordnung Nr. 726/2004 enthält ein Kapitel 1 („Aufgaben der Agentur“), das aus den Art. 55 bis 66 der Verordnung besteht.
In Art. 56 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 726/2004 heißt es:
„(1) Die Agentur umfasst:
den Ausschuss für Humanarzneimittel, der die Gutachten der Agentur zu Fragen der Beurteilung von Humanarzneimitteln ausarbeitet;
…
den Ausschuss für Arzneimittel für seltene Leiden;
…
den Ausschuss für neuartige Therapien;
…
(2) Die in Absatz 1 Buchstaben a) bis da) genannten Ausschüsse können jeweils eigene ständige und nicht ständige Arbeitsgruppen einsetzen. Die in Absatz 1 Buchstaben a) und b) genannten Ausschüsse können im Zusammenhang mit der Beurteilung bestimmter Arten von Arzneimitteln oder Behandlungen wissenschaftliche Beratergruppen einrichten, denen der betreffende Ausschuss bestimmte Aufgaben übertragen kann, die mit der Erstellung von wissenschaftlichen Gutachten gemäß den Artikeln 5 und 30 zusammenhängen.
Bei der Einsetzung von Arbeitsgruppen und wissenschaftlichen Beratergruppen regeln die Ausschüsse in ihrer Geschäftsordnung gemäß Artikel 61 Absatz 8
die Ernennung der Mitglieder dieser Arbeitsgruppen und wissenschaftlichen Beratergruppen auf der Grundlage der Sachverständigenverzeichnisse gemäß Artikel 62 Absatz 2 Unterabsatz 2 und
die Anhörung dieser Arbeitsgruppen und wissenschaftlichen Beratergruppen.“
Art. 57 Abs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004 bestimmt:
„Die Agentur erteilt den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft den bestmöglichen wissenschaftlichen Rat in Bezug auf alle Fragen der Beurteilung der Qualität, der Sicherheit und der Wirksamkeit von Humanarzneimitteln oder Tierarzneimitteln, die gemäß den Bestimmungen der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Arzneimittel an sie herangetragen werden.
…“
Art. 62 der Verordnung Nr. 726/2004 sieht in den Abs. 1 und 2 vor:
„(1) Hat einer der in Artikel 56 Absatz 1 genannten Ausschüsse gemäß dieser Verordnung ein Humanarzneimittel zu beurteilen, so bestellt er eines seiner Mitglieder zum Berichterstatter und trägt dabei dem im betroffenen Mitgliedstaat vorhandenen Fachwissen Rechnung. Der betreffende Ausschuss kann ein zweites Mitglied zum Mitberichterstatter ernennen.
…
Bei der Konsultation der wissenschaftlichen Beratergruppen gemäß Artikel 56 Absatz 2 übermittelt der Ausschuss diesen Beratergruppen den (die) vom Berichterstatter oder Mitberichterstatter ausgearbeiteten Entwurf (Entwürfe) des Beurteilungsberichts. Das Gutachten der wissenschaftlichen Beratergruppe wird dem Vorsitzenden des betreffenden Ausschusses in der Weise übermittelt, dass die Einhaltung der Fristen gemäß Artikel 6 Absatz 3 und Artikel 31 Absatz 3 gewährleistet ist.
Der Inhalt dieses Gutachtens wird in den gemäß Artikel 13 Absatz 3 und Artikel 38 Absatz 3 veröffentlichten Beurteilungsbericht aufgenommen.
Wird um Überprüfung eines seiner Gutachten ersucht, sofern diese Möglichkeit im Unionsrecht vorgesehen ist, so benennt der zuständige Ausschuss einen Berichterstatter und gegebenenfalls einen Mitberichterstatter; dabei muss es sich um andere als die für das ursprüngliche Gutachten benannten Personen handeln. Im Rahmen des Überprüfungsverfahrens können nur diejenigen Punkte des Gutachtens behandelt werden, die der Antragsteller zuvor benannt hat, und nur die wissenschaftlichen Daten können berücksichtigt werden, die bei Annahme des ursprünglichen Gutachtens durch den Ausschuss zur Verfügung standen. Der Antragsteller kann verlangen, dass der Ausschuss im Rahmen dieser Überprüfung eine wissenschaftliche Beratergruppe konsultiert.
(2) Die Mitgliedstaaten übermitteln der Agentur die Namen nationaler Sachverständiger, die nachweislich Erfahrung in der Beurteilung von Humanarzneimitteln erworben haben und unter Berücksichtigung des Artikels 63 Absatz 2 für eine Mitarbeit in den Arbeitsgruppen oder wissenschaftlichen Beratergruppen der in Artikel 56 Absatz 1 genannten Ausschüsse zur Verfügung stehen; gleichzeitig übermitteln sie Angaben über Qualifikationen und spezielle Fachgebiete dieser Sachverständigen.
Die Agentur führt ein Verzeichnis akkreditierter Sachverständiger und hält es auf dem neuesten Stand. Dieses Verzeichnis umfasst die in Unterabsatz 1 genannten Sachverständigen sowie weitere direkt durch die Agentur benannte Sachverständige. Dieses Verzeichnis wird aktualisiert.“
Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 lautet:
„Verwaltungsratsmitglieder, Ausschussmitglieder, Berichterstatter und Sachverständige dürfen keinerlei finanzielle oder sonstige Interessen in der pharmazeutischen Industrie haben, die ihre Unparteilichkeit beeinflussen könnten. Sie verpflichten sich dazu, unabhängig und im Interesse des Gemeinwohls zu handeln und jährlich eine Erklärung über ihre finanziellen Interessen abzugeben. Alle indirekten Interessen, die mit dieser Industrie in Zusammenhang stehen könnten, werden in ein von der Agentur geführtes Register eingetragen, das von der Öffentlichkeit auf Wunsch bei den Dienststellen der Agentur eingesehen werden kann.
Der Verhaltenskodex der Agentur sieht die Durchführung dieses Artikels insbesondere in Bezug auf die Annahme von Geschenken vor.
Die Verwaltungsratsmitglieder, Ausschussmitglieder, Berichterstatter und Sachverständigen, die an den Sitzungen oder Arbeitsgruppen der Agentur teilnehmen, erklären auf jeder Sitzung bezogen auf die Tagesordnungspunkte die besonderen Interessen, die als mit ihrer Unabhängigkeit unvereinbar betrachtet werden könnten. Diese Erklärungen sind der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“
Verordnung (EG) Nr. 141/2000
Im siebten Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 über Arzneimittel für seltene Leiden (ABl. 2000, L 18, S. 1) heißt es:
„Arzneimittel für seltene Leiden sollten … dem normalen Bewertungsverfahren unterliegen.“
Verhaltenskodex der EMA
Der European Medicines Agency Code of Conduct (Verhaltenskodex der Europäischen Arzneimittel-Agentur) in der Fassung vom 16. Juni 2016 (EMA/385894/2012 rev.1.) (im Folgenden: Verhaltenskodex der EMA) sieht in Abschnitt 2.3.3 vor:
„Bei Mitgliedern des Verwaltungsrats oder wissenschaftlicher Ausschüsse, Berichterstattern und Sachverständigen sowie Mitarbeitern der EMA hängt die Beteiligung an den Tätigkeiten der Agentur vom Vorliegen einer unterzeichneten Interessenerklärung und einer Beurteilung der erklärten Interessen ab. Die geltenden Einschränkungen im Hinblick auf Aktivitäten des Einzelnen im Kontext der Rolle und Verantwortlichkeiten der EMA hängen von dem konkurrierenden Interesse und der besonderen Rolle der konkreten Person ab. Die Einzelheiten der relevanten Einschränkungen sind in den Positionspapieren der EMA festgelegt.“
EMA-Politik
Die European Medicines Agency policy on the handling of competing interests of scientific committees’ members and experts (Politik der Europäischen Arzneimittel-Agentur zum Umgang mit konkurrierenden Interessen von Mitgliedern wissenschaftlicher Ausschüsse und Sachverständigen) in der Fassung vom 6. Oktober 2016 (EMA/626261/2014. Rev. 1, im Folgenden: EMA-Politik) enthält einen Abschnitt 3.2.2 („Weitere Definitionen“), in dem der Begriff „pharmazeutisches Unternehmen“ wie folgt definiert wird:
„Pharmazeutisches Unternehmen bedeutet: jede juristische oder natürliche Person, deren Schwerpunkt in der Erforschung, der Entwicklung, der Herstellung, der Vermarktung und/oder dem Vertrieb von Arzneimitteln besteht. Für die Zwecke dieser Politik schließt die Definition Unternehmen ein, an die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Erforschung, Entwicklung, Herstellung, Vermarktung und Pflege von Arzneimitteln (die auch hausintern durchgeführt werden können) auf vertraglicher Basis ausgelagert werden.
Insoweit fallen CROs [(Clinical research organisations, Organisationen der klinischen Forschung)] und Beratungsunternehmen, die Empfehlungen oder Dienstleistungen im Zusammenhang mit den oben genannten Tätigkeiten anbieten, unter die Definition eines pharmazeutischen Unternehmens.
Juristische oder natürliche Personen, die nicht unter die oben genannte Definition fallen, jedoch (i) ein pharmazeutisches Unternehmen kontrollieren (d. h. eine Mehrheitsbeteiligung an dem betreffenden pharmazeutischen Unternehmen besitzen oder in anderer Weise erheblichen Einfluss auf seine Entscheidungsprozesse ausüben), (ii) von einem pharmazeutischen Unternehmen kontrolliert werden oder (iii) unter gemeinsamer Kontrolle eines pharmazeutischen Unternehmens stehen, gelten für die Zwecke dieser Politik als pharmazeutische Unternehmen.
Unabhängige Forscher und Forschungsinstitute, einschließlich Universitäten und wissenschaftliche Gesellschaften, sind vom Anwendungsbereich der vorliegenden Definition ausgenommen.“
Abschnitt 4.1 („Ziele der Politik“) der EMA-Politik bestimmt:
„Das hauptsächliche Ziel der Politik besteht darin, sicherzustellen, dass die Mitglieder der wissenschaftlichen Ausschüsse und die an den Tätigkeiten der Agentur beteiligten Sachverständigen keine Interessen in der pharmazeutischen Industrie, die ihre Unparteilichkeit beeinflussen könnten, im Sinne der Anforderungen des Unionsrechts haben. Dieser Aspekt ist gegen die Notwendigkeit abzuwägen, das beste (spezialisierte) wissenschaftliche Fachwissen für die Beurteilung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln zu erhalten. Es ist daher von größter Bedeutung, ein optimales Gleichgewicht zwischen den Karenzzeiten für die deklarierten Interessen und der Aufrechterhaltung des Expertenwissens anzustreben.
Um dieses Ziel zu erreichen und das oben genannte Gleichgewicht zu finden, ist der Schwerpunkt zunächst auf die Natur des deklarierten Interesses zu legen, bevor die Dauer der Anwendung etwaiger Einschränkungen bestimmt wird.“
In Abschnitt 4.2.1.2 („Beschränkung der Beteiligung an den Tätigkeiten der Agentur“) der EMA-Politik heißt es:
„Umfang der Beschränkungen und Zeitrahmen
Die Beteiligung Einzelner an den Tätigkeiten der Agentur wird unter Heranziehung dreier Faktoren eingeschränkt: der Natur des deklarierten Interesses, des Zeitraums, in dem ein solches Interesse aufgetreten ist, sowie der Art der Tätigkeit. Dabei findet folgende Methode Anwendung: Zunächst wird die Natur des deklarierten Interesses im Rahmen der spezifischen Tätigkeit der Agentur ermittelt, bevor die Dauer der Anwendung etwaiger Einschränkungen bestimmt wird.
In der Regel sind eine bestehende … Beschäftigung bei einem pharmazeutischen Unternehmen oder aktuelle finanzielle Interessen in der pharmazeutischen Industrie mit der Beteiligung an den Tätigkeiten der Agentur unvereinbar. Eine Ausnahme von dieser Grundregel betrifft das Konzept des sachverständigen Zeugen. Aktuelle finanzielle Interessen sind mit diesem Konzept vereinbar.
Die Anforderungen an die Mitgliedschaft in Entscheidungsgremien (d. h. wissenschaftlichen Ausschüssen) sind strenger als bei beratenden Gremien (d. h. [wissenschaftlichen Beratergruppen (WBG)] und Ad-hoc-Sachverständigengruppen).
Ferner gelten für die Vorsitzenden/stellvertretenden Vorsitzenden der wissenschaftlichen Ausschüsse strengere Anforderungen als für die Vorsitzenden/stellvertretenden Vorsitzenden anderer Gruppen und die Mitglieder wissenschaftlicher Ausschüsse und anderer Gruppen. Desgleichen sind die Anforderungen für Berichterstatter (oder eine äquivalente leitende/koordinierende Rolle) und für förmlich ernannte Peer Reviewer strenger als für die übrigen Mitglieder wissenschaftlicher Gruppen.
Als Zeitrahmen sind anhand des deklarierten direkten oder indirekten Interesses entweder die Gegenwart oder die letzten drei Jahre oder in bestimmten Fällen … ein längerer Zeitraum heranzuziehen …
…
Sonderfall konkurrierender Produkte
Im Sonderfall konkurrierender Produkte (vormals als Mitbewerberprodukte bezeichnet) gilt ein zweistufiger Ansatz:
Der Begriff ‚konkurrierende Produkte‘ bezieht sich auf Situationen, in denen es nur eine ganz geringe Zahl (ein oder zwei) konkurrierender Produkte gibt. Dasselbe gilt für die führende Marke im Fall der Befassung mit einem Generikum.
Bei breiten Indikationen verwässert das bestehende Wettbewerbsvolumen potenzielle Interessen in adäquater Weise, da viele Produkte für die gleiche Indikation zugelassen sind.
In Situationen, die durch eine ganz geringe Zahl konkurrierender Produkte im oben genannten Sinne gekennzeichnet sind, betreffen die Konsequenzen die (stellvertretenden) Vorsitzenden der wissenschaftlichen Ausschüsse und der Arbeitsgruppen sowie die Berichterstatter und andere Mitglieder mit Leitungs-/Koordinationsfunktion und die förmlich ernannten Peer Reviewer.“
Vorgeschichte des Rechtsstreits
Die Vorgeschichte des Rechtsstreits wird in den Rn. 1 bis 11 des angefochtenen Urteils dargestellt und lässt sich wie folgt zusammenfassen.
Die Pharma Mar SA ist eine im Bereich der onkologischen Forschung tätige Gesellschaft. Am 16. November 2004 erhielt sie gemäß der Verordnung Nr. 141/2000 die Ausweisung des Arzneimittels Aplidin, dessen Wirkstoff Plitidepsin ist, als Arzneimittel für seltene Leiden zur Behandlung des Multiplen Myeloms, einer schweren Form von Knochenmarkkrebs.
Am 21. September 2016 stellte Pharma Mar gemäß Art. 4 der Verordnung Nr. 726/2004 bei der EMA einen Antrag auf Erteilung einer GFI für Aplidin. Dieser Antrag betraf folgende Indikation: „in Verbindung mit Dexamethason zur Behandlung eines rezidivierten/refraktären Multiplen Myeloms bei erwachsenen Patienten, die zuvor bereits mindestens drei Behandlungen durchlaufen haben, u. a. mit Bortezomib und entweder mit Lenalidomid oder Thalidomid“.
Am 14. Dezember 2017 erstattete der Ausschuss für Humanarzneimittel der EMA (Committee for Medicinal Products for Human Use, im Folgenden: CHMP) ein Gutachten, in dem er der Europäischen Kommission empfahl, den Antrag auf Erteilung einer GFI für Aplidin abzulehnen, weil die Wirksamkeit und die Sicherheit des Arzneimittels nicht hinreichend nachgewiesen seien, so dass der Nutzen die Risiken nicht überwiege.
Pharma Mar stellte am 3. Januar 2018 gemäß Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 bei der EMA einen Antrag auf Überprüfung des Gutachtens des CHMP, verbunden mit einem Antrag auf Konsultation einer wissenschaftlichen Beratergruppe gemäß Art. 62 Abs. 1 dieser Verordnung.
Das Überprüfungsverfahren begann am 15. Februar 2018. Am 7. März 2018 fand eine Sitzung der aus fünf Hauptmitgliedern, sechs zusätzlichen Sachverständigen und zwei Patientenvertretern bestehenden wissenschaftlichen Beratergruppe für Onkologie (im Folgenden: WBG Onkologie) statt.
Am 21. März 2018 nahm Pharma Mar mündlich vor dem CHMP Stellung. Am 22. März 2018 bestätigte der CHMP sein Gutachten vom 14. Dezember 2017 und erstellte einen Entwurf für einen den Antrag auf Erteilung einer GFI für Aplidin ablehnenden Beschluss der Kommission.
Am 17. Juli 2018 erließ die Kommission den streitigen Beschluss, der einen Anhang mit dem Titel „Wissenschaftliche Schlussfolgerungen und Ablehnungsgründe der EMA“ enthält; dieser entspricht dem Gutachten des CHMP.
Klage vor dem Gericht und angefochtenes Urteil
Mit Schriftsatz, der am 1. Oktober 2018 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob Pharma Mar Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses.
Pharma Mar stützte ihre Klage auf fünf Klagegründe. Mit ihnen rügte sie Verstöße der Mitglieder der WBG Onkologie gegen die Pflicht zur unparteiischen Prüfung des Antrags auf Erteilung einer GFI für Aplidin, gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung, gegen Art. 12 der Verordnung Nr. 726/2004 und den Grundsatz der Gleichbehandlung, gegen die Begründungspflicht und gegen die Verteidigungsrechte.
Der erste Klagegrund bestand aus zwei Teilen. Im Rahmen seines ersten Teils rügte Pharma Mar mangelnde Unparteilichkeit und insbesondere die Beteiligung von zwei Sachverständigen der WBG Onkologie (im Folgenden zusammen: zwei Sachverständige) an der Abstimmung. Diese hätten von der Abstimmung ausgeschlossen werden müssen, da sie Interessen erklärt hätten, die mit einer unparteiischen Prüfung des Antrags auf Erteilung einer GFI für Aplidin unvereinbar seien. Zum einen handelte es sich um einen Professor (im Folgenden: erster Sachverständiger), der stellvertretender Vorsitzender der WBG Onkologie und eines ihrer fünf Hauptmitglieder war. Er war bei einem Universitätsinstitut (im Folgenden: Institut), einer bekannten medizinischen Lehreinrichtung, tätig. Pharma Mar trug vor, das Institut übe erheblichen Einfluss auf das Universitätskrankenhaus, zu dem es gehöre, und auf ein gewerblich tätiges Zentrum für klinische Forschung aus; diese seien als Organisationen der klinischen Forschung einzustufen und daher gemäß Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik pharmazeutischen Unternehmen gleichzustellen. Zum anderen ging es um einen weiteren Professor und Angestellten des Instituts (im Folgenden: zweiter Sachverständiger), der zu den sechs zusätzlichen Sachverständigen der WBG Onkologie gehörte und erklärt hatte, an der Entwicklung von Konkurrenzprodukten zu Aplidin beteiligt zu sein.
In Rn. 84 des angefochtenen Urteils hat das Gericht den potenziellen Einfluss der WBG Onkologie auf den Ablauf und den Ausgang des Verfahrens zur Erteilung einer GFI für Aplidin sowie die wichtige Rolle hervorgehoben, die der erste Sachverständige in dieser Gruppe als Vorsitzender der Sitzung vom 7. März 2018 gespielt habe. Aufgrund der Beteiligung der zwei Sachverständigen an der WBG Onkologie, ihrer Tätigkeit am Universitätskrankenhaus und der Aktivitäten des zweiten Sachverständigen im Zusammenhang mit Konkurrenzprodukten zu Aplidin kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass das Verfahren, das zum Erlass des streitigen Beschlusses geführt habe, keine hinreichenden Garantien geboten habe, um jeden berechtigten Zweifel in Bezug auf etwaige Voreingenommenheit auszuschließen.
Das Gericht hat daher in Rn. 85 des angefochtenen Urteils dem ersten Teil des ersten Klagegrundes stattgegeben und den streitigen Beschluss aus diesem Grund für nichtig erklärt, ohne über den zweiten Teil des ersten Klagegrundes oder die übrigen Klagegründe zu entscheiden.
Anträge der Parteien
Die Bundesrepublik Deutschland beantragt mit ihrem Rechtsmittel in der Rechtssache C-6/21 P,
das angefochtene Urteil aufzuheben,
den streitigen Beschluss aufrechtzuerhalten und die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Rechtssache an das Gericht zurückzuverweisen, und
Pharma Mar die Kosten aufzuerlegen.
Die Republik Estland beantragt mit ihrem Rechtsmittel in der Rechtssache C-16/21 P,
das angefochtene Urteil aufzuheben und
jede Partei zur Tragung ihrer eigenen durch das Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten zu verurteilen.
Pharma Mar beantragt,
festzustellen, dass über die Rechtsmittel nicht entschieden zu werden braucht, oder sie als unzulässig oder unbegründet zurückzuweisen und
den Rechtsmittelführerinnen ihre eigenen Kosten sowie die Kosten von Pharma Mar im Zusammenhang mit den Rechtsmitteln aufzuerlegen.
Verfahren vor dem Gerichtshof
Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 30. März 2021 sind die Rechtssachen C-6/21 P und C-16/21 P zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren sowie zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
Mit Entscheidung vom 8. Juli 2021 und mit Beschluss vom 17. September 2021 hat der Präsident des Gerichtshofs in der Rechtssache C-6/21 P das Königreich der Niederlande und die EMA als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Bundesrepublik Deutschland zugelassen.
Mit Entscheidungen vom 8. und 9. Juli 2021 und mit Beschluss vom 17. September 2021 hat der Präsident des Gerichtshofs in der Rechtssache C-16/21 P das Königreich der Niederlande, die Bundesrepublik Deutschland und die EMA als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Republik Estland zugelassen.
Zu den Rechtsmitteln
Die Bundesrepublik Deutschland stützt ihr Rechtsmittel in der Rechtssache C-6/21 P auf vier Gründe: Erstens sei der Begriff „pharmazeutisches Unternehmen“ im Sinne von Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik fehlerhaft ausgelegt worden, zweitens sei die Darlegungs- und Beweislastverteilung fehlerhaft, drittens sei der Begriff „konkurrierendes Arzneimittel“ im Sinne von Abschnitt 4.2.1.2 der EMA-Politik bei der Beurteilung der Unparteilichkeit der Sachverständigen fehlerhaft ausgelegt worden, und viertens fehle es an einem entscheidenden Einfluss des zweiten Sachverständigen.
Die Republik Estland stützt ihr Rechtsmittel in der Rechtssache C-16/21 P auf drei Rechtsmittelgründe, mit denen sie erstens eine fehlerhafte Auslegung des Begriffs „pharmazeutisches Unternehmen“ im Sinne von Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik, zweitens eine fehlerhafte Auslegung des Begriffs „konkurrierendes Arzneimittel“ im Sinne von Abschnitt 4.2.1.2 der EMA-Politik bei der Beurteilung der Unparteilichkeit der Sachverständigen und drittens ein Fehlverständnis der Rolle der Sachverständigen und ihres Einflusses auf die Schlussfolgerungen der WBG Onkologie rügt.
Pharma Mar macht die Unzulässigkeit der von der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Estland eingelegten Rechtsmittel geltend und tritt, hilfsweise, den von diesen Mitgliedstaaten geltend gemachten Rechtsmittelgründen entgegen.
Zur Einrede der Unzulässigkeit der Rechtsmittel
Pharma Mar trägt vor, die Rechtsmittel seien gegenstandslos und müssten daher für unzulässig erklärt werden. Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebe, brauchten die Mitgliedstaaten und die Unionsorgane zwar kein spezifisches Interesse an der Einlegung eines Rechtsmittels gegen eine Entscheidung des Gerichts nachzuweisen; dieses Rechtsmittel müsse ihnen aber, wenn ihm stattgegeben werde, einen Vorteil verschaffen können.
Im vorliegenden Fall beschränke sich das angefochtene Urteil darauf, die EMA zu verpflichten, im Einklang mit dem Erfordernis der Unparteilichkeit den Antrag auf Erteilung einer GFI für Aplidin erneut zu prüfen. Aus diesem Grund hätten die Kommission und die EMA beschlossen, kein Rechtsmittel gegen das angefochtene Urteil einzulegen, sondern sich auf die rasche Einleitung eines neuen Überprüfungsverfahrens zu konzentrieren. Der Gerichtshof möge daher von Amts wegen feststellen, dass über die Rechtsmittel, mit denen lediglich hypothetische Fragen geklärt werden sollten, die sich nur in künftigen Rechtssachen stellen könnten, nicht entschieden zu werden brauche.
Insoweit ergibt sich hinsichtlich des Rechtsschutzinteresses aus Art. 56 Abs. 2 und 3 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass ein Mitgliedstaat unabhängig davon, ob er sich am erstinstanzlichen Verfahren beteiligt hat, ein Rechtsmittel gegen jede Entscheidung des Gerichts, auch wenn sie ihn nicht unmittelbar berührt, einlegen kann, da er kein Interesse darzutun braucht, um gegen solche Entscheidungen ein Rechtsmittel einlegen zu können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Juli 1999, Kommission/Anic Partecipazioni,C-49/92 P, EU:C:1999:356, Rn. 171, und vom 21. Dezember 2011, Frankreich/People’s Mojahedin Organization of Iran, C-27/09 P, EU:C:2011:853, Rn. 44 und 45).
Was den fehlenden Streitgegenstand angeht, beantragen die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Estland mit ihren Rechtsmitteln die Aufhebung des angefochtenen Urteils, in dem die Rechtswidrigkeit des Verfahrens zur Erteilung einer GFI für Aplidin mit der fehlenden objektiven Unparteilichkeit der in Rede stehenden Sachverständigen begründet wird. Die vorliegenden Rechtsmittel zielen darauf ab, die Rechtmäßigkeit des Verfahrens anzuerkennen, das zur Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer GFI geführt hat; dies bestätigt jedenfalls, dass sie nicht gegenstandslos sind.
Die von Pharma Mar erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist daher zurückzuweisen.
Zum ersten Rechtsmittelgrund in den Rechtssachen C-6/21 P und C-16/21 P: fehlerhafte Auslegung von Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik und Verletzung von Art. 41 Abs. 1 der Charta
– Vorbringen der Parteien
Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund wenden sich die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Estland gegen die Rn. 58 bis 65 des angefochtenen Urteils. Sie machen geltend, die EMA-Politik biete hinreichende Garantien, um jeden Zweifel an der Unparteilichkeit der Mitglieder der WBG Onkologie auszuschließen, so dass das Gericht Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik falsch ausgelegt und angewandt und damit das in Art. 41 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) garantierte Recht auf eine gute Verwaltung verletzt habe.
Das Gericht habe in den Rn. 61 und 65 des angefochtenen Urteils zu Unrecht das Universitätskrankenhaus als Ganzes einem „pharmazeutischen Unternehmen“ im Sinne von Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik gleichgesetzt. Daraus habe es den unzutreffenden Schluss gezogen, dass das Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Krankenhaus und einigen Sachverständigen der WBG Onkologie bei diesen automatisch zu einem potenziellen Interessenkonflikt führe, was Zweifel an ihrer Unparteilichkeit aufkommen lassen könne.
Pharma Mar hält diesen Rechtsmittelgrund für unbegründet. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die EMA tatsächlich über den behaupteten Ermessensspielraum verfüge, um die Unparteilichkeit ihrer Sachverständigen zu gewährleisten, enthalte die EMA-Politik keine spezifische, im vorliegenden Fall einschlägige Regel. Die EMA habe somit von diesem Ermessen bei der Festlegung ihrer Politik keinen Gebrauch gemacht. Im vorliegenden Fall sei das Zentrum für Zelltherapie am Universitätskrankenhaus an der Entwicklung eines mit Aplidin konkurrierenden Produkts beteiligt, ohne dass ein Außenstehender ohne Weiteres beurteilen könne, ob die objektive Unparteilichkeit gewahrt sei, da das Zentrum rechtlich nicht vom Universitätskrankenhaus getrennt sei. Außerdem habe die Kommission nicht nachgewiesen, dass es keine Kontrolle zwischen dem Universitätskrankenhaus und diesem Zentrum gebe. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs müssten aber ausreichende Garantien bestehen, um jeden berechtigten Zweifel am Vorliegen eines Interessenkonflikts auszuschließen.
– Würdigung durch den Gerichtshof
Zunächst ist das von Pharma Mar in ihrer Rechtsmittelbeantwortung vorgebrachte Argument zu prüfen, das im Wesentlichen dahin geht, dass die EMA-Politik für die Beurteilung der Unparteilichkeit eines Sachverständigen der WBG Onkologie, der Interessen an Produkten erklärt habe, die mit Arzneimitteln für seltene Leiden konkurrierten, unerheblich sei.
Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es im achten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 726/2004 ausdrücklich heißt, dass zur Harmonisierung des Binnenmarkts für neue Arzneimittel das zentralisierte Genehmigungsverfahren der Union auch für Arzneimittel für seltene Leiden vorgeschrieben werden sollte. Sodann ergibt sich aus dem siebten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 141/2000, dass Arzneimittel für seltene Leiden dem normalen Bewertungsverfahren, d. h. dem in der Verordnung Nr. 726/2004 vorgesehenen Verfahren, unterliegen sollten, damit Patienten mit seltenen Leiden denselben Anspruch auf Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit von Arzneimitteln haben wie andere Patienten. Schließlich hat die EMA nach Art. 57 Abs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004 die Aufgabe, den bestmöglichen wissenschaftlichen Rat in Bezug auf alle Fragen der Beurteilung der Qualität, der Sicherheit und der Wirksamkeit von Humanarzneimitteln oder Tierarzneimitteln zu erteilen, die gemäß den Bestimmungen der Unionsvorschriften über Arzneimittel an sie herangetragen werden. Aufgrund ihrer Allgemeinheit schließt diese Formulierung notwendigerweise Arzneimittel für seltene Leiden ein.
Daraus folgt, wie die EMA in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, dass ihre Politik ein umfassendes Dokument ist, das unterschiedslos für alle Arzneimittel gilt, auch wenn sie zur Behandlung seltener Leiden dienen. Daher kann die Unparteilichkeit eines Sachverständigen der WBG Onkologie, der Interessen an Produkten erklärt hat, die mit dem betreffenden Arzneimittel für seltene Leiden konkurrieren, entgegen dem Vorbringen von Pharma Mar anhand der EMA-Politik beurteilt werden.
Nach dieser Klarstellung ist das Vorbringen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Estland zu prüfen, wonach das Gericht in Rn. 61 des angefochtenen Urteils einen Rechtsfehler begangen habe, indem es den Begriff „pharmazeutisches Unternehmen“ im Sinne von Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik weit ausgelegt und damit den weiten Ermessensspielraum, den der Unionsgesetzgeber der EMA eingeräumt habe, um die Unparteilichkeit ihrer Sachverständigen zu gewährleisten, sowie den Wortlaut von Abschnitt 3.2.2 verletzt habe.
Hierzu ist erstens festzustellen, dass die Verordnung Nr. 726/2004, wie sich insbesondere aus ihren Erwägungsgründen 7 und 8 ergibt, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts im Arzneimittelsektor gewährleisten und den Binnenmarkt für neue Arzneimittel harmonisieren soll. Aus diesem Grund hat der Unionsgesetzgeber diese Verordnung u. a. auf Art. 95 EG gestützt, der es ihm ermöglicht, Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zu erlassen, deren Gegenstand die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts ist.
Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, wollten die Verfasser des Vertrags mit dem Ausdruck „Maßnahmen zur Angleichung“ in Art. 95 EG dem Unionsgesetzgeber nach Maßgabe des allgemeinen Kontexts und der speziellen Umstände der zu harmonisierenden Materie einen Ermessensspielraum hinsichtlich der zur Erreichung des angestrebten Ergebnisses am besten geeigneten Angleichungstechnik einräumen, insbesondere in den durch komplexe technische Besonderheiten gekennzeichneten Bereichen. Dieser Spielraum kann insbesondere dann zur Auswahl der am besten geeigneten Harmonisierungstechnik genutzt werden, wenn die in Aussicht genommene Angleichung physikalische, chemische oder biologische Untersuchungen sowie die Berücksichtigung wissenschaftlicher Entwicklungen in Bezug auf die betreffende Materie erfordert (Urteil vom 6. Dezember 2005, Vereinigtes Königreich/Parlament und Rat, C-66/04, EU:C:2005:743, Rn. 45 und 46).
In Anbetracht des dem Unionsgesetzgeber somit durch Art. 95 EG eingeräumten Spielraums hat er sich in Bezug auf das Erfordernis der Unparteilichkeit der Sachverständigen der EMA dafür entschieden, in der Grundverordnung wesentliche Kriterien festzulegen und sodann der EMA ihre Umsetzung zu überlassen. Dies ist Gegenstand von Art. 63 der Verordnung Nr. 726/2004, wonach Verwaltungsratsmitglieder, Ausschussmitglieder, Berichterstatter und Sachverständige der EMA zur Unparteilichkeit und Unabhängigkeit verpflichtet sind; die EMA ist mit der Umsetzung dieser Anforderungen betraut und hat einen Verhaltenskodex zu erlassen.
Der Unionsgesetzgeber hat somit der EMA die Abwägung überlassen, die zwischen dem in Art. 63 Abs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 aufgestellten doppelten Erfordernis der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ihrer Sachverständigen und dem in Art. 57 Abs. 1 der Verordnung genannten öffentlichen Interesse an der Notwendigkeit vorzunehmen ist, über den bestmöglichen wissenschaftlichen Rat in Bezug auf alle an sie herangetragenen Fragen der Beurteilung der Qualität, der Sicherheit und der Wirksamkeit von Humanarzneimitteln oder Tierarzneimitteln zu verfügen.
Zweitens kommt, um es der EMA zu ermöglichen, das ihr gesetzte Ziel angesichts der von ihr vorzunehmenden komplexen technischen Beurteilungen wirksam zu erreichen, das ihr zuerkannte weite Ermessen (vgl. entsprechend Urteil vom 18. Juli 2007, Industrias Químicas del Vallés/Kommission, C-326/05 P, EU:C:2007:443, Rn. 75) u. a. in der Festlegung der für die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Personen, die zur Erstellung ihrer wissenschaftlichen Gutachten beitragen, maßgebenden Kriterien zum Ausdruck.
Insoweit wird in Abschnitt 2.3.3 des Verhaltenskodex der EMA hinsichtlich der für die Mitglieder des Verwaltungsrats oder der wissenschaftlichen Ausschüsse, die Berichterstatter und die Sachverständigen im Einzelnen geltenden Beschränkungen auf die Positionspapiere der EMA verwiesen. Diese Beschränkungen, die von den Tätigkeiten, der Rolle und den Verantwortlichkeiten jeder dieser Personen innerhalb der EMA abhängen, müssen ihren konkurrierenden Interessen und der ihnen übertragenen Rolle entsprechen.
Dazu heißt es in Abschnitt 4.1 Abs. 1 der EMA-Politik, mit dem Art. 57 Abs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004 konkretisiert wird: „Das hauptsächliche Ziel der Politik besteht darin, sicherzustellen, dass die Mitglieder der wissenschaftlichen Ausschüsse und die an den Tätigkeiten der Agentur beteiligten Sachverständigen keine Interessen in der pharmazeutischen Industrie, die ihre Unparteilichkeit beeinflussen könnten, im Sinne der Anforderungen des Unionsrechts haben. Dieser Aspekt ist gegen die Notwendigkeit abzuwägen, das beste (spezialisierte) wissenschaftliche Fachwissen für die Beurteilung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln zu erhalten. Es ist daher von größter Bedeutung, ein optimales Gleichgewicht zwischen den Karenzzeiten für die deklarierten Interessen und der Aufrechterhaltung des Expertenwissens anzustreben.“
Außerdem heißt es in Abschnitt 4.2.1.2 der EMA-Politik: „In der Regel sind eine bestehende … Beschäftigung bei einem pharmazeutischen Unternehmen oder aktuelle finanzielle Interessen in der pharmazeutischen Industrie mit der Beteiligung an den Tätigkeiten der Agentur unvereinbar. …“
Drittens ist, wie sich aus dem oben in Rn. 11 wiedergegebenen Wortlaut von Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik ergibt, in einem ersten Schritt zu prüfen, ob ein Universitätskrankenhaus den „Forschungsinstituten“ gleichgestellt und infolgedessen vom Anwendungsbereich der Definition des „pharmazeutischen Unternehmens“ ausgenommen werden kann. Wenn ja, wird in einem zweiten Schritt zu prüfen sein, ob der Umstand, dass ein Universitätskrankenhaus das Zentrum für Zelltherapie kontrolliert, das unstreitig ein pharmazeutisches Unternehmen ist, dazu führt, dass es nicht unter diese Ausnahme fällt.
Zum ersten Punkt ergibt sich aus dem Wortlaut der genannten Bestimmung, dass in ihren ersten drei Absätzen definiert wird, was ein „pharmazeutisches Unternehmen“ ist, während nach ihrem letzten Absatz „[u]nabhängige Forscher und Forschungsinstitute, einschließlich Universitäten und wissenschaftliche Gesellschaften“, von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen sind. In Anbetracht der verwendeten Formulierung, insbesondere des Wortes „einschließlich“, kann diese Aufzählung nicht als abschließend angesehen werden.
Eine teleologische Auslegung von Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik ergibt jedoch, dass die Universitätskrankenhäuser Forschungsinstituten gleichzustellen sind.
Zum einen zeugt nämlich die Bezeichnung der Universitätskrankenhäuser von ihrer Nähe zu einer Universität, die ihrerseits ausdrücklich von den „pharmazeutischen Unternehmen“ ausgenommen wird.
Zum anderen ist ein Universitätskrankenhaus, wie das Gericht in Rn. 57 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, in den drei Bereichen Pflege, Lehre und Forschung tätig. Wie die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Estland vorgetragen haben, widmen sich Universitäten und Universitätskrankenhäuser überwiegend und in der Regel kraft Gesetzes der nicht gewinnorientierten wissenschaftlichen Forschung im Interesse der öffentlichen Gesundheit, sind bei ihren Forschungen an eine Reihe strenger ethischer Standards gebunden und beteiligen sich nicht an der Vermarktung von Arzneimitteln.
Schließlich trägt, wie die Republik Estland, das Königreich der Niederlande und die EMA sowohl in ihren Schriftsätzen als auch in der mündlichen Verhandlung zutreffend ausgeführt haben, der Ausschluss der Universitätskrankenhäuser vom Begriff „pharmazeutisches Unternehmen“ im Sinne von Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik zur Herbeiführung eines Gleichgewichts zwischen der Notwendigkeit einer unparteiischen Prüfung der Anträge auf GFI eines Arzneimittels und einer sorgfältigen und möglichst genauen wissenschaftlichen Prüfung der Fragen, die sich bei der Beurteilung eines Arzneimittels stellen, bei. Um dieses Gleichgewicht zu erreichen, erscheint es, wie diese Parteien hervorheben, erforderlich, der EMA zu gestatten, Personen, die dem Personal der Universitätskrankenhäuser angehören, als Sachverständige zu benennen, da sie nach Abschnitt 4.2.1.2 Abs. 2 der EMA-Politik in dieser Eigenschaft, abgesehen von sachverständigen Zeugen, keine Personen benennen darf, die in der pharmazeutischen Industrie beschäftigt sind oder dort aktuelle finanzielle Interessen haben.
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass ein Universitätskrankenhaus vom Anwendungsbereich des Begriffs „pharmazeutisches Unternehmen“ im Sinne von Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik auszunehmen ist.
Daher ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Umstand, dass ein Universitätskrankenhaus ein pharmazeutisches Unternehmen, im vorliegenden Fall das Zentrum für Zelltherapie, kontrolliert, dazu führt, dass das Krankenhaus nicht unter die Ausnahme fällt.
Nach dem vierten und letzten Absatz der Definition des Begriffs „pharmazeutisches Unternehmen“ in Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik sind „[u]nabhängige Forscher und Forschungsinstitute, einschließlich Universitäten und wissenschaftliche Gesellschaften, … vom Anwendungsbereich [dieser] Definition ausgenommen“. Diese eindeutig formulierte Bestimmung sieht für den von ihr vorgesehenen Ausschluss keine Ausnahme vor.
Die EMA hat in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen hervorgehoben, dass ein Universitätskrankenhaus häufig über eine kleine Einrichtung verfüge, die Arzneimittel herstelle – entweder wegen ihrer kurzen Haltbarkeit, aufgrund deren sie sehr schnell nach ihrer Herstellung verabreicht werden müssten, oder weil sie aus biologischen, den Patienten entnommenen Materialien hergestellt werden müssten – und die Kriterien für die Einstufung als „pharmazeutisches Unternehmen“ erfülle. In einem solchen Kontext zeugt der vorbehaltlose Ausschluss der Forschungsinstitute vom Anwendungsbereich der Definition des „pharmazeutischen Unternehmens“ im Sinne von Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik von der Absicht der EMA, im Rahmen der ihr vom Unionsgesetzgeber erteilten Befugnis (siehe oben, Rn. 50 und 51), Forschungsinstitute und damit auch Universitätskrankenhäuser vom Anwendungsbereich der Definition auszunehmen.
Außerdem würde die Anwendung des in Abs. 3 der Definition des pharmazeutischen Unternehmens aufgestellten Kontrollkriteriums auf ein Universitätskrankenhaus dem in ihrem Abs. 4 vorgesehenen Ausschluss die praktische Wirksamkeit nehmen. Dem Krankenhaus würde nämlich der in diesem Ausschluss bestehende Vorteil vollständig genommen, wenn es eine Einrichtung kontrollieren würde, die die Kriterien eines pharmazeutischen Unternehmens erfüllt, und dies würde unabhängig davon gelten, welcher Teil seiner Belegschaft für dieses Unternehmen tätig ist.
Würde davon ausgegangen, dass das gesamte Personal eines Universitätskrankenhauses bei einem „pharmazeutischen Unternehmen“ im Sinne von Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik beschäftigt ist, liefe dies auch dem mit Art. 57 Abs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004 in Verbindung mit ihrem 19. Erwägungsgrund und von Abschnitt 4.1 der EMA-Politik verfolgten Ziel zuwider, das darin besteht, ein optimales Gleichgewicht zwischen dem Erfordernis der Unparteilichkeit der Mitglieder wissenschaftlicher Ausschüsse und der an den Tätigkeiten der Agentur beteiligten Sachverständigen und dem Erfordernis zu finden, wissenschaftliche Gutachten auf möglichst hohem Niveau zu erstellen.
Im vorliegenden Fall hat die Republik Estland in der mündlichen Verhandlung unter Berufung auf die Statistiken für das Jahr 2021 vorgetragen, eine solche Auslegung würde dazu führen, dass die 4656 Beschäftigten des Universitätskrankenhauses Tartu (Estland), des einzigen Universitätskrankenhauses dieses Staates, für ein pharmazeutisches Unternehmen arbeiteten, obwohl nur vier Arbeitnehmer mit der Herstellung von Arzneimitteln befasst seien. Desgleichen hat die Bundesrepublik Deutschland in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass das größte deutsche Universitätskrankenhaus, die Charité in Berlin, 20900 Beschäftigte habe, von denen allenfalls etwa 100 Arbeitnehmer bei gewerblich tätigen Produktionsstätten des Krankenhauses beschäftigt seien.
Daher bestünde im Fall eines umfassenden Ausschlusses der Sachverständigen von Universitätskrankenhäusern, zu denen eine oder mehrere Einrichtungen gehören, die pharmazeutische Unternehmen im Sinne von Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik darstellen könnten, von der Beteiligung an wissenschaftlichen Gutachten der EMA die Gefahr, dass Sachverständige mit vertieften medizinischen Kenntnissen in bestimmten wissenschaftlichen Bereichen, insbesondere im Bereich der Arzneimittel für seltene Leiden und der neuartigen Arzneimittel, knapp würden. Nach den dem Gerichtshof vorliegenden Akten macht das Personal der Universitäten und Universitätskrankenhäuser nämlich den größten Teil des Netzes der Sachverständigen aus, an die sich die EMA wendet, wenn im Rahmen des Verfahrens zur Beurteilung des Antrags auf GFI eines Arzneimittels ein wissenschaftliches Gutachten erstellt werden soll.
Der Ausschluss vom Anwendungsbereich des in Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik definierten Begriffs „pharmazeutisches Unternehmen“ in Abs. 4 dieses Abschnitts gilt jedoch nicht für die von einem Universitätskrankenhaus kontrollierten Einrichtungen, die selbst die Kriterien eines „pharmazeutischen Unternehmens“ im Sinne von Abschnitt 3.2.2 Abs. 1 erfüllen.
Folglich dürfen Personen, die bei einer von einem Universitätskrankenhaus kontrollierten Einrichtung tätig sind oder im weiteren Sinne mit ihr zusammenarbeiten, kein wissenschaftliches Gutachten für die EMA erstatten, falls diese Einrichtung die Kriterien des Begriffs „pharmazeutisches Unternehmen“ im Sinne von Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik erfüllt.
Eine solche Auslegung ist geeignet, ein optimales Gleichgewicht zwischen dem Erfordernis der Unparteilichkeit der an den Tätigkeiten der EMA beteiligten Sachverständigen und dem Erfordernis der Exzellenz der herangezogenen Sachverständigen zu gewährleisten.
Daraus folgt, dass das Gericht im vorliegenden Fall einen Rechtsfehler begangen hat, als es das Universitätskrankenhaus allein deshalb als „pharmazeutisches Unternehmen“ im Sinne der Definition dieses Begriffs in Abschnitt 3.2.2 Abs. 1 der EMA-Politik eingestuft hat, weil es ein Zentrum für Zelltherapie kontrollierte, das seinerseits die Kriterien des „pharmazeutischen Unternehmens“ im Sinne dieser Bestimmung erfüllte.
Daher ist dem ersten Rechtsmittelgrund in den Rechtssachen C-6/21 P und C-16/21 P, mit dem eine fehlerhafte Auslegung von Abschnitt 3.2.2 der EMA-Politik gerügt wird, stattzugeben.
Da dem ersten Rechtsmittelgrund der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Estland stattgegeben wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben, ohne dass die übrigen von ihnen geltend gemachten Rechtsmittelgründe geprüft zu werden brauchen.
Zur Zurückverweisung der Sache an das Gericht
Gemäß Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist, im Fall der Aufhebung der Entscheidung des Gerichts den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.
Da der Rechtsstreit im vorliegenden Fall nicht zur Entscheidung über die Begründetheit der Klage reif ist, ist die Sache an das Gericht zurückzuverweisen.
Kosten
Da der Rechtsstreit an das Gericht zurückverwiesen wird, ist die Entscheidung über die durch das Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten vorzubehalten.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 28. Oktober 2020, Pharma Mar/Kommission (T-594/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:512), wird aufgehoben.
Die Rechtssache T-594/18 wird an das Gericht der Europäischen Union zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Englisch.
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