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EuGH 28.10.2022 - C-435/22
EuGH 28.10.2022 - C-435/22 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer) - 28. Oktober 2022 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Eilvorabentscheidungsverfahren – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 50 – Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen – Art. 54 – Grundsatz ‚ne bis in idem‘ – Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung – Auslieferung eines Drittstaatsangehörigen an die Vereinigten Staaten aufgrund eines von einem Mitgliedstaat geschlossenen bilateralen Vertrags – Staatsangehöriger, der in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat rechtskräftig verurteilt worden ist und dort seine gesamte Strafe verbüßt hat“
Leitsatz
In der Rechtssache C-435/22 PPU
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht München (Deutschland) mit Beschluss vom 21. Juni 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Juli 2022, in dem Strafverfahren gegen
HF,
Beteiligte:
Generalstaatsanwaltschaft München,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Kammerpräsidenten E. Regan und P. G. Xuereb, der Kammerpräsidentin L. S. Rossi, des Kammerpräsidenten D. Gratsias, der Kammerpräsidentin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin), der Richter S. Rodin, F. Biltgen, N. Piçarra und N. Wahl, der Richterin I. Ziemele und des Richters J. Passer,
Generalanwalt: A. M. Collins,
Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. September 2022,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von HF, vertreten durch die Rechtsanwälte S. Schomburg und M. Weber,
der Generalstaatsanwaltschaft München, vertreten durch F. Halabi als Bevollmächtigten,
der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, P. Busche, M. Hellmann und U. Kühne als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Baumgart und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Oktober 2022
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten und am 26. März 1995 in Kraft getretenen Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19) (im Folgenden: SDÜ) in seiner durch die Verordnung (EU) Nr. 610/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (ABl. 2013, L 182, S. 1) geänderten Fassung sowie von Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Es ergeht im Rahmen eines Auslieferungsersuchens, das von den Behörden der Vereinigten Staaten von Amerika an die Behörden der Bundesrepublik Deutschland gerichtet worden ist, um gegen HF, einen serbischen Staatsangehörigen, im Wege der Strafverfolgung vorzugehen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
SDÜ
Das SDÜ wurde geschlossen, um die Durchführung des am 14. Juni 1985 in Schengen unterzeichneten Übereinkommens zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 13) sicherzustellen.
Art. 20 SDÜ, der sich in Titel II Kapitel 4 („Voraussetzungen für den Reiseverkehr von Drittausländern“) des SDÜ befindet, bestimmt in Abs. 1:
„Sichtvermerksfreie Drittausländer können sich in dem Hoheitsgebiet der Vertragsparteien frei bewegen, höchstens jedoch 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen und soweit sie die in Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben a), c), d) und e) aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen.“
Der in Titel III Kapitel 3 („Verbot der Doppelbestrafung“) des SDÜ befindliche Art. 54 SDÜ lautet:
„Wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.“
Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union
Das SDÜ wurde durch das Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union, das dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft durch den Vertrag von Amsterdam beigefügt wurde (ABl. 1997, C 340, S. 93), als „Schengen-Besitzstand“ im Sinne des Anhangs zu diesem Protokoll in das Unionsrecht einbezogen.
In Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 dieses Protokolls heißt es:
„Der Rat [der Europäischen Union] legt … gemäß den einschlägigen Bestimmungen der Verträge die Rechtsgrundlage für jede Bestimmung und jeden Beschluss fest, die den Schengen-Besitzstand bilden.“
Gemäß dieser Bestimmung erließ der Rat am 20. Mai 1999 den Beschluss 1999/436/EG zur Festlegung der Rechtsgrundlagen für die einzelnen Bestimmungen und Beschlüsse, die den Schengen-Besitzstand bilden, nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Vertrags über die Europäische Union (ABl. 1999, L 176, S. 17). Aus Art. 2 und Anhang A dieses Beschlusses geht hervor, dass der Rat die Art. 34 und 31 EU als Rechtsgrundlagen für Art. 54 SDÜ festgelegt hat.
EU-USA-Abkommen
Art. 1 des Abkommens zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über Auslieferung vom 25. Juni 2003 (ABl. 2003, L 181, S. 27, im Folgenden: EU-USA-Abkommen) lautet:
„Die Vertragsparteien verpflichten sich gemäß den Bestimmungen dieses Abkommens Maßnahmen zur Verstärkung der Zusammenarbeit im Rahmen der für die Auslieferung von Straftätern geltenden Auslieferungsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den Vereinigten Staaten von Amerika zu treffen.“
Art. 3 („Anwendungsbereich dieses Abkommens im Verhältnis zu bilateralen Auslieferungsverträgen mit den Mitgliedstaaten“) des EU-USA-Abkommens regelt, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise die Bestimmungen in den Art. 4 bis 14 dieses Abkommens die Bestimmungen der von den Mitgliedstaaten mit den Vereinigten Staaten geschlossenen bilateralen Auslieferungsverträge ersetzen oder ergänzen.
Art. 16 („Zeitliche Geltung“) dieses Abkommens bestimmt:
„(1) Dieses Abkommen gilt für vor oder nach seinem Inkrafttreten begangene Straftaten.
(2) Dieses Abkommen gilt für nach seinem Inkrafttreten gestellte Auslieferungsersuchen. …“
Art. 17 („Nichtabweichung“) des EU-USA-Abkommens lautet:
„(1) Dieses Abkommen schließt nicht aus, dass der ersuchte Staat Gründe für eine Ablehnung aufgrund eines Umstandes geltend macht, der durch dieses Abkommen nicht geregelt ist, sich jedoch aus einem geltenden bilateralen Auslieferungsvertrag zwischen einem Mitgliedstaat und den Vereinigten Staaten von Amerika ergibt.
(2) In den Fällen, in denen die Verfassungsgrundsätze des ersuchten Staates oder die für diesen verbindlichen endgültigen richterlichen Entscheidungen ein Hindernis für die Erfüllung seiner Auslieferungspflicht darstellen können und dieses Abkommen oder der geltende bilaterale Vertrag keine Regelung dieser Angelegenheit vorsehen, konsultieren sich der ersuchte und der ersuchende Staat.“
Schengener Grenzkodex
Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Unionskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2016, L 77, S. 1, berichtigt in ABl. 2018, L 272, S. 69) in der durch die Verordnung (EU) 2018/1240 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. September 2018 über die Einrichtung eines Europäischen Reiseinformations- und -genehmigungssystems (ETIAS) und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1077/2011, (EU) Nr. 515/2014, (EU) 2016/399, (EU) 2016/1624 und (EU) 2017/2226 (ABl. 2018, L 236, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Schengener Grenzkodex) bestimmt:
„Für einen geplanten Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen, wobei der Zeitraum von 180 Tagen, der jedem Tag des Aufenthalts vorangeht, berücksichtigt wird, gelten für einen Drittstaatsangehörigen folgende Einreisevoraussetzungen:
Er muss im Besitz eines gültigen Reisedokuments sein, das seinen Inhaber zum Überschreiten der Grenze berechtigt und folgende Anforderungen erfüllt:
Es muss mindestens noch drei Monate nach der geplanten Ausreise aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gültig [sein]. In begründeten Notfällen kann von dieser Verpflichtung abgesehen werden.
Es muss innerhalb der vorangegangenen zehn Jahre ausgestellt worden sein.
Er muss im Besitz eines gültigen Visums – falls dies nach der [Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. 2018, L 303, S. 39),] vorgeschrieben ist – oder einer gültigen Reisegenehmigung – falls dies nach [der Verordnung 2018/1240] vorgeschrieben ist – sein, außer wenn er Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels oder eines gültigen Visums für den längerfristigen Aufenthalt ist;
…“
Diese Bestimmung ersetzte Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2006, L 105, S. 1), der seinerseits an die Stelle von Art. 5 Abs. 1 SDÜ getreten war. Mithin ist Art. 20 Abs. 1 SDÜ so zu verstehen, dass er nunmehr auf Art. 6 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex verweist.
Verordnung 2018/1806
Art. 3 Abs. 1 der Verordnung 2018/1806 lautet:
„Die Staatsangehörigen der Drittländer, die in der Liste in Anhang I aufgeführt sind, müssen beim Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten im Besitz eines Visums sein.“
Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung hat folgenden Wortlaut:
„Die Staatsangehörigen der in der Liste in Anhang II aufgeführten Drittländer sind von der Visumpflicht nach Artikel 3 Absatz 1 für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, befreit.“
Zu den in der Liste dieses Anhangs II aufgeführten Drittländern gehört die Republik Serbien.
Deutsches Recht
Art. 1 des Auslieferungsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 20. Juni 1987 (BGBl. 1980 II S. 647, im Folgenden: AuslV D-USA oder Auslieferungsvertrag Deutschland-USA) sieht in Abs. 1 vor:
„Die Vertragsparteien werden einander nach Maßgabe dieses Vertrags Personen ausliefern, die von einer Vertragspartei wegen einer im Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates begangenen Straftat verfolgt oder zur Vollstreckung einer gerichtlich erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung gesucht und im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei angetroffen werden.“
In Art. 2 („Auslieferungsfähige Straftaten“) AuslV D-USA in der durch den Zusatzvertrag zum Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 21. Oktober 1986 (BGBl 1988 II S. 1087) geänderten Fassung heißt es:
„(1) Auslieferungsfähige Straftaten nach diesem Vertrag sind Straftaten, die nach dem Recht beider Vertragsparteien strafbar sind. …
(2) Ausgeliefert wird wegen einer auslieferungsfähigen Straftat, und zwar
zur Strafverfolgung, wenn die Tat nach dem Recht beider Vertragsparteien mit Freiheitsentziehung im Höchstmaß von mehr als einem Jahr bedroht ist …
…“
Art. 8 („Ne bis in idem“) AuslV D-USA lautet:
„Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn der Verfolgte wegen der Straftat, derentwegen um Auslieferung ersucht wird, von den zuständigen Behörden des ersuchten Staates bereits rechtskräftig freigesprochen oder verurteilt worden ist.“
Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts wurde der Auslieferungsvertrag Deutschland-USA durch den Zweiten Zusatzvertrag zum Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 18. April 2006 (BGBl. 2007 II S. 1634, im Folgenden: Zweiter Zusatzvertrag) an das EU-USA-Abkommen angepasst.
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
Am 20. Januar 2022 wurde HF, ein serbischer Staatsangehöriger, aufgrund einer Red Notice, die von der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation (Interpol) auf Ersuchen der US-amerikanischen Behörden herausgegeben worden war, in Deutschland vorläufig festgenommen. Diese Behörden begehren seine Auslieferung zur Strafverfolgung wegen in der Zeit von September 2008 bis Dezember 2013 begangener Straftaten. Die Red Notice beruht auf einem Haftbefehl, der am 4. Dezember 2018 vom United States District Court for the District of Columbia (Bundesbezirksgericht der Vereinigten Staaten von Amerika für den District of Columbia) erlassen worden war.
Daher befindet sich HF seit dem 20. Januar 2022 für dieses Auslieferungsverfahren in Deutschland in Auslieferungshaft.
Bei den Straftaten, auf die sich das Auslieferungsersuchen bezieht, handelt es sich nach der Beschreibung im Vorlagebeschluss um die Verabredung zur Beteiligung an kriminell beeinflussten korrupten Organisationen und die Verabredung zur Begehung von Bankbetrug und Betrug mittels Fernmeldeeinrichtungen nach Title 18, U. S. Code, Section 1962 (d) und Section 1349.
Mit Schreiben vom 25. Januar 2022 leiteten die US-amerikanischen Behörden den deutschen Behörden den Haftbefehl vom 4. Dezember 2018 zusammen mit der Anklage der Grand Jury des United States Court of Appeals for the District of Columbia (Bundesberufungsgericht für den District of Columbia) vom selben Tag zu.
Bei seiner Festnahme hatte HF nach eigenen Angaben seinen Wohnsitz in Slowenien und führte einen am 11. Juli 2016 ausgestellten und bis 11. Juli 2026 gültigen serbischen Reisepass, einen am 3. November 2017 ausgestellten und am 3. November 2019 abgelaufenen slowenischen Aufenthaltstitel sowie einen kosovarischen Personalausweis mit sich. Laut Vorlagebeschluss hatten die slowenischen Behörden im Jahr 2020 einen Antrag von HF auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels abgelehnt.
Auf Ersuchen des Oberlandesgerichts München (Deutschland), des vorlegenden Gerichts, das über die begehrte Auslieferung von HF an die Vereinigten Staaten zu entscheiden hat, und der Generalstaatsanwaltschaft München (Deutschland) übermittelten die slowenischen Behörden folgende Informationen.
Erstens sei HF durch das Urteil des Okrožno sodišče v Mariboru (Regionalgericht Maribor, Slowenien) vom 6. Juli 2012, rechtskräftig seit dem 19. Oktober 2012, wegen der Straftat des „Angriffs auf das Informationssystem“ gemäß Art. 221 Abs. IV in Verbindung mit Abs. II des Kazenski zakonik (slowenisches Strafgesetzbuch), begangen in der Zeit von Dezember 2009 bis Juni 2010, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden.
Zweitens sei diese Haftstrafe durch 480 Stunden gemeinnützige Arbeit ersetzt worden, die HF bis zum 25. Juni 2015 vollständig abgeleistet habe.
Drittens habe das Okrožno sodišče v Kopru (Regionalgericht Koper, Slowenien) mit Beschluss vom 23. September 2020 ein an die slowenischen Behörden gerichtetes Ersuchen der US-amerikanischen Behörden um Auslieferung von HF zur Strafverfolgung mit der Begründung abgelehnt, dass die von diesem Ersuchen erfassten Sachverhalte bis Juni 2010 Gegenstand des oben in Rn. 28 genannten Urteils des Okrožno sodišče v Mariboru (Regionalgericht Maribor) gewesen seien. Für die weiteren in dem Auslieferungsersuchen dargestellten Sachverhalte nach Juni 2010 bestehe kein Tatverdacht.
Viertens und letztens sei dieser Beschluss des Okrožno sodišče v Kopru (Regionalgericht Koper) durch den Beschluss des Višje sodišče v Kopru (Obergericht Koper, Slowenien) vom 8. Oktober 2020 bestätigt und rechtskräftig geworden.
Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts betreffen das vorher an die slowenischen Behörden gerichtete Auslieferungsersuchen und das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Auslieferungsersuchen die gleichen Straftaten. Der Sachverhalt, den das Okrožno sodišče v Mariboru (Regionalgericht Maribor) in seinem oben in Rn. 28 angesprochenen Urteil abgeurteilt habe, sei identisch mit dem Sachverhalt, der dem letztgenannten Auslieferungsersuchen zugrunde liege, soweit darin bis Juni 2010 begangene Straftaten geschildert würden.
Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Zulässigkeit des Auslieferungsersuchens, soweit es Taten bis Juni 2010 betreffe, daher davon abhänge, ob das in Art. 54 SDÜ in Verbindung mit Art. 50 der Charta verankerte Verbot der Doppelbestrafung im Ausgangsrechtsstreit Anwendung finde.
In Anbetracht der zwischen dem Ausgangsverfahren und dem Verfahren, in dem das Urteil vom 12. Mai 2021, Bundesrepublik Deutschland (Von Interpol herausgegebene Red Notice) (C-505/19, im Folgenden: Urteil Interpol Red Notice, EU:C:2021:376), ergangen ist, bestehenden Unterschiede könne diese Frage nicht anhand des letztgenannten Urteils entschieden werden.
Das vorlegende Gericht weist erstens darauf hin, dass es sich bei HF um keinen Unionsbürger handele.
Zweitens habe der Ausgangsrechtsstreit ein förmliches Auslieferungsersuchen zum Gegenstand und nicht lediglich eine von Interpol herausgegebene Red Notice im Hinblick auf eine vorläufige Festnahme für eine eventuelle Auslieferung.
Drittens würde die Bundesrepublik Deutschland mit einer Ablehnung der Auslieferung von HF aufgrund der Verpflichtung zur Beachtung des Grundsatzes ne bis in idem gemäß Art. 50 der Charta ihre in Art. 1 Abs. 1 AuslV D-USA vorgesehene Pflicht zur Auslieferung verletzen, da die HF angelastete Straftat die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 und 2 AuslV D-USA erfülle.
Der Umstand, dass HF durch das Urteil des Okrožno sodišče v Mariboru (Regionalgericht Maribor) vom 6. Juli 2012 wegen eines Teils der von dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auslieferungsersuchen erfassten Straftaten, nämlich der bis Juni 2010 begangenen Taten, bereits rechtskräftig verurteilt und die gegen ihn verhängte Strafe bereits rechtskräftig vollstreckt worden sei, stelle kein Hindernis für die Auslieferung von HF dar. Denn wie aus dem Wortlaut von Art. 8 AuslV D-USA klar hervorgehe, verbiete diese Bestimmung dem ersuchten Staat die Bewilligung einer Auslieferung aufgrund des Verbots der Doppelbestrafung nur dann, wenn der Verfolgte von den zuständigen Behörden des ersuchten Staates, hier der Bundesrepublik Deutschland, bereits rechtskräftig verurteilt worden sei. Es sei nicht möglich, diese Bestimmung so auszulegen, dass sie auch Verurteilungen in anderen Mitgliedstaaten umfasse.
Zudem hätten sich die Bundesrepublik Deutschland und die Vereinigten Staaten im Rahmen der Verhandlungen zum Auslieferungsvertrag Deutschland-USA ausdrücklich darauf geeinigt, dass in Drittstaaten ergangene Entscheidungen eine Auslieferung nicht hinderten.
Schließlich ergebe sich diese Auslegung von Art. 8 AuslV D-USA auch daraus, dass in dem Zweiten Zusatzvertrag, mit dem der Auslieferungsvertrag Deutschland-USA an das EU-USA-Abkommen angepasst worden sei, keine gesonderte Regelung zur Ausweitung des Doppelbestrafungsverbots auf alle Mitgliedstaaten getroffen worden sei.
Es sei allerdings fraglich, ob Art. 50 der Charta in Verbindung mit Art. 54 SDÜ verlange, dass die Bundesrepublik Deutschland die Auslieferung von HF an die Vereinigten Staaten hinsichtlich der Straftaten ablehne, derentwegen er vom Okrožno sodišče v Mariboru (Regionalgericht Maribor) rechtskräftig abgeurteilt worden sei.
Zwar seien die Voraussetzungen für die Anwendung des in Art. 50 der Charta und Art. 54 SDÜ verankerten Verbots der Doppelbestrafung im Ausgangsverfahren erfüllt.
Zunächst sei HF nämlich von einem Gericht eines Mitgliedstaats rechtskräftig verurteilt und die verhängte Strafe vollständig vollstreckt worden.
Sodann kämen die in Rn. 42 des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen nicht allein Unionsbürgern zugute.
Darüber hinaus handle es sich nach den Rn. 94 und 95 des Urteils Interpol Red Notice um Strafverfolgung im Sinne von Art. 54 SDÜ, wenn eine Person, die Gegenstand einer von Interpol auf Ersuchen eines Drittstaats herausgegebenen Red Notice sei, durch einen Mitgliedstaat vorläufig festgenommen werde. Daher sei auch eine Entscheidung über die Zulässigkeit einer Auslieferung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die zur Übergabe des Betroffenen zur Strafverfolgung an den ersuchenden Drittstaat führe, als Strafverfolgung anzusehen.
Schließlich handle es sich bei einer Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung eines in einem Mitgliedstaat festgenommenen Drittstaatsangehörigen an die Vereinigten Staaten um die Durchführung des Unionsrechts im Sinne von Art. 51 der Charta. Eine solche Entscheidung betreffe nämlich jedenfalls das EU-USA-Abkommen, bei dessen Anwendung die in der Charta verankerten Grundrechte zu berücksichtigen seien. Außerdem habe HF zum Zeitpunkt seiner Festnahme das Recht auf Bewegungsfreiheit nach Art. 20 Abs. 1 SDÜ in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. b des Schengener Grenzkodexes sowie Art. 4 Abs. 1 der Verordnung 2018/1806 besessen, da er als serbischer Staatsangehöriger von der Visumpflicht befreit gewesen sei. Daher seien die in der Charta verankerten Grundrechte bei der Anwendung von Art. 20 SDÜ zu berücksichtigen.
Gleichwohl hegt das vorlegende Gericht Zweifel, ob Art. 50 der Charta in Verbindung mit Art. 54 SDÜ dazu führen könne, dass ein Drittstaatsangehöriger nicht an die Vereinigten Staaten ausgeliefert werden dürfe.
Im Urteil Interpol Red Notice habe sich der Gerichtshof auf das Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 21 AEUV der von einer Red Notice betroffenen Person, eines deutschen Staatsangehörigen, bezogen, bevor er zu dem Schluss gekommen sei, dass sich diese Person im Rahmen einer von Interpol herausgegebenen Red Notice im Hinblick auf eine vorläufige Festnahme dieser Person zu ihrer eventuellen Auslieferung an einen Drittstaat auf das in Art. 54 SDÜ garantierte Verbot der Doppelbestrafung berufen könne.
HF stehe aber als serbischem Staatsangehörigen das Recht auf Freizügigkeit im Sinne von Art. 21 Abs. 1 AEUV nicht zu. Andererseits verfüge er über das Recht auf Bewegungsfreiheit nach Art. 20 SDÜ, da er von der Visumpflicht befreit sei. Mithin sei zu prüfen, ob das Recht auf Bewegungsfreiheit nach Art. 20 SDÜ unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eingeschränkt werden könne.
Insoweit würde das vorlegende Gericht eher zu der Ansicht neigen, dass Art. 54 SDÜ in Verbindung mit Art. 50 der Charta der Auslieferung von HF an die Vereinigten Staaten nicht entgegenstehe, da dieses Gericht die im AuslV D-USA vorgesehene Verpflichtung zur Auslieferung zu beachten habe.
Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, stützt sich das vorlegende Gericht auf eine Auslegung von Art. 351 Abs. 1 AEUV, wonach dieser auch Abkommen erfasse, die zwar nach dem 1. Januar 1958 von einem Mitgliedstaat geschlossen worden seien, aber einen Sachbereich beträfen, für den die Union erst nach dem Abschluss dieser Abkommen zuständig geworden sei, und zwar durch einen Kompetenzzuwachs für die Union, wobei die Kompetenzverschiebung für den betreffenden Mitgliedstaat bei Vertragsschluss objektiv nicht vorhersehbar gewesen sei.
Der Auslieferungsvertrag Deutschland-USA sei am 30. Juli 1980 in Kraft getreten, also vor dem Abschluss des Übereinkommens zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen am 14. Juni 1985 und erst recht vor dem Abschluss des SDÜ am 19. Juni 1990 und des dem Vertrag von Amsterdam beigefügten Protokolls am 2. Oktober 1997, das den Schengen-Besitzstand in den Rahmen der Union integriert habe. Damit sei es für die Bundesrepublik Deutschland beim Abschluss des Auslieferungsvertrags Deutschland-USA nicht absehbar gewesen, dass ein europaweiter Grundsatz ne bis in idem bzw. die justizielle Zusammenarbeit im Bereich des Strafrechts in die Kompetenzbereiche der Union aufgenommen würden.
Zudem könne daraus, dass das EU-USA-Abkommen kein solches europaweites Doppelbestrafungsverbot vorsehe, der Umkehrschluss gezogen werden, dass ein bilateraler Auslieferungsvertrag, der lediglich ein nationales Doppelbestrafungsverbot vorschreibe, weiterhin zu beachten sei.
Unter diesen Umständen hat das Oberlandesgericht München (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 54 SDÜ in Verbindung mit Art. 50 der Charta dahin auszulegen, dass diese Rechtsvorschriften der Auslieferung eines Drittstaatsangehörigen, der kein Unionsbürger im Sinne von Art. 20 AEUV ist, durch die Behörden eines Vertragsstaats dieses Übereinkommens und eines EU-Mitgliedstaats an einen Drittstaat entgegenstehen, wenn die betreffende Person von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union wegen derselben Taten, auf die sich das Auslieferungsersuchen bezieht, bereits rechtskräftig abgeurteilt und dieses Urteil vollstreckt worden ist und wenn die Entscheidung, die Auslieferung dieser Person an den Drittstaat abzulehnen, nur unter Inkaufnahme einer Verletzung eines mit diesem Drittstaat bestehenden bilateralen Auslieferungsvertrags möglich wäre?
Zum Antrag auf Anwendung des Eilvorabentscheidungsverfahrens
Das vorlegende Gericht hat beantragt, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 23a Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen.
Das vorlegende Gericht hat seinen Antrag darauf gestützt, dass sich HF seit dem 20. Januar 2022 für das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Auslieferungsverfahren in Deutschland in Auslieferungshaft befinde und dass die Antwort auf die Vorlagefrage Auswirkungen auf diese Auslieferungshaft haben könne.
Erstens ist festzustellen, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen u. a. die Auslegung von Art. 54 SDÜ betrifft und dass der Rat, wie sich aus Art. 2 des Beschlusses 1999/436 und dessen Anhang A ergibt, die Art. 34 und 31 EU als Rechtsgrundlagen für Art. 54 SDÜ bestimmt hat.
Art. 34 EU wurde zwar durch den Vertrag von Lissabon aufgehoben, doch wurden die Bestimmungen von Art. 31 EU in den Art. 82, 83 und 85 AEUV aufgegriffen. Die letztgenannten Bestimmungen gehören zu Titel V („Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“) des Dritten Teils des AEU-Vertrags. Daher kann das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 23a Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 107 Abs. 1 der Verfahrensordnung Gegenstand des Eilvorabentscheidungsverfahrens sein.
Was zweitens das Kriterium der Dringlichkeit betrifft, ist dieses nach ständiger Rechtsprechung erfüllt, wenn der im Ausgangsverfahren betroffenen Person zum Zeitpunkt der Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens ihre Freiheit entzogen ist und ihre weitere Inhaftierung von der Entscheidung des Ausgangsverfahrens abhängt (Urteil vom 28. April 2022, C und CD [Rechtliche Hindernisse der Durchführung einer Übergabeentscheidung], C-804/21 PPU, EU:C:2022:307, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass HF derzeit vorläufig festgenommen ist und dass das vorlegende Gericht je nachdem, wie die Vorlagefrage beantwortet wird, veranlasst sein könnte, die Freilassung von HF anzuordnen.
Unter diesen Umständen hat die Zweite Kammer des Gerichtshofs auf Vorschlag der Berichterstatterin und nach Anhörung des Generalanwalts am 15. Juli 2022 entschieden, dem Antrag des vorlegenden Gerichts, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen dem Eilvorabentscheidungsverfahren zu unterwerfen, stattzugeben.
Sie hat ferner nach Art. 113 Abs. 2 der Verfahrensordnung entschieden, die vorliegende Rechtssache erneut dem Gerichtshof zu unterbreiten, damit sie an die Große Kammer verwiesen wird.
Zur Vorlagefrage
Mit seiner Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 54 SDÜ in Verbindung mit Art. 50 der Charta dahin auszulegen ist, dass er der Auslieferung eines Drittstaatsangehörigen an einen anderen Drittstaat durch die Behörden eines Mitgliedstaats entgegensteht, wenn dieser Drittstaatsangehörige in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Taten wie denen, auf die sich das Auslieferungsersuchen bezieht, rechtskräftig verurteilt worden ist und die dort verhängte Strafe verbüßt hat und das Auslieferungsersuchen auf einem bilateralen Auslieferungsvertrag beruht, der die Reichweite des Grundsatzes ne bis in idem auf die Urteile beschränkt, die in dem ersuchten Mitgliedstaat ergangen sind.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Grundsatz ne bis in idem um einen tragenden Grundsatz des Unionsrechts handelt, der nunmehr in Art. 50 der Charta niedergelegt ist (Urteile vom 22. März 2022, bpost, C-117/20, EU:C:2022:202, Rn. 22, und Nordzucker u. a., C-151/20, EU:C:2022:203, Rn. 28).
Außerdem ergibt sich dieser Grundsatz, der auch in Art. 54 SDÜ verankert ist, aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten. Diese Bestimmung ist mithin im Licht von Art. 50 der Charta auszulegen; sie gewährleistet, dass dessen Wesensgehalt gewahrt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Interpol Red Notice, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Angesichts der vom vorlegenden Gericht geäußerten und in den Rn. 47 bis 53 des vorliegenden Urteils dargelegten Zweifel sind zunächst die Kriterien für die Auslegung von Art. 54 SDÜ zu prüfen, bevor darauf eingegangen wird, ob der Auslieferungsvertrag Deutschland-USA und Art. 351 Abs. 1 AEUV Auswirkungen auf die Anwendung dieses Artikels im Ausgangsverfahren haben können.
Zu Art. 54 SDÜ
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil Interpol Red Notice, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Wie aus dem Wortlaut von Art. 54 SDÜ hervorgeht, steht diese Bestimmung dem entgegen, dass eine Person, die („wer“) durch einen Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, durch einen anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat verfolgt wird, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des erstgenannten Staats nicht mehr vollstreckt werden kann.
Im vorliegenden Fall fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof konkret nach der Anwendung dieser Bestimmung im Hinblick auf ein förmliches Auslieferungsersuchen sowie danach, ob der in dieser Bestimmung verwendete Begriff „wer“ einen Drittstaatsangehörigen einschließt.
Insoweit ist erstens davon auszugehen, dass der Begriff „Verfolgung“ im Sinne von Art. 54 SDÜ ein Auslieferungsersuchen umfasst. Wenn nämlich, wie der Generalanwalt in Nr. 46 seiner Schlussanträge im Wesentlichen festgestellt hat, die vorläufige Festnahme einer Person, die Gegenstand einer Red Notice von Interpol ist, die eine eventuelle Auslieferung dieser Person an einen Drittstaat ermöglichen soll, unter diesen Begriff fällt, gilt dies erst recht für die Entscheidung, einem Auslieferungsersuchen stattzugeben, da eine solche Entscheidung eine Handlung eines Mitgliedstaats darstellt, die zur effektiven Ausübung der Strafverfolgung in dem betreffenden Drittstaat beiträgt.
Zweitens ist zu der Frage, ob der Begriff „wer“ im Sinne von Art. 54 SDÜ einen Drittstaatsangehörigen einschließt, darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung die Wahrung des Grundsatzes ne bis in idem gewährleistet, wenn eine Person („wer“) von einem Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist.
Somit ist zunächst festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 54 SDÜ keine Voraussetzung aufstellt, die sich auf den Besitz der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats bezieht.
Sodann wird diese Schlussfolgerung durch den Kontext dieser Bestimmung bestätigt.
Art. 50 der Charta, in dessen Licht Art. 54 SDÜ auszulegen ist, bestimmt nämlich, dass „niemand“ wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden darf. Mithin stellt auch Art. 50 der Charta keinen Zusammenhang mit der Unionsbürgerschaft her. Zudem befindet sich Art. 50 der Charta, wie der Generalanwalt in Nr. 49 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht in Kapitel V („Bürgerrechte“) der Charta, sondern in ihrem Kapitel VI („Justizielle Rechte“).
Schließlich wird die Auslegung von Art. 54 SDÜ, wonach der in dieser Bestimmung verwendete Begriff „wer“ einen Drittstaatsangehörigen einschließt, auch durch die mit dieser Bestimmung verfolgten Ziele gestützt.
Zum einen geht nämlich aus der Rechtsprechung hervor, dass das in dieser Bestimmung aufgestellte Verbot der Doppelbestrafung im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts verhindern soll, dass eine rechtskräftig abgeurteilte Person, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht, wegen derselben Tat im Hoheitsgebiet mehrerer Mitgliedstaaten verfolgt wird, um Rechtssicherheit zu gewährleisten, indem unanfechtbar gewordene Entscheidungen staatlicher Stellen beachtet werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Interpol Red Notice, Rn. 79).
Zum anderen hat der Gerichtshof entschieden, dass der Grundsatz ne bis in idem als Ausfluss des Grundsatzes res iudicata Rechtssicherheit und Gerechtigkeit gewährleisten soll, indem er sicherstellt, dass wer einmal verfolgt und gegebenenfalls mit einer Sanktion belegt worden ist, die Sicherheit hat, für denselben Verstoß nicht noch einmal verfolgt zu werden (Urteil vom 22. März 2022, Nordzucker u. a., C-151/20, EU:C:2022:203, Rn. 62). Mithin gewährleistet Art. 54 SDÜ Personen, die nach Strafverfolgung rechtskräftig abgeurteilt worden sind, ihren Bürgerfrieden (Urteil vom 28. September 2006, Gasparini u. a., C-467/04, EU:C:2006:610, Rn. 27).
Somit ist im Hinblick auf die mit Art. 54 SDÜ verfolgten Ziele davon auszugehen, dass diese Bestimmung nicht nur für die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats gilt, sondern generell garantieren soll, dass sich jeder, der in einem Mitgliedstaat verurteilt worden ist und seine Strafe verbüßt hat oder gegebenenfalls endgültig freigesprochen worden ist, im Schengen-Gebiet bewegen kann, ohne befürchten zu müssen, dass er in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat verfolgt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juni 2016, Kossowski, C-486/14, EU:C:2016:483, Rn. 45).
Darüber hinaus ist in der mündlichen Verhandlung die Frage aufgeworfen worden, ob es für die Feststellung, ob HF unter Art. 54 SDÜ fällt, von Belang ist, ob sein Aufenthalt bei seiner Festnahme rechtmäßig war oder nicht.
Dieser Umstand ist für die Anwendung von Art. 54 SDÜ nicht von Relevanz. Selbst wenn der Aufenthalt des betreffenden Drittstaatsangehörigen bei seiner Festnahme nicht oder nicht mehr rechtmäßig wäre, würde dies nicht dazu führen, dass er von dem durch diese Bestimmung gewährten Schutz ausgeschlossen würde.
Zwar soll, wie in Rn. 76 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, das in Art. 54 SDÜ aufgestellte Verbot der Doppelbestrafung u. a. garantieren, dass sich eine in einem Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilte Person im Schengen-Gebiet bewegen kann, ohne befürchten zu müssen, dass sie in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat verfolgt wird.
Aus Art. 54 SDÜ geht jedoch nicht hervor, dass das darin vorgesehene Grundrecht bei Drittstaatsangehörigen davon abhängig wäre, dass Voraussetzungen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts oder des Bestehens eines Rechts auf Freizügigkeit im Schengen-Gebiet erfüllt sind. Das einzige in dieser Bestimmung aufgestellte und in jedem Fall geltende Erfordernis besteht vielmehr darin, in einem Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden zu sein, wobei im Fall einer Verurteilung erforderlich ist, dass die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.
Ferner ist hervorzuheben, dass keine andere Bestimmung des SDÜ die Anwendung seines Art. 54 von Voraussetzungen abhängig macht, die die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Betroffenen oder das Bestehen eines Rechts auf Freizügigkeit im Schengen-Gebiet betreffen. Während diese Bestimmung zu Titel III („Polizei und Sicherheit“) des SDÜ gehört, befinden sich die Bestimmungen über die Voraussetzungen für den Reiseverkehr von Drittausländern in Titel II („Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen und Personenverkehr“) dieses Übereinkommens.
Darüber hinaus soll, wie in den Rn. 76 und 77 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, das in Art. 54 SDÜ aufgestellte Verbot der Doppelbestrafung auch die Rechtssicherheit im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gewährleisten, indem unanfechtbar gewordene Entscheidungen mitgliedstaatlicher Stellen beachtet werden.
Der unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und der Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts bestehende Schutz jeder in einem Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilten Person vor erneuter Verfolgung wegen derselben Tat in einem anderen Mitgliedstaat trägt zur Verwirklichung dieses Ziels bei.
Folglich ist davon auszugehen, dass in einer Rechtssache wie der des Ausgangsverfahrens die betroffene Person unter Art. 54 SDÜ fällt, und zwar unabhängig davon, ob ihr Aufenthalt bei ihrer Festnahme rechtmäßig war oder nicht, und mithin davon, ob sie das Recht auf Bewegungsfreiheit nach Art. 20 Abs. 1 SDÜ besaß.
Diese Feststellung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Gerichtshof, wie das vorlegende Gericht hervorhebt, im Urteil Interpol Red Notice mehrfach auf das Recht auf Freizügigkeit im Sinne von Art. 21 AEUV Bezug genommen hat.
Aus diesem Urteil, insbesondere aus dessen Rn. 89 bis 93 und 106, geht nämlich hervor, dass der Gerichtshof in diesem Urteil Art. 54 SDÜ allein im Licht von Art. 50 der Charta und nicht im Licht von Art. 21 AEUV ausgelegt hat. Im Übrigen finden, wie der Generalanwalt in Nr. 52 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, die in diesem Urteil enthaltenen Bezugnahmen auf Art. 21 AEUV ihre Erklärung in den Umständen der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist. Darin beanstandete ein deutscher Staatsangehöriger, dass er durch die Herausgabe einer ihn betreffenden Red Notice von Interpol daran gehindert werde, sein Recht auf Freizügigkeit nach diesem Artikel auszuüben, da er sich nicht in einen anderen Mitgliedstaat als die Bundesrepublik Deutschland begeben könne, ohne Gefahr zu laufen, festgenommen zu werden.
Darüber hinaus hat der Gerichtshof im Urteil vom 27. Mai 2014, Spasic (C-129/14 PPU, EU:C:2014:586, Rn. 61 bis 63), keinen Vorbehalt hinsichtlich der Anwendbarkeit von Art. 54 SDÜ im Licht von Art. 3 Abs. 2 EUV im Ausgangsrechtsstreit geäußert, obwohl dieser Rechtsstreit wie das Ausgangsverfahren einen serbischen Staatsangehörigen betraf, der nicht das in Art. 21 AEUV garantierte Recht auf Freizügigkeit besaß.
Daraus folgt, dass Art. 54 SDÜ in Verbindung mit Art. 50 der Charta der Auslieferung eines Drittstaatsangehörigen an einen anderen Drittstaat durch die Behörden eines Mitgliedstaats entgegensteht, wenn zum einen dieser Drittstaatsangehörige in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat wie der, auf die sich das Auslieferungsersuchen bezieht, rechtskräftig abgeurteilt worden ist und zum anderen im Fall einer Verurteilung die Strafe bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des anderen Mitgliedstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.
Diese Auslegung von Art. 54 SDÜ kann nicht durch das Vorbringen der Generalstaatsanwaltschaft München und der deutschen Regierung sowohl in ihren schriftlichen Erklärungen als auch in der mündlichen Verhandlung in Frage gestellt werden, wonach diese Bestimmung im Fall eines Ersuchens um Auslieferung eines Drittstaatsangehörigen an einen anderen Drittstaat eng auszulegen sei, um das ordnungsgemäße Funktionieren der Rechtspflege und die Wirksamkeit der Strafverfolgung zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang äußern diese Beteiligten Bedenken hinsichtlich der Frage, ob im Verfahren vor den slowenischen Gerichten alle Gesichtspunkte berücksichtigt worden seien, die für die Beurteilung der von HF in dem von diesen Gerichten betrachteten Zeitraum begangenen Taten relevant seien, insbesondere bestimmte Informationen, über die die US-Behörden verfügt hätten.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sowohl der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten als auch der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, der seinerseits auf dem gegenseitigen Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten beruht, im Unionsrecht fundamentale Bedeutung haben, da sie die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglichen (Urteil vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Was insbesondere Art. 54 SDÜ betrifft, hat der Gerichtshof entschieden, dass dieser zwingend impliziert, dass ein gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweiligen Strafjustizsysteme besteht und dass jeder von ihnen die Anwendung des in den anderen Mitgliedstaaten geltenden Strafrechts akzeptiert, auch wenn die Durchführung seines eigenen nationalen Rechts zu einem anderen Ergebnis führen würde. Dieses gegenseitige Vertrauen erfordert, dass die betreffenden zuständigen Behörden des zweiten Mitgliedstaats eine im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats erlassene rechtskräftige Entscheidung so akzeptieren, wie sie ihnen mitgeteilt worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Interpol Red Notice, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Eine Auslegung von Art. 54 SDÜ, wie sie von der Generalstaatsanwaltschaft München und der deutschen Regierung befürwortet wird, würde, da sie darauf hinausliefe, dass ein und dieselbe Person wegen derselben Tat wie der, derentwegen sie in einem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, mehrfach strafrechtlich verfolgt werden könnte, im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten die Grundlage des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts als Raum ohne Binnengrenzen in Frage stellen sowie gegen die Grundsätze des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung von Gerichtsentscheidungen in Strafsachen verstoßen, auf denen diese Bestimmung beruht.
Zum Auslieferungsvertrag Deutschland-USA und zum EU-USA-Abkommen
Das vorlegende Gericht möchte ferner wissen, ob sich der Umstand, dass das EU-USA-Abkommen keinen auf den Grundsatz ne bis in idem gestützten Ablehnungsgrund vorsieht und der Auslieferungsvertrag Deutschland-USA die Reichweite des Grundsatzes ne bis in idem auf die im ersuchten Staat ergangenen Urteile beschränkt, auf die Beantwortung der Vorlagefrage auswirken kann.
Insoweit ergibt sich aus Art. 1 des EU-USA-Abkommens, dass sich die Union und die Vereinigten Staaten verpflichtet haben, gemäß den Bestimmungen dieses Abkommens Maßnahmen zur Verstärkung der Zusammenarbeit „im Rahmen der für die Auslieferung von Straftätern geltenden Auslieferungsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den Vereinigten Staaten von Amerika zu treffen“.
Darüber hinaus geht aus Art. 3 („Anwendungsbereich dieses Abkommens im Verhältnis zu bilateralen Auslieferungsverträgen mit den Mitgliedstaaten“) des EU-USA-Abkommens hervor, dass die Bestimmungen in den Art. 4 bis 14 dieses Abkommens die Bestimmungen der von den Mitgliedstaaten mit den Vereinigten Staaten geschlossenen bilateralen Auslieferungsverträge nach Maßgabe der in diesem Art. 3 vorgesehenen Voraussetzungen und Modalitäten ersetzen oder ergänzen.
Daher findet das EU-USA-Abkommen auf die Auslieferungsbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den Vereinigten Staaten Anwendung, d. h. auf die Beziehungen, die in geltenden bilateralen Auslieferungsverträgen wie dem Auslieferungsvertrag Deutschland-USA geregelt sind. Wie die Europäische Kommission geltend macht, stellt dieses Abkommen somit einen gemeinsamen Rahmen für Verfahren von Auslieferungen an die Vereinigten Staaten dar, in den sich die bestehenden bilateralen Auslieferungsverträge einfügen.
Außerdem bestimmt Art. 16 Abs. 1 des EU-USA-Abkommens, dass dieses Abkommen sowohl für Straftaten gilt, die vor seinem Inkrafttreten, dem 1. Februar 2010, begangen wurden, als auch für danach begangene Straftaten. Nach Art. 16 Abs. 2 des EU-USA-Abkommens gilt dieses Abkommen für nach seinem Inkrafttreten gestellte Auslieferungsersuchen.
Da das EU-USA-Abkommen aber nicht unmittelbar Auslieferungsverfahren vorsieht, sondern sich auf die Auslieferungsverfahren stützt, die in den geltenden bilateralen Auslieferungsverträgen vorgesehen sind, müssen die in seinem Art. 16 Abs. 2 genannten Auslieferungsersuchen notwendigerweise auf der Grundlage eines bilateralen Auslieferungsvertrags zwischen einem Mitgliedstaat und den Vereinigten Staaten, wie des Auslieferungsvertrags Deutschland-USA, gestellt werden.
Daraus folgt, dass das EU-USA-Abkommen auf ein Auslieferungsverfahren wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende anwendbar ist, weil das Auslieferungsersuchen nach Inkrafttreten dieses Abkommens auf der Grundlage des Auslieferungsvertrags Deutschland-USA gestellt worden ist (vgl. entsprechend Urteil vom 10. April 2018, Pisciotti, C-191/16, EU:C:2018:222, Rn. 32).
Zwar sieht das EU-USA-Abkommen nicht ausdrücklich vor, dass die Behörden der Mitgliedstaaten eine Auslieferung, um die die Vereinigten Staaten ersuchen, wegen des Verbots der Doppelbestrafung verweigern dürften (Urteil Interpol Red Notice, Rn. 97).
Gleichwohl erfasst Art. 17 Abs. 2 des EU-USA-Abkommens Fälle, in denen die Verfassungsgrundsätze des ersuchten Staates oder verbindliche endgültige richterliche Entscheidungen ein Hindernis für die Erfüllung seiner Auslieferungspflicht darstellen können und weder das EU-USA-Abkommen noch der geltende bilaterale Vertrag eine Regelung dieser Angelegenheit vorsehen, und sieht vor, dass sich der ersuchte und der ersuchende Staat in diesen Fällen konsultieren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. April 2018, Pisciotti, C-191/16, EU:C:2018:222, Rn. 40).
Dieser Art. 17 Abs. 2 erlaubt also im Grundsatz, dass ein Mitgliedstaat entweder auf der Grundlage der Vorschriften seines Verfassungsrechts oder auf der Grundlage verbindlicher endgültiger richterlicher Entscheidungen denjenigen Personen einen Sonderstatus einräumt, die wegen derselben Straftat wie der, derentwegen um ihre Auslieferung ersucht wird, bereits rechtskräftig abgeurteilt worden sind, indem er die Auslieferung verbietet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. April 2018, Pisciotti, C-191/16, EU:C:2018:222, Rn. 41). Er stellt somit eine eigenständige und subsidiäre Rechtsgrundlage für die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem im Rahmen eines von den Vereinigten Staaten an einen Mitgliedstaat gerichteten Auslieferungsersuchens dar, wenn der anwendbare bilaterale Vertrag keine Regelung dieser Angelegenheit vorsieht.
Das vorlegende Gericht führt allerdings aus, dass nach Art. 8 des Auslieferungsvertrags D-USA die Auslieferung zwar nicht bewilligt werde, wenn der Verfolgte wegen der Straftat, derentwegen um Auslieferung ersucht wird, von den zuständigen Behörden des ersuchten Staates bereits rechtskräftig verurteilt worden sei, diese Vorschrift aber keine solche Möglichkeit vorsehe, wenn ein in einem anderen Staat ergangenes rechtskräftiges Urteil vorliege.
Die Befugnis der Mitgliedstaaten, Vorschriften über Auslieferungsverfahren zu erlassen, muss jedoch im Einklang mit dem Unionsrecht ausgeübt werden, zu dem Art. 54 SDÜ und Art. 50 der Charta gehören; letzterer ist angesichts der Feststellungen in den Rn. 86 und 101 des vorliegenden Urteils auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht nämlich hervor, dass die Mitgliedstaaten mangels einer unionsrechtlichen Regelung der Verfahren der Auslieferung an einen Drittstaat zwar für den Erlass entsprechender Regelungen zuständig bleiben, bei der Ausübung dieser Zuständigkeit aber das Unionsrecht beachten müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil Interpol Red Notice, Rn. 100 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im Vorlagebeschluss führt das vorlegende Gericht aus, dass Art. 8 des Auslieferungsvertrags D-USA dahin auszulegen sei, dass er in anderen Mitgliedstaaten ergangene Urteile nicht umfasse.
Kann keine Auslegung im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts vorgenommen werden, ist ein nationales Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat, nach dem Grundsatz des Vorrangs verpflichtet, für die volle Wirksamkeit der Anforderungen des Unionsrechts in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – nationale Regelung, die einer Bestimmung des Unionsrechts mit unmittelbarer Wirkung entgegensteht, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser nationalen Regelung auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. März 2022, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld [Unmittelbare Wirkung], C-205/20, EU:C:2022:168, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Insoweit hat der Gerichtshof in Bezug auf den in Art. 50 der Charta verbürgten Grundsatz ne bis in idem entschieden, dass diese Bestimmung unmittelbare Wirkung hat (Urteile vom 20. März 2018, Garlsson Real Estate u. a., C-537/16, EU:C:2018:193, Rn. 68, sowie vom 24. Oktober 2018, XC u. a., C-234/17, EU:C:2018:853, Rn. 38). In Anbetracht der in Rn. 65 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung gilt für Art. 54 SDÜ das Gleiche.
Wie die in Rn. 108 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung verlangt, ist es folglich Sache des vorlegenden Gerichts, für die volle Wirksamkeit von Art. 54 SDÜ und Art. 50 der Charta im Ausgangsrechtsstreit Sorge zu tragen, indem es jede Bestimmung des Auslieferungsvertrags Deutschland-USA, die mit dem in diesen Artikeln verankerten Grundsatz ne bis in idem unvereinbar ist, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es eine etwaige Neuverhandlung dieses Vertrags durch die Bundesrepublik Deutschland abwarten müsste.
Insoweit ist unerheblich, dass, wie das vorlegende Gericht ausführt, die Bundesrepublik Deutschland und die Vereinigten Staaten sich im Rahmen der 1978 geführten Verhandlungen über diesen Auslieferungsvertrag darauf geeignet hätten, dass in Drittstaaten ergangene Entscheidungen die Auslieferung nicht hinderten. Unbeschadet der Prüfung von Art. 351 AEUV in den Rn. 115 bis 127 des vorliegenden Urteils kann eine solche Abrede nämlich keinen Vorrang vor den Verpflichtungen haben, die sich für diesen Mitgliedstaat aus den in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils angeführten Bestimmungen des Unionsrechts ab deren Inkrafttreten ergeben.
Hinzuzufügen ist, dass für den Fall, dass eine mit Art. 54 SDÜ und Art. 50 der Charta, wie sie in Rn. 90 des vorliegenden Urteils ausgelegt worden sind, vereinbare Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Auslieferungsvertrags Deutschland-USA nicht möglich ist, davon auszugehen ist, dass dieser Vertrag die Angelegenheit betreffend die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem, wie sie im Ausgangsverfahren zu Tage tritt, nicht regelt, so dass diese Angelegenheit auf der Grundlage von Art. 17 Abs. 2 des EU-USA-Abkommens im Licht von Art. 50 der Charta zu regeln ist.
In Anbetracht der in Rn. 104 des vorliegenden Urteils getroffenen Feststellung und wie der Generalanwalt in den Nrn. 67 und 68 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, kann eine gerichtliche Entscheidung wie das Urteil des Okrožno sodišče v Mariboru (Regionalgericht Maribor) vom 6. Juli 2012 unter Art. 17 Abs. 2 des EU-USA-Abkommens fallen. Denn aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass in dem Fall, dass der zwischen dem betreffenden Mitgliedstaat und den Vereinigten Staaten geschlossene Auslieferungsvertrag keine Regelung der Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem vorsieht, eine verbindliche endgültige richterliche Entscheidung ein Hindernis für die Erfüllung der Auslieferungspflicht des ersuchten Staats darstellen kann.
Daraus folgt, dass der Umstand, dass der Auslieferungsvertrag Deutschland-USA die Reichweite des Grundsatzes ne bis in idem auf die im ersuchten Staat ergangenen Urteile beschränkt, die Anwendbarkeit von Art. 54 SDÜ in einem Rechtsstreit wie dem des Ausgangsverfahrens, die sich aus der in Rn. 90 des vorliegenden Urteils vorgenommenen Auslegung dieser Bestimmung ergibt, nicht in Frage stellen kann.
Zu Art. 351 AEUV
Es ist ferner zu prüfen, ob, wie das vorlegende Gericht ausführt, Art. 351 Abs. 1 AEUV dahin ausgelegt werden kann, dass der Auslieferungsvertrag Deutschland-USA durch die Bestimmungen des Unionsrechts nicht berührt wird, so dass die deutschen Behörden dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auslieferungsersuchen stattgeben könnten, ohne gegen Unionsrecht zu verstoßen.
Nach Art. 351 Abs. 1 AEUV werden die Rechte und Pflichten aus Übereinkünften, die vor dem 1. Januar 1958 oder, im Falle später beigetretener Staaten, vor dem Zeitpunkt ihres Beitritts zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten einerseits und einem oder mehreren dritten Ländern andererseits geschlossen wurden, durch die Verträge nicht berührt.
Wie das vorlegende Gericht selbst einräumt, ist diese Bestimmung nach ihrem Wortlaut auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar, da der Auslieferungsvertrag Deutschland-USA am 20. Juni 1978 unterzeichnet wurde und am 30. Juli 1980, also nach dem 1. Januar 1958, in Kraft trat.
Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch, ob diese Bestimmung nicht weit auszulegen ist, und zwar dahin, dass sie auch Übereinkommen erfasst, die ein Mitgliedstaat nach dem 1. Januar 1958 oder nach dem Zeitpunkt seines Beitritts, aber vor dem Zeitpunkt geschlossen hat, zu dem die Union für den von diesen Übereinkünften betroffenen Bereich zuständig geworden ist.
Hierzu ist festzustellen, dass Art. 351 Abs. 1 AEUV eine Vorschrift ist, die, wenn ihr Tatbestand erfüllt ist, Abweichungen vom Unionsrecht einschließlich des Primärrechts zulassen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. September 2008, Kadi und Al Barakaat International Foundation/Rat und Kommission, C-402/05 P und C-415/05 P, EU:C:2008:461, Rn. 301 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach ständiger Rechtsprechung sind Ausnahmen aber eng auszulegen, damit die allgemeinen Regelungen nicht ausgehöhlt werden (Urteil vom 26. Februar 2015, Wucher Helicopter und Euro-Aviation Versicherung, C-6/14, EU:C:2015:122, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Eine solche enge Auslegung ist ganz besonders in Bezug auf Art. 351 Abs. 1 AEUV geboten, da es diese Bestimmung erlaubt, nicht von einem konkreten Grundsatz, sondern von der Anwendung jedweder Bestimmung der Verträge abzuweichen.
Darüber hinaus ist eine solche enge Auslegung auch im Hinblick auf die den Mitgliedstaaten nach Art. 351 Abs. 2 AEUV obliegende Verpflichtung geboten, alle geeigneten Mittel anzuwenden, um Unvereinbarkeiten zwischen einer Übereinkunft und den Verträgen zu beheben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 3. März 2009, Kommission/Österreich, C-205/06, EU:C:2009:118, Rn. 45, vom 3. März 2009, Kommission/Schweden, C-249/06, EU:C:2009:119, Rn. 45, sowie vom 22. Oktober 2020, Ferrari, C-720/18 und C-721/18, EU:C:2020:854, Rn. 67).
Die Bezugnahme in Art. 351 Abs. 1 AEUV auf den 1. Januar 1958 oder, im Falle später beigetretener Staaten, auf den Zeitpunkt ihres Beitritts wurde durch den am 1. Mai 1999 in Kraft getretenen Vertrag von Amsterdam eingefügt. Bis dahin verwendete Art. 234 EG-Vertrag nämlich die Formulierung „vor Inkrafttreten dieses Vertrages“.
Mithin haben die Mitgliedstaaten, als sie während der Verhandlungen über den Vertrag von Amsterdam die Vorgängerbestimmungen des jetzigen Art. 351 Abs. 1 AEUV geändert haben, beschlossen, den 1. Januar 1958 oder – im Fall später beigetretener Staaten – den Zeitpunkt ihres Beitritts als maßgebliche Zeitpunkte festzulegen. Dieser Text wurde bei der Annahme der Verträge von Nizza und von Lissabon nicht geändert.
Obwohl es den Mitgliedstaaten beim Abschluss dieser Verträge bereits bewusst war, dass sich die Zuständigkeiten der Union auch in Bereichen, die Gegenstand von Übereinkünften waren, die sie mit Drittstaaten geschlossen hatten, im Laufe der Zeit erheblich entwickeln können, haben die Mitgliedstaaten nicht die Möglichkeit vorgesehen, für die Zwecke von Art. 351 Abs. 1 AEUV auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Union in einem bestimmten Bereich zuständig geworden ist.
Daraus folgt, dass diese Ausnahmebestimmung dahin auszulegen ist, dass sie nur Übereinkünfte erfasst, die vor dem 1. Januar 1958 oder, im Fall später beigetretener Staaten, vor dem Zeitpunkt ihres Beitritts geschlossen wurden.
Folglich ist Art. 351 Abs. 1 AEUV auf den Auslieferungsvertrag Deutschland-USA nicht anwendbar.
Zur Identität der Tat
Um dem vorlegenden Gericht eine möglichst sachdienliche Antwort zu geben, ist noch darauf hinzuweisen, dass nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Beurteilung, ob es sich um dieselbe Straftat im Sinne von Art. 50 der Charta handelt, das Kriterium der Identität der materiellen Tat maßgebend ist, verstanden als das Vorliegen einer Gesamtheit konkreter, unlösbar miteinander verbundener Umstände, die zum Freispruch oder zur rechtskräftigen Verurteilung des Betroffenen geführt haben. Diese Bestimmung verbietet es somit, wegen derselben Tat mehrere Sanktionen strafrechtlicher Natur am Ende verschiedener zu diesem Zweck durchgeführter Verfahren zu verhängen (Urteil vom 22. März 2022, bpost, C-117/20, EU:C:2022:202, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Die Voraussetzung des Vorliegens derselben Straftat erfordert daher eine identische materielle Tat. Dagegen findet der Grundsatz ne bis in idem keine Anwendung, wenn der fragliche Sachverhalt nicht identisch, sondern nur ähnlich ist (Urteil vom 22. März 2022, bpost, C-117/20, EU:C:2022:202, Rn. 36).
Die Identität der materiellen Tat ist nämlich als die Gesamtheit der konkreten Umstände zu verstehen, die sich aus Ereignissen ergeben, bei denen es sich im Wesentlichen um dieselben handelt, da dieselbe Person gehandelt hat und sie zeitlich sowie räumlich unlösbar miteinander verbunden sind (Urteil vom 22. März 2022, bpost, C-117/20, EU:C:2022:202, Rn. 37).
Im vorliegenden Fall ergibt sich zum einen aus dem Vorlagebeschluss, dass sich das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Auslieferungsersuchen auf Straftaten bezieht, die HF zwischen September 2008 und Dezember 2013 begangen haben soll. Zum anderen führt das vorlegende Gericht aus, dass die Taten, derentwegen HF in Slowenien rechtskräftig abgeurteilt worden sei, mit denen identisch seien, auf die sich das Auslieferungsersuchen beziehe, soweit darin Straftaten beschrieben würden, die bis Juni 2010 begangen worden seien. So weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die von den slowenischen Gerichten ausgesprochene Verurteilung nur einen Teil der Taten erfasse, die Gegenstand des Auslieferungsersuchens seien.
Die in der vorliegenden Rechtssache gestellte Frage beruht jedoch auf der Prämisse, dass die Taten, auf die sich ein Auslieferungsersuchen bezieht, die gleichen sind wie diejenigen, derentwegen der Verfolgte bereits von den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats rechtskräftig verurteilt worden ist.
Insoweit ist es Sache des für die Tatsachenfeststellungen allein zuständigen vorlegenden Gerichts und nicht Sache des Gerichtshofs, zu prüfen, ob es sich bei den Taten, die Gegenstand des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Auslieferungsersuchens sind, um die gleichen handelt wie diejenigen, die von den slowenischen Gerichten rechtskräftig abgeurteilt worden sind (vgl. entsprechend Urteile vom 28. September 2006, Gasparini u. a., C-467/04, EU:C:2006:610, Rn. 56, sowie vom 22. März 2022, bpost, C-117/20, EU:C:2022:202, Rn. 38). Gleichwohl kann der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts im Rahmen der Beurteilung der Identität der Taten geben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. März 2022, Nordzucker u. a., C-151/20, EU:C:2022:203, Rn. 42).
Insoweit ist in Anbetracht der in den Rn. 128 bis 130 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zum einen klarzustellen, dass der Grundsatz ne bis in idem gemäß Art. 54 SDÜ im Licht von Art. 50 der Charta der Auslieferung in Bezug auf angeblich vom Betroffenen begangene Straftaten nicht entgegenstehen kann, deren tatsächliche Umstände nach den Feststellungen des Gerichts des ersuchten Mitgliedstaats in Anbetracht der ihm zur Verfügung stehenden Akte außerhalb des Zeitraums liegen, den die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats für die Verurteilung berücksichtigt haben.
Zum anderen kann der Grundsatz ne bis in idem nicht etwaige Straftaten, auf die sich das Auslieferungsersuchen bezieht, erfassen, die zwar während des für die Verurteilung berücksichtigten Zeitraums begangen wurden, aber andere materielle Taten betreffen als diejenigen, die Gegenstand der Verurteilung waren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. November 2010, Mantello, C-261/09, EU:C:2010:683, Rn. 50).
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 54 SDÜ in Verbindung mit Art. 50 der Charta dahin auszulegen ist, dass er der Auslieferung eines Drittstaatsangehörigen an einen anderen Drittstaat durch die Behörden eines Mitgliedstaats entgegensteht, wenn dieser Drittstaatsangehörige in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Taten wie denen, auf die sich das Auslieferungsersuchen bezieht, rechtskräftig verurteilt worden ist und die dort verhängte Strafe verbüßt hat und das Auslieferungsersuchen auf einem bilateralen Auslieferungsvertrag beruht, der die Reichweite des Grundsatzes ne bis in idem auf die Urteile beschränkt, die in dem ersuchten Mitgliedstaat ergangen sind.
Kosten
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
Art. 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten und am 26. März 1995 in Kraft getretenen Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen in seiner durch die Verordnung (EU) Nr. 610/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union
ist dahin auszulegen, dass
er der Auslieferung eines Drittstaatsangehörigen an einen anderen Drittstaat durch die Behörden eines Mitgliedstaats entgegensteht, wenn dieser Drittstaatsangehörige in einem anderen Mitgliedstaat wegen derselben Taten wie denen, auf die sich das Auslieferungsersuchen bezieht, rechtskräftig verurteilt worden ist und die dort verhängte Strafe verbüßt hat und das Auslieferungsersuchen auf einem bilateralen Auslieferungsvertrag beruht, der die Reichweite des Grundsatzes ne bis in idem auf die Urteile beschränkt, die in dem ersuchten Mitgliedstaat ergangen sind.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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