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EuGH 02.09.2021 - C-34/20
EuGH 02.09.2021 - C-34/20 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer) - 2. September 2021 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Elektronische Kommunikation – Verordnung (EU) 2015/2120 – Art. 3 – Zugang zum offenen Internet – Art. 3 Abs. 1 – Rechte der Endnutzer – Art. 3 Abs. 2 – Verbot von Vereinbarungen oder einer Geschäftspraxis, die die Ausübung der Rechte der Endnutzer einschränken – Art. 3 Abs. 3 – Pflicht, den Verkehr gleich und ohne Diskriminierung zu behandeln – Möglichkeit, angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen anzuwenden – Zusätzliche Tarifoption zum sogenannten ‚Nulltarif‘ – Bandbreitenlimitierung“
Leitsatz
In der Rechtssache C-34/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidung vom 20. Januar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Januar 2020, in dem Verfahren
Telekom Deutschland GmbH
gegen
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Wahl (Berichterstatter) sowie der Richter F. Biltgen und J. Passer,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Telekom Deutschland GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt T. Bosch und Universitätsprofessor C. Koenig,
der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen, vertreten durch C. Mögelin und F. Groß als Bevollmächtigte,
der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und D. Klebs als Bevollmächtigte,
der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und A. Pagáčová als Bevollmächtigte,
der hellenischen Regierung, vertreten durch M. Tassopoulou, O. Patsopoulou und D. Tsangaraki als Bevollmächtigte,
der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. Langer als Bevollmächtigte,
der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, G. Kunnert und J. Schmoll als Bevollmächtigte,
der finnischen Regierung, vertreten durch M. Pere als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun, L. Nicolae und D. Schaffrin als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 bis 3 der Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet und zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten sowie der Verordnung (EU) Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union (ABl. 2015, L 310, S. 1).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Telekom Deutschland GmbH (im Folgenden: Telekom) und der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Deutschland) (im Folgenden: Bundesnetzagentur) wegen eines Bescheids, mit dem die Bundesnetzagentur die Unvereinbarkeit einer Tarifoption mit den Pflichten aus dem Unionsrecht feststellte und die Beibehaltung bzw. Einführung von Klauseln zur Limitierung der Bandbreite untersagte.
Rechtlicher Rahmen
In den Erwägungsgründen 6, 8 und 9 der Verordnung 2015/2120 heißt es:
Endnutzer sollten das Recht haben, über ihren Internetzugangsdienst ohne Diskriminierung Informationen und Inhalte abzurufen und zu verbreiten und Anwendungen und Dienste zu nutzen und bereitzustellen. …
…
Bei der Bereitstellung der Internetzugangsdienste sollten Anbieter dieser Dienste den gesamten Datenverkehr ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung, ungeachtet des Senders, des Empfängers, des Inhalts, der Anwendung, des Dienstes oder des Endgeräts, gleich behandeln. Entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts und der ständigen Rechtsprechung sollten vergleichbare Situationen nicht unterschiedlich und unterschiedliche Situationen nicht gleich behandelt werden, es sei denn, eine solche Behandlung ist objektiv gerechtfertigt.
Ziel eines angemessenen Verkehrsmanagements ist es, zu einer effizienten Nutzung der Netzressourcen und zur Optimierung der Gesamtübermittlungsqualität entsprechend den objektiv unterschiedlichen Anforderungen an die technische Qualität der Dienste bei speziellen Verkehrskategorien und somit den übermittelten Inhalten, Anwendungen und Diensten beizutragen. Von den Internetzugangsanbietern angewandte angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen sollten transparent, nichtdiskriminierend und verhältnismäßig sein, und sie sollten nicht auf kommerziellen Erwägungen beruhen. Die Anforderung, dass Verkehrsmanagementmaßnahmen nicht diskriminierend sein dürfen, schließt nicht aus, dass die Internetzugangsanbieter zur Optimierung der Gesamtübermittlungsqualität Verkehrsmanagementmaßnahmen anwenden, bei denen zwischen objektiv verschiedenen Verkehrskategorien unterschieden wird. Um die Gesamtqualität und das Nutzererlebnis zu optimieren, sollte jede derartige Differenzierung nur auf der Grundlage objektiv verschiedener Anforderungen an die technische Qualität der Dienste (beispielsweise in Bezug auf Verzögerung, Verzögerungsschwankung, Paketverlust und Bandbreite) bei bestimmten Verkehrskategorien, nicht aber auf Grundlage kommerzieller Erwägungen zulässig sein. Derartige differenzierende Maßnahmen sollten in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck der Optimierung der Gesamtqualität stehen und gleichartigen Verkehr gleich behandeln. Derartige Maßnahmen sollten nicht länger als erforderlich beibehalten werden.“
Art. 1 („Gegenstand und Geltungsbereich“) der Verordnung 2015/2120 sieht in Abs. 1 vor:
„In dieser Verordnung werden gemeinsame Regeln zur Wahrung der gleichberechtigten und nichtdiskriminierenden Behandlung des Verkehrs bei der Bereitstellung von Internetzugangsdiensten und der damit verbundenen Rechte der Endnutzer festgelegt.“
Art. 3 („Gewährleistung des Zugangs zum offenen Internet“) der Verordnung 2015/2120 bestimmt in den Abs. 1 bis 3:
„(1) Endnutzer haben das Recht, über ihren Internetzugangsdienst, unabhängig vom Standort des Endnutzers oder des Anbieters und unabhängig von Standort, Ursprung oder Bestimmungsort der Informationen, Inhalte, Anwendungen oder Dienste, Informationen und Inhalte abzurufen und zu verbreiten, Anwendungen und Dienste zu nutzen und bereitzustellen und Endgeräte ihrer Wahl zu nutzen.
…
(2) Vereinbarungen zwischen Anbietern von Internetzugangsdiensten und Endnutzern über die gewerblichen und technischen Bedingungen und die Merkmale von Internetzugangsdiensten wie Preis, Datenvolumina oder Geschwindigkeit sowie die Geschäftspraxis der Anbieter von Internetzugangsdiensten dürfen die Ausübung der Rechte der Endnutzer gemäß Absatz 1 nicht einschränken.
(3) Anbieter von Internetzugangsdiensten behandeln den gesamten Verkehr bei der Erbringung von Internetzugangsdiensten gleich, ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung, sowie unabhängig von Sender und Empfänger, den abgerufenen oder verbreiteten Inhalten, den genutzten oder bereitgestellten Anwendungen oder Diensten oder den verwendeten Endgeräten.
Unterabsatz 1 hindert die Anbieter von Internetzugangsdiensten nicht daran, angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen anzuwenden. Damit derartige Maßnahmen als angemessen gelten, müssen sie transparent, nichtdiskriminierend und verhältnismäßig sein und dürfen nicht auf kommerziellen Erwägungen, sondern auf objektiv unterschiedlichen technischen Anforderungen an die Dienstqualität bestimmter Datenverkehrskategorien beruhen. Mit diesen Maßnahmen darf nicht der konkrete Inhalt überwacht werden, und sie dürfen nicht länger als erforderlich aufrechterhalten werden.
Anbieter von Internetzugangsdiensten wenden keine Verkehrsmanagementmaßnahmen an, die über die Maßnahmen gemäß Unterabsatz 2 hinausgehen; insbesondere dürfen sie nicht bestimmte Inhalte, Anwendungen oder Dienste – oder bestimmte Kategorien von diesen – blockieren, verlangsamen, verändern, einschränken, stören, verschlechtern oder diskriminieren, außer soweit und solange es erforderlich ist, um
Gesetzgebungsakten der Union oder mit dem Unionsrecht im Einklang stehenden nationalen Rechtsvorschriften, denen der Internetzugangsanbieter unterliegt, oder mit dem Unionsrecht im Einklang stehenden Maßnahmen zur Umsetzung dieser Gesetzgebungsakte der Union oder dieser nationalen Rechtsvorschriften zu entsprechen, einschließlich Verfügungen von Gerichten oder Behörden, die über die entsprechenden Befugnisse verfügen;
die Integrität und Sicherheit des Netzes, der über dieses Netz erbrachten Dienste und der Endgeräte der Endnutzer zu wahren;
eine drohende Netzüberlastung zu verhindern oder die Auswirkungen einer außergewöhnlichen oder vorübergehenden Netzüberlastung abzumildern, sofern gleichwertige Verkehrsarten gleich behandelt werden.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Telekom ist ein im Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologien tätiges Unternehmen. Seit dem 19. April 2017 bietet es Endkunden für einige seiner Tarife eine Zubuchfunktion (auch als „Add-on option“ bezeichnet) in Form einer kostenlosen Tarifoption zum „Nulltarif“ namens „Stream On“ an (ursprünglich in den Varianten „StreamOn Music“,„StreamOn Music & Video“, „MagentaEINS StreamOn Music“ und „MagentaEINS StreamOn Music & Video“). Bei Aktivierung dieser Option wird das auf Audio- und Videostreaming von Contentpartnern von Telekom entfallende Datenvolumen nicht auf das Inklusivdatenvolumen des Grundtarifs angerechnet, nach dessen Verbrauch die Übertragungsgeschwindigkeit generell reduziert wird.
Bei Aktivierung der Tarifoption „StreamOn“ willigt der Endkunde in eine Bandbreitenlimitierung auf maximal 1,7 Mbit/s für Videostreaming ein, unabhängig davon, ob es sich um Videostreaming von Contentpartnern oder sonstigen Anbietern handelt.
Der Endnutzer kann diese Tarifoption jederzeit deaktivieren und reaktivieren. Reaktiviert er die Option nicht innerhalb von 24 Stunden, werden deren Standardeinstellungen (Nichtanrechnung auf das Inklusivdatenvolumen des Basistarifs und Bandbreitenlimitierung) automatisiert wiederhergestellt.
Telekom verlangt von den Contentpartnern kein Entgelt. Voraussetzung für die Partnerschaft ist aber die Erfüllung von im Einzelnen durch Telekom vorgegebenen technischen Voraussetzungen sowie der Abschluss eines Vertrags.
Bei der Durchführung der betreffenden Tarifoption nimmt Telekom eine zweifache Identifizierung des vom Endkunden abgerufenen Inhalts vor, um zu prüfen, ob es sich um Videostreaming handelt und ob der dem Kunden zur Verfügung gestellte Inhalt in den Geltungsbereich der Tarifoption fällt. Diese Identifizierung erfolgt anhand von IP-Adressen (internet protocole) und URL (uniform resource locator), Protokollen, SNI (server name indication) und Mustervergleich (auch „pattern-matching“ genannt).
Mit Bescheid vom 15. Dezember 2017 stellte die Bundesnetzagentur fest, dass die betreffende Tarifoption gegen die Pflichten aus Art. 3 Abs. 3 der Verordnung 2015/2120 verstoße, da sie mit einer Reduzierung der Datenübertragungsrate für Videostreams auf maximal 1,7 Mbit/s einhergehe. Zudem seien im vorliegenden Fall die in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 bzw. 3 Buchst. a bis c der Verordnung 2015/2120 vorgesehenen Voraussetzungen für Verkehrsmanagementmaßnahmen nicht erfüllt worden.
Die Bundesnetzagentur untersagte Telekom zum einen die Bandbreitenlimitierung für Videostreams, die unter die genannte Tarifoption fallen, und zum anderen die Verwendung von Klauseln über die Reduzierung der Bandbreite in Verträgen mit Anbietern von Inhalten und mit Endkunden.
Den von Telekom dagegen eingelegten Widerspruch wies die Bundesnetzagentur mit Bescheid vom 8. Juni 2018 als unbegründet zurück. Daraufhin erhob Telekom Anfechtungsklage beim vorlegenden Gericht, dem Verwaltungsgericht Köln (Deutschland).
Das Verwaltungsgericht Köln hat Zweifel, ob die Nutzungsbedingungen der von Telekom angebotenen Tarifoption mit Art. 3 der Verordnung 2015/2120 vereinbar sind.
Unter diesen Umständen hat das Verwaltungsgericht Köln, das eine Auslegung des Unionsrechts für erforderlich hält, um über den Ausgangsrechtsstreit entscheiden zu können, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
-
Ist Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 2015/2120 in einem Fall, in dem ein Mobilfunktarif, der für den mobilen Datenverkehr ein monatliches Inklusivdatenvolumen vorsieht, nach dessen Verbrauch eine Drosselung der Übertragungsgeschwindigkeit erfolgt, um eine kostenlose Tarifoption erweitert werden kann, aufgrund derer bestimmte Dienste von sogenannten Contentpartnern des Telekommunikationsunternehmens genutzt werden können, ohne dass das durch die Nutzung dieser Dienste verbrauchte Datenvolumen auf das monatliche Inklusivdatenvolumen des Mobilfunktarifs angerechnet wird, der Endkunde dabei allerdings in eine Bandbreitenlimitierung auf maximal 1,7 Mbit/s für Videostreaming unabhängig davon einwilligt, ob es sich um Videostreaming von Contentpartnern oder sonstigen Anbietern handelt, dahin gehend auszulegen, dass Vereinbarungen über die Merkmale von Internetzugangsdiensten im Sinne des Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 2015/2120 den Anforderungen des Art. 3 Abs. 3 dieser Verordnung genügen müssen?
Falls Frage 1. a) zu bejahen ist: Ist Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 der Verordnung 2015/2120 dahin gehend auszulegen, dass in einer Situation wie der im vorliegenden Fall in Rede stehenden die Bandbreitenlimitierung als eine Verlangsamung einer Dienstekategorie anzusehen ist?
Falls Frage 1. b) zu bejahen ist: Ist der Begriff der drohenden Netzüberlastung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 Buchst. c der Verordnung 2015/2120 dahin gehend auszulegen, dass dieser lediglich außergewöhnliche oder vorübergehende Netzüberlastungen erfasst?
Falls Frage 1. b) zu bejahen ist: Ist Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 Buchst. c der Verordnung 2015/2120 dahin gehend auszulegen, dass in einer Situation wie der im vorliegenden Verfahren in Rede stehenden das Gebot der Gleichbehandlung gleichwertiger Verkehrsarten einer Bandbreitenlimitierung entgegensteht, die lediglich im Falle einer Zubuchoption, nicht aber im Falle sonstiger Mobilfunktarife zur Anwendung gelangt und zudem nur für Videostreaming gilt?
Falls Frage 1. b) zu bejahen ist: Ist Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 der Verordnung 2015/2120 dahin gehend auszulegen, dass in einer Situation wie der im vorliegenden Verfahren in Rede stehenden eine Bandbreitenlimitierung, deren Geltung von der Buchung der Zubuchoption abhängig ist und die der Endkunde überdies jederzeit für bis zu 24 Stunden deaktivieren kann, der Anforderung genügt, dass eine Dienstekategorie nur so lange verlangsamt werden darf, wie es erforderlich ist, um die Zwecke des Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 Buchst. a bis c dieser Verordnung zu erreichen?
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Falls Frage 1. b) zu verneinen ist: Ist Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 Satz 2 der Verordnung 2015/2120 dahin gehend auszulegen, dass in einer Situation wie der im vorliegenden Verfahren in Rede stehenden die Bandbreitenlimitierung lediglich für Videostreaming auf objektiv unterschiedlichen technischen Anforderungen an die Dienstqualität bestimmter Datenverkehrskategorien beruht?
Falls Frage 2. a) zu bejahen ist: Ist Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 Satz 3 der Verordnung 2015/2120 dahin gehend auszulegen, dass eine Identifizierung des auf Videostreaming entfallenden Datenverkehrs anhand von IP-Adressen, Protokollen, URLs und SNIs sowie im Wege des sogenannten Pattern-Matching, bei dem bestimmte Header-Informationen mit den für Videostreaming typischen Werten abgeglichen werden, eine Überwachung des konkreten Inhalts des Verkehrs darstellt?
Falls Frage 1. a) zu verneinen ist: Ist Art. 3 Abs. 1 der Verordnung 2015/2120 dahin gehend auszulegen, dass in einer Situation wie der im vorliegenden Verfahren in Rede stehenden eine Bandbreitenlimitierung lediglich für Videostreaming das Recht der Endnutzer im Sinne des Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung einschränkt?
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Zu den Vorlagefragen
Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 3 der Verordnung 2015/2120 dahin auszulegen ist, dass eine auf der Aktivierung einer Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif“ beruhende Bandbreitenlimitierung, die bei Videostreaming unabhängig davon zur Anwendung kommt, ob es sich um Videostreaming von Partnerunternehmen oder anderen Anbietern von Inhalten handelt, mit den Pflichten aus Art. 3 Abs. 3 unvereinbar ist.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei einer Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif“ um eine Geschäftspraxis handelt, mit der ein Anbieter von Internetzugangsdiensten einen „Nulltarif“ oder günstigeren Tarif für den gesamten Datenverkehr oder einen Teil davon in Verbindung mit einer bestimmten Anwendung oder einer bestimmten Kategorie von Anwendungen anwendet, die von den Partnern dieses Zugangsanbieters angeboten werden. Diese Daten werden daher nicht auf die im Rahmen des Basistarifs erworbene Datenmenge angerechnet. Eine solche Option, die im Rahmen beschränkter Tarife angeboten wird, ermöglicht es Internetzugangsanbietern damit, die Attraktivität ihres Angebots zu erhöhen.
Die dem Gerichtshof gestellten Fragen, die es dem vorlegenden Gericht ermöglichen sollen, sich zur Rechtmäßigkeit der Nutzungsbedingungen einer Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif“ zu äußern, beruhen mithin auf der Prämisse, dass eine solche Tarifoption ihrerseits mit dem Unionsrecht, insbesondere mit Art. 3 der Verordnung 2015/2120, mit dem der Gesetzgeber die Grundsätze der Offenheit und der Neutralität des Internets festschreiben wollte, vereinbar wäre.
Nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung 2015/2120 in Verbindung mit ihrem sechsten Erwägungsgrund haben die Endnutzer nicht nur das Recht, Informationen und Inhalte abzurufen, Anwendungen und Dienste zu nutzen sowie Informationen und Inhalte zu verbreiten, sondern dürfen auch Anwendungen und Dienste bereitstellen.
Nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 2015/2120 dürfen Vereinbarungen zwischen Anbietern von Internetzugangsdiensten und Endnutzern sowie die Geschäftspraxis dieser Anbieter die Ausübung der Rechte der Endnutzer gemäß Art. 3 Abs. 1 nicht einschränken.
Art. 3 Abs. 3 der Verordnung 2015/2120 schreibt zunächst in Unterabs. 1 vor, dass Anbieter von Internetzugangsdiensten den gesamten Verkehr unabhängig von den genutzten Anwendungen oder Diensten gleich behandeln, ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung.
Sodann bestimmt Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung 2015/2120, dass Unterabs. 1 die Anbieter von Internetzugangsdiensten nicht daran hindert, angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen anzuwenden, und stellt klar, dass derartige Maßnahmen, um als angemessen zu gelten, erstens transparent, nicht diskriminierend und verhältnismäßig sein müssen, dass sie zweitens nicht auf kommerziellen Erwägungen beruhen dürfen, sondern nur auf objektiven technischen Unterschieden zwischen bestimmten Datenverkehrskategorien, und dass mit ihnen drittens nicht der Inhalt überwacht werden darf und sie nicht länger als erforderlich aufrechterhalten werden dürfen.
Schließlich dürfen nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 3 der Verordnung 2015/2120 die Anbieter von Internetzugangsdiensten keine Verkehrsmanagementmaßnahmen anwenden, die über die Maßnahmen gemäß Unterabs. 2 hinausgehen; insbesondere dürfen sie nicht bestimmte Anwendungen, Kategorien von Anwendungen, Dienste oder Kategorien von Diensten blockieren, verlangsamen, verändern, einschränken, stören, verschlechtern oder diskriminieren, es sei denn, dies ist für gewisse Zeit erforderlich, um Gesetzgebungsakten der Union oder mit dem Unionsrecht im Einklang stehenden nationalen Rechtsvorschriften oder Maßnahmen zur Umsetzung dieser Gesetzgebungsakte der Union oder dieser nationalen Rechtsvorschriften zu entsprechen, um die Integrität und Sicherheit des Netzes, der darüber erbrachten Dienste und der Endgeräte der Endnutzer zu wahren oder um eine Netzüberlastung zu verhindern oder deren Auswirkungen abzumildern.
Diese verschiedenen Bestimmungen dienen, wie sich aus Art. 1 der Verordnung 2015/2120 ergibt, zur Wahrung der gleichberechtigten und nicht diskriminierenden Behandlung des Verkehrs bei der Bereitstellung von Internetzugangsdiensten und der damit verbundenen Rechte der Endnutzer (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2020, Telenor Magyarország, C-807/18 und C-39/19, EU:C:2020:708, Rn. 23 bis 27).
Zum einen hat der Gerichtshof klargestellt, dass im Fall der Unvereinbarkeit des Verhaltens eines Anbieters von Internetzugangsdiensten mit Art. 3 Abs. 3 der Verordnung 2015/2120 von der Prüfung abgesehen werden kann, ob dieses Verhalten mit den Verpflichtungen aus Art. 3 Abs. 2 der Verordnung im Einklang steht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2020, Telenor Magyarország, C-807/18 und C-39/19, EU:C:2020:708, Rn. 28).
Folglich kann ein Verstoß gegen die Pflicht zur Gleichbehandlung des gesamten Verkehrs nicht mit dem in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 2015/2120 anerkannten Grundsatz der Vertragsfreiheit gerechtfertigt werden.
Zum anderen hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass Art. 3 Abs. 3 der Verordnung 2015/2120 jeder der Pflicht zur Gleichbehandlung des Verkehrs zuwiderlaufenden Maßnahme entgegensteht, die auf kommerziellen Erwägungen beruht.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung 2015/2120 im Licht ihres achten Erwägungsgrundes den Anbietern von Internetzugangsdiensten eine allgemeine Pflicht auferlegt, den gesamten Verkehr gleich zu behandeln, ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung (siehe oben, Rn. 21); davon darf in keinem Fall durch die Geschäftspraxis der Anbieter oder in ihren mit Endnutzern geschlossenen Vereinbarungen abgewichen werden (Urteil vom 15. September 2020, Telenor Magyarország, C-807/18 und C-39/19, EU:C:2020:708, Rn. 47).
Sodann ergibt sich aus Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung 2015/2120 im Licht ihres neunten Erwägungsgrundes, dass es den Anbietern von Internetzugangsdiensten, auch wenn sie diese allgemeine Pflicht beachten müssen, freisteht, angemessene Verkehrsmanagementmaßnahmen zu erlassen. Diese Möglichkeit hängt jedoch u. a. davon ab, dass solche Maßnahmen auf „objektiv unterschiedlichen Anforderungen an die technische Qualität der Dienste bei speziellen Verkehrskategorien“ beruhen und nicht auf „kommerziellen Erwägungen“. Auf solchen „kommerziellen Erwägungen“ beruht insbesondere jede Maßnahme eines Anbieters von Internetzugangsdiensten gegenüber einem Endnutzer, die, ohne auf derartige objektiv unterschiedliche Anforderungen gestützt zu sein, darauf hinausläuft, dass die von den verschiedenen Anbietern von Inhalten, Anwendungen oder Diensten angebotenen Inhalte, Anwendungen oder Dienste nicht gleich und ohne Diskriminierung behandelt werden (Urteil vom 15. September 2020, Telenor Magyarország, C-807/18 und C-39/19, EU:C:2020:708, Rn. 48).
Eine Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif“ wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nimmt jedoch auf der Grundlage kommerzieller Erwägungen eine Unterscheidung innerhalb des Internetverkehrs vor, indem der Verkehr zu bestimmten Partneranwendungen nicht auf den Basistarif angerechnet wird. Eine solche Geschäftspraxis erfüllt daher nicht die in Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung 2015/2120 genannte allgemeine Pflicht, den Verkehr ohne Diskriminierung oder Störung gleich zu behandeln.
Dieser Verstoß, der sich aus dem Wesen einer solchen Tarifoption wegen des daraus resultierenden Anreizes ergibt, besteht unabhängig davon fort, ob die Möglichkeit besteht, nach der Ausschöpfung des Basistarifs die von den Partnern des Internetzugangsanbieters bereitgestellten Inhalte frei abzurufen.
Im Übrigen ist es unerheblich, ob eine solche Option auf eine Vereinbarung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung 2015/2120 zurückgeht (siehe oben, Rn. 26) oder ob sie eine tatsächliche Nachfrage des Kunden oder des Anbieters von Inhalten befriedigen soll.
Schließlich können die für Managementmaßnahmen vorgesehenen Ausnahmen nicht berücksichtigt werden, da solche Maßnahmen nach Art. 3 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung 2015/2120 nicht auf kommerziellen Strategien des Anbieters von Internetzugangsdiensten beruhen dürfen.
Aus den vom vorlegenden Gericht übermittelten Informationen geht hervor, dass die Bandbreitenlimitierung, auf die sich alle Fragen des vorlegenden Gerichts beziehen, allein wegen der Aktivierung der Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif“ Anwendung findet.
Da eine solche Tarifoption gegen die Pflichten aus Art. 3 Abs. 3 der Verordnung 2015/2120 verstößt, ist sie aber unabhängig von der Form oder der Art der mit den angebotenen Tarifoptionen verbundenen Nutzungsbedingungen – wie der Bandbreitenlimitierung im Ausgangsrechtsstreit – unzulässig.
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 3 der Verordnung 2015/2120 dahin auszulegen ist, dass eine auf der Aktivierung einer Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif“ beruhende Bandbreitenlimitierung, die bei Videostreaming unabhängig davon zur Anwendung kommt, ob es sich um Videostreaming von Partnerunternehmen oder anderen Anbietern von Inhalten handelt, mit den Pflichten aus Art. 3 Abs. 3 unvereinbar ist.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 3 der Verordnung (EU) 2015/2120 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet und zur Änderung der Richtlinie 2002/22/EG über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten sowie der Verordnung (EU) Nr. 531/2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union ist dahin auszulegen, dass eine auf der Aktivierung einer Tarifoption zum sogenannten „Nulltarif “ beruhende Bandbreitenlimitierung, die bei Videostreaming unabhängig davon zur Anwendung kommt, ob es sich um Videostreaming von Partnerunternehmen oder anderen Anbietern von Inhalten handelt, mit den Pflichten aus Art. 3 Abs. 3 unvereinbar ist.
Wahl
Biltgen
Passer
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 2. September 2021.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Achten Kammer
N. Wahl
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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