Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
EuGH 05.03.2020 - C-48/19
EuGH 05.03.2020 - C-48/19 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer) - 5. März 2020 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerwesen – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 132 Abs. 1 Buchst. c – Befreiungen – Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden – Telefonisch erbrachte Leistungen – Leistungen, die von Krankenpflegern und medizinischen Fachangestellten erbracht werden“
Leitsatz
In der Rechtssache C-48/19
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidung vom 18. September 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Januar 2019, in dem Verfahren
X-GmbH
gegen
Finanzamt Z
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Safjan sowie der Richter L. Bay Larsen (Berichterstatter) und N. Jääskinen,
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der X-GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt G. Burwitz,
der deutschen Regierung, vertreten durch S. Eisenberg als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Lozano Palacios und L. Mantl als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der X-GmbH und dem Finanzamt Z (Deutschland) über dessen Weigerung, telefonische Beratungen zu verschiedenen Gesundheits- und Krankheitsthemen sowie telefonische Patientenbegleitprogramme für an chronischen oder lang andauernden Krankheiten leidende Patienten, die von X im Auftrag gesetzlicher Krankenkassen erbracht werden, von der Mehrwertsteuer zu befreien.
Rechtlicher Rahmen
Richtlinie 2006/112
In Art. 132 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 heißt es:
„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:
…
Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie damit eng verbundene Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden;
Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden;
…“
Deutsches Recht
§ 4 des Umsatzsteuergesetzes vom 21. Februar 2005 (BGBl. 2005 I S. 386) in der Fassung des Gesetzes vom 19. Dezember 2008 (BGBl. 2008 I S. 2794) bestimmt:
„Von den unter § 1 Abs. 1 Nr. 1 fallenden Umsätzen sind steuerfrei:
…
-
Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut, Hebamme oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden. …“
-
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
X ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht. Im Februar 2014 erbrachte sie im Auftrag von gesetzlichen Krankenkassen telefonische Beratungsleistungen zu verschiedenen Gesundheitsthemen und führte telefonische Patientenbegleitprogramme für an chronischen oder lang andauernden Krankheiten leidende Patienten durch.
Diese Leistungen wurden durch Krankenpfleger und medizinische Fachangestellte erbracht, die größtenteils auch als sogenannter Gesundheitscoach ausgebildet waren. In mehr als einem Drittel der Fälle wurde ein Arzt hinzugezogen, der die Beratung übernahm bzw. bei Rückfragen Anweisungen oder eine zweite Meinung erteilte.
Die telefonischen Beratungen boten den Versicherten die Möglichkeit, die Mitarbeiter von X jederzeit anzurufen, um Auskünfte einzuholen. Soweit die Versicherten eine medizinische Beratung wünschten, nahmen die Mitarbeiter eine computergestützte Befunderhebung vor, die es ihnen ermöglichte, eine medizinische Kontexteinstufung des Versicherten vorzunehmen, und berieten ihn zu seiner therapeutischen Versorgungssituation, indem sie Diagnosen und mögliche Therapien erläuterten oder Ratschläge zu Verhaltens- oder Behandlungsänderungen erteilten.
Die abgeschlossenen Fälle wurden dem ärztlichen Leiter stichprobenartig eingespielt, der sie insbesondere auf medizinisch-fachliche Nachvollziehbarkeit der dokumentierten Angaben überprüfte.
Im Rahmen der Patientenbegleitprogramme wurden die Teilnehmer von den Krankenkassen auf der Basis von Abrechnungsdaten und Krankheitsbildern ermittelt, von diesen angeschrieben und auf Wunsch in das Programm aufgenommen. Die Programme ermöglichten es den Teilnehmern, über einen Zeitraum von drei bis zwölf Monaten von Mitarbeitern von X angerufen zu werden und diese jederzeit anzurufen, um situationsbezogene Informationen zu ihrem Krankheitsbild zu erhalten.
Schwerpunkt der Programme war nach den Angaben des vorlegenden Gerichts das Verständnis der Teilnehmer und ihrer Angehörigen für ihre Krankheit und die Einhaltung der Medikation oder die Teilnahme an anderen Therapien zu verbessern, Fehlmedikationen zu vermeiden und eine adäquate Reaktion auf eventuelle Symptomzunahme und soziale Isolation herbeizuführen. Ziel der Programme war es, die Behandlungskosten der Patienten besser zu managen, insbesondere durch eine deutliche Verringerung der Zahl erneuter stationärer Aufnahmen, die Eltern von Patienten mit Verdacht auf Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom zu unterstützen und die Zahl von Sekundärerkrankungen zu verringern.
Die Umsätze aus diesen Tätigkeiten meldete X für den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitraum als steuerfrei an. Das Finanzamt Z beurteilte die betreffenden Umsätze als steuerpflichtig.
X, deren Klage von dem in erster Instanz zuständigen Gericht abgewiesen wurde, legte Revision zum Bundesfinanzhof (Deutschland) ein.
Das vorlegende Gericht fragt sich erstens, ob telefonisch durchgeführte medizinische Beratungen, die unabhängig von bzw. im Vorfeld einer konkreten ärztlichen Behandlung stattfinden, der Mehrwertsteuer unterliegen oder ob die Rechtsprechung des Gerichtshofs anzuwenden ist, wonach Behandlungen, die lediglich zur Befriedigung allgemeiner Lebensbedürfnisse vorgenommen wurden, z. B. zu Freizeit-, Wellness- oder kosmetischen Zwecken, von der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Steuerbefreiung ausgeschlossen sind.
Zweitens möchte es wissen, ob die für „herkömmliche“ Heilbehandlungen von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten Qualifikationsmerkmale eines ärztlichen und arztähnlichen Berufs im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 auch für Heilbehandlungen gelten, die ohne persönlichen Kontakt erbracht werden, oder ob es insofern zusätzlicher Anforderungen bedarf.
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Liegt unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen ein Steuerpflichtiger im Auftrag von Krankenkassen Versicherte zu verschiedenen Gesundheits- und Krankheitsthemen telefonisch berät, eine Tätigkeit vor, die dem Anwendungsbereich des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 unterfällt?
Reicht es unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens in Bezug auf die in Frage 1 genannten Leistungen sowie für Umsätze im Rahmen von „Patientenbegleitprogrammen“ für den erforderlichen beruflichen Befähigungsnachweis aus, dass die telefonischen Beratungen von „Gesundheitscoaches“ (medizinischen Fachangestellten, Krankenschwestern) durchgeführt werden und in circa einem Drittel der Fälle ein Arzt hinzugezogen wird?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob telefonisch erbrachte Beratungsleistungen in Bezug auf Gesundheit und Krankheiten unter die Mehrwertsteuerbefreiung in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 fallen können.
Aus einer wörtlichen Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 folgt, dass eine Dienstleistung von der Steuer zu befreien ist, wenn sie zwei Voraussetzungen genügt, nämlich erstens eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin darstellt und zweitens im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht wird (Urteil vom 27. Juni 2019, Belgisch Syndicaat van Chiropraxie u. a., C-597/17, EU:C:2019:544, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Da sich die erste Frage auf die Art der betreffenden Leistung bezieht, ist die Tragweite der ersten dieser Voraussetzungen näher zu bestimmen.
Hierzu ist festzustellen, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 bei der Formulierung der ersten Voraussetzung nur auf den Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ Bezug nimmt, ohne dass Angaben zum Ort der Leistungserbringung gemacht werden.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs betrifft Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/112 in Krankenhäusern erbrachte Leistungen, ihr Art. 132 Abs. 1 Buchst. c hingegen Leistungen, die außerhalb von Krankenhäusern, sei es in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort, erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. September 2019, Peters, C-700/17, EU:C:2019:753, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Daraus folgt für die Anwendung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie, dass eine Leistung, die die dort genannten Voraussetzungen erfüllt, unabhängig vom Ort ihrer Erbringung unter die in dieser Bestimmung vorgesehene Befreiung fallen kann.
Der Gerichtshof hat im Übrigen in Bezug auf von praktischen Ärzten angeordnete medizinische Analysen darauf hingewiesen, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht gewahrt wäre, wenn für solche Leistungen je nachdem, an welchem Ort sie durchgeführt werden, eine andere Mehrwertsteuerregelung gelten würde, obwohl ihre Qualität angesichts der Ausbildung der betreffenden Dienstleistungserbringer gleichwertig ist (Urteil vom 18. September 2019, Peters, C-700/17, EU:C:2019:753, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
In Anbetracht dessen ist festzustellen, dass telefonisch erbrachte Heilbehandlungen unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung fallen können, wenn sie alle Voraussetzungen für die Anwendung dieser Befreiung erfüllen.
Diese Erwägung steht im Übrigen im Einklang mit dem mit Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie verfolgten Zweck, die Behandlungskosten zu senken und die Behandlungen für den Einzelnen erschwinglicher zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2014, Klinikum Dortmund, C-366/12, EU:C:2014:143, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Es ist allerdings möglich, dass derselbe Steuerpflichtige sowohl von der Mehrwertsteuer befreite Dienstleistungen erbringt, die den Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ erfüllen, als auch andere, die steuerpflichtig sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. November 2003, Unterpertinger, C-212/01, EU:C:2003:625, Rn. 38, vom 20. November 2003, d’Ambrumenil und Dispute Resolution Services, C-307/01, EU:C:2003:627, Rn. 56, und vom 21. März 2013, PFC Clinic, C-91/12, EU:C:2013:198, Rn. 31 und 32).
Es obliegt daher dem vorlegenden Gericht, zu klären, inwieweit die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden telefonischen Beratungen unter den Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 fallen.
Dabei wird es zu prüfen haben, ob mit diesen Beratungen ein therapeutischer Zweck verfolgt wird, da dieser ausschlaggebend dafür ist, ob eine medizinische Leistung von der Mehrwertsteuer zu befreien ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. November 2003, Unterpertinger, C-212/01, EU:C:2003:625, Rn. 40 und 42, sowie vom 27. April 2006, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, C-443/04 und C-444/04, EU:C:2006:257, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach ständiger Rechtsprechung erfasst der Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ Leistungen, die der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (Urteile vom 14. September 2000, D., C-384/98, EU:C:2000:444, Rn. 18, sowie vom 18. September 2019, Peters, C-700/17, EU:C:2019:753, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Daraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zielsetzung einer Leistung in einem besonders engen Sinn zu verstehen ist (Urteile vom 10. Juni 2010, Future Health Technologies, C-86/09, EU:C:2010:334, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 21. März 2013, PFC Clinic, C-91/12, EU:C:2013:198, Rn. 26). So fallen medizinische Leistungen, die zum Schutz, einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung, der menschlichen Gesundheit erbracht werden, unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 vorgesehene Steuerbefreiung (Urteile vom 10. Juni 2010, Future Health Technologies, C-86/09, EU:C:2010:334, Rn. 41 und 42 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 21. März 2013, PFC Clinic, C-91/12, EU:C:2013:198, Rn. 27).
In Anbetracht der in der vorstehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung genügt im Rahmen dieser Prüfung das Fehlen einer ärztlichen Verschreibung vor der telefonischen Beratung oder einer konkreten ärztlichen Behandlung im Anschluss daran nicht zur Klärung der Frage, ob eine solche Beratung unter den Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie fällt.
Im vorliegenden Fall ermöglichen Beratungen, die darin bestehen, die in Betracht kommenden Diagnosen und Therapien zu erläutern sowie Änderungen der durchgeführten Behandlungen vorzuschlagen, es der betroffenen Person, ihre medizinische Situation zu verstehen und gegebenenfalls entsprechend tätig zu werden, insbesondere indem sie ein bestimmtes Arzneimittel einnimmt oder nicht einnimmt; sie können daher einen therapeutischen Zweck verfolgen und somit unter den Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie fallen.
Dagegen fallen Leistungen, die in der Erteilung von Auskünften über Erkrankungen oder Therapien bestehen, aber aufgrund ihres allgemeinen Charakters nicht geeignet sind, zum Schutz, zur Aufrechterhaltung oder zur Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit beizutragen, nicht unter diesen Begriff.
Ebenso können Leistungen, die in der Erteilung von Auskünften administrativer Art, wie der Kontaktdaten eines Arztes oder einer Schlichtungsstelle, bestehen, den unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie vorgesehene Steuerbefreiung fallenden Leistungen nicht gleichgestellt werden.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass telefonisch erbrachte Beratungsleistungen in Bezug auf Gesundheit und Krankheiten unter die in dieser Vorschrift vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung fallen können, sofern sie eine therapeutische Zielsetzung verfolgen; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Zur zweiten Frage
Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ihm obliegt, im Rahmen des in Art. 267 AEUV vorgesehenen Verfahrens der Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten dem vorlegenden Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat der Gerichtshof die ihm vorgelegte Frage gegebenenfalls umzuformulieren (Urteil vom 25. Juli 2018, Dyson, C-632/16, EU:C:2018:599, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass keine nationale Regelung zu den fachlichen Anforderungen an die Erbringung von telefonischen medizinischen Beratungen bestehe und dass in nicht bindenden Empfehlungen für die Patientenbegleitprogramme Berufsgruppen erwähnt würden, die tätig werden könnten, ohne ausdrücklich Krankenpfleger oder medizinische Fachangestellte zu nennen. Unter diesen Umständen hält das vorlegende Gericht es für denkbar, dass nur diejenigen telefonisch erbrachten Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin von der Mehrwertsteuer zu befreien sind, bei denen auf einen Arzt zurückgegriffen wird.
Somit möchte das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage offenbar wissen, ob Krankenpfleger und medizinische Fachangestellte, die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erbringen, aufgrund der Tatsache, dass diese Leistungen telefonisch erbracht werden, zusätzlichen Anforderungen an die berufliche Qualifikation genügen müssen, damit diese Leistungen in den Genuss der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Befreiung kommen können.
Diese Frage zielt auf die Tragweite der zweiten der in Rn. 17 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Voraussetzungen von Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 ab, die verlangt, dass die Heilbehandlungen „im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe“ durchgeführt werden.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 selbst, wie sich schon aus seinem Wortlaut ergibt, der Begriff „ärztliche und arztähnliche Berufe“ nicht definiert, sondern hierfür auf die Definition in den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten verwiesen wird (Urteile vom 27. April 2006, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, C-443/04 und C-444/04, EU:C:2006:257, Rn. 28, und vom 27. Juni 2019, Belgisch Syndicaat van Chiropraxie u. a., C-597/17, EU:C:2019:544, Rn. 23).
Die Mitgliedstaaten verfügen somit, insbesondere zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie vorgesehenen Befreiung, über ein Ermessen bei der Bestimmung der Berufe, in deren Rahmen die Erbringung von Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin von der Mehrwertsteuer befreit ist, und insbesondere bei der Festlegung der Qualifikationen, die für die Ausübung dieser Berufe erforderlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 2006, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, C-443/04 und C-444/04, EU:C:2006:257, Rn. 29, 30 und 32, sowie Urteil vom 27. Juni 2019, Belgisch Syndicaat van Chiropraxie u. a., C-597/17, EU:C:2019:544, Rn. 24).
Dieses Ermessen ist jedoch nicht unbegrenzt, denn die Mitgliedstaaten müssen zum einen das Ziel dieser Vorschrift – zu gewährleisten, dass die Befreiung nur auf Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin angewandt wird, die von Anbietern mit den erforderlichen beruflichen Qualifikationen erbracht werden – und zum anderen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 2006, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, C-443/04 und C-444/04, EU:C:2006:257, Rn. 31, 36 und 37, sowie Urteil vom 27. Juni 2019, Belgisch Syndicaat van Chiropraxie u. a., C-597/17, EU:C:2019:544, Rn. 25).
Die Mitgliedstaaten müssen erstens dafür sorgen, dass die in der genannten Vorschrift vorgesehene Befreiung nur für Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin gilt, die ein ausreichendes Qualitätsniveau aufweisen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. April 2006, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, C-443/04 und C-444/04, EU:C:2006:257, Rn. 37, sowie Urteil vom 27. Juni 2019, Belgisch Syndicaat van Chiropraxie u. a., C-597/17, EU:C:2019:544, Rn. 26).
Das Erfordernis eines ausreichenden Qualitätsniveaus gilt hierbei unabhängig von der für die Leistungserbringung gewählten Art der Kommunikation.
Es obliegt also den Mitgliedstaaten, die beruflichen Anforderungen festzulegen, die es den betreffenden Anbietern ermöglichen, Heilbehandlungen mit einem ausreichenden Qualitätsniveau zu erbringen, indem sie gegebenenfalls verlangen, dass die Anbieter berufliche Qualifikationen erwerben, die über diejenigen hinausgehen, die für die in anderer Weise als telefonisch erbrachten Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erforderlich sind.
Zweitens müssen die Mitgliedstaaten den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten, der es verbietet, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (Urteile vom 27. April 2006, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, C-443/04 und C-444/04, EU:C:2006:257, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 27. Juni 2019, Belgisch Syndicaat van Chiropraxie u. a., C-597/17, EU:C:2019:544, Rn. 28).
Daher hat das vorlegende Gericht insbesondere zu prüfen, ob ein Ausschluss der von Krankenpflegern und medizinischen Fachangestellten durchgeführten Beratungen und Patientenbegleitprogramme von der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 vorgesehenen Steuerbefreiung gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität verstieße, weil diese Berufsgruppen aufgrund ihrer beruflichen Qualifikationen in der Lage sind, zu gewährleisten, dass solche telefonisch erbrachten Leistungen ein vergleichbares Qualitätsniveau aufweisen wie die von anderen Anbietern auf diese Weise erbrachten Leistungen.
Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen ist, dass er nicht verlangt, dass Krankenpfleger und medizinische Fachangestellte, die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erbringen, aufgrund der Tatsache, dass diese Leistungen telefonisch erbracht werden, zusätzlichen Anforderungen an die berufliche Qualifikation genügen, damit diese Leistungen in den Genuss der in dieser Vorschrift vorgesehenen Steuerbefreiung kommen können, sofern davon ausgegangen werden kann, dass sie ein vergleichbares Qualitätsniveau aufweisen wie die von anderen Anbietern auf diese Weise erbrachten Leistungen; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:
Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass telefonisch erbrachte Beratungsleistungen in Bezug auf Gesundheit und Krankheiten unter die in dieser Vorschrift vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung fallen können, sofern sie eine therapeutische Zielsetzung verfolgen; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass er nicht verlangt, dass Krankenpfleger und medizinische Fachangestellte, die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin erbringen, aufgrund der Tatsache, dass diese Leistungen telefonisch erbracht werden, zusätzlichen Anforderungen an die berufliche Qualifikation genügen, damit diese Leistungen in den Genuss der in dieser Vorschrift vorgesehenen Steuerbefreiung kommen können, sofern davon ausgegangen werden kann, dass sie ein vergleichbares Qualitätsniveau aufweisen wie die von anderen Anbietern auf diese Weise erbrachten Leistungen; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
Safjan
Bay Larsen
Jääskinen
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 5. März 2020.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Sechsten Kammer
M. Safjan
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
Kontakt zur AOK Sachsen-Anhalt
Persönlicher Ansprechpartner
Hotline 0800 226 5354
E-Mail-Service