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EuGH 31.05.2018 - C-660/16, C-661/16
EuGH 31.05.2018 - C-660/16, C-661/16 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer) - 31. Mai 2018 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Lieferung von Gegenständen – Art. 65 – Art. 167 – Leistung einer Anzahlung für den Erwerb eines Gegenstands, dessen Lieferung ausbleibt – Strafrechtliche Verurteilung der gesetzlichen Vertreter des Lieferers wegen Betrugs – Insolvenz des Lieferers – Vorsteuerabzug – Voraussetzungen – Art. 185 und 186 – Berichtigung durch die nationale Steuerbehörde – Voraussetzungen“
Leitsatz
In den verbundenen Rechtssachen C-660/16 und C-661/16
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesfinanzhof (Deutschland) mit Entscheidungen vom 21. September 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Dezember 2016, in den Verfahren
Finanzamt Dachau
gegen
Achim Kollroß (C-660/16)
und
Finanzamt Göppingen
gegen
Erich Wirtl (C-661/16)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. L. da Cruz Vilaça, der Richter E. Levits (Berichterstatter) und A. Borg Barthet, der Richterin M. Berger und des Richters F. Biltgen,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von Herrn Kollroß, vertreten durch Steuerberater F. Russ,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und R. Kanitz als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wasmeier und L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. Januar 2018
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 63, 65, 167, 185 und 186 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1).
Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen zum einen Herrn Achim Kollroß und dem Finanzamt Dachau (Deutschland) und zum anderen Herrn Erich Wirtl und dem Finanzamt Göppingen (Deutschland) wegen der Weigerung dieser Finanzämter, Herrn Kollroß und Herrn Wirtl einen Abzug der Vorsteuer auf Anzahlungen zu gewähren, die für die Lieferung von Blockheizkraftwerken geleistet worden waren, die letztlich nicht geliefert wurden.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Art. 63 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.“
Art. 65 dieser Richtlinie sieht vor:
„Werden Anzahlungen geleistet, bevor die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht ist, entsteht der Steueranspruch zum Zeitpunkt der Vereinnahmung entsprechend dem vereinnahmten Betrag.“
Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Im Falle der Annullierung, der Rückgängigmachung, der Auflösung, der vollständigen oder teilweisen Nichtbezahlung oder des Preisnachlasses nach der Bewirkung des Umsatzes wird die Steuerbemessungsgrundlage unter den von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen entsprechend vermindert.“
Art. 167 dieser Richtlinie lautet:
„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.“
Art. 168 der Richtlinie 2006/112 sieht vor:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
…“
In Art. 178 dieser Richtlinie heißt es:
„Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige folgende Bedingungen erfüllen:
für den Vorsteuerabzug nach Artikel 168 Buchstabe a in Bezug auf die Lieferungen von Gegenständen und dem Erbringen von Dienstleistungen muss er eine gemäß Titel XI Kapitel 3 Abschnitte 3 bis 6 ausgestellte Rechnung besitzen;
…“
Art. 184 der Richtlinie 2006/112 lautet:
„Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird berichtigt, wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der Steuerpflichtige berechtigt war.“
Art. 185 dieser Richtlinie sieht vor:
„(1) Die Berichtigung erfolgt insbesondere dann, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben, zum Beispiel bei rückgängig gemachten Käufen oder erlangten Rabatten.
(2) Abweichend von Absatz 1 unterbleibt die Berichtigung bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde, in ordnungsgemäß nachgewiesenen oder belegten Fällen von Zerstörung, Verlust oder Diebstahl sowie bei Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und Warenmuster im Sinne des Artikels 16.
Bei Umsätzen, bei denen keine oder eine nicht vollständige Zahlung erfolgt, und bei Diebstahl können die Mitgliedstaaten jedoch eine Berichtigung verlangen.“
Art. 186 der Richtlinie 2006/112 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten legen die Einzelheiten für die Anwendung der Artikel 184 und 185 fest.“
Deutsches Recht
§ 13 („Entstehung der Steuer“) des Umsatzsteuergesetzes in der für die Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung (im Folgenden: UStG) bestimmt in Abs. 1:
„Die Steuer entsteht
für Lieferungen und sonstige Leistungen
bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten (§ 16 Abs. 1 Satz 1) mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. Das gilt auch für Teilleistungen. … Wird das Entgelt oder ein Teil des Entgelts vereinnahmt, bevor die Leistung oder die Teilleistung ausgeführt worden ist, so entsteht insoweit die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt oder das Teilentgelt vereinnahmt worden ist.
…“
§ 14c („Unrichtiger oder unberechtigter Steuerausweis“) UStG sieht vor:
„(1) Hat der Unternehmer in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen höheren Steuerbetrag, als er nach diesem Gesetz für den Umsatz schuldet, gesondert ausgewiesen (unrichtiger Steuerausweis), schuldet er auch den Mehrbetrag. Berichtigt er den Steuerbetrag gegenüber dem Leistungsempfänger, ist § 17 Abs. 1 entsprechend anzuwenden. …
(2) Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist (unberechtigter Steuerausweis), schuldet den ausgewiesenen Betrag. Das Gleiche gilt, wenn jemand wie ein leistender Unternehmer abrechnet und einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt. Der nach den Sätzen 1 und 2 geschuldete Steuerbetrag kann berichtigt werden, soweit die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist. Die Gefährdung des Steueraufkommens ist beseitigt, wenn ein Vorsteuerabzug beim Empfänger der Rechnung nicht durchgeführt oder die geltend gemachte Vorsteuer an die Finanzbehörde zurückgezahlt worden ist. Die Berichtigung des geschuldeten Steuerbetrags ist beim Finanzamt gesondert schriftlich zu beantragen und nach dessen Zustimmung in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Voraussetzungen des Satzes 4 eingetreten sind.“
§ 15 („Vorsteuerabzug“) UStG sieht in Abs. 1 vor:
„Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:
1. die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a ausgestellte Rechnung besitzt. Soweit der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor Ausführung dieser Umsätze entfällt, ist er bereits abziehbar, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist;
…“
In Art. 17 UStG heißt es:
„(1) Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 geändert, hat der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen. Ebenfalls ist der Vorsteuerabzug bei dem Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt wurde, zu berichtigen. …
(2) Absatz 1 gilt sinngemäß, wenn
das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb uneinbringlich geworden ist. Wird das Entgelt nachträglich vereinnahmt, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erneut zu berichtigen;
für eine vereinbarte Lieferung oder sonstige Leistung ein Entgelt entrichtet, die Lieferung oder sonstige Leistung jedoch nicht ausgeführt worden ist;
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rechtssache C-660/16
Herr Kollroß bestellte am 10. April 2010 bei der G-GmbH (im Folgenden: GA) die Lieferung eines Blockheizkraftwerks. GA bestätigte den Auftrag am 12. April 2010 und erteilte für den Liefergegenstand eine Vorausrechnung über 30000 Euro mit einem gesonderten Steuerausweis über 5700 Euro. Herr Kollroß meldete zeitgleich ein Gewerbe zur Erzeugung erneuerbarer Energien an und entrichtete die geforderte Anzahlung an GA am 19. April 2010. Am 15. Juli 2010 erteilte GA eine zweite Anzahlungsrechnung, in der auf die Zahlung vom 19. April 2010 hingewiesen wurde. Der Lieferzeitpunkt stand noch nicht fest.
Die Anlage wurde nicht geliefert. Über das Vermögen von GA wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und mangels Masse eingestellt. Die für GA handelnden Personen wurden wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in 88 Fällen und wegen vorsätzlichen Bankrotts zulasten der Käufer der Blockheizkraftwerke strafrechtlich verurteilt. Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich jedoch nicht, dass eine Steuerhinterziehung vorlag.
Herr Kollroß machte für das Jahr 2010 den Vorsteuerabzug aus seiner Anzahlung geltend. Das Finanzamt Dachau verweigerte ihm den Abzug. Gegen diese Entscheidung legte Herr Kollroß erfolglos Einspruch ein und erhob danach Klage beim Finanzgericht München (Deutschland).
Das Finanzgericht München gab seiner Klage statt. Gegen das erstinstanzliche Urteil wurde Revision eingelegt, die beim fünften Senat des vorlegenden Gerichts, des Bundesfinanzhofs (Deutschland), anhängig ist.
Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass Herr Kollroß die in Art. 168 Buchst. a der Richtlinie 2006/112 enthaltenen allgemeinen Voraussetzungen für einen Abzug der Vorsteuer auf eine Anzahlung erfülle.
Insbesondere verweist das vorlegende Gericht auf Rn. 39 des Urteils vom 13. März 2014, FIRIN (C-107/13, EU:C:2014:151), aus der sich ergebe, dass die Steuerentstehung gemäß Art. 65 der Richtlinie 2006/112 voraussetze, dass der Eintritt des Steuertatbestands – und damit das Bewirken der Lieferung – nicht unsicher sei.
Das vorlegende Gericht fragt sich, von welchem Standpunkt aus diese Voraussetzung zu prüfen ist. Eine rein objektive Betrachtung unabhängig von der Sichtweise des Anzahlenden belaste den Geschäftsverkehr unzumutbar.
Außerdem ist nach Ansicht des vorlegenden Gerichts unklar, ob die weiteren Umstände, unter denen Herr Kollroß die Anzahlung geleistet hat, aus Gründen des Unionsrechts dem Vorsteuerabzug entgegenstehen oder gegebenenfalls eine Berichtigungspflicht begründen. Das vorlegende Gericht stellt sich u. a. die Frage nach der Tragweite des Urteils vom 13. März 2014, FIRIN (C-107/13, EU:C:2014:151), hinsichtlich der Abzugsfähigkeit und der Berichtigungspflicht unter der Geltung der Richtlinie 2006/112.
Insoweit hat das vorlegende Gericht dieses Urteil des Gerichtshofs nach eigenen Angaben bereits einschränkend dahin ausgelegt, dass die Berichtigung in beiden Fällen eine Rückzahlung der Anzahlung voraussetze. Der Gerichtshof habe nämlich u. a. in den Rn. 52 und 58 des genannten Urteils entschieden, dass die geschuldete Steuer nur im Fall einer solchen Rückzahlung von dem Empfänger der Anzahlung zu berichtigen sei. Somit müsse der Steuerpflichtige, der die Anzahlung geleistet habe, den Abzug nur im Fall der Rückzahlung der Anzahlung berichtigen.
Hinsichtlich der Pflicht der Steuerbehörden, die Steuer zu erstatten, wenn es nicht möglich sei, diese vom Empfänger der Anzahlung zurückzuerhalten, lassen sich nach Auffassung des vorlegenden Gerichts die Erkenntnisse aus dem Urteil vom 15. März 2007, Reemtsma Cigarettenfabriken (C-35/05, EU:C:2007:167), auf die bei ihm anhängige Rechtssache übertragen. Somit könne ein Steuerpflichtiger wie Herr Kollroß die Rückzahlung der Mehrwertsteuer beanspruchen, soweit sie die geleistete Anzahlung betreffe, weil eine Erstattung der Steuer durch den Empfänger der Anzahlung als unmöglich oder übermäßig schwierig angesehen werden könne.
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Rechtssache C-661/16
In der Absicht, eine gewerbliche Tätigkeit der Stromerzeugung auszuüben, bestellte Herr Wirtl am 3. August 2010 bei der Gesellschaft zur Förderung erneuerbarer Energien mbH (im Folgenden: GB) ein Blockheizkraftwerk zum Preis von 30000 Euro zuzüglich 5700 Euro Umsatzsteuer, dessen Lieferung voraussichtlich 14 Wochen nach Geldeingang erfolgen sollte. Herr Wirtl leistete mit Überweisung vom 27. August 2010 per Vorkasse die am 6. August 2010 angeforderte Zahlung in Höhe von 35700 Euro. Daraufhin erhielt er von GB unter dem Datum vom 28. August 2010 eine Rechnung über die Lieferung eines Blockheizkraftwerks.
Am 25. Oktober 2010 gab Herr Wirtl die Umsatzsteuervoranmeldung für August 2010 ab und machte den Vorsteuerabzug aus dem Erwerb des Blockheizkraftwerks in Höhe von 5700 Euro geltend. Gleichzeitig zeigte er dem Finanzamt Göppingen an, dass er beabsichtige, das Blockheizkraftwerk an GB zu verpachten.
Die Anlage wurde jedoch nie geliefert. Im Jahr 2011 wurde über das Vermögen von GB das Insolvenzverfahren eröffnet, und elf für die GB-Gruppe handelnde Personen wurden wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in 88 Fällen strafrechtlich verurteilt.
Das Finanzamt Göppingen stimmte der Umsatzsteuer-Jahreserklärung für 2010, in der Herr Wirtl Vorsteuern in Höhe von 5700 Euro aus der Vorauszahlung für das von GB verkaufte Blockheizkraftwerk geltend machte, nicht zu.
Der von Herrn Wirtl dagegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg, Das Finanzgericht Baden-Württemberg (Deutschland) gab jedoch der Klage gegen diesen abschlägigen Bescheid mit Urteil vom 19. September 2014 statt.
Nach Auffassung des elften Senats des vorlegenden Gerichts, des Bundesfinanzhofs, bei dem eine Revision gegen dieses Urteil anhängig ist, ist das Merkmal der Sicherheit des Eintritts des Steuertatbestands objektiv zu verstehen. Das Entstehen des Steueranspruchs des Fiskus gegen den Anzahlungsempfänger könne nämlich grundsätzlich nicht vom Wissen bzw. Wissenmüssen des Anzahlenden abhängig sein.
Hinsichtlich der Behandlung der Mehrwertsteuer, die aufgrund des Fehlens eines steuerpflichtigen Umsatzes zu Unrecht in Rechnung gestellt worden sei, ergebe sich aus der Richtlinie 2006/112, dass die beiden beteiligten Wirtschaftsteilnehmer nicht notwendigerweise gleich behandelt werden müssten. Zum einen schulde der Aussteller einer Rechnung die darin ausgewiesene Mehrwertsteuer gemäß Art. 203 dieser Richtlinie, der durch § 14c UStG in nationales Recht umgesetzt worden sei, auch dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – kein steuerpflichtiger Umsatz vorliege, weil die Lieferung letztlich nicht bewirkt werde. Zum anderen sei die Ausübung des Rechts des Rechnungsempfängers auf Vorsteuerabzug nach Art. 63 in Verbindung mit Art. 167 der Richtlinie 2006/112 auf die Steuern beschränkt, die auf einen mehrwertsteuerpflichtigen Umsatz entfielen. Daher könne der Erwerber keinen Vorsteuerabzug aus der Anzahlung geltend machen, auch wenn der Lieferer ihm die Anzahlung nicht zurückgezahlt habe.
Schließlich ist nach Ansicht des vorlegenden Gerichts fraglich, ob der Mitgliedstaat nach Art. 186 der Richtlinie 2006/112 berechtigt ist, die Vorsteuerkorrektur von der Bedingung der Rückzahlung abhängig zu machen, wenn die Lieferung letztlich nicht bewirkt wird.
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Zu den Vorlagefragen
Zur jeweils ersten Frage in den Rechtssachen C-660/16 und C-661/16
Mit der ersten Frage in der Rechtssache C-660/16 und der ersten Frage in der Rechtssache C-661/16, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 65 und 167 der Richtlinie 2006/112, die die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs hinsichtlich einer Anzahlung betreffen, unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren, wo die betreffenden Gegenstände aufgrund von Handlungen nicht geliefert wurden, die zu Verurteilungen von für die Lieferer handelnden Personen wegen Betrugs führten, rein objektiv auszulegen sind oder ob bei der Auslegung auf die Informationen abzustellen ist, von denen der Steuerpflichtige, der die Anzahlung geleistet hat, Kenntnis hatte oder hätte haben müssen.
Nach Art. 167 der Richtlinie 2006/112 entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.
Nach Art. 63 dieser Richtlinie treten der Steuertatbestand und der Steueranspruch zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.
Abweichend hiervon sieht Art. 65 der Richtlinie 2006/112 jedoch vor, dass, wenn Anzahlungen geleistet werden, bevor die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht ist, der Steueranspruch zum Zeitpunkt der Vereinnahmung entsprechend dem vereinnahmten Betrag entsteht. Als Ausnahme von der in der vorstehenden Randnummer wiedergegebenen Regel ist diese Bestimmung eng auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Februar 2006, BUPA Hospitals und Goldsborough Developments, C-419/02, EU:C:2006:122, Rn. 45).
Damit unter solchen Umständen der Steueranspruch entstehen kann, müssen daher alle maßgeblichen Elemente des Steuertatbestands, d. h. der künftigen Lieferung oder der künftigen Dienstleistung, bereits bekannt und somit die Gegenstände oder die Dienstleistungen zum Zeitpunkt der Anzahlung genau bestimmt sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Februar 2006, BUPA Hospitals und Goldsborough Developments, C-419/02, EU:C:2006:122, Rn. 48).
Folglich kann Art. 65 der Richtlinie 2006/112 keine Anwendung finden, wenn die Bewirkung der Lieferung oder die Erbringung der Dienstleistung zum Zeitpunkt der Anzahlung unsicher ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. März 2014, FIRIN, C-107/13, EU:C:2014:151, Rn. 39).
Daraus folgt, dass für die Beurteilung, ob die für die Entstehung des Mehrwertsteueranspruchs hinsichtlich der Anzahlung und das damit einhergehende Recht auf Vorsteuerabzug erforderliche Sicherheit der Bewirkung der Lieferung oder Erbringung der Dienstleistung vorliegt, auf den Zeitpunkt der Leistung dieser Anzahlung abzustellen ist.
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den beiden Vorlageentscheidungen, dass die Gegenstände, die geliefert werden sollten, zu dem Zeitpunkt, zu dem Herr Kollroß und Herr Wirtl jeweils ihre Anzahlungen leisteten, klar bezeichnet waren. Insbesondere waren die Merkmale und der Preis dieser Gegenstände klar bestimmt.
Somit darf das Recht auf Vorsteuerabzug hinsichtlich der Leistung einer Anzahlung dem potenziellen Erwerber in Fällen wie denen der Ausgangsverfahren nicht versagt werden, da diese Anzahlung geleistet und vereinnahmt wurde und zum Zeitpunkt dieser Leistung alle maßgeblichen Elemente der zukünftigen Lieferung als dem Erwerber bekannt angesehen werden konnten und diese Lieferung daher sicher erschien.
In diesem Zusammenhang lässt entgegen dem Vorbringen der deutschen Regierung der Umstand, dass der Zeitpunkt der Lieferung des Gegenstands zum Zeitpunkt der Leistung der Anzahlung nicht genau bekannt ist, nicht den Schluss zu, dass nicht alle maßgeblichen Elemente des Steuertatbestands, d. h. der zukünftigen Lieferung, bekannt sind. Außerdem kann das Fehlen dieser Genauigkeit für sich genommen die Gewissheit dieser Lieferung nicht in Frage stellen.
Nach Klärung dieser Punkte ist zu prüfen, ob unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren eine Unsicherheit besteht, die die Anwendung von Art. 65 der Richtlinie 2006/112 ausschließen könnte. Hierzu ergibt sich aus den Vorlageentscheidungen, dass die Lieferung der betreffenden Gegenstände nicht aufgrund von Steuerhinterziehungen ausblieb, sondern aufgrund von Handlungen, die von für den Lieferer dieser Gegenstände handelnden Personen begangen wurden, die wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs verurteilt wurden. Aus den Vorlageentscheidungen geht indessen hervor, dass diese Handlungen erst nach der Leistung der Anzahlungen, die den in den Ausgangsverfahren streitgegenständlichen Anträgen auf Vorsteuerabzug zugrunde liegen, bekannt wurden. Allerdings ist es Aufgabe des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies tatsächlich der Fall ist.
Dass Anzahlungen, wenn sie vor Bewirkung der Lieferung oder Erbringung der Dienstleistung vereinnahmt werden, die Steuerschuld entstehen lassen, liegt daran, dass die Vertragspartner hiermit ihre Absicht kundtun, im Voraus alle mit der Bewirkung der Lieferung oder der Erbringung der Dienstleistung verbundenen finanziellen Folgen auf sich zu nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Februar 2006, BUPA Hospitals und Goldsborough Developments, C-419/02, EU:C:2006:122, Rn. 49).
Sind die in den Rn. 42 und 43 des vorliegenden Urteils dargestellten Voraussetzungen für die Entstehung der Mehrwertsteuerschuld zum Zeitpunkt der Vereinnahmung einer Anzahlung erfüllt, entsteht daher das Recht auf Vorsteuerabzug und der Steuerpflichtige, der diese Anzahlung geleistet hat, darf dieses Recht zu diesem Zeitpunkt ausüben, ohne dass weitere, später bekannt gewordene Tatsachen zu berücksichtigen wären, durch die die Bewirkung der betreffenden Lieferung oder die Erbringung der betreffenden Leistung unsicher würde.
Dagegen ist dem betreffenden Steuerpflichtigen dieses Recht von den nationalen Behörden und Gerichten zu versagen, wenn anhand objektiver Umstände erwiesen ist, dass er zum Zeitpunkt der Leistung der Anzahlung wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass diese Lieferung oder Dienstleistung voraussichtlich nicht bewirkt bzw. erbracht werden würde.
Es kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Steuerpflichtige als Vertragspartner die Absicht hat, die mit der Bewirkung der Lieferung oder der Erbringung der Dienstleistung verbundenen finanziellen Folgen auf sich zu nehmen, wenn er weiß oder vernünftigerweise wissen müsste, dass diese Bewirkung der Lieferung oder Erbringung der Dienstleistung ungewiss ist.
Daher ist auf die jeweils erste Frage in den Rechtssachen C-660/16 und C-661/16 zu antworten, dass die Art. 65 und 167 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren das Recht auf Vorsteuerabzug hinsichtlich der Leistung einer Anzahlung dem potenziellen Erwerber der betreffenden Gegenstände nicht versagt werden darf, wenn diese Anzahlung geleistet und vereinnahmt wurde und zum Zeitpunkt dieser Leistung alle maßgeblichen Elemente der zukünftigen Lieferung als dem Erwerber bekannt angesehen werden konnten und die Lieferung dieser Gegenstände daher sicher erschien. Dem Erwerber darf ein solches Recht jedoch versagt werden, wenn anhand objektiver Umstände erwiesen ist, dass er zum Zeitpunkt der Leistung der Anzahlung wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass die Bewirkung dieser Lieferung unsicher war.
Zur zweiten Frage in der Rechtssache C-660/16 sowie zur zweiten und zur dritten Frage in der Rechtssache C-661/16
Mit der zweiten Frage in der Rechtssache C-660/16 sowie der zweiten und der dritten Frage in der Rechtssache C-661/16, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 185 und 186 der Richtlinie 2006/112 nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegenstehen, nach denen die Berichtigung des Vorsteuerabzugs hinsichtlich einer für die Lieferung eines Gegenstands geleisteten Anzahlung voraussetzt, dass diese Anzahlung vom Lieferer zurückgezahlt wird.
Die Art. 184 bis 186 der Richtlinie 2006/112 legen die Voraussetzungen fest, unter denen die nationale Steuerverwaltung eine Berichtigung durch einen Steuerpflichtigen verlangen kann.
Zur Frage, ob sich Ereignisse, die nach dem von einem Steuerpflichtigen vorgenommenen Vorsteuerabzug eingetreten sind, auf diesen auswirken können, ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die tatsächliche oder beabsichtigte Verwendung der Gegenstände oder Dienstleistungen den Umfang des ursprünglichen Vorsteuererstabzugs, zu dem der Steuerpflichtige befugt ist, und den Umfang etwaiger Berichtigungen während der darauffolgenden Zeiträume bestimmt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Oktober 2012, TETS Haskovo, C-234/11, EU:C:2012:644, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 13. März 2014, FIRIN, C-107/13, EU:C:2014:151, Rn. 49).
Der in den Art. 184 bis 186 der Richtlinie 2006/112 vorgesehene Berichtigungsmechanismus ist nämlich Bestandteil der mit dieser Richtlinie eingeführten Vorsteuerabzugsregelung. Er soll die Genauigkeit der Vorsteuerabzüge in der Weise erhöhen, dass die Neutralität der Mehrwertsteuer gewährleistet wird, so dass die auf einer früheren Stufe bewirkten Umsätze weiterhin nur insoweit zum Abzug berechtigen, als sie der Erbringung von Leistungen dienen, die dieser Steuer unterliegen. Dieser Mechanismus verfolgt somit das Ziel, einen engen und unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Vorsteuerabzugsrecht und der Nutzung der betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen für besteuerte Ausgangsumsätze herzustellen (Urteile vom 18. Oktober 2012, TETS Haskovo, C-234/11, EU:C:2012:644, Rn. 30 und 31, sowie vom 13. März 2014, FIRIN, C-107/13, EU:C:2014:151, Rn. 50).
Was die Entstehung der Verpflichtung zur Berichtigung eines Vorsteuerabzugs betrifft, stellt Art. 185 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 den Grundsatz auf, dass eine solche Berichtigung insbesondere dann zu erfolgen hat, wenn sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben (Urteile vom 4. Oktober 2012, PIGI, C-550/11, EU:C:2012:614, Rn. 26, und vom 18. Oktober 2012, TETS Haskovo, C-234/11, EU:C:2012:644, Rn. 32).
Im vorliegenden Fall wurden die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gegenstände, wie bereits in Rn. 46 des vorliegenden Urteils ausgeführt, nicht geliefert. Dass die Lieferung dieser Gegenstände nicht erfolgen würde, stellte sich nach der Leistung der Anzahlungen und den anschließenden Mehrwertsteuererklärungen heraus.
Insoweit hat der Gerichtshof in Rn. 52 des Urteils vom 13. März 2014, FIRIN (C-107/13, EU:C:2014:151), entschieden, dass in einem Fall wie dem diesem Urteil zugrunde liegenden, in dem feststand, dass die Lieferung der Gegenstände, für die der Erwerber eine Anzahlung geleistet hatte, nicht bewirkt werden würde, davon auszugehen ist, dass sich die Faktoren, die bei der Bestimmung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt werden, im Sinne von Art. 185 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 nach Abgabe der Mehrwertsteuererklärung geändert haben. Somit kann die Steuerverwaltung in einem solchen Fall verlangen, dass der Steuerpflichtige die abgezogene Mehrwertsteuer berichtigt.
Allerdings unterscheiden sich die Ausgangsverfahren durch einige Umstände von der Rechtssache, in der das genannte Urteil ergangen ist.
Zum einen hatten die Erwerber in den Ausgangsverfahren, wie die Europäische Kommission zutreffend hervorhebt, aus den Gegenständen, für die sie die Anzahlungen vor ihrer tatsächlichen Lieferung geleistet hatten, bereits Einnahmen erzielt. Aus den Vorlageentscheidungen geht nämlich hervor, dass die Erwerber die fraglichen Gegenstände verpachtet und daraus Pachteinnahmen erzielt hatten. Somit wurden diese der Vorsteuer unterliegenden Gegenstände durchaus in einem gewissen Maß für steuerpflichtige Ausgangsumsätze verwendet.
Zum anderen zeichnen sich die beiden Ausgangsverfahren dadurch aus, dass die Lieferungen der von den Erwerbern bestellten Gegenstände infolge bandenmäßiger Betrugshandlungen, an denen die Vertreter der Lieferer beteiligt waren, nicht bewirkt werden konnten, und diese Betrugshandlungen dazu führten, dass über das Vermögen der Lieferer Insolvenzverfahren eröffnet wurden, von denen eines mangels Masse eingestellt wurde.
Die vorliegenden Rechtssachen betreffen somit anders als die Rechtssache, in der das Urteil vom 13. März 2014, FIRIN (C-107/13, EU:C:2014:151), ergangen ist, keine Fälle von Hinterziehung der Mehrwertsteuer. Insoweit sieht es das vorlegende Gericht als erwiesen an, dass die Lieferer die Mehrwertsteuer auf die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Anzahlungen an den Fiskus entrichtet haben. Außerdem wird die von den Lieferern für die Vereinnahmung dieser Anzahlungen an den Fiskus zu entrichtende Mehrwertsteuer, soweit die Lieferer diese Anzahlungen angesichts ihrer Insolvenz nicht zurückzahlen werden, nicht gemäß den Art. 65, 90 und 123 der Richtlinie 2006/112 zu berichtigen sein. Daraus folgt, dass dem Fiskus unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren dadurch, dass die Erwerber ihr Vorsteuerabzugsrecht aus diesen Anzahlungen ausüben, kein Steuerausfallrisiko entsteht.
Zwar hat der Gerichtshof in Rn. 57 des Urteils vom 13. März 2014, FIRIN (C-107/13, EU:C:2014:151), auch entschieden, dass der Umstand, dass die von dem Lieferer geschuldete Mehrwertsteuer selbst nicht berichtigt werden wird, grundsätzlich nichts am Recht der Steuerverwaltung ändert, die Rückerstattung der Mehrwertsteuer zu verlangen, die von dem Erwerber von Gegenständen aufgrund der für diese Lieferung geleisteten Anzahlung in Abzug gebracht wurde.
Bei einer Berichtigung des Vorsteuerabzugs in einem Fall, in dem die Anzahlung nicht zurückgezahlt wurde, wird der Grundsatz der steuerlichen Neutralität aber dadurch gewahrt, dass der Erwerber die von den Mitgliedstaaten vorzusehende Möglichkeit hat, die für die letztlich nicht erfolgte Lieferung der Gegenstände geleistete Anzahlung von seinem Lieferer zurückzuerhalten (vgl. entsprechend Urteile vom 31. Januar 2013, LVK, C-643/11, EU:C:2013:55, Rn. 48, und vom 13. März 2014, FIRIN, C-107/13, EU:C:2014:151, Rn. 55).
Unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren wäre es allerdings für die Erwerber angesichts der Zahlungsunfähigkeit der Lieferer unverhältnismäßig schwierig oder sogar unmöglich, die Rückzahlung der von ihnen für die Lieferung der bestellten Gegenstände gutgläubig geleisteten Anzahlung zu erwirken.
Im Übrigen hat der Gerichtshof zu Fällen, in denen mangels eines steuerpflichtigen Umsatzes unberechtigt Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt wurde, entschieden, dass die Grundsätze der Neutralität und der Effektivität zwar grundsätzlich nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen, nach denen nur der Lieferer einen Anspruch auf Erstattung von zu Unrecht als Mehrwertsteuer gezahlten Beträgen gegen die zuständigen Steuerbehörden hat und der Erwerber von Gegenständen eine Klage gegen diesen Lieferer erheben muss, um seinerseits von diesem eine Erstattung zu erlangen. Wird jedoch eine solche Klage unmöglich oder übermäßig erschwert, insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Lieferers, können die genannten Grundsätze gebieten, dass der Erwerber seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. März 2007, Reemtsma Cigarettenfabriken, C-35/05, EU:C:2007:167, Rn. 39, 41 und 42).
Diese Erwägungen lassen sich auf Umstände wie die der Ausgangsverfahren entsprechend übertragen. Wären die Erwerber gezwungen, die hinsichtlich der auf die von ihnen geleisteten Anzahlungen gezahlten Mehrwertsteuer vorgenommenen Abzüge zu berichtigen, und erhielten sie keine Erstattung von den Lieferern, hätten sie nach den in der vorstehenden Randnummer dargelegten Erwägungen gegen die Steuerbehörden eine Forderung in Höhe des gleichen Betrags, den diese im Rahmen dieser Berichtigung erlangt haben.
Es wäre aber offenkundig unangemessen, die Erwerber zu verpflichten, diese Abzüge zu berichtigen und anschließend von den Steuerbehörden die Erstattung der auf die fraglichen Anzahlungen entrichteten Mehrwertsteuer einzuklagen.
Nach alledem ist auf die zweite Frage in der Rechtssache C-660/16 sowie auf die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache C-661/16 zu antworten, dass die Art. 185 und 186 der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass sie unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten nicht entgegenstehen, nach denen die Berichtigung des Vorsteuerabzugs hinsichtlich einer für die Lieferung eines Gegenstands geleisteten Anzahlung voraussetzt, dass diese Anzahlung vom Lieferer zurückgezahlt wird.
Zur dritten Frage in der Rechtssache C-660/16
In Anbetracht der Antworten auf die zuvor behandelten Fragen ist die dritte Frage in der Rechtssache C-660/16 nicht zu beantworten.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
Die Art. 65 und 167 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren das Recht auf Vorsteuerabzug hinsichtlich der Leistung einer Anzahlung dem potenziellen Erwerber der betreffenden Gegenstände nicht versagt werden darf, wenn diese Anzahlung geleistet und vereinnahmt wurde und zum Zeitpunkt dieser Leistung alle maßgeblichen Elemente der zukünftigen Lieferung als dem Erwerber bekannt angesehen werden konnten und die Lieferung dieser Gegenstände daher sicher erschien. Dem Erwerber darf ein solches Recht jedoch versagt werden, wenn anhand objektiver Umstände erwiesen ist, dass er zum Zeitpunkt der Leistung der Anzahlung wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass die Bewirkung dieser Lieferung unsicher war.
Die Art. 185 und 186 der Richtlinie 2006/112 sind dahin auszulegen, dass sie unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten nicht entgegenstehen, nach denen die Berichtigung des Vorsteuerabzugs hinsichtlich einer für die Lieferung eines Gegenstands geleisteten Anzahlung voraussetzt, dass diese Anzahlung vom Lieferer zurückgezahlt wird.
Da Cruz Vilaça
Levits
Borg Barthet
Berger
Biltgen
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 31. Mai 2018.
Der Kanzler
A. Calot Escobar
Der Präsident der Fünften Kammer
J. L. da Cruz Vilaça
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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