Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
EuGH 21.05.2015 - C-657/13
EuGH 21.05.2015 - C-657/13 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer) - 21. Mai 2015 ( *1) - „Vorlage zur Vorabentscheidung — Steuerrecht — Niederlassungsfreiheit — Art. 49 AEUV — Beschränkungen — Gestaffelte Erhebung der Steuer auf die stillen Reserven — Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten — Verhältnismäßigkeit“
Leitsatz
In der Rechtssache C-657/13
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Finanzgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 5. Dezember 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Dezember 2013, in dem Verfahren
Verder LabTec GmbH & Co. KG
gegen
Finanzamt Hilden
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund (Berichterstatter),
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Verder LabTec GmbH & Co. KG, vertreten durch O. Kress, Steuerberater,
des Finanzamts Hilden, vertreten durch U. Franz als Bevollmächtigten,
der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und K. Petersen als Bevollmächtigte,
der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte,
der dänischen Regierung, vertreten durch C. Thorning und M. S. Wolff als Bevollmächtigte,
der spanischen Regierung, vertreten durch L. Banciella Rodríguez-Miñón als Bevollmächtigten,
der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von S. Fiorentino, avvocato dello Stato,
der niederländischen Regierung, vertreten durch J. Langer und M. Bulterman als Bevollmächtigte,
der schwedischen Regierung, vertreten durch U. Persson und A. Falk als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Cordewener und W. Roels als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. Februar 2015
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 49 AEUV.
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Verder LabTec GmbH & Co. KG mit Sitz in Deutschland (im Folgenden: Verder LabTec) und dem Finanzamt Hilden (im Folgenden: Finanzamt) wegen der Besteuerung der mit den Wirtschaftsgütern dieser Gesellschaft verbundenen stillen Reserven anlässlich der Überführung dieser Wirtschaftsgüter in ihre Betriebsstätte in den Niederlanden.
Rechtlicher Rahmen
Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass die deutsche Regelung im Bereich der Besteuerung von stillen Reserven im Zusammenhang mit den Wirtschaftsgütern einer Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, die in eine im Ausland belegene Betriebsstätte dieser Gesellschaft überführt werden, zunächst auf der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs beruhte.
Mit Urteil vom 16. Juli 1969 hatte der Bundesfinanzhof die „Theorie der finalen Entnahme“ begründet. Aus der Vorlageentscheidung geht im Wesentlichen hervor, dass Ausgangspunkt dieser Theorie der Grundsatz war, dass die Bundesrepublik Deutschland als Sitzstaat einer Gesellschaft das Recht zur Besteuerung der innerhalb Deutschlands aufgebauten stillen Reserven im Zusammenhang mit einem Wirtschaftsgut dieser Gesellschaft nach dessen Überführung in eine in einem anderen Staat belegene Betriebsstätte verliert, wenn die Bundesrepublik Deutschland nach dem Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Staat, in dem die Betriebsstätte belegen ist, die Gewinne dieser Betriebsstätte freistellen muss. Die Überführung von Wirtschaftsgütern einer Gesellschaft mit Sitz in Deutschland in eine Betriebsstätte, die in einem anderen Staat belegen ist, wurde daher als eine mit dem sogenannten „Teilwert“ zu bewertende Entnahme im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (im Folgenden: EStG) angesehen.
Diese Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs führte dazu, dass für das Wirtschaftsgut, das als aus dem Betriebsvermögen der Gesellschaft mit Sitz in Deutschland entnommen betrachtet wurde, eine besondere Wertermittlung für den Zeitpunkt dieser Entnahme durchzuführen war. Die Differenz zwischen dem entsprechenden Wert und dem Buchwert des Wirtschaftsguts tauchte zum Überführungszeitpunkt in der Bilanz auf. Der Betrag der aufgedeckten stillen Reserven im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsgut wurde dann dem laufenden Jahresgewinn dieser Gesellschaft hinzugerechnet.
Gestützt auf die genannte Rechtsprechung entschied die deutsche Finanzverwaltung, dass die Bewertung eines solchen überführten Wirtschaftsguts zum Überführungszeitpunkt mit dem Fremdvergleichspreis erfolgen müsse, d. h. mit dem Preis, den unabhängige Dritte unter gleichen oder ähnlichen Bedingungen vereinbart hätten.
Die Finanzverwaltung entschied zudem, die Auswirkungen der oben angeführten Rechtsprechung durch eine Billigkeitsmaßnahme abzumildern und den mit einer solchen Entnahme verbundenen Gewinn nicht als Ganzes zu besteuern, sondern es der betreffenden Gesellschaft zu gestatten, einen Ausgleichsposten zu bilden, um diesen Gewinn zu neutralisieren. Dieser Posten war bei abnutzbaren Anlagegütern zeitanteilig gemäß der Restnutzungsdauer des Wirtschaftsguts, spätestens aber zehn Jahre nach der fraglichen Entnahme, gewinnerhöhend aufzulösen.
Die Fälle der Entnahme stiller Reserven im Zusammenhang mit Wirtschaftsgütern, die von einer Gesellschaft mit Sitz in Deutschland in eine in einem anderen Staat belegene Betriebsstätte überführt werden, wurden in dem Gesetz vom 7. Dezember 2006 über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (BGBl. I 2006, S. 2782, im Folgenden: SEStEG) erstmals gesetzlich geregelt.
Ziel dieses Gesetzes war es zum einen, steuerrechtliche Vorschriften an unionsrechtliche Vorgaben auf dem Gebiet des Steuerrechts und des Gesellschaftsrechts anzupassen, und zum anderen, die Besteuerungsrechte der Bundesrepublik Deutschland konsequent zu sichern und die Besteuerung stiller Reserven dann zu gewährleisten, wenn die fraglichen Wirtschaftsgüter dem Besteuerungszugriff der Bundesrepublik Deutschland entzogen werden.
Hierfür wurde durch das SEStEG in § 4 Abs. 1 EStG folgender Satz 3 neu eingefügt: „Einer Entnahme für betriebsfremde Zwecke steht der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts gleich.“ Aus der Gesetzesbegründung geht hervor, dass diese Vorschrift das geltende Recht klarstellen soll.
Durch das SEStEG wurde in das EStG auch der § 4g eingefügt. Dieser § 4g sieht vor, dass in den Fällen, in denen ein Wirtschaftsgut infolge seiner Zuordnung zu einer Betriebsstätte desselben Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland gemäß § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG in der durch das SEStEG geänderten Fassung als entnommen gilt, auf Antrag des Steuerpflichtigen ein Ausgleichsposten in Höhe der Differenz zwischen dem Buchwert und dem gemeinen Wert des Wirtschaftsguts gebildet wird. Nach § 4g Abs. 2 Satz 1 EStG wird dieser Ausgleichsposten im Wirtschaftsjahr der Bildung und in den folgenden vier Wirtschaftsjahren zu jeweils einem Fünftel gewinnerhöhend aufgelöst.
Außerdem wurde durch das SEStEG in § 52 EStG der Abs. 8b eingefügt, nach dem § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG in der durch das SEStEG geänderten Fassung ab dem Steuerjahr 2006 anzuwenden ist.
Mit Urteil vom 17. Juli 2008 in einem Fall betreffend den Veranlagungszeitraum 1995 gab der Bundesfinanzhof seine bisherige Rechtsprechung zur „Theorie der finalen Entnahme“ auf. Zur Begründung führte er zum einen aus, seine bisherige Rechtsprechung finde im EStG in der vor dem Inkrafttreten des SEStEG geltenden Fassung keine hinreichende Grundlage. Folglich sei die Überführung eines Wirtschaftsguts einer Gesellschaft mit Sitz in Deutschland in ihre in einem anderen Staat belegene Betriebsstätte keine Entnahme.
Zum anderen stützte der Bundesfinanzhof seine Meinungsänderung darauf, dass kein Bedürfnis dafür bestehe, die Überführung eines Wirtschaftsguts einer Gesellschaft mit Sitz in Deutschland in ihre in einem anderen Staat belegene Betriebsstätte als Gewinnrealisierungstatbestand anzusehen, da die spätere Besteuerung von im Inland entstandenen stillen Reserven dadurch, dass die ausländischen Betriebsstättengewinne von der deutschen Besteuerung freigestellt seien, nicht beeinträchtigt sei.
Aufgrund dieser Rechtsprechungsänderung entschloss sich der deutsche Gesetzgeber, ein Nichtanwendungsgesetz zu erlassen und § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG in der durch das SEStEG geänderten Fassung nachzubessern.
Mit dem Jahressteuergesetz 2010 vom 8. Dezember 2010 (BGBl. I 2010, S. 1768) fügte der Gesetzgeber zum einen in § 4 Abs. 1 EStG in der durch das SEStEG geänderten Fassung hinter Satz 3 einen Satz 4 ein, durch den der Hauptanwendungsfall von § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG klarstellend erläutert wird. Dieser Satz 4 lautet: „Ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Besteuerungsrechts hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts liegt insbesondere vor, wenn ein bisher einer inländischen Betriebsstätte des Steuerpflichtigen zuzuordnendes Wirtschaftsgut einer ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen ist.“
Zum anderen wurde § 52 Abs. 8b EStG in der durch das SEStEG geänderten Fassung um die Sätze 2 und 3 ergänzt, nach denen § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG in der durch das Jahressteuergesetz 2010 geänderten Fassung auch für das Steuerjahr 2005 gilt.
Ausgangsverfahren und Vorlagefrage
Verder LabTec ist eine Kommanditgesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Deutschland. Seit Mai 2005 befasste sich diese Gesellschaft ausschließlich mit der Verwaltung eigener Patent-, Marken- und Gebrauchsmusterrechte. Mit Vertrag vom 25. Mai 2005 übertrug sie diese Rechte auf ihre Betriebsstätte in den Niederlanden.
Im Rahmen einer Betriebsprüfung gelangte das Finanzamt zu der Ansicht, die Überführung dieser Rechte müsse unter Aufdeckung der damit verbundenen stillen Reserven mit dem Fremdvergleichswert im Zeitpunkt der Überführung erfolgen.
Allerdings sollten diese stillen Reserven, deren Wert nicht bestritten wurde, nicht sofort in voller Höhe der Besteuerung unterliegen. Aus Billigkeitsgründen sei der Betrag der stillen Reserven durch einen Merkposten in gleicher Höhe zu neutralisieren und linear über einen Zeitraum von zehn Jahren gewinnerhöhend aufzulösen.
Aufgrund des Ergebnisses der Betriebsprüfung erließ das Finanzamt am 17. August 2009 einen Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für das Steuerjahr 2005. Das Finanzamt berechnete den Gewinn von Verder LabTec, indem es den erzielten Gewinn um die zeitanteilige Auflösung des Merkpostens für dieses Steuerjahr in Höhe eines Zehntels des Wertes der fraglichen stillen Reserven erhöhte und den Betrag der damit verbundenen Erhöhung der Gewerbesteuerrückstellung abzog.
Mit Entscheidung vom 19. September 2011 wies das Finanzamt den gegen diesen Bescheid vom 17. August 2009 eingelegten Einspruch als unbegründet zurück.
Verder LabTec erhob gegen diese Entscheidung Klage beim Finanzgericht Düsseldorf, mit der sie im Wesentlichen geltend macht, dass die fragliche Steuerregelung die mit Art. 49 AEUV garantierte Niederlassungsfreiheit beeinträchtige. Sie hält die gestaffelte Erhebung der Steuer auf die zum Zeitpunkt der entsprechenden Überführung mit den überführten Wirtschaftsgütern verbundenen stillen Reserven für unverhältnismäßig. Die Erhebung dieser Steuer zum Zeitpunkt der Realisierung dieser Reserven wäre weniger einschneidend.
Das Finanzamt beantragt, die Klage abzuweisen. Die fragliche Steuerregelung verstoße nicht gegen unionsrechtliche Grundsätze, und ein eventueller Eingriff in die Niederlassungsfreiheit sei durch zwingende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Auch sei die fragliche Steuerregelung verhältnismäßig, denn die aufgedeckten stillen Reserven würden nicht in vollem Umfang sofort besteuert.
Das Finanzgericht Düsseldorf betont, § 4 Abs. 1 Sätze 3 und 4 EStG in der durch das Jahressteuergesetz 2010 geänderten Fassung sei im streitigen Steuerjahr, d. h. dem Jahr 2005, anwendbar.
Das Finanzgericht Düsseldorf ist der Auffassung, die nationale Regelung im Bereich der fraglichen Erhebung verstoße gegen die Niederlassungsfreiheit. Außerdem könne diese Regelung im Licht des Urteils National Grid Indus (C-371/10, EU:C:2011:785) nicht gerechtfertigt werden, da die Bundesrepublik Deutschland nach dem Grundsatz der steuerlichen Territorialität das Recht habe, die stillen Reserven zu besteuern, die sich in der Zeit bis zur Überführung der fraglichen Wirtschaftsgüter in eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte gebildet hätten. Auch wenn es als verhältnismäßig angesehen werden könne, dass die stillen Reserven schon im Zeitpunkt der Überführung der fraglichen Wirtschaftsgüter festgesetzt würden, könne es nicht verhältnismäßig sein, die Steuer auf diese stillen Reserven – wenn auch gestreckt auf fünf oder zehn Jahre – zu erheben, bevor sie aufgedeckt worden seien.
Unter diesen Umständen hat das Finanzgericht Düsseldorf beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist es mit der Niederlassungsfreiheit des Art. 49 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union vereinbar, wenn für den Fall der Übertragung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen auf eine ausländische Betriebsstätte desselben Unternehmens eine nationale Regelung bestimmt, dass eine Entnahme für betriebsfremde Zwecke vorliegt mit der Folge, dass es durch Aufdeckung stiller Reserven zu einem Entnahmegewinn kommt, und eine weitere nationale Regelung die Möglichkeit eröffnet, den Entnahmegewinn gleichmäßig auf fünf oder zehn Wirtschaftsjahre zu verteilen?
Zur Vorlagefrage
Verder LabTec macht geltend, die Vorlagefrage sei unzulässig, weil sie hypothetisch sei. Denn die vom vorlegenden Gericht erwähnten Zeiträume von fünf bzw. zehn Jahren für die Erhebung der Steuer seien beide auf das fragliche Steuerjahr, d. h das Jahr 2005, nicht anwendbar. Das Finanzamt und die deutsche Regierung vertreten die Auffassung, die Vorlagefrage sei insoweit hypothetisch, als sie die auf fünf Jahre gestaffelte Erhebung betreffe, da die Staffelung auf fünf Jahre auf das Steuerjahr 2005 nicht anwendbar sei. Auch die Europäische Kommission vertritt die Ansicht, dass die Vorlagefrage insoweit hypothetisch sei oder sein könne, als sie die auf fünf Jahre gestaffelte Erhebung betreffe. Hierzu weist sie darauf hin, dass es, da die Entscheidung des Finanzamts vom 19. September 2011 eine auf zehn Jahre gestaffelte Erhebung betreffe, denkbar sei, dass das Finanzamt diesen Zeitraum später nicht mehr in fünf Jahre ändern könne.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil Stanley International Betting und Stanleybet Malta, C-463/13, EU:C:2015:25, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass aus der Vorlageentscheidung klar hervorgeht, dass der Steuerbescheid vom 17. August 2009, dessen Anfechtung zur Entscheidung des Finanzamts vom 19. September 2011 geführt hat, eine auf zehn Jahre und keine auf fünf Jahre gestaffelte Erhebung der Steuer betrifft. Es ist daher offensichtlich, dass das Problem der auf fünf Jahre gestaffelten Erhebung der Steuer hypothetischer Natur ist. In Bezug auf eine solche Erhebung ist die Vorlagefrage somit – wie der Generalanwalt in Nr. 18 seiner Schlussanträge festgestellt hat – als unzulässig anzusehen.
Folglich ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit der Vorlagefrage wissen möchte, ob Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der, um die es im Ausgangsverfahren geht, entgegensteht, die im Fall der Überführung von Wirtschaftsgütern einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft in eine Betriebsstätte dieser Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat vorsieht, dass die mit diesen Wirtschaftsgütern verbundenen, in diesem ersten Mitgliedstaat gebildeten stillen Reserven aufgedeckt und besteuert werden und die Steuer auf diese stillen Reserven auf zehn Jahre gestaffelt erhoben wird.
Es ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 49 AEUV die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit zu beseitigen sind. Mit dieser Freiheit ist für die im Einklang mit den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in der Europäischen Union haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (Urteil Kommission/Deutschland, C-591/13, EU:C:2015:230, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Auch wenn die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit nach ihrem Wortlaut die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sicherstellen sollen, verbieten sie es ebenfalls, dass der Herkunftsmitgliedstaat die Niederlassung eines seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindert (Urteil Kommission/Deutschland, C-591/13, EU:C:2015:230, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit sind im Übrigen nach ständiger Rechtsprechung alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (Kommission/Deutschland, C-591/13, EU:C:2015:230, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Insoweit ist die Niederlassungsfreiheit auf Verlagerungen von Tätigkeiten einer Gesellschaft aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats in einen anderen Mitgliedstaat anwendbar, und zwar unabhängig davon, ob die fragliche Gesellschaft ihren satzungsmäßigen Sitz und ihre tatsächliche Leitung aus dem genannten Hoheitsgebiet wegverlegt oder ob sie Wirtschaftsgüter einer in diesem Hoheitsgebiet ansässigen festen Niederlassung in einen anderen Mitgliedstaat überführt (Urteil Kommission/Dänemark, C-261/11, EU:C:2013:480, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Was die Besteuerung der stillen Reserven, die im Rahmen der Steuerhoheit eines Mitgliedstaats entstanden sind und sich auf Wirtschaftsgüter beziehen, die auf eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte überführt worden sind, in dem Fall betrifft, dass der erste Mitgliedstaat sein Recht auf Besteuerung der mit diesen Wirtschaftsgütern erzielten Erträge anlässlich der Überführung verliert, geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Wesentlichen hervor, dass eine Steuerregelung eines Mitgliedstaats, die zu einer sofortigen Besteuerung der stillen Reserven im Fall einer solchen Überführung führt, während diese bei einer vergleichbaren Überführung innerhalb des nationalen Hoheitsgebiets nicht besteuert werden, geeignet ist, eine im ersten Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft davon abzuhalten, ihre Wirtschaftsgüter aus dem Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats in einen anderen Mitgliedstaat zu verlagern, und daher eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Dänemark, C-261/11, EU:C:2013:480, Rn. 29 bis 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren fragliche Steuerregelung dazu führt, dass die stillen Reserven im Zusammenhang mit Wirtschaftsgütern, die in eine in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland belegene Betriebsstätte überführt werden, anlässlich der Überführung aufgedeckt und besteuert werden. Fände eine vergleichbare Überführung innerhalb des nationalen Hoheitsgebiets statt, käme es hingegen nicht zu einer solchen Aufdeckung und Besteuerung, da die stillen Reserven nur dann besteuert werden, wenn sie tatsächlich aufgedeckt werden. Diese Ungleichbehandlung kann zu einem Liquiditätsnachteil für eine Gesellschaft führen, die Wirtschaftsgüter in eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte überführen möchte. Somit ist diese Ungleichbehandlung betreffend die Aufdeckung und Besteuerung der stillen Reserven geeignet, eine Gesellschaft deutschen Rechts davon abzuhalten, ihre Wirtschaftsgüter in einen anderen Mitgliedstaat zu überführen.
Eine solche Ungleichbehandlung lässt sich nicht durch eine objektiv unterschiedliche Situation erklären. In Ansehung der Regelung eines Mitgliedstaats zur Besteuerung der in seinem Hoheitsgebiet entstandenen stillen Reserven ist nämlich die Situation einer Gesellschaft, die Wirtschaftsgüter in eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte überführt, in Bezug auf die Besteuerung der mit den überführten Wirtschaftsgütern verbundenen stillen Reserven, die im ersten dieser Mitgliedstaaten vor der Überführung entstanden sind, mit der Situation einer Gesellschaft vergleichbar, die eine entsprechende Überführung in eine Betriebsstätte vornimmt, die sich im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats befindet (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Deutschland, C-591/13, EU:C:2015:230, Rn. 60).
Folglich wird die Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 49 AEUV dadurch beschränkt, dass nach der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung eine in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Gesellschaft bei der Überführung von Wirtschaftsgütern in eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte dieser Gesellschaft ungleich behandelt wird.
Es ist jedoch zu prüfen, ob diese Beschränkung aus unionsrechtlich anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses objektiv gerechtfertigt sein kann. In diesem Fall darf die Beschränkung zudem nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des entsprechenden Ziels erforderlich ist.
Nach Ansicht der deutschen Regierung kann die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden, die mit der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zusammenhängen. Das vorlegende Gericht äußert hieran jedoch Zweifel.
Hierzu ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten ein vom Gerichtshof anerkanntes legitimes Ziel ist und dass die Mitgliedstaaten in Ermangelung unionsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen befugt bleiben, zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen (Urteil Kommission/Deutschland, C-591/13, EU:C:2015:230, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zum anderen hat ein Mitgliedstaat nach dem Grundsatz der steuerlichen Territorialität im Fall der Überführung von Wirtschaftsgütern in eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte das Recht, die in seinem Hoheitsgebiet vor der Überführung entstandenen stillen Reserven zum Zeitpunkt des Wegzugs des Steuerpflichtigen zu besteuern. Eine solche Maßnahme soll Situationen verhindern, die das Recht des Herkunftsmitgliedstaats auf Ausübung seiner Steuerhoheit für die in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten gefährden können (vgl. in diesem Sinne Urteil National Grid Indus, C-371/10, EU:C:2011:785, Rn. 45 und 46 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
Daher kann die Überführung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Wirtschaftsgüter aus der Bundesrepublik Deutschland in einen anderen Mitgliedstaat nicht bedeuten, dass die Bundesrepublik Deutschland auf ihr Recht verzichten muss, die stillen Reserven zu besteuern, die im Rahmen ihrer Steuerhoheit vor der Überführung dieser Wirtschaftsgüter aus ihrem Hoheitsgebiet entstanden sind.
Außerdem erwächst den Mitgliedstaaten aus dem Recht zur Besteuerung der stillen Reserven, die entstanden sind, als sich das betreffende Vermögen in ihrem Hoheitsgebiet befand, die Befugnis, für diese Besteuerung einen anderen Entstehungstatbestand als die tatsächliche Realisierung dieser stillen Reserven vorzusehen, um die Besteuerung dieses Vermögens sicherzustellen (Urteil DMC, C-164/12, EU:C:2014:20, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im konkreten Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass die im Ausgangsverfahren fragliche Steuerregelung die Überführung von Wirtschaftsgütern in eine in einem anderen Mitgliedstaat als der Bundesrepublik Deutschland belegene Betriebsstätte erfasst, deren Erträge in der Bundesrepublik Deutschland von der Steuer befreit sind.
Somit ist die Aufdeckung der mit den überführten Wirtschaftsgütern verbundenen stillen Reserven und ihre Besteuerung darauf gerichtet, die Besteuerung dieser stillen Reserven, die vor der Überführung im Rahmen der Steuerhoheit der Bundesrepublik Deutschland entstanden sind, sicherzustellen. Die Besteuerung der Gewinne im Zusammenhang mit den genannten Wirtschaftsgütern, die nach einer solchen Überführung entstanden sind, ist Sache des anderen Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Betriebsstätte liegt. Daher ist eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige geeignet, die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den betreffenden Mitgliedstaaten zu gewährleisten.
Zur Verhältnismäßigkeit der fraglichen Regelung ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es verhältnismäßig ist, wenn ein Mitgliedstaat, um die Ausübung seiner Steuerhoheit zu sichern, die Steuer auf die in seinem Hoheitsgebiet entstandenen stillen Reserven im Zusammenhang mit den aus seinem Hoheitsgebiet überführten Wirtschaftsgütern dann festsetzt, wenn seine Steuerbefugnis in Bezug auf die betroffenen Wirtschaftsgüter endet, im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Überführung der fraglichen Wirtschaftsgüter aus dem Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Spanien, C-64/11, EU:C:2013:264, Rn. 31, und DMC, C-164/12, EU:C:2014:20, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zur Erhebung einer solchen Steuer hat der Gerichtshof entschieden, dass dem Steuerpflichtigen die Wahl zwischen der sofortigen Zahlung dieser Steuer oder dem Aufschub ihrer Zahlung, gegebenenfalls zuzüglich Zinsen entsprechend der anwendbaren nationalen Regelung, zu lassen ist (Urteil Kommission/Deutschland, C-591/13, EU:C:2015:230, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung).
In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof zudem entschieden, dass auch das Risiko der Nichteinziehung der Steuer zu bedenken ist, das sich mit der Zeit erhöht und dem der fragliche Mitgliedstaat im Rahmen seiner für aufgeschobene Zahlungen von Steuerschulden geltenden nationalen Regelung Rechnung tragen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil National Grid Indus, C-371/10, EU:C:2011:785, Rn. 74).
Im vorliegenden Fall stellt sich daher die Frage, ob die auf zehn Jahre gestaffelte Erhebung der fraglichen Steuer eine verhältnismäßige Maßnahme sein kann, um das Ziel der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den betreffenden Mitgliedstaaten zu erreichen.
Hierzu genügt die Feststellung, dass eine auf fünf Jahre gestaffelte Erhebung der Steuer auf die stillen Reserven statt einer sofortigen Erhebung als eine verhältnismäßige Maßnahme zur Erreichung dieses Ziels angesehen worden ist (Urteil DMC, C-164/12, EU:C:2014:20, Rn. 64). Eine – wie im Ausgangsverfahren – auf zehn Jahre gestaffelte Erhebung der Steuer auf die stillen Reserven ist daher – wie der Generalanwalt in den Nrn. 72 und 73 seiner Schlussanträge festgestellt hat – zwangsläufig als eine verhältnismäßige Maßnahme zur Erreichung dieses Ziels anzusehen.
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der, um die es im Ausgangsverfahren geht, nicht entgegensteht, die im Fall der Überführung von Wirtschaftsgütern einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft in eine Betriebsstätte dieser Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat vorsieht, dass die mit diesen Wirtschaftsgütern verbundenen, in diesem ersten Mitgliedstaat gebildeten stillen Reserven aufgedeckt und besteuert werden und die Steuer auf diese stillen Reserven auf zehn Jahre gestaffelt erhoben wird.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der, um die es im Ausgangsverfahren geht, nicht entgegensteht, die im Fall der Überführung von Wirtschaftsgütern einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft in eine Betriebsstätte dieser Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat vorsieht, dass die mit diesen Wirtschaftsgütern verbundenen, in diesem ersten Mitgliedstaat gebildeten stillen Reserven aufgedeckt und besteuert werden und die Steuer auf diese stillen Reserven auf zehn Jahre gestaffelt erhoben wird.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
Kontakt zur AOK Sachsen-Anhalt
Persönlicher Ansprechpartner
Hotline 0800 226 5354
E-Mail-Service