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EuGH 13.02.2014 - C-367/12
EuGH 13.02.2014 - C-367/12 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer) - 13. Februar 2014 ( *1) - „Niederlassungsfreiheit — Öffentliche Gesundheit — Art. 49 AEUV — Apotheken — Angemessene Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln — Genehmigung des Betriebs — Territoriale Verteilung der Apotheken — Ziehung von Grenzen, die im Wesentlichen auf einem demografischen Kriterium beruhen — Mindestentfernung zwischen den Apotheken“
Leitsatz
In der Rechtssache C-367/12
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (Österreich) mit Entscheidung vom 24. Juli 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 1. August 2012, in dem Verfahren
Susanne Sokoll-Seebacher,
Beteiligte:
Agnes Hemetsberger als Rechtsnachfolgerin von Susanna Zehetner,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen, der Richter M. Safjan und J. Malenovský (Berichterstatter) sowie der Richterin A. Prechal und des Richters S. Rodin,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
von Frau Sokoll-Seebacher, vertreten durch Rechtsanwältin E. Berchtold-Ostermann,
von Frau Hemetsberger, vertreten durch Rechtsanwalt C. Schneider,
der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,
der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und T. Müller als Bevollmächtigte,
der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes und A. P. Antunes als Bevollmächtigte,
der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Braun und I. Rogalski als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Entscheidungsgründe
Urteil
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 49 AEUV sowie der Art. 16 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Es ergeht in einem von Frau Sokoll-Seebacher angestrengten Verfahren, das die Eröffnung einer neuen Apotheke auf dem Gebiet der Gemeinde Pinsdorf im Land Oberösterreich betrifft.
Österreichisches Recht
§ 10 Apothekengesetz in der Fassung des BGBl. I Nr. 41/2006 (im Folgenden: ApG) bestimmt:
„(1) Die Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke ist zu erteilen, wenn
in der Gemeinde des Standortes der öffentlichen Apotheke ein Arzt seinen ständigen Berufssitz hat und
ein Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke besteht.
(2) Ein Bedarf besteht nicht, wenn
sich zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Gemeinde der in Aussicht genommenen Betriebsstätte eine ärztliche Hausapotheke befindet und weniger als zwei Vertragsstellen … (volle Planstellen) von Ärzten für Allgemeinmedizin besetzt sind oder
die Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke und der Betriebsstätte der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheke weniger als 500 m beträgt oder
die Zahl der von der Betriebsstätte einer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen sich in Folge der Neuerrichtung verringert und weniger als 5500 betragen wird.
(3) Ein Bedarf gemäß Abs. 2 Z 1 besteht auch dann nicht, wenn sich zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Gemeinde der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der öffentlichen Apotheke
eine ärztliche Hausapotheke und
eine Vertragsgruppenpraxis befindet …
…
(4) Zu versorgende Personen gemäß Abs. 2 Z 3 sind die ständigen Einwohner aus einem Umkreis von vier Straßenkilometern von der Betriebsstätte der bestehenden öffentlichen Apotheke, die auf Grund der örtlichen Verhältnisse aus dieser bestehenden öffentlichen Apotheke weiterhin zu versorgen sein werden.
(5) Beträgt die Zahl der ständigen Einwohner im Sinne des Abs. 4 weniger als 5500, so sind die auf Grund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs in diesem Gebiet zu versorgenden Personen bei der Bedarfsfeststellung zu berücksichtigen.
(6) Die Entfernung gemäß Abs. 2 Z 2 darf ausnahmsweise unterschritten werden, wenn es besondere örtliche Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung dringend gebieten.
(7) Zur Frage des Bedarfes an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke ist ein Gutachten der österreichischen Apothekerkammer einzuholen. …
…“
§ 47 Abs. 2 ApG – die sogenannte „Sperrfristregelung“ – sieht vor:
„Ein Konzessionsantrag eines Bewerbers ist von der Bezirksverwaltungsbehörde auch dann ohne weiteres Verfahren abzuweisen, wenn ein früherer Antrag eines anderen Bewerbers um die Errichtung einer neuen Apotheke an demselben Standort wegen des Fehlens der im § 10 bezeichneten sachlichen Voraussetzungen abgewiesen worden ist, von dem Datum der Zustellung des letzten in der Angelegenheit ergangenen Bescheides an gerechnet nicht mehr als zwei Jahre vergangen sind und eine wesentliche Veränderung in den für die frühere Entscheidung maßgebenden lokalen Verhältnissen nicht eingetreten ist. …“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
Mit Bescheid vom 29. Dezember 2011 lehnte der Bezirkshauptmann von Gmunden den Antrag von Frau Sokoll-Seebacher auf Erteilung einer Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke im Gemeindegebiet von Pinsdorf mangels Bedarf im Sinne von § 10 ApG ab.
Diese Ablehnung wurde auf ein Gutachten der Österreichischen Apothekerkammer vom 12. April 2011 und eine nachträgliche Stellungnahme hierzu vom 25. Oktober 2011 gestützt. Danach käme das Versorgungspotenzial der von Frau Zehetner in Altmünster, der Nachbargemeinde von Pinsdorf, betriebenen öffentlichen Apotheke durch die Errichtung einer neuen öffentlichen Apotheke deutlich unter 5 500 Personen zu liegen, da ihre Kundschaft auf 1513 Personen verringert würde.
Frau Sokoll-Seebacher wandte sich gegen diesen Bescheid und machte geltend, dass die Österreichische Apothekerkammer in der Gutachtensergänzung eine direkte Straßenverbindung zwischen den benachbarten Gemeinden Pinsdorf und Altmünster berücksichtigt habe, die laut Infrastrukturplan der Österreichischen Bundesbahnen jedoch in naher Zukunft aufgelassen werde. Dieser Umstand hätte berücksichtigt werden müssen. Darüber hinaus wäre auch zu beachten gewesen, dass Frau Zehetner ihre Apotheke seinerzeit im offenkundigen Wissen darum errichtet habe, dass sie nie ein Versorgungspotenzial von 5500 Personen erreichen werde.
Unter diesen Umständen hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Steht das Legalitätsgebot des Art. 16 der Charta und/oder das Transparenzgebot des Art. 49 AEUV einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z 3 ApG, die das Kriterium des Bedarfs an der Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke nicht zumindest in den essenziellen Grundzügen schon im Gesetz selbst regelt, sondern die Konkretisierung maßgeblicher Teile ihres Inhalts der innerstaatlichen Judikatur überlässt, entgegen, weil dadurch nicht ausgeschlossen werden kann, dass bestimmten inländischen Interessenten sowie diesen insgesamt gegenüber den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten ein maßgeblicher Wettbewerbsvorteil entsteht?
Für den Fall, dass diese erste Frage zu verneinen ist: Steht Art. 49 AEUV einer nationalen Regelung wie § 10 Abs. 2 Z 3 ApG, die für das essenzielle Kriterium der Bedarfsprüfung eine starre Grenze von 5500 Personen festlegt, hinsichtlich der im Gesetz keine Möglichkeit eines Abweichens von dieser Grundregel vorgesehen ist, entgegen, weil dadurch de facto eine kohärente Zielerreichung im Sinne der Rn. 98 bis 101 des Urteils vom 1. Juni 2010, C-570/07 und C-571/07, Blanco Pérez und Chao Gómez, Slg. 2010, I-4629, nicht (ohne Weiteres) gewährleistet erscheint?
Für den Fall, dass auch die zweite Frage zu verneinen ist: Steht Art. 49 AEUV und/oder Art. 47 der Charta einer Regelung wie § 10 Abs. 2 Z 3 ApG, aus der infolge der Judikatur der nationalen Höchstgerichte zur Frage der Bedarfsprüfung weitere Detailkriterien – wie zeitliche Priorität der Antragstellung; Sperrwirkung des laufenden Verfahrens für spätere Interessenten; zweijährige Sperrfrist bei Antragsabweisung; Kriterien zur Ermittlung der „ständigen Einwohner“ einerseits und der „Einfluter“ andererseits sowie zur Separation des Kundenpotenzials bei Überschneidung des 4-km-Umkreises von zwei oder mehr Apotheken; etc. – resultieren, entgegen, weil dadurch eine vorhersehbare und berechenbare Vollziehung dieser Bestimmung innerhalb angemessener Frist nicht als Regelfall ermöglicht wird und deshalb (vgl. Urteil Blanco Pérez und Chao Gómez, Rn. 98 bis 101 sowie 114 bis 125) deren konkrete Eignung im Hinblick auf die Notwendigkeit der Kohärenz der Zielerreichung als nicht gegeben und/oder ein angemessener pharmazeutischer Dienst als de facto nicht gewährleistet und/oder eine tendenzielle Diskriminierung von inländischen Interessenten untereinander oder zwischen diesen und anderen Mitgliedstaaten angehörenden Interessenten konstatiert werden kann?
Zulässigkeit
Erstens bestreiten Frau Zehetner und die österreichische Regierung die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens, da der Ausgangsrechtsstreit keinen grenzüberschreitenden Bezug aufweise und einen rein innerstaatlichen Sachverhalt betreffe.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die unterschiedslos auf österreichische Staatsangehörige und Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten anwendbar ist, im Allgemeinen zwar nur dann unter die Bestimmungen über die vom AEU-Vertrag garantierten Grundfreiheiten fallen kann, wenn sie für Sachlagen gilt, die eine Verbindung zum Handel zwischen den Mitgliedstaaten aufweisen; es lässt sich jedoch keineswegs ausschließen, dass Staatsangehörige, die in anderen Mitgliedstaaten als der Republik Österreich ansässig sind, Interesse daran hatten oder haben, in diesem Mitgliedstaat Apotheken zu betreiben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Dezember 2013, Venturini u. a., C-159/12 bis C-161/12, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ergibt sich zwar, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens österreichische Staatsangehörige ist und sich der Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits ausnahmslos innerhalb eines einzigen Mitgliedstaats, nämlich der Republik Österreich, abspielt, doch kann die im Ausgangsverfahren fragliche Regelung gleichwohl Wirkungen entfalten, die sich nicht auf diesen Mitgliedstaat beschränken.
Im Übrigen kann die Antwort des Gerichtshofs dem vorlegenden Gericht selbst bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt wie dem im Ausgangsverfahren fraglichen, bei dem nichts über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinausweist, von Nutzen sein, insbesondere dann, wenn sein nationales Recht vorschreibt, dass einem Inländer die gleichen Rechte zustehen wie die, die einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Unionsrecht zustünden (Urteil Venturini u. a., Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Diese erste Einrede der Unzulässigkeit ist daher zurückzuweisen.
Zweitens äußert Frau Zehetner, ohne insoweit ausdrücklich eine Unzulässigkeitseinrede zu erheben, Zweifel daran, dass das Vorabentscheidungsersuchen in gebotenem Ausmaß den Zusammenhang zwischen den Vorschriften des Unionsrechts und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht erläutert. Dieses Vorabentscheidungsersuchen sei nämlich schwer verständlich, weil es die österreichische Rechtslage nur rudimentär wiedergebe.
Hierzu ergibt sich aus ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass es die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht sachdienlichen Auslegung des Unionsrechts zu gelangen, erforderlich macht, dass dieses Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die von ihm gestellten Fragen einfügen, festlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese Fragen beruhen (vgl. u. a. Urteile vom 17. Februar 2005, Viacom Outdoor, C-134/03, Slg. 2005, I-1167, Rn. 22, vom 6. Dezember 2005, ABNA u. a., C-453/03, C-11/04, C-12/04 und C-194/04, Slg. 2005, I-10423, Rn. 45, und vom 21. November 2013, Deutsche Lufthansa, C-284/12, Rn. 20).
Der Gerichtshof hat ferner die Notwendigkeit hervorgehoben, dass das nationale Gericht die genauen Gründe angibt, aus denen es die Auslegung des Unionsrechts für fraglich und die Vorlage von Vorabentscheidungsfragen an den Gerichtshof für erforderlich hält. So hat er entschieden, dass es unerlässlich ist, dass das nationale Gericht ein Mindestmaß an Erläuterungen zu den Gründen für die Wahl der Unionsbestimmungen, um deren Auslegung es ersucht, und zu dem Zusammenhang gibt, den es zwischen diesen Bestimmungen und den auf den Ausgangsrechtsstreit anzuwendenden nationalen Rechtsvorschriften herstellt (vgl. u. a. Urteile vom 21. Januar 2003, Bacardi-Martini und Cellier des Dauphins, C-318/00, Slg. 2003, I-905, Rn. 43, und ABNA u. a., Rn. 46).
Im vorliegenden Fall war es der Klägerin des Ausgangsverfahrens und den Regierungen der Mitgliedstaaten aufgrund der Beschreibung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits und der Darstellung des anwendbaren nationalen Rechts in der Vorlageentscheidung möglich, schriftliche Erklärungen zu den Vorlagefragen einzureichen. Ferner werden in dieser Entscheidung die Unionsbestimmungen genannt, um deren Auslegung das vorlegende Gericht ersucht, und der Zusammenhang zwischen diesen Bestimmungen und den im Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften wird hinreichend erläutert.
Unter diesen Bedingungen ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.
Beantwortung der Fragen
Zur ersten und zur zweiten Vorlagefrage
Mit seiner ersten und seiner zweiten Vorlagefrage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 16 der Charta und/oder Art. 49 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsrechtsstreit fraglichen entgegenstehen, weil diese nach Auffassung des vorlegenden Gerichts keine hinreichend bestimmten Kriterien für die Prüfung des Arzneimittelversorgungsbedarfs im Hinblick auf die Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke festlegt, und, wenn dies zu verneinen sein sollte, ob Art. 49 AEUV, insbesondere das Gebot der Kohärenz bei der Verfolgung des angestrebten Ziels, einer solchen Regelung entgegensteht, weil sie als essenzielles Kriterium der Bedarfsprüfung eine starre Grenze für die Zahl der „weiterhin zu versorgenden Personen“ ohne die Möglichkeit eines Abweichens festlegt.
Erstens ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht Zweifel in Bezug auf die Auslegung nicht nur von Art. 49 AEUV hat, der die Niederlassungsfreiheit betrifft, sondern auch von Art. 16 der Charta, in dem die unternehmerische Freiheit angesprochen ist.
Dieser Art. 16 sieht vor, dass „[d]ie unternehmerische Freiheit … nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt“ wird. Zur Bestimmung der Tragweite der unternehmerischen Freiheit verweist er u. a. auf das Unionsrecht.
Diese Verweisung ist so zu verstehen, dass Art. 16 der Charta u. a. auf Art. 49 AEUV verweist, der die Ausübung der Niederlassungsfreiheit, einer Grundfreiheit, garantiert.
Da sich die Vorlagefragen nur auf die Niederlassungsfreiheit beziehen, ist die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung daher allein an Art. 49 AEUV zu messen.
Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass Art. 49 AEUV nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat grundsätzlich nicht verwehrt, ein System der vorherigen Genehmigung für die Niederlassung neuer Leistungserbringer wie der Apotheken vorzusehen, wenn sich ein solches System als unerlässlich erweist, um eventuelle Lücken im Zugang zu Leistungen des Gesundheitswesens zu schließen und um die Einrichtung von Strukturen einer Doppelversorgung zu vermeiden, so dass eine Gesundheitsversorgung gewährleistet ist, die den Bedürfnissen der Bevölkerung angepasst ist, das gesamte Hoheitsgebiet abdeckt und geografisch isolierte oder in sonstiger Weise benachteiligte Regionen berücksichtigt (vgl. in diesem Sinne Urteil Blanco Pérez und Chao Gómez, Rn. 70 und 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).
So hat der Gerichtshof entschieden, dass eine nationale Regelung, die auf bestimmten Kriterien beruht, anhand deren Niederlassungserlaubnisse für neue Apotheken gewährt werden, grundsätzlich geeignet ist, das Ziel zu erreichen, eine sichere und qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil Blanco Pérez und Chao Gómez, Rn. 94, Beschlüsse vom 17. Dezember 2010, Polisseni, C-217/09, Rn. 25, und vom 29. September 2011, Grisoli, C-315/08, Rn. 31).
Der Gerichtshof hat auch festgestellt, dass die Gesundheit und das Leben von Menschen unter den vom Vertrag geschützten Gütern und Interessen den höchsten Rang einnehmen und dass es Sache der Mitgliedstaaten ist, zu bestimmen, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Da sich dieses Niveau von einem Mitgliedstaat zum anderen unterscheiden kann, ist den Mitgliedstaaten ein Wertungsspielraum zuzuerkennen (Urteil Blanco Pérez und Chao Gómez, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im Einzelnen kann nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein System der vorherigen behördlichen Genehmigung keine Ermessensausübung der nationalen Behörden rechtfertigen, die geeignet ist, den Bestimmungen des Unionsrechts, insbesondere wenn sie eine Grundfreiheit wie die Niederlassungsfreiheit betreffen, ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen. Daher ist ein System der vorherigen behördlichen Genehmigung nur dann trotz des Eingriffs in eine solche Grundfreiheit gerechtfertigt, wenn es auf objektiven und nichtdiskriminierenden Kriterien beruht, die im Voraus bekannt sind, damit dem Ermessen der nationalen Behörden Grenzen gesetzt werden, die seine missbräuchliche Ausübung verhindern (Urteil vom 10. März 2009, Hartlauer, C-169/07, Slg. 2009, I-1721, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Im Ausgangsverfahren wird nach der fraglichen nationalen Regelung eine Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke nur dann erteilt, wenn ein „Bedarf“ besteht. Dieser Bedarf wird vermutet, es sei denn, mindestens einer der in dieser Regelung genannten konkreten Umstände steht dem entgegen.
Insbesondere werden nach dieser Regelung bei der Ermittlung, ob es an einem Bedarf für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke fehlt, die Zahl der zum Zeitpunkt der Antragstellung im betreffenden Gebiet vorhandenen Leistungserbringer im Gesundheitswesen, die Entfernung zwischen der zu errichtenden öffentlichen Apotheke und der nächstgelegenen öffentlichen Apotheke sowie die Zahl der von einer der bestehenden öffentlichen Apotheken aus „weiterhin zu versorgenden Personen“ berücksichtigt. Zur Ermittlung dieser Zahl wird ein Kreis um die Betriebsstätte der bestehenden Apotheke gezogen, der in erster Linie die ständigen Einwohner des so bestimmten Gebiets und in zweiter Linie auch diejenigen Personen erfasst, die einen bestimmten Bezug zu diesem Gebiet aufweisen, der ebenfalls in dieser Regelung jeweils näher bestimmt ist.
Unter diesen Kriterien betreffen diejenigen, die sich auf die Zahl der Leistungserbringer im Gesundheitswesen oder der ständigen Einwohner der einzelnen Gebiete oder die Entfernung zwischen den Apotheken beziehen, objektive Gegebenheiten, die grundsätzlich nicht geeignet sind, zu Auslegungs- oder Beurteilungsschwierigkeiten zu führen.
Dagegen ist das Kriterium, das den Bezug der Personen zu dem betreffenden Gebiet betrifft, in der Tat nicht ganz so eindeutig. Zum einen jedoch stellt es nicht das Hauptkriterium für die Ermittlung der Zahl der „weiterhin zu versorgenden Personen“ dar, da es nur nachrangig heranzuziehen ist, und zum anderen ist der jeweils maßgebende Bezug objektiv bestimmt und u. a. anhand statistischer Daten nachprüfbar.
Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die Kriterien, die in einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen vorgesehen sind, hinreichend objektiv sind.
Darüber hinaus geht aus der Vorlageentscheidung nicht hervor, dass auch andere als die in der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung ausdrücklich vorgesehenen und damit den Wirtschaftsteilnehmern nicht im Voraus bekannte Kriterien berücksichtigt werden könnten, um den fehlenden Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke festzustellen.
Insoweit ist der Umstand, dass die in § 10 ApG aufgeführten Kriterien durch die nationale Rechtsprechung konkretisiert worden sind, als solcher nicht geeignet, die interessierten Wirtschaftsteilnehmer daran zu hindern, im Voraus von diesen Kriterien Kenntnis zu nehmen.
Schließlich lässt sich den dem Gerichtshof vorliegenden Akten kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass die in dieser Regelung festgelegten Kriterien als diskriminierend angesehen werden könnten.
In diesem Zusammenhang ist insbesondere festzustellen, dass der Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke in einem Fall wie dem in Rn. 28 des vorliegenden Urteils angeführten vermutet wird. Es ist daher nicht Sache der einzelnen Bewerber, die eine neue öffentliche Apotheke errichten wollen, nachzuweisen, dass ein solcher Bedarf im Einzelfall tatsächlich besteht.
Demnach hängt der Ausgang des Verfahrens zur Erteilung einer Konzession grundsätzlich nicht davon ab, dass nur bestimmte Bewerber – inländische oder Angehörige anderer Mitgliedstaaten – gegebenenfalls über Informationen verfügen, die einen solchen Bedarf belegen können, wodurch sie besser gestellt wären als Wettbewerber, die nicht im Besitz solcher Informationen sind.
Demnach ist davon auszugehen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche auf objektiven, im Voraus bekannten und nicht diskriminierenden Kriterien beruht, die geeignet sind, der Ausübung des den zuständigen nationalen Behörden insoweit zustehenden Ermessens hinreichende Grenzen zu setzen.
Drittens ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine nationale Regelung nur dann als geeignet angesehen werden kann, die Erreichung des angestrebten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, dieses Ziel in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (vgl. in diesem Sinne Urteile Hartlauer, Rn. 55, vom 19. Mai 2009, Apothekerkammer des Saarlandes u. a., C-171/07 und C-172/07, Slg. 2009, I-4171, Rn. 42, Blanco Pérez und Chao Gómez, Rn. 94, sowie vom 26. September 2013, Ottica New Line di Accardi Vincenzo, C-539/11, Rn. 47).
Es ist letztlich Sache des nationalen Gerichts, das allein für die Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits sowie für die Auslegung des nationalen Rechts zuständig ist, zu bestimmen, ob und inwieweit die Regelung diesen Anforderungen entspricht. Der Gerichtshof, der dazu aufgerufen ist, dem nationalen Gericht zweckdienliche Antworten zu geben, ist jedoch befugt, dem vorlegenden Gericht auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise zu geben, die diesem Gericht eine Entscheidung ermöglichen (vgl. Urteil Ottica New Line di Accardi Vincenzo, Rn. 48 und 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zu diesem Zweck ist darauf hinzuweisen, dass bei einer im gesamten betroffenen Hoheitsgebiet einheitlichen Anwendung der in der nationalen Regelung für die Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke festgelegten Voraussetzungen bezüglich der Bevölkerungsdichte und der Mindestentfernung zwischen Apotheken unter bestimmten Umständen die Gefahr besteht, dass in Gebieten, die bestimmte demografische Besonderheiten aufweisen, ein angemessener Zugang zum pharmazeutischen Dienst nicht gewährleistet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Blanco Pérez und Chao Gómez, Rn. 96).
Insbesondere hat der Gerichtshof zu Voraussetzungen bezüglich der Bevölkerungsdichte festgestellt, dass eine einheitliche und ausnahmslose Anwendung dieser Voraussetzungen in bestimmten ländlichen Gebieten, in denen die Bevölkerung im Allgemeinen verstreut siedelt und weniger zahlreich ist, dazu führen könnte, dass bestimmte betroffene Einwohner keine Apotheke in vernünftiger Entfernung vorfänden und ihnen somit ein angemessener Zugang zum pharmazeutischen Dienst vorenthalten würde (vgl. in diesem Sinne Urteil Blanco Pérez und Chao Gómez, Rn. 97).
Im Ausgangsrechtsstreit sieht § 10 ApG vor, dass ein Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke dann nicht besteht, wenn die Zahl der von der Betriebsstätte einer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus „weiterhin zu versorgenden Personen“, d. h. der ständigen Einwohner aus einem Umkreis von vier Straßenkilometern um diese Betriebsstätte, sich infolge der Neuerrichtung verringert und weniger als 5500 betragen wird. Beträgt die Zahl der ständigen Einwohner jedoch weniger als 5500, sind nach dem ApG die aufgrund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs von dieser Apotheke in diesem Gebiet zu versorgenden Personen bei der Bedarfsfeststellung zu berücksichtigen (im Folgenden: „Einfluter“).
Um dem vorlegenden Gericht eine zweckdienliche Antwort zu geben, sind zwei Gesichtspunkte hervorzuheben, die wie folgt zusammengefasst werden können.
Auf der einen Seite gibt es Personen, die nicht im Umkreis von vier Straßenkilometern um die Betriebsstätte der nächstgelegenen öffentlichen Apotheke wohnen und daher weder in deren Versorgungsgebiet noch in einem anderen bestehenden Gebiet als ständige Einwohner berücksichtigt werden. Diese Personen können zwar als „Einfluter“ in ein oder mehrere Gebiete berücksichtigt werden, doch hängt ihr Zugang zu Apothekendienstleistungen damit von Umständen ab, die ihnen insoweit grundsätzlich keinen dauerhaften und kontinuierlichen Zugang gewähren, da dieser lediglich an der Beschäftigung in einem bestimmten Gebiet oder einem dort benutzten Verkehrsmittel anknüpft. Daraus folgt, dass sich für bestimmte, insbesondere in ländlichen Regionen wohnende Personen der Zugang zu Arzneimitteln als kaum angemessen erweisen kann, wenn man auch berücksichtigt, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche keine Höchstentfernung zwischen dem Wohnort einer Person und der nächstgelegenen Apotheke vorsieht.
Dies gilt umso mehr, als von den Personen, die zu der in der vorstehenden Randnummer genannten Kategorie gehören, überdies manche, wie z. B. ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und Kranke, zeitweilig oder längerfristig über eine eingeschränkte Mobilität verfügen. Denn zum einen kann ihr Gesundheitszustand eine dringende oder häufige Verabreichung von Arzneimitteln erfordern, und zum anderen kann wegen ihres Gesundheitszustands ihr Bezug zu den einzelnen Gebieten sehr gering sein oder gar entfallen.
Auf der anderen Seite würde die Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke, wenn sie im Interesse all derer beantragt wird, die in dem Gebiet, das das zukünftige Versorgungsgebiet einer neuen Apotheke darstellt, und außerhalb eines Umkreises von vier Kilometern wohnen, zwangsläufig dazu führen, dass in den Versorgungsgebieten der bestehenden Apotheken die Zahl der ständigen Einwohner, die weiterhin zu versorgen wären, gegebenenfalls unter die Schwelle von 5500 Personen sinken würde. Dies wäre insbesondere in ländlichen Regionen der Fall, in denen die Bevölkerungsdichte in der Regel niedrig ist.
Aus den nationalen Rechtsvorschriften scheint sich allerdings zu ergeben, dass – was zu überprüfen jedoch Sache des vorlegenden Gerichts ist – einem Antrag auf Erteilung einer Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke unter solchen Umständen nur dann stattgegeben wird, wenn die Zahl der „Einfluter“ ausreicht, um die Verringerung der Zahl der in den von der Neuerrichtung betroffenen Gebieten „weiterhin zu versorgenden“ Einwohner auszugleichen. Die im Hinblick auf diesen Antrag zu treffende Entscheidung hinge damit in Wirklichkeit nicht von der Beurteilung der Möglichkeit des Zugangs zu Apothekendienstleistungen im neu in Aussicht genommenen Gebiet ab, sondern von der Frage, ob und in welcher Zahl in den durch diese Neuerrichtung betroffenen Gebieten „Einfluter“ zu erwarten sind.
In ländlichen und abgelegenen Regionen, in die nur wenige „einfluten“, besteht jedoch die Gefahr, dass die Zahl der „weiterhin zu versorgenden Personen“ nicht die zwingend vorgeschriebene Grenze erreicht und damit der Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke als unzureichend angesehen wird.
Daraus folgt, dass bei der Anwendung des Kriteriums der Zahl der „weiterhin zu versorgenden Personen“ die Gefahr besteht, dass für bestimmte Personen, die in ländlichen und abgelegenen Regionen außerhalb der Versorgungsgebiete bestehender Apotheken wohnen, insbesondere für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, kein gleicher und angemessener Zugang zu Apothekendienstleistungen sichergestellt ist.
Nach alledem ist auf die ersten beiden Fragen zu antworten, dass Art. 49 AEUV, insbesondere das Gebot der Kohärenz bei der Verfolgung des angestrebten Ziels, dahin auszulegen ist, dass er einer mitgliedstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die als essenzielles Kriterium bei der Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke eine starre Grenze von „weiterhin zu versorgenden Personen“ festlegt, entgegensteht, weil die zuständigen nationalen Behörden keine Möglichkeit haben, von dieser Grenze abzuweichen, um örtliche Besonderheiten zu berücksichtigen.
Zur dritten Vorlagefrage
In Anbetracht der Antwort auf die ersten beiden Fragen ist die dritte Frage nicht zu beantworten.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Gründe
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 49 AEUV, insbesondere das Gebot der Kohärenz bei der Verfolgung des angestrebten Ziels, ist dahin auszulegen, dass er einer mitgliedstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die als essenzielles Kriterium bei der Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke eine starre Grenze von „weiterhin zu versorgenden Personen“ festlegt, entgegensteht, weil die zuständigen nationalen Behörden keine Möglichkeit haben, von dieser Grenze abzuweichen, um örtliche Besonderheiten zu berücksichtigen.
Unterschriften
( *1)Verfahrenssprache: Deutsch.
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