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BSG 15.08.2018 - B 12 KR 5/18 B
BSG 15.08.2018 - B 12 KR 5/18 B - Keine rückwirkende Versicherungsfreiheit bei wegen "betrieblicher Übung" rückwirkend zu gewährender Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen
Normen
§ 31 SGB 1, § 5 Abs 1 S 4 SGB 6, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG München, 21. Mai 2015, Az: S 18 KR 1208/13, Urteil
vorgehend Bayerisches Landessozialgericht, 27. Juli 2017, Az: L 5 KR 443/15, Urteil
Leitsatz
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Wegen des im Sozialrecht geltenden Gesetzesvorbehalts und der Planbarkeit der Finanzierung der Sozialversicherungssysteme rechtfertigt das im Arbeitsrecht entwickelte Rechtsinstitut der "betrieblichen Übung", das zu einer rückwirkenden Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen verpflichtet, keinen rückwirkenden Eingriff in ein Sozialversicherungsverhältnis in Form einer rückwirkenden Versicherungsfreiheit.
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27. Juli 2017 wird zurückgewiesen.
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Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
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I. In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten über eine (rückwirkende) Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und Arbeitslosenversicherung infolge des Eintritts von Versicherungsfreiheit.
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Der Kläger ist bei einem Bankinstitut in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts (Beigeladene zu 1.) beschäftigt. Jenes stellte 2009 seine frühere Praxis, langjährig Beschäftigten eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen anzubieten, ein. Im Mai 2012 sprach das BAG Arbeitnehmern in vergleichbarer Situation einen Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrags nach beamtenrechtlichen Grundsätzen auf Grund betrieblicher Übung zu (BAG Urteile vom 15.5.2012 - ua 3 AZR 610/11 - BAGE 141, 222). Daraufhin bot die Beigeladene zu 1. dem Kläger am 9.7.2012 eine Versorgungszusage rückwirkend zum 1.8.2011 an, die der Kläger im Juli 2012 annahm.
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Seinem Antrag auf Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge in Höhe des Arbeitnehmeranteils zur GRV und Arbeitslosenversicherung entsprach die beklagte Krankenkasse für die Zeit vom 1.7. bis 31.7.2012. Für die davor liegende Zeit vom 1.8.2011 bis 30.6.2012 lehnte sie eine Beitragserstattung mit der Begründung ab, der Versorgungsvertrag sei erst im Juli 2012 geschlossen worden. Erst danach sei Versicherungsfreiheit anzunehmen (Bescheid vom 2.5.2013; Widerspruchsbescheid vom 24.9.2013).
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Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (SG-Urteil vom 21.5.2015; LSG-Urteil vom 27.7.2017). § 5 Abs 1 S 4 SGB VI, dessen Regelungsgedanke auch im Recht der Arbeitsförderung zum Tragen komme, schließe eine Versicherungsfreiheit und damit eine Beitragserstattung für Zeiträume vor Abschluss eines Versorgungsvertrags ausdrücklich aus. Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG.
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II. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG vom 27.7.2017 ist ohne Erfolg.
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1. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) liegt nicht vor. Dieser setzt voraus, dass sich eine Rechtsfrage ernsthaft stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und durch das Revisionsgericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (stRspr, vgl nur BSG Beschluss vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN). Das ist hier nicht der Fall.
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Der Kläger formuliert auf Seite 10 der Beschwerdebegründung folgende Fragen:
"1. Kann der Eintritt der Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Rentenversicherung gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI und die in § 5 Abs. 1 Satz 4 SGB VI vorausgesetzte Gewährleistung von Anwartschaften auch durch Erfüllung eines Anspruches auf Gewährung von beamtenrechtlichen Versorgungsleistungen nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung begründet werden?
2. Kann die Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 SGB III auch durch Erfüllung eines Anspruches auf Gewährung von beamtenrechtlichen Versorgungsleistungen nach den Grundsätzen der betrieblichen Übung begründet werden?"
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Die betriebliche Übung sei ein gleichförmiges und wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers, das geeignet sei, vertragliche Ansprüche auf eine Leistung oder sonstige Vergünstigung, so zB den Abschluss einer Versorgungsvereinbarung, aber auch unmittelbar auf Versorgungsleistungen (zB Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall und Beihilfeleistungen nach beamtenrechtlichen Vorschriften) zu begründen, wenn die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers schließen dürfen, ihnen werde die Leistung oder Vergünstigung auch künftig gewährt (umfangreiche Hinweise auf Rechtsprechung des BAG). Eine betriebliche Übung begründe einen unmittelbaren und einklagbaren arbeitsvertraglichen Anspruch des Arbeitnehmers. Dieser Anspruch werde Bestandteil des Arbeitsvertrags und gelte damit als vertragliche Zusicherung als Voraussetzung für die Gewährleistung von Anwartschaften iS des § 5 Abs 1 S 4 SGB VI im Bereich der GRV. Gleiches gelte für den Bereich der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung.
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Eine Klärungsbedürftigkeit der vom Kläger aufgeworfenen Fragen ist nicht gegeben.
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a) Bereits der Wortlaut von § 5 Abs 1 S 4 SGB VI beantwortet die vom Kläger aufgeworfene Frage ausdrücklich für die GRV. Die Norm wurde durch das Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes vom 11.4.2002 (BGBl I 1302) - damals als Satz 3 - in das SGB VI eingefügt. Danach begründet die Gewährleistung von Anwartschaften die Versicherungsfreiheit von Beginn des Monats an, in dem die Zusicherung der Anwartschaften vertraglich erfolgt.
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b) Auch die Entstehungsgeschichte und die Gesetzesmaterialien der für die GRV unmittelbar streitentscheidenden Norm des § 5 Abs 1 S 4 SGB VI lassen eine Klärungsbedürftigkeit nicht erkennen. Zur Begründung führte der Gesetzgeber aus (BT-Drucks 14/8133 S 4 f):
"Satz 3 regelt, dass die Gewährleistung von Anwartschaften die Versicherungsfreiheit erst von dem Zeitpunkt an begründet, ab dem eine Anwartschaft auf beamtenähnliche bzw. gemeinschaftsübliche Versorgung tatsächlich vertraglich zugesichert wurde.
Die Vorschrift beseitigt in der Vergangenheit aufgetretene Auslegungsprobleme, die im Zusammenhang mit der Verleihung rückwirkender Anwartschaften auf beamtenähnliche bzw. gemeinschaftsübliche Versorgung entstanden sind. Sie verfolgt im Übrigen den Zweck sicherzustellen, dass nicht zu Lasten der Versichertengemeinschaft der Rentenversicherung Anwartschaften auf beamtenähnliche bzw. gemeinschaftsübliche Versorgung rückwirkend für Zeiten verliehen werden, in denen die Rentenversicherung das Risiko vorzeitiger Erwerbsminderung und vorzeitigen Todes tatsächlich getragen und in denen eine Anwartschaft auf eine beamtenähnliche Versorgung aus einer 'ex ante' Betrachtung nicht bestanden hat."
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Die Gesetzesmaterialien belegen den Willen des Gesetzgebers, eine rückwirkende Versicherungsfreiheit bei rückwirkend begründeten Versorgungsanwartschaften nicht anzuerkennen.
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c) Auch kann die Frage nach der Übernahme der arbeitsrechtlichen Rechtsfigur der "betrieblichen Übung" im vorliegenden Kontext sowohl hinsichtlich der GRV als auch hinsichtlich des Rechts der Arbeitsförderung anhand der sozialrechtlichen Rechtslage beantwortet werden. Danach gilt der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes in § 31 SGB I. Eine Abweichung von der ausdrücklichen Regelung in § 5 Abs 1 S 4 SGB VI und dessen Regelungsgedanke bedürfte einer gesetzlichen Grundlage. Hinzu kommt, dass die deutschen umlagefinanzierten Sozialversicherungssysteme strukturell nicht darauf ausgerichtet sind, langjährig rückwirkend Änderungen im Beitragsaufkommen zu schultern (vgl hierzu die bereits unter b) zitierte Gesetzesbegründung zu § 5 Abs 1 S 4 SGB VI). Mit einer Vorhersehbarkeit und Planbarkeit des Finanzierungsaufkommens in der Sozialversicherung wäre es auch kaum vereinbar, wenn durch Vereinbarungen (privater) Dritter, an denen Sozialversicherungsträger nicht beteiligt sind, langjährig rückwirkend Beiträge in erheblichem Umfang entzogen würden. Die Finanzierbarkeit der Sozialversicherungssysteme ist aber in einem Sozialstaat ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut (für die gesetzliche Krankenversicherung vgl BVerfG Beschluss vom 13.9.2005 - 2 BvF 2/03 - BVerfGE 114, 196 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9 RdNr 239). Hinzu kommt, dass der Kläger in der Vergangenheit gegen die Risiken einer Minderung der Erwerbsfähigkeit bzw eines Verlusts seines Arbeitsplatzes geschützt war. Eine Rückabwicklung liefe auf die Anerkennung einer kostenlosen öffentlich-rechtlichen Risikoabsicherung durch ein umlagefinanziertes Versicherungssystem einer Solidargemeinschaft hinaus. Auch kann aus den vom Kläger in Bezug genommenen Urteilen des BAG nicht ohne Weiteres entnommen werden, dass auch in der Sozialversicherung rückwirkend Versicherungsfreiheit eintritt. Vielmehr hat das BAG ausdrücklich ausgeführt, dass nicht feststehe, ob der dortige Kläger infolge der Vereinbarung des Versorgungsrechts versicherungsfrei iS des § 5 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB VI würde (vgl BAG Urteil vom 15.5.2012 - 3 AZR 610/11 - BAGE 141, 222 = Juris RdNr 34).
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2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
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