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BSG 18.08.2015 - B 9 V 14/15 B
BSG 18.08.2015 - B 9 V 14/15 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - fehlerhafte Verkündung - keine schriftliche Fixierung der Urteilsformel vor Verlautbarung des Urteils - Beweiskraft des Protokolls - Nichtzulassungsbeschwerde - Darlegungsanforderungen
Normen
§ 132 Abs 2 S 1 SGG, § 132 Abs 1 S 2 SGG, § 132 Abs 1 S 3 SGG, § 122 SGG, § 160a SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 202 SGG, § 160 Abs 3 Nr 7 ZPO, § 160 Abs 3 Nr 6 ZPO, § 165 S 1 ZPO, § 165 S 2 ZPO, § 419 ZPO
Vorinstanz
vorgehend SG Stuttgart, 24. Mai 2012, Az: S 8 VG 5334/08, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg, 26. Februar 2015, Az: L 6 VG 4167/12, Urteil
Tenor
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Der Antrag der Klägerin, ihr für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Februar 2015 Prozesskostenhilfe zu gewähren und Rechtsanwalt H aus S beizuordnen, wird abgelehnt.
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil wird als unzulässig verworfen.
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Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
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I. Das Baden-Württembergische LSG hat mit Urteil vom 26.2.2015 einen Anspruch der Klägerin auf die Feststellung, dass sie durch die Beibringung des verschreibungspflichtigen Medikamentes Haldol durch ihre Mutter Opfer einer Giftbeibringung bzw eines tätlichen Angriffs iS von § 1 Opferentschädigungsgesetz geworden ist und dadurch psychische Gesundheitsstörungen davon getragen hat, verneint. Das LSG hat einen Protokollberichtigungsantrag der Klägerin mit Beschluss vom 11.6.2015 abgelehnt und ausgeführt, das Protokoll sei richtig. Bei Verkündung des Urteils habe eine schriftliche Urteilsformel vorgelegen, die verlesen worden sei; dies sei auch protokolliert worden. Dass die schriftliche Urteilsformel nicht zu den Verfahrensakten genommen worden sei, stelle keine wesentliche Förmlichkeit dar, die das Protokoll unrichtig mache. Das handschriftlich geführte Protokoll mit der Urteilsformel sei nämlich lediglich nicht zu den Gerichtsakten genommen worden, sondern in Anbetracht der umfangreichen, diktierten Zeugenaussage abgetippt und die getippte Version zu den Akten genommen worden.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt, die sie mit dem Vorliegen eines Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) begründet. Ferner beantragt sie die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung des sie vertretenden Rechtsanwalts. Das angefochtene Urteil des LSG beruhe nach Auffassung der Klägerin auf einem Verfahrensmangel aufgrund eines Verstoßes gegen § 132 Abs 2 S 1 SGG. Nach dieser Vorschrift werde das Urteil durch Verlesen der Urteilsformel verkündet, was voraussetze, dass diese vorher schriftlich niedergelegt worden sei. Eine solche Urteilsformel sei indes vom LSG-Senat nach Schluss der mündlichen Verhandlung weder in der Urteilsberatung noch danach vor der Urteilsverkündung gefertigt worden, da sich ein solches Schriftstück an keiner Stelle der LSG-Akte befinde. Damit sei lückenlos belegt, dass eine schriftliche Urteilsformel nicht gefertigt worden sei, sodass ein Urteil im Rechtssinne nicht vorliege. Zwar sei auf Seite 5 der Sitzungsniederschrift vermerkt: "Nach geheimer Beratung verkündet die Vorsitzende im Namen des Volkes das Urteil durch Verlesen der folgenden Urteilsformel:". Dabei handele es sich allerdings um eine Protokollfälschung iS des § 202 SGG iVm § 165 S 2 ZPO trotz des mittlerweile vorliegenden Beschlusses des LSG vom 15.6.2015 über die Ablehnung des Antrags auf Berichtigung der Niederschrift. Da der dargestellte Verfahrensmangel das Urteil selbst betreffe, beruhe dieses mithin auf ihm. Im Übrigen beruhe das Urteil auch deshalb auf dem Verfahrensmangel, weil das LSG, um ein Urteil wirksam werden lassen zu können, eine erneute Verhandlung hätte anberaumen müssen, in welcher die Klägerin weiter hätte vortragen können, sodass nicht auszuschließen sei, dass sodann ein für sie günstigeres Urteil gefällt werden würde.
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II. Der Antrag der Klägerin, ihr für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision PKH unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten zu gewähren, ist abzulehnen. Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 114, 121 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn ua die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es hier.
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Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da keiner der in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
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Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen ist die Beschwerdebegründung nicht gerecht geworden.
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Die Klägerin rügt als Verfahrensfehler einen Verstoß gegen § 132 Abs 2 S 1 SGG, weil das LSG das Urteil in der mündlichen Verhandlung nicht durch Verlesen der Urteilsformel verkündet habe. Die Urteilsformel sei am Ende der mündlichen Verhandlung bekanntgegeben worden, ohne vorher schriftlich fixiert worden zu sein. Die im Protokoll der mündlichen Verhandlung vermerkte Verkündung des Urteils durch Verlesen der Urteilsformel stelle eine Protokollfälschung iS des § 202 SGG iVm § 165 S 2 ZPO dar. Mit diesen Ausführungen hat die Klägerin allerdings weder einen Verfahrensmangel schlüssig dargelegt, noch, dass die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem gerügten vermeintlichen Mangel beruhen kann.
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Zwar kann ein Verstoß gegen die Vorschrift des § 132 Abs 2 S 1 SGG einen Verfahrensfehler iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG darstellen. Erst und nur durch die Verkündung wird ein Urteil nach mündlicher Verhandlung wirksam. Das Urteil wird durch Verlesen der Urteilsformel verkündet. Eine wirksame Urteilsverkündung liegt erst vor, wenn die Urteilsformel vollständig verlesen ist (vgl hierzu insgesamt Harks in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl 2014, § 132 RdNr 20 und 24 mwN). Wird die Urteilsformel am Ende der mündlichen Verhandlung bekannt gegeben, ohne dass sie vorher schriftlich fixiert war, liegt nach Literaturmeinungen zum SGG ein wesentlicher Verfahrensmangel vor, der so schwerwiegend ist, dass aus der nur mündlich vorgetragenen Urteilsformel kein Urteil im Rechtssinne wird (vgl Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zum SGG, 4. Aufl, 96. Lieferung 02/2015, § 132 RdNr 19; Harks in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl 2014, § 132 RdNr 20 und 24 mwN). Für das zivilprozessuale Verfahren hat der BGH entschieden, dass die als "Geburtsakt" des Urteils anzusehende Verkündung bei beiden Formen der Verlautbarung voraussetzt, dass zumindest die Urteilsformel im Zeitpunkt der Verkündung schriftlich niedergelegt ist. Fehlt es hieran, kann weder eine Verlesung des Urteils noch eine Bezugnahme hierauf erfolgen (BGH Urteil vom 16.10.1984 - VI ZR 205/83 - Juris RdNr 15).
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Die bloße Behauptung einer nicht schriftlich fixierten Urteilsformel genügt den Darlegungserfordernissen für den behaupteten Verfahrensfehler insoweit allerdings nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Nichtvorliegen eines Schriftstückes mit einer unterschriebenen Urteilsformel nicht zur Annahme eines nichtigen Scheinurteils führt (vgl BAG Urteil vom 16.5.2002 - 8 AZR 412/01 - BAGE 101, 145 = AP Nr 61 zu Art 101 GG, Juris RdNr 20). An der Wirksamkeit eines Urteils fehlt es nur dann, wenn den an die Verlautbarung eines Urteils zu stellenden Elementarforderungen nicht genügt ist (vgl BGH Großer Senat vom 14.6.1954 - GSZ 3/54 - BGHZ 14, 39, 44 ff; BGH Beschluss vom 6.12.1988 - VI ZB 27/88 - NJW 1989, 1156, 1157; Harks in Roos/Wahrendorf, aaO, RdNr 23 mwN). Grundsätzlich erbringt die Protokollierung der Verkündung des Urteils nach § 160 Abs 3 Nr 7 ZPO - die Form der Verkündung braucht nicht genannt zu sein - in Verbindung mit der nach § 160 Abs 3 Nr 6 ZPO vorgeschriebenen Aufnahme der Urteilsformel in das Protokoll Beweis dafür, dass das Urteil auch in diesem Sinne ordnungsgemäß, dh auf der Grundlage einer schriftlich fixierten und unterschriebenen Urteilsformel verkündet worden ist (vgl BAG, aaO, Juris RdNr 23 mwN). Gegen diesen die Urteilsverkündung betreffenden Inhalt ist nach § 165 S 2 ZPO grundsätzlich nur der Nachweis der Fälschung zulässig, den die Klägerin mit der bloßen Behauptung einer solchen Fälschung nicht erbracht hat. Im Übrigen kann die Beweiskraft des Protokolls gemäß § 165 ZPO allenfalls dann entfallen, wenn und soweit sie durch äußere Mängel des Protokolls iS von § 419 ZPO ganz oder teilweise aufgehoben oder gemindert ist. Derartige Mängel müssen aus der Protokollurkunde selbst hervorgehen (vgl BAG, aaO, mwN).
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Hierzu hat die Klägerin nicht schlüssig dargelegt, dass eine wissentlich falsche Beurkundung durch das LSG vorliegt. Eine solche ist auch nicht ersichtlich. Der Umstand, dass sich nunmehr keine unterschriebene Urteilsformel in der Verfahrensakte befindet, besagt nicht, dass ein derartiges Schriftstück auch im Zeitpunkt der Verkündung des Urteils gefehlt hat. Die Klägerin behauptet selbst nicht, dass sie selbst oder ihr Prozessbevollmächtigter gesehen hätten, wie die Vorsitzende die Verkündung des Urteils ohne Verlesung eines in der Hand gehaltenen Urteilsvermerks vorgenommen habe. Die Klägerin hat auch nicht behauptet, dass die gleichfalls anwesenden weiteren Richter und ehrenamtlichen Richter des Senats die Urteilsverkündung ohne Verlesung der Urteilsformel hingenommen hätten. Wenn die Vorsitzende Richterin des LSG das Urteil "durch Verlesen der Urteilsformel" zu verkünden hat (§ 132 Abs 2 S 1 SGG) und in dem "Termin" auch die ehrenamtlichen Richter anwesend sein müssen (§ 132 Abs 1 S 2 und 3 SGG), ist allgemein hinreichend gewährleistet, dass der oder die Vorsitzende keine andere als die bei geheimer Abstimmung zustande gekommene Entscheidung des gesamten Gerichts verkündet; eine Abweichung könnten die Beisitzer verhindern, sodass insoweit eine rechtlich unerlässliche Garantie für eine ordnungsgemäße Verlautbarung gegeben ist (vgl auch BSG Urteil vom 24.11.1976 - 9 RV 104/75 - SozR 1500 § 150 Nr 4 S 14).
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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
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Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
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Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
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