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BSG 20.12.2012 - B 8 SO 75/12 B
BSG 20.12.2012 - B 8 SO 75/12 B - Sozialhilfe - Auskunftsverlangen gegenüber einem potenziell Unterhaltspflichtigen - Nichterforderlichkeit des tatsächlichen Bestehens eines zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs
Normen
§ 117 Abs 1 S 1 SGB 12, § 93 SGB 12, § 94 SGB 12, § 20 Abs 1 SGB 10, § 103 SGG, § 1572 Nr 1 BGB
Vorinstanz
vorgehend SG Duisburg, 1. Dezember 2011, Az: S 2 SO 243/10, Urteil
vorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 7. Mai 2012, Az: L 20 SO 32/12, Urteil
Leitsatz
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Wer als Unterhaltspflichtiger in Betracht kommt, ist dem Sozialhilfeträger zur Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse verpflichtet, es sei denn, ein Unterhaltsanspruch besteht ersichtlich nicht.
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Mai 2012 wird zurückgewiesen.
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Die Klägerin hat auch die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde zu tragen.
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Der Streitwert wird auf 5000 Euro festgesetzt.
Gründe
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I. Im Streit ist die Verpflichtung der Klägerin, Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen.
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Die Ehe der Klägerin ist seit dem 23.11.2004 geschieden. Der geschiedene Ehemann der Klägerin ist psychisch krank und bezieht seit März 2005 Eingliederungshilfe ua für ein Ambulant-betreutes-Wohnen durch den Beklagten. Dieser forderte die Klägerin auf, Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu erteilen (Bescheid vom 23.7.2008; Widerspruchsbescheid vom 7.7.2010).
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Im anschließenden Klageverfahren machte sie geltend, es bestehe kein Unterhaltsanspruch ihres Ehemannes. Insbesondere sei ein Unterhaltsanspruch wegen Zeitablaufs nach § 1585b Abs 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verwirkt. Zudem habe der Beklagte sie nicht (bzw nicht ausreichend) über den Bedarf und die Bedürftigkeit des Leistungsempfängers unterrichtet. Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 1.12.2011; Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen <LSG> vom 7.5.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, nach den Kriterien der vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entwickelten "Negativevidenz" sei ein Auskunftsanspruch nach § 117 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) nur ausgeschlossen, wenn von vornherein, dh ohne nähere Prüfung, ohne Beweiserhebung und ohne eingehende rechtliche Überlegungen, ersichtlich sei, dass der Unterhaltsanspruch nicht bestehe. Eine Unterhaltspflicht der Klägerin nach § 1572 Nr 1 BGB sei nicht evident ausgeschlossen. Auch stehe § 1585b Abs 3 BGB einem Unterhaltsanspruch nicht entgegen, weil diese Regelung durch § 94 Abs 4 Satz 1 SGB XII modifiziert werde und der Sozialhilfeträger danach den übergegangenen Unterhalt bereits von der Zeit an fordern könne, zu der er dem Unterhaltspflichtigen die Erbringung der Leistung schriftlich mitgeteilt habe, ohne dass es auf die Rechtshängigkeit iS des § 1585b Abs 3 BGB ankomme.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde. Sie macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Der Rechtsstreit werfe folgende Fragen auf:
"1. Besteht eine Auskunftspflicht nach § 117 Abs 1 Satz 1 SGB XII, wenn Unterhaltsansprüche nach schlüssigem Sachvortrag des Auskunftspflichtigen unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH ausgeschlossen sind?
Trifft den Sozialleistungsträger bzw die Sozialgerichtsbarkeit in diesen Fällen eine Aufklärungspflicht des schlüssigen Sachvortrags?
2. Besteht eine Auskunftspflicht nach § 117 Abs 1 Satz 1 SGB XII, wenn Unterhaltsansprüche bereits wegen Zeitablaufs nach § 1585b Abs 3 BGB verwirkt sind, weil § 94 Abs 4 Satz 1 SGB XII die diesbezüglichen gesetzlichen Regelungen des § 1585b BGB modifiziert?
3. Besteht eine Auskunftsverpflichtung nach § 117 Abs 1 Satz 1 SGB XII, wenn der Sozialhilfeträger trotz Aufforderung Angaben zum Bedarf (wie hier zur konkret geleisteten Hilfe einschließlich der diesbezüglich entstandenen Kosten) und zur Bedürftigkeit des Leistungsempfängers, also zum Einkommen, verweigert?"
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II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die Rechtssache hat, soweit es die Fragen Ziffer 1 und 2 betrifft, keine grundsätzliche Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Soweit es die Frage Ziffer 3 betrifft, genügt der Vortrag der Klägerin nicht den Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung.
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Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Frage, ob eine Auskunftspflicht nach § 117 Abs 1 Satz 1 SGB XII besteht, wenn Unterhaltsansprüche nach schlüssigem Sachvortrag des Auskunftspflichtigen unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ausgeschlossen sind und ob insoweit eine Aufklärungspflicht bezüglich dieses Sachvortrags besteht, ist nicht klärungsbedürftig. Sie ist durch die Rechtsprechung des BVerwG, der sich das Bundessozialgericht (BSG) bereits angeschlossen hat (vgl zum Recht der Arbeitsförderung BSG SozR 4100 § 40 Nr 26 S 80), geklärt.
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Das BVerwG hat (unter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung zur Überleitung von Unterhaltsansprüchen) zur Auskunftspflicht nach der gleichlautenden Vorschrift des § 116 Abs 1 Bundessozialhilfegesetz ausgeführt, die Rechtmäßigkeit des Auskunftsverlangens setze nicht voraus, dass der zur Überleitung vorgesehene nacheheliche Unterhaltsanspruch auch bestehe, es sei denn, er bestehe offensichtlich nicht. Das Rechtmäßigkeitskriterium der Negativevidenz orientiert sich dabei nicht an den gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts, sondern an dessen gesetzlicher Zielsetzung; diese ist darauf ausgerichtet, durch Realisierung des Unterhaltsanspruchs möglichst in Höhe der gewährten Leistungen den für den Einsatz öffentlicher Mittel geltenden sog Nachranggrundsatz wieder herzustellen. Deshalb ist zur Auskunft schon verpflichtet, wer als Unterhaltsschuldner des Sozialhilfeempfängers in Betracht kommt (BVerwGE 91, 375 ff). Nur wenn offensichtlich ist, dass dieses Ziel nicht verwirklicht werden kann, ist der Erlass einer Überleitungsverfügung und damit auch ein Auskunftsverlangen sinnlos. Für den Adressaten wäre damit zugleich eine unvertretbare Behelligung verbunden. Von daher sind nur solche erkennbar sinnlosen Auskunftsverlangen nach dem allgemein geltenden Grundsatz rechtsstaatlichen Verwaltungshandelns trotz Vorliegens aller im Gesetz normierten Voraussetzungen als rechtswidrig aufzuheben (zur Negativevidenz bei Überleitung: BVerwGE 49, 311, 315 f; 56, 300, 302; 87, 217, 225; zur Negativevidenz bei einem Auskunftsverlangen BVerwGE 91, 375 ff). Ein solches erkennbar sinnloses Auskunftsverlangen lag nach den Feststellungen des LSG gerade nicht vor. Es hat - auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin - einen Unterhaltsanspruch nach § 1572 Nr 1 BGB für denkbar und nicht nach § 1579 Nr 4, § 1579 Nr 6 oder nach § 1578b BGB für ausgeschlossen gehalten. Ob die vom LSG hierzu geäußerte Rechtsauffassung in einem Revisionsverfahren Bestand hätte, bedarf keiner Prüfung, weil die Richtigkeit der Entscheidung nicht Gegenstand des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens ist.
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Ein Klärungsbedarf besteht auch nicht im Hinblick auf die Entscheidung des 12. Senats desselben LSG (Urteil vom 1.9.2010 - L 12 SO 61/09), auf die sich die Klägerin stützt. Der dort (in Anwendung der Rechtsprechung des BVerwG) geäußerten Auffassung, der Begriff der Negativevidenz meine die "Offensichtlichkeit des Nichtbestehens eines Unterhaltsanspruchs bei Unterstellung der Wahrheit des schlüssigen Sachvortrags der auf Auskunftserteilung in Anspruch genommenen Person sowie Beweisbarkeit" mit der Folge, dass nur dann, wenn sich das Vorbringen des potentiell Auskunftspflichtigen (ggf nach Beweiserhebung) nicht belegen lässt, der Auskunftsanspruch besteht, ist nicht zu folgen. Diese Auffassung widerspricht der vom 12. Senat selbst herangezogenen Rechtsprechung des BVerwG (vgl etwa zur Auslegung einer in einem beiderseitigen Unterhaltsverzicht enthaltenen Notklausel: BVerwGE 91, 375, 377), weil die Aufklärung oder Ermittlung des vermeintlich schlüssigen Sachvortrags von dem Rechtssatz abweicht, dass das Auskunftsverlangen nur dann sinnlos ist, wenn es nach objektivem (materiellen) Recht offensichtlich ausgeschlossen ist; denn es kann nicht "offensichtlich" sein, was sich erst nach Aufklärung eines Sachverhaltes und ggf einer Beweiserhebung (so auch in dem vom 12. Senat des LSG entschiedenen Fall) beantworten lässt. Bei schlüssigem Vortrag (der im zivilrechtlichen Verfahren für einen Erfolg von Klage oder Verteidigung gegen die Klage ohnehin zwingend ist) wäre die Behörde oder das Gericht - den Grundsatz der Negativevidenz konterkarierend - verpflichtet, etwaige Unterhaltsansprüche nach zivilrechtlichen Vorschriften eingehend und abschließend zu prüfen. Gerade dies soll aber den Zivilgerichten vorbehalten bleiben (BVerwGE aaO). Die Auskunft ist nur Vorstufe zur Realisierung etwaiger Unterhaltsansprüche und dient nicht nur der Vereinfachung, sondern auch der Vermeidung von Unterhaltsverfahren. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Rechtsprechung des BVerwG zur Negativevidenz in aller Regel zu einem Auskunftsanspruch führt. Deshalb spricht auch das BVerwG in diesem Zusammenhang von "einem solchen möglicherweise nicht völlig auszuschließenden Ausnahmefall" (BVerwGE 49, 311, 314 f; 56, 300, 302). Dies ist angesichts der vom Auskunftsverlangen verfolgten Zielsetzung aber gewollt.
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Die Frage zur Modifikation des § 1585b BGB durch § 94 Abs 4 Satz 1 SGB XII ist ebenfalls nicht klärungsbedürftig, weil sich diese nach Beantwortung der Frage 1 nicht mehr stellt. Soweit das Verhältnis zwischen § 1585b BGB und § 94 Abs 4 Satz 1 SGB XII in Rechtsprechung und Literatur streitig ist, ist der Unterhaltsanspruch nämlich gerade nicht offensichtlich ausgeschlossen, sodass zwangsläufig eine Auskunftspflicht nach § 117 Abs 1 Satz 1 SGB XII besteht.
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Soweit schließlich die Frage gestellt wird, ob eine Auskunftsverpflichtung ausscheidet, wenn der Sozialhilfeträger trotz Aufforderung Angaben zum Bedarf und zur Bedürftigkeit des Leistungsempfängers verweigert, genügen die Ausführungen der Klägerin nicht den Anforderungen an die Darlegung der Klärungsfähigkeit im Rahmen der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Über die aufgeworfene Rechtsfrage müsste das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsbedürftigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden können (BSG SozR 1500 § 160 Nr 39; SozR § 160a Nr 31). Dies erfordert es, dass der Beschwerdeführer den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils und damit insbesondere den Schritt darlegt, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Dem Vortrag in der Beschwerdebegründung kann aber schon nicht entnommen werden, weshalb sich diese Frage überhaupt noch stellt, nachdem im Laufe des Verfahrens die geforderten Angaben gemacht wurden. Wenn die Klägerin behauptet, die Auskünfte seien bis heute unstreitig nicht erteilt worden, ist ihr Vortrag nicht nachvollziehbar; wenn sie die Auskünfte nicht als ausreichend erachtet, hätte sie zur Darlegung der Klärungsfähigkeit zunächst erläutern müssen, woraus sich die Pflicht des Beklagten, die von der Klägerin begehrten Auskünfte zu erteilen, ergeben soll und angesichts der ggf unzureichenden Auskunft auch den konkreten Umfang der Auskunftspflicht aufzeigen sowie mitteilen müssen, in Bezug auf welche Auskünfte der Beklagte der Aufforderung, Angaben zum Bedarf und zur Bedürftigkeit zu machen, nicht bzw nicht ausreichend nachgekommen ist. Hieran fehlt es.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 SGG iVm § 154 Abs 1 Verwaltungsgerichtsordnung; die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 40, 47 Abs 3, § 52 Abs 2, § 63 Abs 2 Gerichtskostengesetz.
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