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BSG 01.03.2011 - B 1 KR 112/10 B
BSG 01.03.2011 - B 1 KR 112/10 B - Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Zurückverweisung durch Beschluss - grundsätzliche Bedeutung
Normen
§ 103 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG
Vorinstanz
vorgehend SG Bremen, 3. November 2009, Az: S 7 KR 77/06, Urteil
vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, 4. August 2010, Az: L 4 KR 57/10, Urteil
Tenor
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Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 4. August 2010 aufgehoben.
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Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
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I. Die 1953 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Klägerin leidet ua an einem chronischen Schmerzsyndrom im Bereich der Wirbelsäule sowie Fibromyalgie. Ihr wurde zuletzt im Jahr 2002 eine stationäre Maßnahme zur Rehabilitation (Reha) gewährt. Die Klägerin ist mit ihrem im Oktober 2005 an die Beklagte herangetragenen Begehren auf Gewährung einer ambulanten Vorsorgekur (bzw einer entsprechenden Reha-Maßnahme) in erster Instanz nach Einholung von Befundberichten in dem Sinne erfolgreich gewesen, dass das SG die Beklagte zur Gewährung einer stationären Vorsorgemaßnahme verurteilt hat. Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das erstinstanzliche Urteil ohne weitere Ermittlungen aufgehoben und die Klage abgewiesen: Das SG-Urteil überzeuge nicht. Eine stationäre Vorsorgeleistung sei nicht beantragt worden und daher nicht Streitgegenstand gewesen. Der Senat halte zudem - vorliegenden Gutachten von Ärzten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) folgend, die der behandelnde Arzt Dr. G. insoweit bestätigt habe - ambulante Maßnahmen am Wohnort gegenüber einer ambulanten Vorsorgemaßnahme an einem anerkannten Kurort für ausreichend. Aus gleichen Gründen lägen auch die Voraussetzungen für eine Reha-Maßnahme nach § 40 SGB V nicht vor (Urteil vom 4.8.2010).
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Nunmehr wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil und rügt ua Verfahrensfehler.
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II. 1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil ist zulässig. Die Klägerin hat sie fristgerecht erhoben und jedenfalls einen zur Zulassung der Revision führenden Verfahrensfehler hinreichend bezeichnet, indem sie die Voraussetzungen eines Verstoßes des LSG gegen § 103 SGG darlegt (§ 160a Abs 2 Satz 3 iVm § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann die Beschwerde auf die Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) allerdings nur gestützt werden, wenn sich der Verfahrensmangel auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Solche Rüge muss folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf dem angeblich fehlerhaften Unterlassen der Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (vgl zum Ganzen: BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 35, 45 und § 160a Nr 24, 34). Diesen Darlegungserfordernissen wird unter Punkt I. 1. der Beschwerdebegründung vom 15.11.2010 im Kern entsprochen.
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2. Die Beschwerde ist auch begründet. Jedenfalls die gerügte Verletzung des § 103 SGG durch das LSG ist zu bejahen. Die Klägerin beruft sich zu Recht darauf, dass sich das LSG verfahrensfehlerhaft nicht veranlasst gesehen hat, in medizinische Ermittlungen von Amts wegen zu der Frage einzutreten, ob die Leiden der Klägerin - ähnlich wie bei der im Jahr 2002 durchgeführten Maßnahme - erneute intensive medizinische Vorsorge- oder Reha-Maßnahmen außerhalb ihres Wohnorts erfordern. Auch wenn eine Nichtzulassungsbeschwerde auf die Verletzung des § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) nicht gestützt werden kann, durfte das LSG sich hier aufgrund des Vorbringens der Klägerin im Berufungsverfahren zu ihrem Krankheitsbild zur Begründung für die Klageabweisung nicht allein auf die aus neurologisch-psychiatrischer Sicht durch Dr. G. bestätigte Beurteilung der MDK-Ärzte stützen, eine ambulante Behandlung am Wohnort reiche aus. Denn das von der Klägerin geäußerte Begehren zielte bei verständiger Würdigung auf die Durchführung von weiteren Ermittlungsmaßnahmen für den Fall ab, dass das LSG nicht dem SG darin folgen wollte, dass nach dem Ergebnis der Ermittlungen ambulante Behandlungsmaßnahmen der Klägerin an ihrem Wohnort gerade nicht ausreichten. Die Klägerin hat im Berufungsverfahren wiederholt die erfolgte "Beweiserhebung" durch die MDK-Ärzte beanstandet und deutlich gemacht, dass sie insoweit von der "Notwendigkeit einer Berichtigung/Wiederaufnahme" ausging, um ihr "Rechtsschutzbedürfnis" zu wahren (Schriftsätze vom 5.6., 8.7. und 1.8.2010). An anderer Stelle hat sie unter Hinweis auf von der MDK-Beurteilung abweichende medizinische Unterlagen die "Feststellung der Unzulässigkeit der Rücknahme/Überarbeitung eines (früheren) MDK-Berichtes" gerügt und damit ebenfalls ausdrücklich auf die Durchführung von Beweiserhebungen zur Beurteilung ihres aktuellen Gesundheitszustandes vor allem auf orthopädischem und lungenfachärztlichem Gebiet sowie der sich daraus ergebenden Folgen für den geltend gemachten Leistungsanspruch gedrungen (Schriftsätze vom 14. und 19.6.2010). Im Schriftsatz vom 1.8.2010 hat sie ua im Zusammenhang mit ihrem Wirbelsäulenleiden noch einmal erklärt, sie sei "weiterhin bereit, zur Klärung des Sachverhalts beizutragen" und erneut auf aus ihrer Sicht nötige eilbedürftige "Beweiserhebung" hingewiesen. Wenn das LSG vor diesem Hintergrund trotz der gleichen, vom SG zur Verurteilung der Beklagten herangezogenen Stellungnahmen der behandelnden Ärzte keine Veranlassung sah, iS von § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG überhaupt das Vorliegen von Beweisanträgen zu thematisieren, und Ermittlungen zur weiteren Sachverhaltsaufklärung nicht in Betracht zog, erscheint dies verfahrensfehlerhaft. Von einer hinreichend geklärten Tatsachenbasis kann hiernach nicht ausgegangen werden. Dabei kann der Klägerin insbesondere nicht etwa entgegengehalten werden, dass im Berufungsverfahren kein konkreter Beweisantrag gestellt worden sei, der mithin auch vom LSG nicht habe übergangen werden können (zu den Anforderungen daran vgl allgemein BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 20); denn nach ständiger Rechtsprechung des BSG kann nur von einem Beteiligten, der von einem berufsmäßig rechtskundigen Bevollmächtigten vertreten ist, angenommen werden, dass zuvor schriftlich gestellte Beweisanträge bewusst nicht mehr weiterverfolgt werden sollen, wenn sie in der abschließenden mündlichen Verhandlung (in der die Klägerin hier nicht anwesend war) nicht mehr gestellt werden, nicht aber dann, wenn - wie hier - ein Rechtsuchender unvertreten ist (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 1 RdNr 5 und Nr 13 RdNr 11; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 160 RdNr 18c mwN). Es liegt hier auch nahe, dass das LSG nach dem bei der Klägerin bestehenden Leidensbild bei Durchführung von Beweiserhebungen zum Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen für ambulante Maßnahmen außerhalb des Wohnorts nach § 23 Abs 2 bzw (vom LSG selbst alternativ iS von § 106 Abs 1, § 112 Abs 2 Satz 2 SGG angesprochen und geprüft) nach § 40 Abs 1 SGB V zu einer teilweisen Bestätigung der Verurteilung der Beklagten durch das SG hätte gelangen können; dabei ist es mit Blick auf § 14 Abs 2 SGB IX ohne Belang, dass - wie von der Beklagten in der Berufungsschrift geltend gemacht - möglicherweise eine vorrangige Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers für Reha-Maßnahmen in Betracht kam.
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3. Nach § 160a Abs 5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen, was - wie ausgeführt - hier der Fall ist. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Klägerin auch auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG) beruft. Denn das BSG kann die angefochtene Entscheidung auch dann wegen eines Verfahrensmangels aufheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverweisen, wenn die Beschwerde zusätzlich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache oder Divergenz gestützt ist, der Verfahrensmangel aber selbst bei Zulassung der Revision voraussichtlich zur Zurückverweisung führen würde (BSG, Beschluss vom 23.5.2006 - B 13 RJ 253/05 B; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 160a RdNr 19d mwN). So liegen die Dinge hier angesichts der von der Klägerin zusätzlich aufgeworfenen Frage zu den erhöhten Anforderungen an die Amtsermittlungspflicht bei nicht anwaltlicher Vertretung und der geltend gemachten Abweichung von höchstrichterlichen Rechtsgrundsätzen bei widerstreitenden Sachverständigengutachten.
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4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des LSG vorbehalten.
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