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BVerfG 31.07.2023 - 1 BvR 1451/23
BVerfG 31.07.2023 - 1 BvR 1451/23 - Erfolgloser Eilantrag eines Presseunternehmens gegen Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung - Folgenabwägung: drohender Wirkungsverlust einer zeitlich stark verzögerten Veröffentlichung der Gegendarstellung
Normen
Art 5 Abs 1 S 2 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 20 MedienStVtr HA, § 11 PresseG HA
Vorinstanz
vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 21. Juli 2023, Az: 7 U 26/23, Beschluss
vorgehend LG Hamburg, 23. Juni 2023, Az: 324 O 203/23, Urteil
vorgehend LG Hamburg, 9. Juni 2023, Az: 324 O 203/23, Beschluss
Tenor
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe
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I.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betrifft die Verpflichtung zum Abdruck einer Gegendarstellung.
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Die Beschwerdeführerin zu 1) verlegt die wöchentlich erscheinende Zeitung "(…)", die Beschwerdeführerin zu 2) ist eine 100%ige Tochter der Beschwerdeführerin zu 1) und ist unter anderem Verlegerin der Onlinezeitung "(…)".
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Am 11. Mai 2023 veröffentlichte die Beschwerdeführerin zu 1) in der Ausgabe 20/2023 der "(…)" einen Artikel mit dem Titel "(…)".
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Er befasst sich kritisch mit der politischen Leitung und der Personalsituation des Gesundheitsamts (…) und illustriert diese unter anderem anhand der starken Belastung des dortigen Sozialpsychiatrischen Dienstes. Beispielhaft für den Aufgabenbereich wird auf einen mutmaßlich psychisch erkrankten Mann hingewiesen, der einen Messerangriff an einer (…) Schule verübt habe. Ausgeführt wird, der Mann sei beim Sozialpsychiatrischen Dienst bekannt gewesen.
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Denselben Artikel veröffentlichte die Beschwerdeführerin zu 2) am Folgetag, dem 12. Mai 2023, in der von ihr verantworteten Onlinezeitung "(…)" auf der Webseite www.(…).de.
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Auf Antrag des Antragstellers des Ausgangsverfahrens, des (…), gab das Landgericht Hamburg der Beschwerdeführerin zu 1) mit Beschluss vom 9. Juni 2023 im Wege der einstweiligen Verfügung auf, in der nächsten, für den Druck noch nicht abgeschlossenen Ausgabe der "(…)" in gleicher Schrift und in gleichen Teilen des Druckwerkes wie der beanstandete Text auf der der Ausgangsmitteilung entsprechenden Seite unter drucktechnischer Hervorhebung des Wortes "Gegendarstellung", wobei die Größe des Wortes "Gegendarstellung" der Größe der Schrift der Worte "(…)" (Rubriküberschrift) und die Größe des Fließtextes der Größe des Fließtextes der Ursprungsberichterstattung zu entsprechen habe, ohne Einschaltung und Weglassung folgende Gegendarstellung abzudrucken:
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Gegendarstellung
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Sie schreiben in (...) vom 11. Mai 2023 auf Seite 36 unter der Überschrift "(…)" in Bezug auf den Sozialpsychiatrischen Dienst (SpD) des Gesundheitsamtes (…) und eine Messerattacke eines Mannes an einer (…) Schule:
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"Der Mann war beim SpD bekannt"
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Hierzu stellen wir fest:
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Der Mann war beim (…) Sozialpsychiatrischen Dienst nicht bekannt.
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(…), den 17. Mai 2023
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Bezirksamt (…),
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vertreten durch den Bezirksbürgermeister (…)
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Der Beschwerdeführerin zu 2) wurde die unverzügliche Veröffentlichung einer entsprechenden Gegendarstellung bezüglich des von ihr auf dem von ihr verantworteten Online-Dienst von www.(…).de am 12. Mai 2023 veröffentlichten Artikels aufgegeben.
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Auf den Widerspruch der Beschwerdeführerinnen bestätigte das Landgericht Hamburg seine einstweilige Verfügung mit Urteil vom 23. Juni 2023, gegen das die Beschwerdeführerinnen mit Schriftsatz vom 26. Juni 2023 Berufung einlegten.
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Mit Schriftsatz vom 5. Juli 2023 beantragte der Antragsteller des Ausgangsverfahrens vor dem Landgericht Hamburg die Festsetzung von Zwangsmitteln gegen die Beschwerdeführerinnen. Mit Beschluss vom 21. Juli 2023 wies das Hanseatische Oberlandesgericht den Antrag der Beschwerdeführerinnen auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung zurück.
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Mit ihren am 28. Juli 2023 eingegangenen Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehren die Beschwerdeführerinnen, die sie betreffende Vollziehung des Beschlusses des Landgerichts Hamburg vom 9. Juni 2023 in Form des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 23. Juni 2023 einstweilen, bis zur Entscheidung über ihre jeweiligen Verfassungsbeschwerden, hilfsweise bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts im Berufungsverfahren, auszusetzen. Sie rügen eine Verletzung ihres Grundrechts auf Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Gleichzeitig wenden sie sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen die fachgerichtlichen Entscheidungen. Der Rechtsweg sei hinsichtlich der Zwangsvollstreckung erschöpft, im Übrigen müsse die Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts über die Berufung nicht abgewartet werden, da jedenfalls die Voraussetzungen des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG vorlägen.
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Die Beschwerdeführerinnen sind der Auffassung, die Instanzgerichte hätten die in der Gegendarstellung angeführte Passage richtigerweise als Meinungsäußerung qualifizieren müssen, die nach § 11 des Hamburgischen Pressegesetzes und § 20 des Medienstaatsvertrags nicht gegendarstellungsfähig sei.
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Jedenfalls aber hätten die Gerichte die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast grundlegend verkannt. Die Aussage hätte wegen der im Verfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen als wahr gewürdigt werden müssen. Überdies könnten sich der Staat und seine Behörden weder auf Ehrschutz noch auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht berufen. Daher könne eine Beweislastumkehr für die Erweislichkeit der Äußerung allenfalls abgemildert gelten. Schließlich kämen Gegendarstellungsansprüche des Staates aufgrund der hohen Bedeutung der Pressefreiheit nur in Betracht, wenn durch die angegriffene Berichterstattung die Funktionsfähigkeit der jeweiligen Behörde in schwerwiegender Weise beeinträchtigt würde.
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II.
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Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, sind die Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde nur insoweit relevant, als diese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsaktes angeführt werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Das Bundesverfassungsgericht muss die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 7, 367 371>; 131, 47 55>; 132, 195 232>; 134, 138 140 Rn. 6>; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 131, 47 55>; 132, 195 232>; stRspr).
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2. Die erhobene Verfassungsbeschwerde ist bei derzeitigem Verfahrensstand weder als von vornherein unzulässig noch als offensichtlich unbegründet anzusehen, da eine abschließende Beurteilung im Verfahren der einstweiligen Anordnung, insbesondere auch im Hinblick auf den Gegendarstellungsanspruch staatlicher Stellen nicht möglich ist.
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3. Die demnach gebotene Beurteilung und Abwägung der Folgen, die im Falle des Erfolgs oder Misserfolgs des Antrags einträten, führt im vorliegenden Verfahren zu einem Überwiegen derjenigen Gründe, die gegen den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechen.
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a) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und würde sich die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren als begründet erweisen, hätten die Beschwerdeführerinnen in der Zeitschrift "(…)" eine Gegendarstellung abgedruckt und auf dem Online-Dienst von www.(…).de veröffentlicht, die ihnen in dieser Form nicht hätte auferlegt werden dürfen.
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Für die Beschwerdeführerinnen bedeutete dies sicherlich einen Eingriff in ihre redaktionellen Auswahlmöglichkeiten. Außerdem könnte durch die Gegendarstellung ein gewisser Imageschaden eintreten. Bei einem etwaigen Erfolg ihrer Verfassungsbeschwerde hätten es die Beschwerdeführerinnen, die unmittelbar die Möglichkeit publizistischer Äußerung haben, allerdings auch in der Hand, diesen zum gegebenen Zeitpunkt öffentlich wirksam herauszustellen.
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b) Erginge die einstweilige Anordnung, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde aber später als unbegründet, würden die Beschwerdeführerinnen vorläufig keine Gegendarstellung abdrucken. Diese Verzögerung kann unter Umständen bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde dauern. Eine Gegendarstellung ist aber auf Zeitnähe zur Erstmitteilung angewiesen. Erscheint sie erheblich später, hat sie eher gegenteilige Wirkung, indem sie an die Erstmitteilung erinnert und das Thema erneut aktualisiert. Für den Antragsteller des Ausgangsverfahrens bedeutete dies, dass seine Gegendarstellung ihren Sinn nicht mehr erfüllen könnte. Der Effekt der Gegendarstellung ginge damit verloren oder würde sogar konterkariert (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 11. August 2000 - 1 BvQ 22/00 -, Rn. 21 m.w.N.). Vorliegend ist dabei insbesondere zu gewichten, dass - ungeachtet der relativierenden Aussagen des Artikels - die textliche Verknüpfung des behaupteten Bekanntseins der Person mit deren Angriffen geeignet ist, erhebliche Zweifel an der Integrität der Aufgabenerfüllung in einem Bereich zu nähren, der in besonderer Weise auf öffentliches Vertrauen angewiesen und für Rechtsgüter von hohem Gewicht (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) bedeutsam ist.
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c) Beurteilt man die Folgen, wiegen die Nachteile, die den Beschwerdeführerinnen im Falle der Ablehnung des Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung drohen, weniger schwer als die Nachteile, die für den Antragsteller des Ausgangsverfahrens im Falle eines Anordnungserlasses entstünden. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Gegendarstellungsanspruch vorliegend von einer staatlichen Stelle geltend gemacht wurde, zumal eine nicht unerhebliche Erschütterung des öffentlichen Vertrauens in die Integrität der Aufgabenwahrnehmung zu besorgen sein kann. Insoweit haben die Beschwerdeführerinnen nicht hinreichend dargelegt, dass eine Folgenabwägung im vorliegenden Fall zu ihren Gunsten ausfallen müsste.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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