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BVerfG 31.03.2022 - 1 BvL 8/21
BVerfG 31.03.2022 - 1 BvL 8/21 - Unzulässige Richtervorlage zur Verfassungsmäßigkeit des § 1 Abs 1 VBVG - Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Norm nicht hinreichend dargelegt
Normen
Art 12 Abs 1 GG, Art 100 Abs 1 GG, § 80 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 1836 Abs 1 S 2 BGB, § 1896 Abs 1 S 1 BGB, § 1897 Abs 6 S 1 BGB, § 1908i Abs 1 S 1 BGB, § 1 Abs 1 VBVG
Vorinstanz
vorgehend AG Aue, 7. Oktober 2021, Az: Z XVII 243/21, Vorlagebeschluss
Tenor
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Die Vorlage ist unzulässig.
Gründe
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Die Vorlage betrifft die Frage, ob § 1 Absatz 1 des Gesetzes über die Vergütung von Vormündern und Betreuern (Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz - VBVG) vom 21. April 2005 (BGBl I S. 1073), geändert durch Art. 53 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl I S. 2586), mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
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I.
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Kann ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Betreuungsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Nach § 1897 Abs. 6 Satz 1 BGB soll eine Person, die Betreuungen im Rahmen ihrer Berufsausübung führt, nur dann zum Betreuer bestellt werden, wenn keine andere geeignete Person zur Verfügung steht, die zur ehrenamtlichen und damit unentgeltlichen Führung der Betreuung bereit ist. Gemäß § 1908i Abs. 1 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 1836 Abs. 1 Satz 2 BGB wird die Betreuung ausnahmsweise entgeltlich geführt, wenn das Betreuungsgericht bei der Bestellung des Betreuers die Feststellung trifft, dass dieser die Betreuung berufsmäßig führt. Unter welchen Voraussetzungen die Berufsmäßigkeit der Betreuung festzustellen ist, ist in § 1 Abs. 1 VBVG geregelt. Die Norm hat in der vorgelegten Fassung vom 17. Dezember 2008 folgenden Wortlaut:
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(1) Das Familiengericht hat die Feststellung der Berufsmäßigkeit gemäß § 1836 Abs. 1 Satz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu treffen, wenn dem Vormund in einem solchen Umfang Vormundschaften übertragen sind, dass er sie nur im Rahmen seiner Berufsausübung führen kann, oder wenn zu erwarten ist, dass dem Vormund in absehbarer Zeit Vormundschaften in diesem Umfang übertragen sein werden. Berufsmäßigkeit liegt im Regelfall vor, wenn
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1. der Vormund mehr als zehn Vormundschaften führt oder
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2. die für die Führung der Vormundschaft erforderliche Zeit voraussichtlich 20 Wochenstunden nicht unterschreitet.
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II.
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1. Der Vorlage liegt ein Betreuungsverfahren für eine 82 Jahre alte, an einer Psychose erkrankten Betroffenen zugrunde. Im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung gab sie an, mit einer Betreuung durch ihre Rechtsanwältin einverstanden zu sein. Diese erklärte sich zur Übernahme der Betreuung bereit. Ihr waren zuvor keine Betreuungen übertragen gewesen. Mit Beschluss vom 7. Oktober 2021 bestellte das Betreuungsgericht die Rechtsanwältin vorläufig zur Berufsbetreuerin. An einer Hauptsacheentscheidung sah es sich durch die Regelung in § 1 Abs. 1 VBVG gehindert.
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2. Das Betreuungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 1 Abs. 1 VBVG mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
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Die zur Prüfung vorgelegte Regelung verstoße gegen Art. 12 Abs. 1 GG, da sie einen Nachweis der Berufserfahrung in Form von zehn vorherigen ehrenamtlichen Betreuungen oder einer Tätigkeit im Umfang von 20 Wochenstunden verlange. Diese Vorgaben seien nicht zum Schutz wichtiger Gemeinschaftsgüter gerechtfertigt. Das Erfordernis einer vorangegangenen ehrenamtlichen und damit unentgeltlichen Tätigkeit sei auch nicht geeignet, eine bestimmte Qualifikation von Berufsbetreuern zu erreichen, da zwischen ehrenamtlicher und berufsmäßiger Betreuung keine Unterschiede im Hinblick auf Art, Umfang und Verantwortung der Tätigkeit bestünden. Das Argument, ohne die Anforderungen des § 1 Abs. 1 VBVG würden zu viele berufliche Betreuer bestellt, die dann nicht ausgelastet seien, greife nicht, weil Konkurrenzschutz kein wichtiges Gemeinschaftsgut zur Rechtfertigung des Eingriffs in die Berufsfreiheit sei. Ferner bedeute die Regelung eine Ungleichbehandlung gegenüber Rechtsanwälten, die sich überall niederlassen dürften. Das Ziel, die Staatskasse zu entlasten, könne auf andere Weise besser erreicht werden.
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Das vorlegende Gericht sei an der Bestellung der von der Betroffenen vorgeschlagenen Rechtsanwältin als Berufsbetreuerin gehindert. Die Voraussetzungen zur Feststellung der Berufsmäßigkeit nach § 1 VBVG seien nicht erfüllt, denn die Rechtsanwältin übernehme nicht in einem Umfang Betreuungen, dass sie diese nur berufsmäßig führen könne. Dies sei auch nicht in absehbarer Zeit zu erwarten. Der Wunsch der Betroffenen sei vorrangig.
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III.
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Die Vorlage ist unzulässig. Das vorlegende Gericht hat sie nicht hinreichend begründet (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Dies kann die Kammer durch einstimmigen Beschluss feststellen (§ 81a Satz 1 BVerfGG).
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1. Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG, § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss ein vorlegendes Gericht darlegen, aus welchen Gründen es von der Verfassungswidrigkeit einer Norm überzeugt ist und dass und weshalb es im Falle der Gültigkeit der Vorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Fall ihrer Ungültigkeit (BVerfGE 141, 143 160 Rn. 34>). Die Ausführungen müssen erkennen lassen, dass die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift sorgfältig geprüft worden ist (BVerfGE 148, 64 67 f. Rn. 13> m.w.N.). Die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit richtet sich grundsätzlich nach der Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts. Doch darf diese nicht offensichtlich unhaltbar sein (vgl. BVerfGE 143, 38 50 Rn. 28>; stRspr). Die Norm muss unter Auseinandersetzung mit der Rechtslage und den in Literatur sowie Rechtsprechung entwickelten Auffassungen ausgelegt werden (BVerfGE 148, 64 67 f. Rn. 13> m.w.N.). Insgesamt sind zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit alle naheliegenden rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 80, 68 71>; 86, 71 78>). Fehlen insoweit nähere Erläuterungen, kann das Bundesverfassungsgericht diese nicht durch eigene Erwägungen ersetzen (vgl. BVerfGE 97, 49 62>; 105, 61 67>).
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2. Diesen Anforderungen wird die Vorlage nicht gerecht. Das vorlegende Gericht hat nicht hinreichend dargelegt, dass es im Falle der Gültigkeit von § 1 Abs. 1 VBVG zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle der Ungültigkeit der Norm.
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a) Die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Norm ergibt sich aus dem Vorlagebeschluss schon deshalb nicht, weil es an Ausführungen dazu fehlt, dass eine ehrenamtliche Betreuung nicht in Betracht käme. Wäre eine ehrenamtliche Betreuung möglich, wäre diese nach ganz herrschender Meinung einer berufsmäßigen Betreuung auch dann vorzuziehen, wenn sich die betroffene Person - wie hier - einen Berufsbetreuer wünscht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2018 - XII ZB 642/17 -, Rn. 6 ff.; Beschluss vom 22. Januar 2020 - XII ZB 329/19 -, Rn. 10; Thüringer OLG, Beschluss vom 18. September 2000 - 6 W 489/00 -, Rn. 6; KG, Beschluss vom 27. Juni 2006 - 1 W 36/06 -, Rn. 8; so auch Bauer, in: Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 16. Aufl. 2021, § 1897 Rn. 6; Bienwald, in: Staudinger, BGB, Stand: 2. Mai 2020, § 1897 Rn. 52; Götz, in: Grüneberg, BGB, 80. Aufl. 2021, § 1897 Rn. 20; Jürgens, Betreuungsrecht, 6. Aufl. 2019, § 1897 Rn. 14; Müller-Engels, in: BeckOK BGB, Stand: 1. Februar 2022, § 1897 Rn. 17). Auf die Feststellung der Berufsmäßigkeit nach § 1 Abs. 1 VBVG käme es dann nicht an.
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b) Aber auch für den Fall, dass eine ehrenamtliche Betreuung nicht in Betracht kommt, ist nicht hinreichend dargelegt, dass das Gericht bei Gültigkeit der vorgelegten Regelung zu einem anderen Ergebnis käme als bei ihrer Ungültigkeit. Das Gericht führt zwar aus, dass es sich durch § 1 Abs. 1 VBVG an der Feststellung der Berufsmäßigkeit der Betreuung gehindert sieht. Insoweit orientiert es sich aber allein an dem Wortlaut der Regelung, ohne sich mit der in Rechtsprechung und Literatur dazu entwickelten Auffassung auseinanderzusetzen. Dies wäre jedoch geboten gewesen, denn nach fachrechtlich einhelliger Ansicht kann eine Berufsmäßigkeit nach § 1 Abs. 1 VBVG auch dann festgestellt werden, wenn die gesetzlichen Regelvoraussetzungen zwar nicht vorliegen, sich die berufsmäßige Führung der Betreuung aber daraus ergibt, dass der Betreuer gerade wegen seiner beruflichen Qualifikation bestellt wird, was bei der Bestellung von Rechtsanwälten immer der Fall ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 23. Mai 2006 - 15 W 472/05 -, Rn. 16 ff.; KG, Beschluss vom 14. Dezember 2010 - 1 W 188/10 -, Rn. 9; ebenso Bauer, in: Bauer/Klie/Lütgens, HK Betreuungs- und Unterbringungsrecht, 72. EL Februar 2010, § 1 VBVG Rn. 9, 22 f.; Bienwald, in: Staudinger, BGB, Stand: 2020, § 1836 Rn. 70; Bohnert, in: BeckOGK, Stand: 1. Januar 2022, § 1 VBVG Rn. 28; Dodegge/Roth, Systematischer Praxiskommentar Betreuungsrecht, 5. Aufl. 2018, Teil F Rn. 77; Fröschle, in: MüKoBGB, 8. Aufl. 2020, § 1 VBVG Rn. 2 f.; Jaschinski, in: jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, § 1 VBVG Rn. 10; Maier, in: Jurgeleit, Betreuungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 1 VBVG Rn. 5; v. Crailsheim, in: Jürgens, Betreuungsrecht, 6. Aufl. 2019, § 1 VBVG Rn. 4 f.; zur weitgehend gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 1836 Abs. 1 BGB in der bis zum 30. Juni 2005 geltenden Fassung OLG Zweibrücken, Beschluss vom 19. November 1999 - 3 W 232/99 -, Rn. 8 f.; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 8. Januar 2001 - 20 W 243/00 -, Rn. 2 ff.). Dem entspricht die Begründung des Gesetzentwurfs zu der weitgehend gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 1836 Abs. 1 BGB in der bis zum 30. Juni 2005 gültigen Fassung, wonach eine berufsmäßig geführte Betreuung immer dann vorliegt, wenn der dem Betreuer übertragene Aufgabenkreis - wie bei einem Rechtsanwalt - ohnehin zu seiner Berufstätigkeit gehört (vgl. BTDrucks 13/10331, S. 27). Das vorlegende Gericht legt nicht dar, dass es unter Auseinandersetzung mit dieser einhelligen Ansicht durch § 1 Abs. 1 VBVG gehindert wäre, die berufsmäßige Führung der Betreuung durch die Rechtsanwältin festzustellen.
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