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BVerfG 29.07.2021 - 2 BvR 1195/21
BVerfG 29.07.2021 - 2 BvR 1195/21 - Nichtannahmebeschluss: Mangels hinreichender Substantiierung unzulässige Verfassungsbeschwerde gegen Haftfortdauerentscheidung - jedoch Anhaltspunkte dafür, dass die angegriffene Entscheidung den erhöhten Begründungsanforderungen für Haftfortdauerentscheidungen nicht gerecht wird
Normen
Art 2 Abs 2 S 2 GG, Art 104 Abs 1 S 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 90 Abs 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 93a Abs 2 BVerfGG, § 57 Abs 2 Nr 1 StGB, § 57 Abs 2 Nr 2 StGB
Vorinstanz
vorgehend OLG Koblenz, 7. Juni 2021, Az: 2 Ws 324/21, Beschluss
vorgehend LG Trier, 17. Mai 2021, Az: 8031 Js 12496/20.5 KLs, Beschluss
Tenor
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1. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
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2. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
Gründe
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I.
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Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde, die er mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden hat, gegen einen Haftbefehl des Amtsgerichts Trier, einen Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts Trier und einen seine Beschwerde zurückweisenden Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz.
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Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 23. Oktober 2020 aufgrund des auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehls des Amtsgerichts Trier vom selben Tag ununterbrochen in Untersuchungshaft. Am 11. Mai 2021 verurteilte ihn das Landgericht Trier wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen sowie wegen gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Das Urteil ist aufgrund der vom Beschwerdeführer eingelegten Revision nicht rechtskräftig. Ferner beschloss das Landgericht, den Haftbefehl des Amtsgerichts vom 23. Oktober 2020 aufrechtzuerhalten.
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Der vom Beschwerdeführer gegen den Haftbefehl und den Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts vom 11. Mai 2021 eingelegten Beschwerde half das Landgericht mit angegriffenem Beschluss vom 17. Mai 2021 nicht ab. Mit angegriffenem Beschluss vom 7. Juni 2021 wies das Oberlandesgericht die Beschwerde als unbegründet zurück. Es liege weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr vor. Die beträchtliche Straferwartung werde nicht derart durch die bereits erlittene Untersuchungshaft gemindert, dass der bestehende Fluchtanreiz zu verneinen wäre. Der Beschwerdeführer befinde sich seit knapp acht Monaten in Untersuchungshaft. Damit drohe ihm im Falle der Rechtskraft des Urteils nach Anrechnung der Untersuchungshaft jedenfalls eine zu verbüßende Reststrafe von noch einem Jahr und zehn Monaten.
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Zum voraussichtlichen Entlassungstermin führte das Oberlandesgericht aus:
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Eine Entlassung zum Halbstrafentermin kommt schon aufgrund der Höhe der Strafe nicht in Betracht (vgl. § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB: "…und diese zwei Jahre nicht übersteigt…"). Der Zweidrittelzeitpunkt berechnet sich unter Abzug der bereits erlittenen Untersuchungshaft auf noch ein Jahr.
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II.
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Mit seiner fristgerecht eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) sowie seiner Freiheitsrechte (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG). Das Oberlandesgericht habe fehlerhaft den Haftgrund der Fluchtgefahr angenommen. Unter anderem habe es übersehen, dass auch eine Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB in Betracht komme. Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft sei unverhältnismäßig.
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III.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, denn die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Grundsätzliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt, da sie unzulässig ist. Der Beschwerdevortrag genügt den Substantiierungs- und Begründungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht.
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1. Der Beschwerdeführer hat es versäumt, Lebenssachverhalt und Prozessgeschichte in einer eine tragfähige verfassungsrechtliche Prüfung ermöglichenden Weise mitzuteilen. Es fehlt insbesondere die inhaltliche Wiedergabe der Schriftsätze seines Verteidigers im Beschwerderechtszug in Bezug auf den angegriffenen Haftbefehl des Amtsgerichts Trier und den Haftfortdauerbeschluss des Landgerichts Trier. Ohne diese Wiedergabe kann nicht überprüft werden, ob die Verfassungsbeschwerde den Anforderungen an die materielle Subsidiarität genügt. Nach dem in § 90 Abs. 2 BVerfGG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde soll der gerügte Grundrechtsverstoß nach Möglichkeit schon im fachgerichtlichen Verfahren beseitigt werden (vgl. BVerfGE 67, 157 170>). Der Beschwerdeführer ist daher gehalten, über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken (vgl. BVerfGE 73, 322 325>). Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt daher insbesondere, dass der Beschwerdeführer den prozessualen Anforderungen bei der Einlegung von Rechtsbehelfen genügt, sodass das höhere Gericht in eine sachliche Prüfung der Rüge eintreten kann (vgl. BVerfGE 87, 1 32 f.>). Dies legt der Beschwerdeführer nicht dar. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht die Aufgabe, vorgelegte Anlagen auf verfassungsrechtlich relevante Tatsachen oder auf verfassungsrechtlich relevanten Vortrag hin zu durchsuchen (vgl. BVerfGE 80, 257 263>; 83, 216 228>; BVerfGK 19, 362 363>).
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2. Da die Verfassungsbeschwerde nicht den Substantiierungsanforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügt, kann auch nicht abschließend überprüft werden, ob der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 7. Juni 2021 den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG gerecht geworden ist.
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Es bestehen allerdings Anhaltspunkte dafür, dass die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts den erhöhten Begründungsanforderungen für Haftentscheidungen (vgl. BVerfGE 103, 21 35 f.>; BVerfGK 7, 140 161>; 10, 294 301>; 15, 474 481>; 19, 428 433>) nicht gerecht geworden ist. Der Beschluss vom 7. Juni 2021 enthält zwar aktuelle Ausführungen zu der voraussichtlich noch zu verbüßenden Reststrafe nach Anrechnung der Untersuchungshaft. Die Darlegungen des Senats deuten aber darauf hin, dass er die Möglichkeit der Aussetzung des Restes der Freiheitsstrafe zum Halbstrafenzeitpunkt nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB übersehen hat. Denn er hat zur Begründung einer nicht vorhandenen Möglichkeit zur Aussetzung zum Halbstrafentermin ausdrücklich lediglich auf § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB abgestellt. Es ist nicht auszuschließen, dass das Oberlandesgericht bei einer Auseinandersetzung mit § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB im Hinblick auf eine Aufhebung oder Außervollzugsetzung des Haftbefehls zu einem anderen Abwägungsergebnis gekommen wäre. Denn in diesem Fall wäre unter Anrechnung der bereits vollzogenen Untersuchungshaft von einer kürzeren noch zu vollstreckenden Freiheitsstrafe auszugehen gewesen. Da das Oberlandesgericht zur Begründung seiner Entscheidung auf den prognostizierten weiteren Inhaftierungszeitraum des Beschwerdeführers abgestellt hat, hätte es daher zumindest angeben müssen, dass auch unter Berücksichtigung des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB eine Entlassung zum Halbstrafentermin fernliegend ist, um die getroffene Entscheidung intersubjektiv nachvollziehbar erscheinen zu lassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 9. März 2020 - 2 BvR 103/20 -, Rn. 64).
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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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