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BVerfG 01.05.2020 - 1 BvQ 42/20
BVerfG 01.05.2020 - 1 BvQ 42/20 - Ablehnung eines Antrag auf Erlass einer eA: Kontaktbeschränkungen und Abstandsgebote aufgrund der dritten und vierten hessischen Verordnungen zur Bekämpfung des Corona-Virus (juris: CoronaVV HE 3, CoronaVV HE 4) im Falle psychisch erkrankter Personen - Folgenabwägung
Normen
§ 32 Abs 1 BVerfGG, § 1 Abs 1 CoronaVV HE 3, § 1 Abs 2 CoronaVV HE 3, § 1 Abs 1 S 1 Nr 1 CoronaVV HE 4, § 1 Abs 1 S 1 Nr 3 CoronaVV HE 4, § 1 Abs 1 S 1 Nr 4 CoronaVV HE 4, § 1 Abs 1 S 1 Nr 5 CoronaVV HE 4, § 1 Abs 1 S 1 Nr 6 CoronaVV HE 4, § 1 Abs 1 S 1 Nr 8a CoronaVV HE 4, § 1 Abs 1 S 1 Nr 8c CoronaVV HE 4, § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 CoronaVV HE 4, § 1 Abs 2 S 1 Nr 2 CoronaVV HE 4, § 1 Abs 3 CoronaVV HE 4, § 1 Abs 5 CoronaVV HE 4, § 1 Abs 6 CoronaVV HE 4, § 2 Abs 1 S 1 CoronaVV HE 4, § 2 Abs 1 S 2 CoronaVV HE 4, § 2 Abs 2 CoronaVV HE 4, § 32 S 1 IfSG, § 32 S 2 IfSG
Tenor
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe
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I.
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1. Der Antragsteller wendet sich mit seinem am 24. April 2020 gestellten isolierten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bei verständiger Würdigung seines Rechtsschutzbegehrens gegen § 1 Abs. 1 und Abs. 2 der Dritten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus (CoronaVV HE 3) sowie gegen § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3, 4, 5, 6, 8a, 8c, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2, Abs. 3, Abs. 5, Abs. 6 und § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 der Vierten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus (CoronaVV HE 4) in der aktuell gültigen Fassung vom 16. April 2020, nicht in der im Antrag bezeichneten, aber am 19. April 2020 außer Kraft getretenen Fassung vom 20. beziehungsweise 22. März 2020. Der Antrag ist darauf gerichtet, diese Bestimmungen bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren, längstens für die Dauer von sechs Monaten, außer Kraft zu setzen.
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2. § 1 Abs. 1 und Abs. 2 der Dritten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus (CoronaVV HE 3) regelt die Minimierung des Kontaktes zu Personen außerhalb des eigenen Hausstandes und ein allgemeines Abstandsgebot im öffentlichen Raum zu außenstehenden Personen.
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§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3, 4, 5, 6, 8a, 8c, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2, Abs. 3, Abs. 5, Abs. 6 und § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 der Vierten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus (CoronaVV HE 4) ordnen die Schließung verschiedener Einrichtungen an, darunter Freizeit-, Sport- und Kultureinrichtungen, und untersagt physische Zusammenkünfte in Vereinen, Bildungseinrichtungen und Glaubensgemeinschaften. Online-Angebote sind hiervon explizit ausgenommen. Beratungen, darunter auch im psychosozialen Bereich, sollen möglichst ohne direkten physischen Kontakt erfolgen. § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 CoronaVV HE 4 regelt die Einschränkungen in gastronomischen Betrieben.
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Beide Verordnungen wurden aufgrund von § 32 Satz 1 und 2 IfSG erlassen.
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3. Der in Hessen lebende Antragsteller ist psychisch erkrankt und leidet seit mehreren Jahren an einer schweren Depression. Er befindet sich deswegen in Therapie, die auch über Videosprechstunden durchgeführt wird. Er trägt vor, er werde durch die Gesamtbelastung der auf die angegriffenen Vorschriften gestützten Schutzmaßnahmen in die soziale Isolation gedrängt; sein Zustand habe sich bereits merklich verschlechtert. Seine Depression verschlimmere sich, wenn er keine physischen Kontakte zu anderen Menschen pflegen könne. Digitale Angebote seien nicht geeignet, insbesondere physisch stattfindende Treffen von Selbsthilfegruppen oder therapeutische Gespräche adäquat zu ersetzen.
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II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG hat keinen Erfolg.
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1. Offen bleiben kann, ob der Antrag nach § 32 Abs. 1 BVerfGG gegebenenfalls schon deshalb unzulässig ist, weil es dem Antragsteller zumutbar gewesen wäre, zunächst den Rechtsweg im Sinne des § 90 Abs. 2 BVerfGG mit einem Antrag zum Hessischen Verwaltungsgerichtshof nach § 47 Abs. 6 VwGO in Verbindung mit § 15 HessAGVwGO zu beschreiten, obwohl der Hessische Verwaltungsgerichtshof in einem nicht den Antragsteller betreffenden Beschluss vom 8. April 2020 - 8 B 910/20.N - bereits abgelehnt hatte, Bestimmungen der Dritten und Vierten Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus vorläufig außer Kraft zu setzen, und dabei andere Rechtsansichten als der Antragsteller vertreten hatte. Denn der Antrag ist jedenfalls unbegründet, da die vorliegend zu treffende Folgenabwägung zulasten des Antragstellers ausfällt.
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2. a) Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Ab-wehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 112, 284 291>; 121, 1 14 f.>; stRspr). Bei offenem Ausgang der Verfassungsbeschwerde sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der - hier noch zu erhebenden - Verfassungsbeschwerde jedoch der Erfolg versagt bliebe (vgl. BVerfGE 131, 47 55>; 132, 195 232>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. März 2020 - 1 BvQ 15/20 -, Rn. 16; stRspr).
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b) Eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde wäre nach derzeitigem Stand nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet. Daher ist über den Antrag im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Der Antragsteller wendet sich nicht dagegen, dass ihm bestimmte, für seine persönliche Situation spezifisch erforderliche Hilfe angesichts seiner Erkrankung ohne Not verschlossen sei, sondern macht geltend, dass ihn die allgemeinen Beschränkungen der Verordnung wegen seiner psychischen Erkrankung - etwa indem er nicht mehr uneingeschränkt Selbsthilfegruppen aufsuchen kann - besonders beträfen. Insoweit überwiegen jedoch die Nachteile, die einträten, wenn die einstweilige Anordnung erlassen würde, eine Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber keinen Erfolg hätte, diejenigen, die dem Antragsteller bei Erfolg in der Hauptsache ohne vorhergehende einstweilige Anordnung entstünden.
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Würden die zahlreichen vom Antragsteller angegriffenen Beschränkungsmaßnahmen ausgesetzt, ist im Rahmen der Folgenabwägung davon auszugehen, dass es entsprechend der Einschätzung des Verordnungsgebers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem erneuten gegebenenfalls exponentiellen Anstieg der Ausbreitungszahlen des Corona-Virus kommen könnte, der schlimmstenfalls zu einer Überlastung des Gesundheitssystems mit entsprechenden gesundheitlichen und auch zum Tod führenden Folgen für eine sehr große Zahl von Personen führen könnte. Demgegenüber ist zwar nicht in Abrede zu stellen, dass psychisch Erkrankte von den in den angegriffenen Corona-Eindämmungsmaßnahmen verankerten Grundrechtsbeschränkungen besonders hart getroffen werden. Jedoch führen diese Maßnahmen nicht dazu, dass den betroffenen Personen therapeutische und sonstige ärztliche Hilfe vollkommen versagt wäre; der Zugang zu medizinischer Hilfe wird nicht beschränkt und auch in Bezug auf psychosoziale Beratung ist die Formulierung des § 1 Abs. 6 CoronaVV HE 4 hinreichend offen auch im Hinblick auf eine Durchführung persönlicher Beratungsgespräche unter Beachtung der Hygiene-Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts. Der Antragsteller kann zudem auf Videosprechstunden im Rahmen seiner Therapie zurückgreifen und somit auch kurzfristig weiter therapeutisch betreut werden. Insoweit sind die Zumutungen der Beschränkungen auch im Hinblick auf Personen in der Lage des Antragstellers im Rahmen einer Folgenabwägung eher hinzunehmen als die Folgen für die Bevölkerung insgesamt, wenn die Beschränkungen in dem vom Antragsteller begehrten Ausmaß aufgehoben würden.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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