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BVerfG 02.12.2013 - 2 BvR 2419/13
BVerfG 02.12.2013 - 2 BvR 2419/13 - Erlass einer einstweiligen Anordnung: Untersagung der Sichtung bzw Auswertung von Beweisgegenständen, die in der Wohnung und den Praxisräumen eines Zahnarztes sichergestellt worden waren
Normen
Art 1 Abs 1 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 13 Abs 1 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 102 StPO
Vorinstanz
vorgehend LG Kiel, 30. September 2013, Az: 7 Qs 73/13, Beschluss
vorgehend AG Kiel, 16. Juli 2013, Az: 43 Gs 2066/13, Beschluss
nachgehend BVerfG, 8. Januar 2015, Az: 2 BvR 2419/13, Nichtannahmebeschluss
Tenor
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Die Sichtung und Auswertung der am 4. September 2013 in der Zahnarztpraxis und den Wohnräumen des Beschwerdeführers in Vollziehung des mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Kiel vom 16. Juli 2013 sichergestellten Beweisgegenstände wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers - längstens für die Dauer von sechs Monaten - untersagt.
Gründe
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I.
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1. Gegen den Beschwerdeführer wurde Strafanzeige wegen des Verdachts auf falsche Verdächtigung (§ 164 StGB), Betrug (§ 263 StGB) und Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278 StGB) erstattet. In dieser Anzeige wurde behauptet, der Beschwerdeführer fertige in großem Umfang im Auftrag diverser privater Krankenkassen Gutachten, bei denen er wider besseres Wissen zugunsten der Krankenkassen die medizinische Notwendigkeit von Heilbehandlungen verneine. Zur Bekräftigung dieser Auffassung schilderte der Anzeigeerstatter zwei Fälle seiner Patienten, in denen der Beschwerdeführer Gutachten für die privaten Krankenkassen erstattet hatte: in einem Fall wurde die Krankenkasse schließlich doch zur Übernahme der Heilbehandlungskosten verurteilt; in dem anderen Fall liegt ein (Gegen-)Gutachten vor, in dem das Gutachten des Beschwerdeführers als "erschreckend" und "falsch" bezeichnet und dem Beschwerdeführer vorgeworfen wird, der Textinhalt seiner Gutachten sei stets nahezu identisch.
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2. Ohne weitere Ermittlungen beantragte die Staatsanwaltschaft Kiel daraufhin den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses, mit dem die Durchsuchung der Zahnarztpraxis und Wohnräume des Beschwerdeführers wegen des - nunmehr eingeschränkten - Verdachts des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse angeordnet werden sollte. Dieser wurde am 16. Juli 2013 vom Amtsgericht Kiel erlassen und die Durchsuchung am 4. September 2013 vollzogen. Der hiergegen eingelegten Beschwerde des Beschwerdeführers half das Amtsgericht Kiel mit Beschluss vom 9. September 2013 nicht ab und legte die Sache dem Landgericht Kiel zur Entscheidung vor. Dieses verwarf die Beschwerde mit Beschluss vom 30. September 2013 als unbegründet.
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3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG. Im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt er zudem, die Sichtung und Auswertung sämtlicher bei der Durchsuchung in behördlichen Gewahrsam gelangten und dort noch befindlichen Daten und Beweisgegenstände bis zur Entscheidung über seine Verfassungsbeschwerde zu untersagen.
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II.
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Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung liegen vor. Der zulässige Antrag ist begründet.
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1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Entscheidung über die einstweilige Anordnunghaben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahmen vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die in der Hauptsache begehrte Feststellung oder der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 103, 41 42>; stRspr). Erweist sich der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen, so hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnungerlassen würde, ihr der Erfolginder Hauptsache aber zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 99, 57 66>; stRspr).
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2.Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers ist eine Verletzung seines Grundrechts aus Art. 13 Abs. 1 GG jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen.
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3. Die somit nach § 32 BVerfGG gebotene Abwägung fällt zugunsten des Beschwerdeführers aus.
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a) Erginge die beantragte einstweilige Anordnung, stellte sich die Verfassungsbeschwerde später aber als unbegründet heraus, würde sich die Auswertung der sichergestellten Beweisgegenstände und damit das gegen den Beschwerdeführer geführte Ermittlungsverfahren lediglich verzögern. Es ist nicht erkennbar, dass wegen dieser Verzögerung ein erheblicher Nachteil für das Wohl der Allgemeinheit zu besorgen wäre. Insbesondere würde der Strafverfolgungsanspruch des Staates nicht gravierend beeinträchtigt, zumal es der Staatsanwaltschaft nicht verwehrt wäre, in der Zwischenzeit anderweitige Ermittlungen im vorliegenden Fall anzustellen.
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b) Unterbliebe der Erlass einer einstweiligen Anordnung, stellte sich die Verfassungsbeschwerde aber später als begründet heraus, wäre dies demgegenüber mit irreparablen Nachteilen verbunden. In diesem Fall würde die bevorstehende Auswertung der sichergestellten Gegenstände irreversibel das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Beschwerdeführers (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) und bei der Auswertung von ebenfalls beschlagnahmten Patientendaten auch deren entsprechende Grundrechte verletzen.
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c) Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen überwiegen die für den Beschwerdeführer und Dritte aus einer vorläufigen Gestattung der Auswertung der Unterlagen drohenden Nachteile eines irreparablen Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Auf Seiten der Strafverfolgungsbehörden führt der Erlass der einstweiligen Anordnung lediglich zu einer Verzögerung, nicht aber zur Vereitelung des staatlichen Strafanspruchs.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
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