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BFH 04.06.2024 - VIII B 121/22
BFH 04.06.2024 - VIII B 121/22 - (Verspätungszuschlag nach § 152 Abs. 2 AO)
Normen
§ 152 Abs 2 AO, Art 6 Abs 2 MRK
Vorinstanz
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 20. Juli 2022, Az: 4 K 212/20, Urteil
Leitsatz
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§ 152 Abs. 2 der Abgabenordnung verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung gemäß Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Tenor
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Die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 20.07.2022 - 4 K 212/20 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Kläger zu tragen.
Gründe
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Die Beschwerde ist unbegründet, weil die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) nicht vorliegen beziehungsweise nicht in der gebotenen Form geltend gemacht werden.
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1. Die Revision ist nicht deshalb zuzulassen, weil die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO).
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Der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts stellt einen Spezialfall des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung dar. Die Revision ist zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, wenn davon auszugehen ist, dass im Einzelfall Veranlassung besteht, Grundsätze und Leitlinien für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Der Zulassungsgrund setzt ebenso wie die Grundsatzrevision (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) eine klärungsbedürftige und klärbare, abstrakte Rechtsfrage voraus (vgl. Senatsbeschluss vom 24.05.2022 - VIII B 53/21, BFH/NV 2022, 804).
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Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den BFH aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Frage handeln, die klärungsbedürftig und im zu erwartenden Revisionsverfahren klärungsfähig ist. Ein im allgemeinen Interesse liegendes Bedürfnis nach Klärung einer Rechtsfrage ist gegeben, wenn sich diese Frage nicht ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt, wenn sie nicht bereits durch die höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt ist oder wenn neue Gesichtspunkte zu Unsicherheiten in der Beantwortung der Rechtsfrage führen und eine erneute Prüfung und Entscheidung durch den BFH erforderlich machen. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage aber nicht schon dann, wenn sie noch nicht Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung gewesen ist; vielmehr ist erforderlich, dass ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt (z.B. BFH-Beschluss vom 01.09.2010 - IV B 132/09, BFH/NV 2011, 27, m.w.N.).
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Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) werfen die Frage auf, ob § 152 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) in der gemäß Art. 97 § 8 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung anwendbaren Fassung vom 12.12.2019 eine Strafnorm im Sinne von Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist und --bejahendenfalls-- ob eine konventionskonforme Auslegung von § 152 Abs. 2 AO erfordert, dass die Norm eine Entschuldigungsmöglichkeit beziehungsweise in der Rechtsfolge ein überprüfbares Ermessen vorsieht.
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Diese Frage ist nicht klärungsbedürftig, sondern im Ergebnis so zu beantworten, wie es das Finanzgericht (FG) getan hat. § 152 Abs. 2 AO verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung in ihrer Gewährleistung durch Art. 6 Abs. 2 EMRK. § 152 Abs. 2 AO ist keine Norm mit Strafcharakter im Sinne dieser Vorschrift.
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a) Gegen denjenigen, der seiner Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht oder nicht fristgemäß nachkommt, kann ein Verspätungszuschlag festgesetzt werden (§ 152 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Vorschrift gewährt im Grundsatz Ermessen. Abweichend von Abs. 1 ist gemäß § 152 Abs. 2 AO ein Verspätungszuschlag unter anderem festzusetzen, wenn eine Steuererklärung, die sich auf ein Kalenderjahr oder auf einen gesetzlich bestimmten Zeitpunkt bezieht, nicht binnen 14 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahrs oder nicht binnen 14 Monaten nach dem Besteuerungszeitpunkt, beziehungsweise in den Fällen des § 149 Abs. 2 Satz 2 nicht binnen 19 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahrs oder nicht binnen 19 Monaten nach dem Besteuerungszeitpunkt abgegeben wurde. Für Steuererklärungen, die sich auf ein Kalenderjahr oder auf einen gesetzlich bestimmten Zeitpunkt beziehen, beträgt der Verspätungszuschlag für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung 0,25 % der um die festgesetzten Vorauszahlungen und die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge verminderten festgesetzten Steuer, mindestens jedoch 25 € für jeden angefangenen Monat der eingetretenen Verspätung (§ 152 Abs. 5 Satz 2 AO). Der Verspätungszuschlag darf höchstens 25.000 € betragen (§ 152 Abs. 10 AO).
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b) Die Kläger leiten aus der Unschuldsvermutung von Art. 6 Abs. 2 EMRK ab, dass § 152 Abs. 2 AO konventionskonform dahingehend auszulegen sei, dass die Norm eine Entschuldigungsmöglichkeit beziehungsweise in der Rechtsfolge ein überprüfbares Ermessen vorsehen müsse und daher --wie im Streitfall-- ein Ermessensausfall vorliege, wenn das FG kein Ermessen ausübe. Soweit die Unschuldsvermutung durch Art. 6 Abs. 2 EMRK gewährleistet wird, steht sie einem Verständnis des § 152 Abs. 2 AO als Norm mit gebundener Rechtsfolge allerdings nicht entgegen.
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Die Europäische Menschenrechtskonvention ist im Streitfall grundsätzlich zu beachten (unter 1.a aa). Allerdings kann die verspätete Abgabe einer Steuererklärung auch bei Zugrundelegung der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vorgenommenen weiten Auslegung (unter 1.b cc) nicht als "Straftat" im Sinne des Art. 6 Abs. 2 EMRK angesehen werden (unter 1.c).
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aa) Die Vorschriften der Europäischen Menschenrechtskonvention gehen dem nationalen Gesetzesrecht nicht vor. Als völkerrechtliche Verträge stehen die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzvereinbarungen im Range eines einfachen Bundesgesetzes. Dennoch hat die Europäische Menschenrechtskonvention mittelbar verfassungsrechtliche Bedeutung, indem sie die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes beeinflusst (vgl. BFH-Urteil vom 20.02.2019 - X R 32/17, BFHE 264, 184, BStBl II 2019, 438, Rz 37; Urteil des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 19.05.2023 - 2 BvR 78/22, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2023, 2632, Rz 28 ff., m.w.N.).
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Nach Art. 6 Abs. 2 EMRK gilt jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.
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bb) Der EGMR sieht den in Art. 6 Abs. 2 EMRK verwendeten Begriff der "Straftat" als autonom und daher nicht durch das innerstaatliche Recht der Vertragsstaaten determiniert an. Grund hierfür ist, dass die Reichweite der fundamentalen Bestimmungen der Art. 6 und 7 EMRK dem freien Willen der Vertragsstaaten unterläge, wenn diese nach Belieben eine Verfehlung als nichtstrafrechtlichen Verstoß definieren könnten (EGMR-Urteile vom 08.06.1976 - 5100/71 --Engel u.a./Niederlande--, Rz 81 und vom 21.02.1984 - 8544/79 --Öztürk/Deutschland--, NJW 1985, 1273, Rz 49; vgl. auch BFH-Urteil vom 20.02.2019 - X R 32/17, BFHE 264, 184, BStBl II 2019, 438, Rz 39).
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cc) Der EGMR legt den Begriff der "Straftat" sehr weit aus. Er hat dazu drei --auch als "Engel-Kriterien" bezeichnete-- Merkmale entwickelt, anhand derer zu prüfen ist, ob eine Sanktion strafrechtlicher Natur ist (EGMR-Urteile vom 31.08.2021 - 12951/18 --BRAGI GUÐMUNDUR KRISTJÁNSSON v. ICELAND--, Rz 49; vom 08.06.1976 - 5100/71 --Engel u.a./Niederlande--, Rz 82 und vom 21.02.1984 - 8544/79 --Öztürk/Deutschland--, NJW 1985, 1273, Rz 48). Dabei geht es um die Einordnung der maßgebenden Norm nach der Rechtstechnik des betroffenen Staates (unter (1)), nach der Art der Zuwiderhandlung (unter (2)) sowie nach der Art und Schwere der angedrohten Sanktion (unter (3)).
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(1) Das erste Kriterium der Einordnung nach der Rechtstechnik des nationalen Rechts hat nur "formellen und relativen Wert" (so EGMR-Urteil vom 08.06.1976 - 5100/71 --Engel u.a./Niederlande--, Rz 82); es ist in der bisherigen Rechtsprechung des EGMR nur insoweit von Bedeutung gewesen, als eine Norm, die schon nach nationalem Recht dem Strafrecht angehört, stets auch strafrechtlicher Natur im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention ist. Im umgekehrten Fall ist die vom nationalen Recht vorgenommene Einordnung hingegen nicht bindend (BFH-Urteil vom 20.02.2019 - X R 32/17, BFHE 264, 184, BStBl II 2019, 438, Rz 41).
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(2) Die Art der Zuwiderhandlung spricht vor allem dann für einen strafrechtlichen Charakter der sie sanktionierenden Norm, wenn die betreffende Tat ihrer Natur nach als strafbar angesehen wird (EGMR-Urteil vom 23.11.2006 - 73053/01 --Jussila/Finnland--, Rz 31). Dies beurteilt der EGMR anhand von Indizien.
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Ein Indiz für eine Strafnorm im Sinne von Art. 6 Abs. 2 EMRK ist nach der Rechtsprechung des EGMR darin zu sehen, dass die Norm allgemein gilt und nicht nur für eine einzelne Personengruppe (EGMR-Urteile vom 21.02.1984 - 8544/79 --Öztürk/Deutschland--, NJW 1985, 1273, Rz 53 und vom 24.02.1994 - 12547/86 --Bendenoun/Frankreich--, Rz 47). In diesem Zusammenhang hat die Europäische Menschenrechtskonvention einen Steuerzuschlag, dessen Anwendungsbereich sich auf umsatzsteuerpflichtige Unternehmer beschränkte, noch als hinreichend allgemein angesehen (EGMR-Urteil vom 23.11.2006 - 73053/01 --Jussila/Finnland--, Rz 38).
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Des Weiteren spricht für den strafrechtlichen Charakter einer Norm, wenn sie nicht in erster Linie einen finanziellen Ausgleich für einen Schaden gewähren soll, sondern sowohl abschreckende (präventive) als auch bestrafende (repressive) Zwecke verfolgt, weil dies die üblichen Merkmale strafrechtlicher Sanktionen sind (EGMR-Urteile vom 21.02.1984 - 8544/79 --Öztürk/Deutschland--, NJW 1985, 1273, Rz 53; vom 24.02.1994 - 12547/86 --Bendenoun/Frankreich--, Rz 44 und vom 23.07.2002 - 34619/97 --Janosevic/Schweden--, Rz 68).
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(3) Das dritte "Engel-Kriterium" ist erfüllt, wenn die Tat eine Sanktion nach sich zieht, die aufgrund ihrer Art und Schwere in den strafrechtlichen Bereich fällt (EGMR-Urteil vom 23.11.2006 - 73053/01 --Jussila/Finnland--, Rz 31). Dabei ist weniger auf die im konkreten Einzelfall verhängte Sanktion abzustellen, sondern auf die im Gesetz angedrohte Höchstsanktion (EGMR-Urteil vom 19.02.2013 - 4795/06 --Müller-Hartburg/Österreich--, NJW 2014, 1791, Rz 46). Dabei zählen nach der Rechtsprechung des EGMR zum Strafrecht --unabhängig von ihrer Einordnung im nationalen Recht-- zwingend alle Freiheitsentziehungen, die über unwesentliche Nachteile hinausgehen (EGMR-Urteil vom 08.06.1976 - 5100/71 --Engel u.a./Niederlande--, Rz 82); ebenso Geldzahlungen, die sehr hoch ausfallen und bei Nichtzahlung zu einer Ersatzhaft führen können (EGMR-Urteil vom 24.02.1994 - 12547/86 --Bendenoun/Frankreich--, Rz 47). In Abgrenzung dazu hat der EGMR zu einem berufsgerichtlichen Disziplinarverfahren entschieden, in dem eine Geldbuße von maximal 36.000 € (im Jahr 1995) verhängt werden konnte, dass allein die Schwere dieser Sanktion sie noch nicht in den Bereich des Strafrechts bringt (EGMR-Urteil vom 19.02.2013 - 4795/06 --Müller-Hartburg/Österreich--, NJW 2014, 1791, Rz 47).
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(4) Für die Zuordnung einer Norm zum Strafrecht im Sinne des Art. 6 Abs. 2 EMRK genügt es, wenn entweder das zweite oder das dritte "Engel-Kriterium" erfüllt ist. Die "Engel-Kriterien" stehen grundsätzlich selbständig nebeneinander. Wenn allerdings die Einzelbetrachtung der Kriterien noch keine eindeutigen Schlussfolgerungen zulässt, kann auch eine kumulative Würdigung geboten sein (EGMR-Urteile vom 23.07.2002 - 34619/97 --Janosevic/Schweden--, Rz 67 und vom 23.11.2006 - 73053/01 --Jussila/Finnland--, Rz 31).
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c) Unter Zugrundlegung dieser Grundsätze ist das in § 152 Abs. 2 AO vorgesehene Verspätungsgeld nicht dem Bereich des Strafrechts zuzurechnen. Zwar ist dafür die im deutschen Recht vorgenommene Einordnung als verwaltungsrechtliche Geldleistung nicht ausschlaggebend (unter 1.c aa). Weder die Art der Zuwiderhandlung (unter 1.c bb) noch die Art und Schwere der Sanktion (unter 1.c cc) lassen aber --sowohl bei alternativer als auch bei kumulativer Prüfung-- eine Zuordnung zum Strafrecht zu.
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aa) § 152 AO ist, anders als die strafrechtliche Blankettnorm des § 370 AO, im deutschen Recht eindeutig keine Norm, die dem Strafrecht zuzurechnen ist. Die Zuordnung des Verspätungszuschlags nach nationalem Recht zum steuerlichen Verfahrensrecht schließt die Annahme einer Norm mit Strafrechtscharakter allerdings nicht aus.
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bb) Allein die Nichterfüllung der Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung innerhalb der dafür vorgesehenen gesetzlichen Frist stellt aber keine "Tat" dar, die ihrer Natur nach als strafbar angesehen werden könnte.
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Der Senat lässt offen, ob § 152 Abs. 2 AO nach dem Verständnis des EGMR nicht "jedermann" betrifft, sondern nur eine vorbestimmte Gruppe mit besonderem Status. Einerseits sind (nur) diejenigen Steuerpflichtigen vom persönlichen Anwendungsbereich der Norm erfasst, die verpflichtet sind, eine Steuererklärung innerhalb einer bestimmten Frist abzugeben. Es muss sich zudem um eine Steuererklärung handeln, die sich auf ein Kalenderjahr oder auf einen gesetzlich bestimmten Zeitpunkt bezieht. Dieser enge persönliche Anwendungsbereich könnte dafür sprechen, dass es sich um eine Sonderregelung handelt, die schon deshalb nicht zum Strafrecht gehört. Andererseits ist nicht nur eine große Anzahl von Steuerpflichtigen betroffen. Die Norm gilt daher allgemein, nämlich für "jedermann", der die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt.
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Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung (vgl. hierzu EGMR-Urteil vom 23.11.2006 - 73053/01 --Jussila/Finnland--, Rz 31) gibt jedenfalls der eindeutige Normzweck des § 152 Abs. 2 AO den Ausschlag dafür, dass die Norm auch im Hinblick auf die Art des Verstoßes keinen strafrechtlichen Charakter hat.
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Der Verspätungszuschlag dient dazu, den rechtzeitigen Eingang der Steuererklärungen und damit auch die rechtzeitige Festsetzung und Entrichtung der Steuer sicherzustellen (BTDrucks VI/1982, S. 129). Als Druckmittel eigener Art, das auf die besonderen Bedürfnisse des Steuerrechts zugeschnitten ist, hat der Verspätungszuschlag zwar repressiven und präventiven Charakter (BFH-Urteile vom 28.03.2007 - IX R 22/05, BFH/NV 2007, 1450, Rz 9; vom 26.06.2002 - IV R 63/00, BFHE 198, 399, BStBl II 2002, 679, unter 1. [Rz 10]). Der repressive Charakter von § 152 Abs. 2 AO, der in der Anknüpfung an einen in der Vergangenheit liegenden Vorgang (Unterlassen) zum Ausdruck kommt, ist aber nicht mit einem sozial-ethischen Unwerturteil verbunden; eine abschreckende, generalpräventive Wirkung ist nicht beabsichtigt. § 152 Abs. 2 AO hat damit nicht die vorrangige Funktion der Bestrafung von begangenem Unrecht. Vielmehr sanktioniert § 152 Abs. 2 AO lediglich eine (objektive) verfahrensrechtliche Pflichtverletzung im Hinblick auf die dadurch typischerweise bewirkte Verzögerung des Ablaufs im Verwaltungsverfahren.
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Wie § 370 AO zeigt, ist die verspätete Abgabe einer Steuererklärung erst dann mit einem sozial-ethischen Unwerturteil verbunden, wenn sie zum einen unrichtige Angaben enthält und wenn zum anderen auch der subjektive Tatbestand der Strafnorm erfüllt ist. Beides setzt § 152 Abs. 2 AO nicht voraus.
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cc) Auch die Art und Schwere der in § 152 Abs. 2 AO angedrohten Höchstsanktion sprechen gegen eine Zuordnung zum Strafrecht. Typische strafrechtliche Sanktionen wie die Freiheitsentziehung oder die Eintragung ins Strafregister (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 20.02.2019 - X R 32/17, BFHE 264, 184, BStBl II 2019, 438, Rz 51) sieht die Norm nicht vor. Die Höhe der --allein möglichen-- finanziellen Sanktion lässt auch unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung des EGMR einen strafrechtlichen Charakter nicht erkennen. Das gilt sowohl in Bezug auf die im Gesetz angedrohte Höchstsanktion als auch in Bezug auf die im konkreten Einzelfall verhängte Sanktion.
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Zwar hat der EGMR nationale pauschale Steuerzuschläge in Fällen falscher oder unterbliebener Angaben in Steuererklärungen in Einzelfällen dem Bereich des Strafrechts zugerechnet (vgl. die Nachweise in Rz 51 des BFH-Urteils vom 20.02.2019 - X R 32/17, BFHE 264, 184, BStBl II 2019, 438). Dabei handelte es sich jedoch insbesondere um der Höhe nach nicht begrenzte Zuschläge, die nicht mit der Höhe des Verspätungszuschlags gemäß § 152 Abs. 2 AO vergleichbar sind. Vor allem der Höchstbetrag für den Verspätungszuschlag von 25.000 € liegt noch innerhalb des Rahmens bis 36.000 €, den der EGMR im Jahr 1995 nicht als in den Bereich des Strafrechts fallend eingeordnet hat (vgl. Urteil vom 19.02.2013 - 4795/06 --Müller-Hartburg/Österreich--, NJW 2014, 1791, Rz 47).
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Der im Streitfall festgesetzte Verspätungszuschlag beträgt circa 2 % der festgesetzten Steuer und 275 €. Sowohl der prozentuale Anteil als auch der absolute Betrag liegen deutlich unter denjenigen Steuerzuschlägen, bei denen der EGMR eine Strafnormqualität erkannt hat. Auch der Umstand, dass im Streitfall der in § 152 Abs. 5 Satz 2 AO geregelte Mindestbetrag von 25 € zum Ansatz gekommen ist, ändert nichts am fehlenden Strafnormcharakter. Zwar ist der Mindestbetrag nicht abhängig von der Höhe der Steuer, deren Festsetzung sich durch die nicht fristgerechte Abgabe der Erklärung mutmaßlich verzögert hat. Der Mindestbetrag dient der Vereinfachung. Gerade in Fällen objektiver Geringfügigkeit ist damit ein sozial-ethisches Unwerturteil erst recht nicht verbunden.
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2. Die von den Klägern pauschal gerügte Verletzung von Art. 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erfüllt nicht die Darlegungsanforderungen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.
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3. Die Revision ist auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO, hier der Vermeidung einer Divergenzentscheidung, zuzulassen.
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a) Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert. Die Revisionszulassung nach dieser Vorschrift setzt voraus, dass das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH, das BVerfG, der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, ein anderes oberstes Bundesgericht oder ein anderes FG. Das FG muss seiner Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt. Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenzrüge nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gehört unter anderem eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidungen sowie die Gegenüberstellung tragender abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung deutlich erkennbar zu machen (BFH-Beschluss vom 29.11.2022 - VIII B 141/21, BFH/NV 2023, 143, Rz 23).
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b) Hieran fehlt es. Die Kläger haben auf Seite 10 folgende ihrer Beschwerdebegründung keine konkreten Entscheidungen beziehungsweise in diesen Entscheidungen aufgestellte Rechtssätze dargelegt und deren fehlende Übereinstimmung mit von ihnen dargestellten tragenden Rechtsgrundsätzen des angefochtenen FG-Urteils erläutert. Hierfür ist es nicht ausreichend, die bisherigen Entscheidungen des BFH zu Art. 6 EMRK aufzuführen (S. 3 f. der Beschwerdebegründung). In Bezug auf das BFH-Urteil vom 20.02.2019 - X R 32/17 (BFHE 264, 184, BStBl II 2019, 438) ist der Vortrag zur behaupteten Divergenz unschlüssig, weil die Kläger zum einen eine Abweichung des angegriffenen Urteils behaupten, aber andererseits ausführen, die Fälle seien nicht vergleichbar (S. 10 und S. 5 der Beschwerdebegründung).
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4. Von einer Darstellung des Tatbestands und einer weiteren Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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