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BFH 03.08.2020 - IX B 16/20
BFH 03.08.2020 - IX B 16/20 - Verfahrensmangel: Überraschungsentscheidung, Unterlassen einer einfachen Beiladung
Normen
§ 96 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 119 Nr 3 FGO, Art 103 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 6. November 2019, Az: 3 K 2414/18, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Das FG ist nicht verpflichtet, den Beteiligten die einzelnen für seine Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten. Ebenso wenig muss es einen Hinweis auf seine Rechtsauffassung geben.
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2. NV: Das Unterlassen der einfachen Beiladung vermag keinen Verfahrensfehler zu begründen.
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg vom 06.11.2019 - 3 K 2414/18 wird als unbegründet zurückgewiesen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Gründe
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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Die Revision ist weder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung --FGO--, dazu unter 1. und 2.) noch wegen eines Verfahrensmangels, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, dazu unter 3.), zuzulassen.
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1. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat nicht schlüssig dargelegt, dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO).
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a) Die schlüssige Rüge einer Divergenz erfordert die Darlegung, dass das Finanzgericht (FG) bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH oder ein anderes FG. Gleiches gilt für Entscheidungen eines anderen obersten Bundesgerichts. Dabei muss das FG seinem Urteil einen entscheidungserheblichen (tragenden) abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den ebenfalls tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (BFH-Beschluss vom 28.04.2016 - IX B 18/16, BFH/NV 2016, 1173, Rz 9).
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Im Einzelnen sind für die schlüssige Rüge einer Divergenz gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO die angeblichen Divergenzentscheidungen genau --mit Datum und Aktenzeichen oder Fundstelle-- zu bezeichnen sowie tragende, abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits gegenüberzustellen, um die Abweichung deutlich zu machen. Dies erfordert auch die Darlegung, dass es sich im Streitfall um einen gleichen oder vergleichbaren Sachverhalt handelt, so dass sich in der angefochtenen Entscheidung und in der Divergenzentscheidung dieselbe Rechtsfrage stellt (BFH-Beschluss in BFH/NV 2016, 1173, Rz 10).
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b) Diesen Anforderungen genügt die Nichtzulassungsbeschwerde nicht. Die Klägerin hat keine abstrakten Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil sowie aus mutmaßlichen Divergenzentscheidungen herausgestellt, welche die behauptete Abweichung aufzeigen könnten. Der Hinweis der Klägerin auf --vorangegangene Veranlagungszeiträume betreffende-- Entscheidungen des FG und die "Verwendung der unzutreffenden Rechtsgrundlage dieser früheren Entscheidungen" genügt nicht. Auch unter Heranziehung des in Bezug genommenen Schriftsatzes vom 22.07.2018 ergibt sich nichts anderes.
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2. Ebenso wenig ist die Revision unter dem (hilfsweise geltend gemachten) Gesichtspunkt eines schwerwiegenden Rechtsfehlers zuzulassen.
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a) Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO ist die Revision zur Sicherung der Rechtseinheit auch dann zuzulassen, wenn die angefochtene Entscheidung des FG in einem solchen Maß fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur wiederhergestellt werden könnte. Diese Voraussetzung ist erfüllt bei einem offensichtlichen materiellen oder formellen Rechtsfehler von erheblichem Gewicht, der die Entscheidung der Vorinstanz als willkürlich oder greifbar gesetzwidrig erscheinen lässt. Vorliegen kann dies etwa, wenn das FG eine offensichtlich einschlägige entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen hat, das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht. Ferner kann ein gravierender Rechtsanwendungsfehler auch dann vorliegen, wenn das FG bei der Auslegung einer Willenserklärung anerkannte Auslegungsgrundsätze in einem Maße außer Acht lässt, dass seine Entscheidung nicht mehr nachvollziehbar erscheint. Unterhalb dieser Schwelle liegende Rechtsfehler reichen nicht, um eine greifbare Gesetzwidrigkeit oder gar Willkür der angefochtenen Entscheidung zu begründen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 18.11.2019 - IX B 72/19, BFH/NV 2020, 356, Rz 8, m.w.N.).
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b) Ungeachtet der Frage, ob die Beschwerdebegründung den Darlegungsanforderungen entspricht, ist ein derartiger schwerwiegender Rechtsfehler des FG nicht ersichtlich. Ergänzend verweist der Senat auf die Begründung seiner --die Vorjahre betreffenden-- Beschlüsse vom 24.01.2019 - IX S 33/18 (PKH), IX S 34/18 (PKH) und IX S 37/18 (PKH). Dort hat er im Hinblick auf den zentralen Streitpunkt der persönlichen Zurechnung der Vermietungseinkünfte (bei der Klägerin als Vorbehaltsnießbraucherin) ausgeführt, dass die Würdigung des FG (nach Aktenlage) nicht zu beanstanden sei. Eine --durch die Vorlage weiterer Unterlagen dokumentierte-- Änderung der Sachlage, die eine abweichende rechtliche Würdigung erlauben könnte, hat das FG mit schlüssiger Begründung verneint.
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3. Schließlich liegt kein Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
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a) Ohne Erfolg macht die Klägerin eine Gehörsverletzung geltend.
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aa) Der Anspruch auf rechtliches Gehör i.S. von Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), § 96 Abs. 2 und § 119 Nr. 3 FGO verpflichtet das Gericht u.a., die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern des Vorbringens auseinanderzusetzen. Dabei ist das Gericht naturgemäß nicht verpflichtet, der tatsächlichen Würdigung oder der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11.06.2008 - 2 BvR 2062/07, Deutsches Verwaltungsblatt 2008, 1056; BFH-Beschluss vom 11.05.2011 - V B 113/10, BFH/NV 2011, 1523). Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO sind erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 10.09.2014 - IX S 10/14, BFH/NV 2015, 47; vom 23.03.2016 - IX B 22/16, BFH/NV 2016, 1013).
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Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und --gegebenenfalls-- Beweisergebnissen zu äußern, sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten. Darüber hinaus gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör, für die Prozessbeteiligten überraschende Entscheidungen zu unterlassen. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten oder nicht bekannten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn ein entscheidungserheblicher Umstand vom FG erst mit dem Endurteil in das Verfahren eingebracht wird (z.B. BFH-Beschluss vom 23.02.2017 - IX B 2/17, BFH/NV 2017, 746, Rz 15).
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bb) Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör berufen. Zu Recht hat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) geltend gemacht, dass die Klägerin das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung nicht in ausreichendem Maße dargelegt habe. Im Übrigen hat das FG den Sach- und Streitstand umfassend gewürdigt, sich letztlich aber dem Standpunkt des FA angeschlossen. Dies gilt sowohl für die Zurechnung der Vermietungseinkünfte als auch für den begehrten Abzug von Prozesskosten als außergewöhnliche Belastung, die Berücksichtigung des Ausfalls einer Kapitalforderung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes und den geltend gemachten Schuldzinsenabzug. Dass das FG die im Klageverfahren von der Klägerin eingereichten weiteren Unterlagen in seine Würdigung einbeziehen würde, war notwendig und zu erwarten.
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Auch der Hinweis der Klägerin, sie habe nicht erkennen können, den Prozess zu verlieren, führt nicht zum Erfolg der Beschwerde. Das FG ist nicht verpflichtet, den Beteiligten die einzelnen für seine Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten (BFH-Urteil vom 24.04.1990 – VIII R 170/83, BFHE 160, 256, BStBl II 1990, 539, unter 1., Rz 17). Ebenso wenig muss es einen Hinweis auf seine Rechtsauffassung geben (BFH-Beschluss vom 09.11.2011 - II B 105/10, BFH/NV 2012, 254, Rz 13).
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cc) Soweit sich die Klägerin ergänzend darauf beruft, das FG habe ihr das Schreiben des FA vom 08.11.2019 nicht sofort zur Stellungnahme weitergeleitet, ist darauf hinzuweisen, dass das FG dieses Schreiben bei seiner Entscheidung ausweislich des Nachtrags zur Sitzungsniederschrift vom 12.11.2019 sowie des Tatbestands des angefochtenen Urteils nicht berücksichtigt hat. Insofern fehlt es jedenfalls an der erforderlichen Erheblichkeit des gerügten Verfahrensmangels.
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b) Ebenso wenig greift die Rüge der unterlassenen Beiladung des Sohnes der Klägerin durch. Die Klägerin macht geltend, ihr Sohn habe wegen einer möglichen Haftung nach § 60 Abs. 1 FGO beigeladen werden müssen. Das Unterlassen der --von der Vorinstanz für nicht erforderlich gehaltenen-- einfachen Beiladung vermag jedoch keinen Verfahrensfehler zu begründen (vgl. BFH-Beschluss vom 29.10.2002 - V B 186/01, BFH/NV 2003, 780; Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 115 Rz 310 "Einfache Beiladung (§ 60 I 1)"). Die Voraussetzungen für eine notwendige Beiladung nach § 60 Abs. 3 FGO lagen --wie vom FG zu Recht erkannt-- nicht vor.
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4. Letztlich rügt die Klägerin im Kern eine materiell fehlerhafte Rechtsanwendung, also die Unrichtigkeit des FG-Urteils; damit kann die Zulassung der Revision indes nicht erreicht werden (vgl. BFH-Beschluss vom 21.03.2017 - IX B 132/16, BFH/NV 2017, 913, Rz 2; Gräber/Ratschow, a.a.O., § 115 Rz 220).
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5. Von einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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