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BFH 22.11.2017 - V S 18/17 (PKH)
BFH 22.11.2017 - V S 18/17 (PKH) - Auslegung von verfahrenseinleitenden Schriftsätzen; Antrag auf PKH; (un)bedingte Klageerhebung
Normen
Art 103 Abs 1 GG, § 96 Abs 2 FGO, § 142 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 2 S 1 FGO, § 114 ZPO
Leitsatz
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1. NV: Entscheidet das FG über eine noch nicht erhobene Klage (Klageentwurf), liegt ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens vor.
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2. NV: Wird gleichzeitig mit einem PKH-Antrag ein die gesetzlichen Anforderungen an eine Klageschrift erfüllender Schriftsatz eingereicht, kann dieser eine unabhängig von dem PKH-Antrag erhobene Klage darstellen, es kann sich aber auch um eine unter der Bedingung der PKH-Gewährung erhobene und damit unzulässige Klage handeln oder um einen --der Begründung des PKH-Antrags dienenden-- Entwurf einer erst zukünftig zu erhebenden Klage.
Tenor
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Der Antrag wird abgelehnt.
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Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Tatbestand
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I.
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Die Klägerin, Beschwerdeführerin und Antragstellerin (Antragstellerin) begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für eine beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde gegen das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts (FG).
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Am 29. November 2015 hatte die Antragstellerin dem FG ein Anschreiben mit der Überschrift "Klage M .../Finanzamt ..." sowie einen mit "KLAGE unter Beantragung von Prozesskostenhilfe" betitelten Schriftsatz übermittelt. Auf Seite 1 dieses Schriftsatzes heißt es: "... erhebe ich im eigenen Namen Klage gegen das Finanzamt ...". Am 19. Juni 2016 sowie am 16. Juli 2017 teilte die Antragstellerin dem FG mit, sie habe keine Klage eingereicht, sondern lediglich einen Antrag auf Bewilligung von PKH für eine beabsichtigte Klage gestellt. Die Formulierung "Klage unter -der Bedingung- der Bewilligung von PKH" lasse keinen Spielraum für eine anderweitige Interpretation.
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Das FG ging dagegen von einer wirksam erhobenen Klage aus, weil die Formulierung "unter Gewährung von" ohne Beifügung eines ein Bedingungsverhältnis vermittelnden Wortes lediglich die Bedeutung einer "Gleichzeitigkeit" von Klage und PKH-Antrag habe.
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Zur Begründung ihres PKH-Antrages trägt die Antragstellerin vor, das FG habe ihren Vortrag übergangen, wonach sie keine unbedingte Klage eingereicht habe. Darin liege eine offenkundige Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 des Grundgesetzes (GG).
Entscheidungsgründe
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II.
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Der Antrag auf Gewährung von PKH ist unbegründet.
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1. Nach § 142 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn für dessen Eintritt bei summarischer Prüfung eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. März 2008 II S 24/07 (PKH), BFH/NV 2008, 1176, unter II.1.).
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Da das FG die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen hat, kommt als Rechtsmittel gegen das Urteil nur eine Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision in Betracht. Der Erfolg einer Nichtzulassungsbeschwerde hängt davon ab, ob ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FGO gegeben ist, d.h. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder das Urteil des FG auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
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2. Wird --wie im Streitfall-- PKH für eine noch zu erhebende Nichtzulassungsbeschwerde beantragt, muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines dieser Zulassungsgründe bestehen (BFH-Beschluss vom 26. Januar 2012 V S 29/11 (PKH), BFH/NV 2012, 763).
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a) Zwar fehlt die hinreichende Erfolgsaussicht nicht bereits deshalb, weil die Nichtzulassungsbeschwerde nicht innerhalb der Monatsfrist des § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO durch eine vor dem BFH vertretungsberechtigte Person oder Gesellschaft i.S. von § 62 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 FGO erhoben worden ist. Einem Beteiligten, der wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage ist, ein Rechtsmittel, das dem Vertretungszwang unterliegt, innerhalb der Rechtsmittelfrist wirksam zu erheben, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO gewährt werden, wenn er innerhalb dieser Frist alle Voraussetzungen für die Bewilligung der PKH zur Einlegung des Rechtsmittels schafft, also einen entsprechenden Antrag stellt und die Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beim Rechtsmittelgericht einreicht und zumindest in laienhafter Weise Anhaltspunkte für einen Zulassungsgrund darlegt (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 15. April 2014 V S 5/14 (PKH), BFH/NV 2014, 1381, Rz 6, sowie vom 24. November 2009 II S 21/09 (PKH), BFH/NV 2010, 455, unter 2.).
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b) Bei der danach gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung des Vortrags der Antragstellerin, des Inhalts der vorliegenden Akten und des beanstandeten FG-Urteils ist kein Grund i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 FGO ersichtlich, der eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnte.
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aa) Soweit die Antragstellerin rügt, das FG habe ihren Vortrag zur lediglich eingelegten Klage übergangen, liegt ersichtlich keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) und damit auch kein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor.
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Der verfassungsrechtlich gewährleistete Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs umfasst sowohl das Recht der Beteiligten, sich hinreichend zur Sache äußern zu können, als auch die Pflicht des Gerichts, das Vorbringen der Kläger zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Mai 2011 V B 73/10, BFH/NV 2011, 1544, m.w.N.). Die Gewährung des rechtlichen Gehörs bedeutet jedoch nicht, dass das Gericht die Klägerin "erhört", sich also ihren rechtlichen Ansichten oder ihrer Sachverhaltswürdigung anschließt (Senatsbeschluss vom 13. April 2007 V B 122/05, BFH/NV 2007, 1517, sowie vom 12. Dezember 2012 V B 70/12, BFH/NV 2013, 515; BFH-Beschlüsse vom 28. Mai 2009 III B 93/08, juris; vom 20. Juli 2007 VIII B 8/06, BFH/NV 2007, 2069, Rz 6).
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Vorliegend hat sich das FG mit den Ausführungen der Antragstellerin zur lediglich bedingten Erhebung der Klage in den Entscheidungsgründen unter II.1. auf Seite 5 und 6 des Urteils ausdrücklich befasst. Dass es hierbei nicht der Auffassung der Antragstellerin gefolgt und von einer wirksamen Klageerhebung ausgegangen ist, begründet somit keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
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bb) Ein Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Antragstellerin, wonach das FG ihr Rechtsschutzbegehren zu Unrecht als unbedingte Klageerhebung ausgelegt habe.
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Entscheidet das FG über eine noch nicht erhobene Klage (Klageentwurf), liegt zwar ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens vor (BFH-Beschluss vom 3. Februar 2005 VII B 304/03, BFH/NV 2005, 1111, Leitsatz 4 sowie Rz 14). Das FG hat den Schriftsatz der Antragstellerin vom 29. November 2015 aber ohne Rechtsfehler als --unbedingt erhobene-- Klage ausgelegt.
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(1) Wird --wie im Streitfall-- bei Gericht gleichzeitig mit einem PKH-Antrag ein Schriftsatz eingereicht, der allen an eine Klageschrift zu stellenden Anforderungen entspricht, kann dieser Schriftsatz eine unabhängig von dem PKH-Antrag erhobene Klage darstellen; es kann sich aber auch um eine unter der Bedingung der PKH-Gewährung erhobene und damit unzulässige Klage handeln oder um einen der Begründung des PKH-Antrags dienenden Entwurf einer erst zukünftig zu erhebenden Klage. Welche dieser drei Konstellationen vorliegt, ist eine Frage der Auslegung der im jeweiligen Einzelfall zu beurteilenden Prozesshandlungen. Damit kommt es nicht auf den inneren Willen der Beteiligten an. Maßgebend ist vielmehr der in der Erklärung verkörperte Wille unter Berücksichtigung der erkennbaren Umstände des Falles (Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Oktober 1990 9 B 92/90, juris; Schallmoser in Hübschmann/ Hepp/Spitaler --HHSp--, § 65 FGO Rz 32).
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Erfüllt ein Schriftsatz --wie das Schreiben der Antragstellerin vom 29. November 2015-- die gesetzlichen Anforderungen an eine Klageschrift, kommt eine Deutung, dass der Schriftsatz nicht als zugleich eingelegte Klage bestimmt war, nur dann in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (Schwarz in HHSp, § 142 FGO Rz 131, unter Hinweis auf die Berufungsschriften betreffenden Beschlüsse des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 8. Dezember 2010 XII ZB 140/10, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht --NJW-RR-- 2011, 492; vom 17. Dezember 2008 XII ZB 185/08, Monatsschrift für Deutsches Recht --MDR-- 2009, 400, sowie vom 18. Juli 2007 XII ZB 31/07, MDR 2007, 1387). Der hinreichend deutliche Ausschluss einer Klageerhebung kann dadurch geschehen, dass der entsprechende Schriftsatz ausdrücklich als "Entwurf" gekennzeichnet oder ohne Unterschrift eingereicht wird bzw. in anderer Weise klarstellt, dass eine Klageerhebung noch nicht beabsichtigt ist (vgl. BGH-Beschluss vom 9. Februar 2005 XII ZB 146/04, NJW-RR 2005, 1015, Rz 7, sowie BGH-Urteil vom 22. Mai 1996 XII ZR 14/95, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht 1996, 1142, 1143, Rz 12; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 142 Rz 7; Schoenfeld in Beermann/Gosch, FGO § 142 Rz 146).
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(2) Im Streitfall konnte das FG die Ausführungen der Antragstellerin, dass sie "Klage unter Beantragung von PKH" erhebe, nur dahin verstehen, dass mit ihrem Schriftsatz bereits wirksam Klage erhoben wurde. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin steht der Wortlaut einer unbedingten Klageerhebung nicht entgegen, sondern spricht für eine Klageerhebung und einen gleichzeitig damit verbundenen Antrag auf PKH. Zudem wurde der Schriftsatz vom 29. November 2015 weder als "Klageentwurf" bezeichnet noch darin beantragt, "vorab" über den PKH-Antrag zu entscheiden. Die Formulierung auf Seite 1 des Schriftsatzes "... erhebe ich ... im eigenen Namen Klage gegen das Finanzamt ..." belegt vielmehr, dass die Antragstellerin ohne jede Einschränkung Klage erhob. Auch die bei der Auslegung zu berücksichtigenden Begleitumstände sprechen für eine wirksame Klageerhebung. Denn das dem Schriftsatz vom 29. November 2015 vorausgehende Fax-Anschreiben ist mit "Klage M .../Finanzamt ..." und nicht etwa mit "Klageentwurf" überschrieben.
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3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 142 FGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Sätze 4 und 5 ZPO, § 1 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes und des Kostenverzeichnisses der Anlage 1).
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