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BFH 06.08.2015 - III B 46/15
BFH 06.08.2015 - III B 46/15 - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Prozessbevollmächtigten
Normen
§ 56 Abs 1 FGO
Vorinstanz
vorgehend Hessisches Finanzgericht, 19. Februar 2015, Az: 3 K 2310/13, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Ein Steuerberater oder Rechtsanwalt ist nur dann i.S. des § 56 FGO ohne Verschulden verhindert, die Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels einzuhalten, wenn er die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet hat. Hierzu gehört auch, dass er für den Fall seiner Erkrankung seiner individuellen Arbeitsweise angepasste Vorkehrungen zur Vermeidung einer Fristversäumnis trifft.
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2. NV: Besteht die individuelle Arbeitsweise des Prozessvertreters darin, Fristsachen am letzten Tag der Frist nach 19 Uhr zu bearbeiten, genügt er seiner Sorgfaltspflicht nicht, wenn er die von ihm zur Vertretung vorgesehenen Berufskollegen nur in deren bis 18 Uhr besetzten Büroräumen erreichen kann.
Tenor
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Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 19. Februar 2015 3 K 2310/13 wird als unzulässig verworfen.
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Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist die Mutter ihrer im Mai 1990 geborenen Tochter. Mangels Nachweises der Anspruchsvoraussetzungen hob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) mit Bescheid vom 31. Mai 2012 die Kindergeldfestsetzung ab September 2009 auf und forderte das für die Monate September 2009 bis Dezember 2009, Januar 2010 bis Januar 2011 sowie April 2011 bis März 2012 bereits ausbezahlte Kindergeld von der Klägerin zurück. Mangels Rückzahlung leitete die Familienkasse Vollstreckungsmaßnahmen ein. Am 4. Juni 2013 teilte die Familienkasse dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit, dass die Forderung aufgrund der Angabe der Klägerin, den Bescheid vom 31. Mai 2012 nicht erhalten zu haben, storniert worden und die Vollstreckungsmaßnahmen aufgehoben worden seien.
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Mit Bescheid vom 9. September 2013 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung erneut für die Monate September 2009 bis Januar 2011 und ab April 2011 auf und forderte das überzahlte Kindergeld zurück. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies sie mit Einspruchsentscheidung vom 7. Oktober 2013 als unbegründet zurück.
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Die dagegen gerichtete Klage blieb ohne Erfolg. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17. März 2015 zugestellt.
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Mit beim Bundesfinanzhof (BFH) am 20. April 2015 eingegangenem Telefax vom selben Tag legte der Prozessbevollmächtigte Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ein und beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags führte er aus, dass er am 17. April 2015 wegen der Vorbereitung auf eine für diesen Tag anberaumte Veranstaltung einer Juristischen Vereinigung die Nichtzulassungsbeschwerde nicht habe vorbereiten können. Auf der Veranstaltung, die für 16:30 Uhr bis 18:30 Uhr angesetzt gewesen sei, habe er sich zunehmend gesundheitlich unwohl gefühlt. Sein Blutdruck sei gesunken und es habe sich eine allgemeine Übelkeit eingestellt (Kopfschmerzen, Anzeichen von Erbrechen/Würgereiz u.Ä.). Er habe dann bis ca. kurz nach 19 Uhr auf der Veranstaltung ausgeharrt und sei dann nicht --wie geplant-- zurück in die Kanzlei, sondern nach Hause gefahren. Wegen der plötzlichen und unvorhergesehen Erkrankung, die noch am 18. April 2015 angedauert habe, habe er weder jemand kurzfristig mit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde betrauen noch die Frist für die Einlegung der Beschwerde einhalten können. Seine Angaben versicherte der Prozessbevollmächtigte anwaltlich und an Eides Statt. Ferner legte er die eidesstattliche Versicherung eines Berufskollegen vor, in dessen Kanzlei die Veranstaltung stattgefunden hatte. Dieser bestätigte, dass die Veranstaltung bis ca. 19 Uhr gedauert und ihm der Prozessbevollmächtigte mitgeteilt habe, dass ihm sehr übel sei und er direkt nach Hause fahre.
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Zur Begründung ihrer Beschwerde beruft sich die Klägerin auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und eine Erforderlichkeit der Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO).
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO).
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1. Die Beschwerdefrist wurde versäumt. Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist ist nicht zu gewähren.
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a) Nach § 116 Abs. 1 FGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim BFH einzulegen (§ 116 Abs. 2 Satz 1 FGO). Hierauf wurde die Klägerin durch die der angefochtenen Vorentscheidung beigefügte Rechtsmittelbelehrung hingewiesen. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17. März 2015 zugestellt. Die einmonatige Beschwerdefrist endete daher gemäß § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit Ablauf des 17. April 2015 (Freitag). Die erst am 20. April 2015 beim BFH eingegangene Beschwerde war somit verspätet.
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b) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) ist nicht zu gewähren, da der Prozessbevollmächtigte, dessen Verhalten sich die Klägerin zurechnen lassen muss (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO), nicht ohne Verschulden gehindert war, die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten.
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aa) Ein Verschulden i.S. des § 56 FGO ist, jedenfalls wenn es sich um die Fristversäumnis eines Steuerberaters oder Rechtsanwalts handelt, nur dann zu verneinen, wenn dieser die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt angewendet hat (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Februar 2002 III R 12/01, BFH/NV 2002, 794, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 16. März 2005 X R 8/04, BFH/NV 2005, 1341). Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss daher alles ihm Zumutbare tun, damit die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird. Dementsprechend hat er die nach den jeweiligen Umständen gebotene Vorsorge für den Fall zu treffen, dass er unvorhergesehen an der Wahrnehmung seiner Aufgaben, insbesondere an der Wahrung gesetzlicher Pflichten, gehindert wird. Daraus folgt, dass auch ein allein und ohne Personal tätiger Prozessbevollmächtigter sicherstellen muss, dass im Krankheitsfall ein Vertreter für ihn vorhanden ist oder dass zumindest eine Vertrauensperson sich an einen solchen wenden kann (Senatsbeschluss in BFH/NV 2002, 794, m.w.N.; BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1341, m.w.N.).
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bb) Demgemäß ist es für die schlüssige Begründung eines Wiedereinsetzungsantrags nicht ausreichend, allein den Umstand der Erkrankung darzulegen; erforderlich sind vielmehr substantiierte Ausführungen dazu, welche Vorkehrungen (Büroorganisation, Bestellung eines Vertreters) der Prozessbevollmächtigte getroffen hat, um eine Fristversäumnis zu vermeiden, oder aus welchen Gründen (z.B. plötzlicher Ausbruch der Krankheit) der Prozessvertreter Maßnahmen dieser Art nicht hat ergreifen können (Senatsbeschluss vom 30. August 2005 III R 15/05, BFH/NV 2006, 89; BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1341, m.w.N.).
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cc) Das Fehlen einer geeigneten Vorsorgemaßnahme wirkt sich auf die Versäumung der Rechtsmittelfrist nur dann nicht aus, wenn der Prozessbevollmächtigte plötzlich in einer Weise erkrankt, die es ihm --auch wenn er sich allgemein um einen Vertreter gekümmert hat-- unverschuldet unmöglich gemacht hätte, diesen Vertreter rechtzeitig ausreichend zu informieren (Senatsbeschluss in BFH/NV 2002, 794, m.w.N.; BFH-Beschluss in BFH/NV 2005, 1341, m.w.N.).
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dd) Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte zwar die näheren Umstände seiner Erkrankung erläutert. Er hat indessen nicht hinreichend dargelegt, dass er alles ihm Zumutbare getan hat, um die Frist für die Beschwerdeeinlegung zu wahren. Insbesondere kann dem Vortrag des Prozessbevollmächtigten nicht entnommen werden, dass er die nach den jeweiligen Umständen gebotenen Vorsorgemaßnahmen getroffen hat, um im Fall einer unvorhergesehenen Erkrankung eine rechtzeitige Bearbeitung von Fristsachen zu gewährleisten.
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Der Prozessbevollmächtigte trägt zu seinen Vorsorgemaßnahmen vor, er arbeite in Bürogemeinschaft mit mehreren anderen Rechtsanwälten, die sich im Notfall alle kollegialitär hülfen; freitags sei aber ab 18 Uhr niemand mehr im Büro anwesend. Hieraus ergeben sich keine den jeweiligen Umständen angepassten Vorsorgemaßnahmen. Denn die individuelle Arbeitsweise des Prozessbevollmächtigten, Fristsachen erst am letzten Tag der Frist nach 19 Uhr zu bearbeiten, hätte verlangt, dass er auch an Freitagen nach 18 Uhr für eine geeignete Vertretungsmöglichkeit sorgt. Es läge in einem solchen Fall beispielsweise nicht außerhalb des Bereichs des Zumutbaren, die Erreichbarkeit eines für die Vertretung in Betracht kommenden Kollegen nicht nur über die Telefonverbindung im Büro, sondern auch über eine mobile Rufnummer sicherzustellen. Überdies wäre unter den gegebenen Umständen zumindest darauf einzugehen gewesen, warum der Prozessbevollmächtigte nicht dem Berufskollegen, mit dem die Veranstaltung der Juristischen Vereinigung durchgeführt wurde, Untervollmacht erteilt hat. Dies hätte nahegelegen, nachdem mit dem Berufskollegen ohnehin die Erkrankung besprochen wurde und dieser sich noch in seiner Kanzlei befand. Anders als der Prozessbevollmächtigte meint, lässt sich eine Unzumutbarkeit der kurzfristigen Einschaltung eines Vertreters auch nicht daraus ableiten, dass niemand mehr sich kurzfristig in die Akten hätte einarbeiten und die Begründung kurzfristig binnen weniger Stunden hätte einreichen können. Denn nach eigenem Vortrag des Prozessbevollmächtigten hatte dieser bereits am Vormittag des 17. April 2015 nach Rücksprache mit der Mandantschaft entschieden, dass Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt wird. Diese Information hätte einem Vertreter für eine fristwahrende Beschwerdeeinlegung genügt. Eine weitergehende Einarbeitung in den Prozessstoff zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde war zu diesem Zeitpunkt noch nicht erforderlich, da die Begründung erst innerhalb der Frist des § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO hätte erfolgen müssen.
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2. Im Übrigen ist die Beschwerde auch deswegen unzulässig, weil die Klägerin Zulassungsgründe nicht in der durch § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderten Weise dargelegt hat.
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a) Soweit die Klägerin eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache begehrt, fehlt es bereits an der Herausstellung einer bestimmten für die Entscheidung des Streitfalls erheblichen abstrakten Rechtsfrage. Auch wird in der Beschwerdebegründung nicht schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen dargetan, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Die Klägerin geht insbesondere auch nicht darauf ein, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (vgl. zu den vorgenannten Darlegungserfordernissen z.B. Senatsbeschluss vom 2. Juni 2014 III B 101/13, BFH/NV 2014, 1374, m.w.N.). Ausführungen, aus denen sich ergibt, der BFH habe über eine bestimmte, dem Streitfall entsprechende Sachverhaltskonstellation noch nicht entschieden, genügen den Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ebenso wenig wie das Vorbringen, die Vorentscheidung leide an einem materiell-rechtlichen Mangel.
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b) Ebenso unzulässig ist die Beschwerde, soweit die Klägerin die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts geltend macht. Dieser Zulassungsgrund ist ein Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 5. Mai 2014 III B 85/13, BFH/NV 2014, 1186), der hier --wie ausgeführt-- nicht in einer den Anforderungen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Weise dargelegt wurde.
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3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1, § 135 Abs. 2 FGO.
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