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BFH 01.08.2012 - IV R 55/11
BFH 01.08.2012 - IV R 55/11 - (Aussetzung des Revisionsverfahrens bis zur Klärung einer möglichen Verfassungswidrigkeit des § 8 Nr. 1 Buchst. e und f GewStG - Berechtigtes Interesse an einer Entscheidung)
Normen
§ 8 Nr 1 Buchst e GewStG 2002 vom 14.08.2007, § 8 Nr 1 Buchst f GewStG 2002 vom 14.08.2007, § 74 FGO, Art 3 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 GG
Vorinstanz
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 28. September 2011, Az: 8 K 239/11, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Eine Aussetzung des Klageverfahrens entsprechend § 74 FGO kann geboten sein, wenn vor dem BVerfG bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat (ständige Rechtsprechung) .
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2. NV: Die Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvL 8/12 auf Vorlagebeschluss des FG Hamburg vom 29. Februar 2012 1 K 138/10 (EFG 2012, 960) ist vorgreiflich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Hinzurechnungen nach § 8 Nr. 1 Buchst. e und f GewStG .
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3. NV: An einem der Aussetzung des Klageverfahrens entgegenstehenden besonderen berechtigten Interesse der Klägerin kann es fehlen, wenn sie selbst eine Aussetzung des Verfahrens auf der Grundlage einer Vorlage des beschließenden Senats an das BVerfG angeregt hat .
Tatbestand
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I. Im vorliegenden Verfahren ist streitig, ob Hinzurechnungen von Miet- und Pachtzinsen sowie der Aufwendungen für die zeitlich befristete Überlassung von Rechten nach § 8 Nr. 1 Buchst. e und f des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) zu Recht vorgenommen wurden. Das Finanzgericht (FG) hat mit Urteil vom 28. September 2011 (8 K 239/11) der Klage nur insoweit stattgegeben, als es gezahlte Franchisegebühren nicht in vollem Umfang, sondern lediglich zu 30 % den Aufwendungen für die zeitlich befristete Überlassung von Rechten nach § 8 Nr. 1 Buchst. f GewStG zugeordnet und die Hinzurechnung entsprechend vermindert hat.
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Dagegen haben sowohl die Klägerin, Revisionsbeklagte und Revisionsklägerin (Klägerin) als auch der Beklagte, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) Revision eingelegt. Während sich das FA gegen die Beschränkung der Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 Buchst. f GewStG auf 30 % der gezahlten Franchisegebühren wendet, hält die Klägerin die Hinzurechnungen nach § 8 Nr. 1 Buchst. e und f GewStG insgesamt für verfassungswidrig und macht geltend, in ihren Grundrechten, insbesondere aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), Art. 14 Abs. 1 GG sowie aus Art. 12 Abs. 1 GG, verletzt zu sein. Die Klägerin hat angeregt, das Verfahren auszusetzen und die Frage der Verfassungsmäßigkeit der genannten Hinzurechnungen dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorzulegen.
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Der Vorsitzende des beschließenden Senats hat den Beteiligten mitgeteilt, dass der Senat erwäge, das vorliegende Verfahren entsprechend § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis zu einer Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvL 8/12, dem der Vorlagebeschluss des FG Hamburg vom 29. Februar 2012 1 K 138/10 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2012, 960) zu Grunde liegt, auszusetzen. Das FA hat dazu nicht Stellung genommen. Die Klägerin hält an ihrer Anregung fest, (auch) diesen Rechtsstreit dem BVerfG vorzulegen, da die Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 Buchst. f GewStG nicht Gegenstand des Vorlagebeschlusses des FG Hamburg in EFG 2012, 960 sei und diesbezüglich bisher auch kein Sachverhalt vorgetragen worden sei.
Entscheidungsgründe
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II. Das Verfahren wird nach § 74 FGO ausgesetzt.
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1. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht die Aussetzung des Verfahrens u.a. dann anordnen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet. Die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens ist eine Ermessensentscheidung des Gerichts, bei der insbesondere prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Beteiligten abzuwägen sind (u.a. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. April 2003 V B 199/02, BFH/NV 2003, 1081, unter II.1.a der Gründe, m.w.N.).
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2. Eine Aussetzung des Klageverfahrens entsprechend § 74 FGO kann auch dann geboten sein, wenn vor dem BVerfG bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist, zahlreiche Parallelverfahren vorliegen und keiner der Verfahrensbeteiligten ein besonderes berechtigtes Interesse an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens hat (ständige Rechtsprechung des BFH, u.a. BFH-Beschluss vom 9. Juni 2010 II B 154/09, BFH/NV 2010, 1652, unter 2.b der Gründe, m.w.N.).
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3. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Der beschließende Senat hält es für zweckmäßig, das vorliegende Verfahren entsprechend § 74 FGO bis zu einer Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvL 8/12 auszusetzen.
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a) Im Beschluss in EFG 2012, 960 hat das FG Hamburg ausführlich begründet, dass seiner Auffassung nach die Hinzurechnung der Entgelte für Schulden sowie der Miet- und Pachtzinsen gemäß § 8 Nr. 1 Buchst. a, d und e GewStG verfassungswidrig ist, weil sie nach seiner Auffassung gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip verstößt und nicht hinreichend gerechtfertigt ist. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der genannten Hinzurechnungsvorschriften wirkt sich in allen Fällen aus, in denen diese Vorschriften einschlägig sind; sie betrifft daher eine Vielzahl von Verfahren. Für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren ist die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 8 Nr. 1 Buchst. e GewStG vorgreiflich.
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b) Die Klägerin hält die Hinzurechnungen nach § 8 Nr. 1 Buchst. e und f GewStG aus im Wesentlichen übereinstimmenden Gründen für verfassungswidrig. Sie hat selbst eine Aussetzung des Verfahrens angeregt, wenn auch auf der Grundlage einer Vorlage des beschließenden Senats an das BVerfG.
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c) Bei dieser Sachlage fehlt es an einem besonderen berechtigten Interesse der Klägerin an einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Hinzurechnungen (auch) im vorliegenden Verfahren. Der beschließende Senat hält es deshalb aus prozessökonomischen Gründen für zweckmäßig, eine Entscheidung des BVerfG im Verfahren 1 BvL 8/12 abzuwarten.
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