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BFH 18.07.2012 - II B 49/12
BFH 18.07.2012 - II B 49/12 - Kein Anspruch auf Prozesszinsen ohne Rechtshängigkeit
Normen
§ 236 AO, § 96 Abs 1 S 1 FGO, § 66 FGO, § 69 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO
Vorinstanz
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 23. Februar 2012, Az: 3 K 189/12, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Eine Verzinsung nach § 236 AO kommt nur für Erstattungsansprüche in Betracht, die als solche rechtshängig geworden sind .
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2. NV: Kommt es, ohne dass in der Hauptsache ein Klageverfahren rechtshängig wird, im Zuge eines gerichtlichen Verfahrens auf Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zu der begehrten Herabsetzung der Steuer, sind die Anspruchsvoraussetzungen des § 236 AO nicht erfüllt .
Gründe
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Die Beschwerde ist unbegründet.
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1. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zuzulassen. Das Finanzgericht (FG) hat nicht deshalb gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen, weil es in seiner Entscheidung das Begehren des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) in dem seinerzeit vor dem FG geführten Aussetzungsverfahren 3 V 428/95 als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung --AdV-- (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO) und nicht als einen solchen auf Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO) bezeichnet hat.
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a) Ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist gegeben, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder wenn es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat und die angefochtene Entscheidung darauf beruht (z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. November 2002 X B 86/02, BFH/NV 2003, 337; vom 24. Februar 2006 II B 102/05, BFH/NV 2006, 1064, m.w.N.). Die Revision darf nur zugelassen werden, wenn das Urteil des FG auf dem Verfahrensmangel beruhen kann; diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn die Möglichkeit besteht, dass das Urteil bei richtigem Verfahren anders ausgefallen wäre (BFH-Beschluss vom 29. Oktober 2009 IV B 5/09, BFH/NV 2010, 445). Dabei ist von dem materiell-rechtlichen Standpunkt des FG auszugehen (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 96, m.w.N.).
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b) Unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des FG kann die Vorentscheidung nicht auf dem gerügten Verfahrensfehler beruhen. Im Hinblick auf den hier geltend gemachten Zinsanspruch nach § 236 der Abgabenordnung (AO) ist das FG davon ausgegangen, dass der zu verzinsende Erstattungsanspruch Gegenstand eines rechtshängig (§ 66 FGO) gewordenen Klageverfahrens gewesen sein muss und diesem Erfordernis mit dem hier allein anhängig gewordenen Verfahren auf Gewährung einer gerichtlichen Vollziehungsaussetzung nicht genügt sei. Ausgehend von diesem materiell-rechtlichen Standpunkt hätte das FG nicht anders entscheiden können, wenn es das Begehren des Klägers in dem beim FG anhängig gemachten Verfahren 3 V 428/95 als ein solches auf Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 Satz 3 FGO) qualifiziert hätte; denn auch in diesem Fall hätte es an der von § 236 AO vorausgesetzten Anhängigkeit eines Klageverfahrens gefehlt.
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c) Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass das FG die Anwendungsvoraussetzungen des § 236 AO rechtlich zutreffend beurteilt hat. Eine Verzinsung nach § 236 AO kommt nur für Erstattungsansprüche in Betracht, die als solche rechtshängig gewesen sind (vgl. z.B. BFH-Entscheidungen vom 3. April 2007 IX B 169/06, BFH/NV 2007, 1267; vom 16. Dezember 1987 I R 350/83, BFHE 152, 401, BStBl II 1988, 600). Wird eine Steuer auch ohne Klageverfahren herabgesetzt, greift § 236 AO nicht ein (BFH-Urteil vom 15. Oktober 2003 X R 48/01, BFHE 204, 1, BStBl II 2004, 169). Diese Voraussetzungen erfüllt ein beim FG allein anhängig gewordenes Verfahren auf Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 FGO), das lediglich der vorläufigen Sicherung der Rechte des Betroffenen dient (vgl. dazu allgemein Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 69 FGO Rz 5 ff.), nicht. Demgemäß sind die Anspruchsvoraussetzungen des § 236 AO nicht erfüllt, wenn es --ohne dass in der Hauptsache ein Klageverfahren rechtshängig wird-- im Zuge eines gerichtlichen Verfahrens auf Aussetzung oder Aufhebung der Vollziehung zu der begehrten Änderung des Steuerbescheids kommt. Angesichts der eindeutigen Fassung des § 236 AO rechtfertigt sich eine andere Beurteilung auch nicht auf Grund des vom Kläger unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 17. Januar 2007 X R 19/06 (BFHE 216, 396, BStBl II 2007, 506) herausgestellten Gesichtspunkts der Prozessökonomie. Dieses BFH-Urteil betrifft ausschließlich den Anspruch auf Prozesszinsen eines Feststellungsbeteiligten, der von der gerichtlichen Anfechtung eines Grundlagenbescheids durch einen früheren Mitgesellschafter profitiert. Ein solcher Grundlagenbescheid liegt im Streitfall nicht vor.
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2. Eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) ist nicht erforderlich.
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a) Die gerügte Divergenz zum BFH-Urteil vom 5. April 2006 I R 80/04 (BFH/NV 2006, 1435) liegt nicht vor.
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Eine Divergenz kann nur vorliegen, wenn das FG bei einem gleichen, vergleichbaren oder gleichgelagerten Sachverhalt in ein und derselben Rechtsfrage eine von einer Entscheidung des BFH oder des Bundesverfassungsgerichts oder eines FG abweichende Rechtsauffassung vertreten hat (z.B. BFH-Beschlüsse vom 15. Dezember 2005 IX B 98/05, BFH/NV 2006, 768; vom 23. Januar 2007 VI B 17/06, BFH/NV 2007, 950; vom 19. Oktober 2007 IV B 163/06, BFH/NV 2008, 212, m.w.N.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 48).
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Hieran fehlt es im Streitfall. Das BFH-Urteil in BFH/NV 2006, 1435 betrifft allein die Anforderungen, unter denen eine festgesetzte Steuer i.S. des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO "auf Grund" einer rechtskräftigen Entscheidung des angerufenen Gerichts herabgesetzt wird. An dem --im Streitfall nicht erfüllten-- Erfordernis des Vorliegens einer gerichtlichen Entscheidung ändert dies nichts.
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b) Die Revision ist auch nicht wegen eines qualifizierten Rechtsanwendungsfehlers gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO zuzulassen.
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Ein solcher Rechtsanwendungsfehler liegt nur vor, wenn es sich um einen Rechtsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung handelt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 10. Juni 2011 II B 149/10, BFH/NV 2011, 1540; vom 18. November 2010 XI B 28/10, BFH/NV 2011, 204; vom 5. Juli 2005 VI B 150/04, BFH/NV 2005, 2025).
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Aus dem Vorbringen des Klägers, die Vorentscheidung sei hinsichtlich des vor dem FG seinerzeit anhängigen Verfahrens 3 V 428/95 von einem Antrag auf AdV und nicht von einem solchen auf Aufhebung der Vollziehung ausgegangen ist, ergibt sich ein solcher Rechtsfehler von erheblichem Gewicht nicht. Dazu wird ergänzend auf Ziff. 1. c) der vorstehenden Gründe verwiesen.
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