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BFH 20.10.2011 - V B 15/11
BFH 20.10.2011 - V B 15/11 - Umfang und Grenzen der richterlichen Hinweispflicht - Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt Klärungsfähigkeit voraus - Fehlerhafte Ablehnung einer Wiedereinsetzung als Verfahrensmangel - Keine Wiedereinsetzung wegen Irrtum
Normen
§ 76 Abs 2 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 118 Abs 2 FGO, Art 103 Abs 1 GG, § 134 FGO, § 586 Abs 1 ZPO, § 56 Abs 1 FGO
Vorinstanz
vorgehend FG München, 20. Januar 2011, Az: 14 K 549/10, Urteil
Leitsatz
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NV: Der Vorsitzende Richter hat nach § 76 Abs. 2 FGO im Rahmen seiner Prozessförderungspflichten darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden. Die Grenze richterlicher Hilfe verläuft dort, wo der Richter, statt auf die äußere "Fassung" des Antrags hinzuwirken, über das Klagebegehren inhaltlich disponiert .
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, betreibt die Wiederaufnahme eines vor dem Finanzgericht (FG) unter dem Az. X geführten Klageverfahrens, das mit Urteil vom 27. November 2008 rechtskräftig abgeschlossen wurde. Gegenstand des Verfahrens waren u.a. die im Klageverfahren ergangenen Bescheide des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) über die Umsatzsteuer für die Jahre 2005 und 2006 vom 25. Juni 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4. November 2008. Die Zustellung des Urteils erfolgte am 18. Dezember 2008 an den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin.
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Mit der am 3. Februar 2010 beim FG eingegangenen Klageschrift beantragte die Klägerin Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist und begründete dies im Wesentlichen damit, dass der Liquidator der Klägerin erst am 10. März 2009 Kenntnis von dem Urteil erlangt habe. Entscheidungserhebliche Urkunden, die erst am 12. März 2009 vom FA an den Liquidator herausgegeben worden seien, habe die Klägerin irrtümlich im Verfahren Y vorgelegt, in dem sich die Klägerin mit am 11. Dezember 2008 beim FG eingegangener Klage gegen die Einspruchsentscheidung vom 4. November 2008 gewandt habe. Der Irrtum sei erst in der mündlichen Verhandlung am 21. Januar 2010 beseitigt worden.
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Das FG hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Klägerin habe die Klagefrist gemäß § 134 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 586 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht eingehalten. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, da die Voraussetzungen nicht vorlägen.
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Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend.
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Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Die von der Klägerin geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) liegt nicht vor.
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a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und im künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig ist (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Februar 2005 II B 37/04, BFH/NV 2005, 1116). Daran fehlt es hier. Die von der Klägerin sinngemäß aufgeworfene Frage, ob eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, wenn die Versäumung der Frist des § 134 FGO i.V.m. § 586 Abs. 1 ZPO auf einer Verletzung der Hinweispflicht des FG nach § 76 Abs. 2 FGO beruht, ist bereits nicht klärungsfähig.
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Eine Rechtsfrage ist nur klärungsfähig, wenn sie nach den für den BFH bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) in dem erstrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich wäre und deshalb in dem angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden könnte (vgl. BFH-Beschlüsse vom 28. Mai 2009 VI B 84/08,BFH/NV 2009, 1657, und vom 4. Mai 2011 VI B 152/10, nicht veröffentlicht). Die von der Klägerin gestellte Frage nach einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand jedoch kann im angestrebten Revisionsverfahren nicht entschieden werden, da es bereits an der geltend gemachten Pflichtverletzung des FG fehlt.
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b) Entgegen der Ansicht der Klägerin war es nicht Aufgabe des FG, im Rahmen eines Klageverfahrens nach § 40 FGO auf die Möglichkeit einer Restitutionsklage gemäß § 134 FGO i.V.m. § 580 ZPO hinzuweisen. Zwar hat der Vorsitzende im Rahmen seiner richterlichen Prozessförderungs- und Fürsorgepflichten u.a. darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt werden. Der Erfolg der Klage soll nicht an der Rechtsunerfahrenheit der Kläger, zumal in Formsachen, scheitern (vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Rz 97). Das Gericht ist deshalb gehalten, durch Hinweise den Weg zu zeigen, wie das erstrebte Prozessziel am wirksamsten und einfachsten erreicht werden kann. Aufgabe des Gerichts ist es jedoch nicht, Rechtsrat und Rechtsauskunft zu geben und neue, weiter gehende Prozessziele anzuregen (vgl. BFH-Urteil vom 28. November 1991 XI R 13/90, BFH/NV 1992, 609, unter II. 2. a; BFH-Beschluss vom 5. Mai 2000 III B 14/00, BFH/NV 2000, 1349). Die Grenze richterlicher Hilfe verläuft dort, wo der Richter, statt auf die äußere "Fassung" des Antrags hinzuwirken, über das Klagebegehren inhaltlich disponiert (Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 76 Rz 56).
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Begehrt der Kläger die Aufhebung bzw. Änderung eines Steuerbescheids und wendet sich nicht gegen ein bereits rechtskräftiges Urteil des FG, so begründet § 76 Abs. 2 FGO nach den Verhältnissen des Streitfalls demnach keine Pflicht des Gerichts, eine Änderung des Klagebegehrens von einer Anfechtungs- bzw. Änderungsklage hin zu einer Restitutionsklage anzuregen. Ein solcher Hinweis müsste zudem vor Ablauf der Notfrist eines Monats gemäß § 586 Abs. 1 ZPO erfolgen. Dies würde insbesondere auch im Hinblick auf den in § 586 Abs. 2 und 3 ZPO geregelten Fristbeginn eine Überspannung der richterlichen Fürsorge- und Hinweispflichten bedeuten.
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2. Das FG hat bei seiner Entscheidung durch Prozessurteil auch nicht verfahrensfehlerhaft gehandelt.
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a) Zwar stellt es nach ständiger Rechtsprechung des BFH einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 25. März 2011 II B 141/10, BFH/NV 2011, 1006; vom 3. November 2010 II B 55/10, BFH/NV 2011, 295; vom 25. August 2010 X S 20/10 (PKH), BFH/NV 2011, 49). Als Verfahrensmangel kann daher auch die fehlerhafte Ablehnung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist gerügt werden (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 78).
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b) Das FG hat jedoch zu Recht entschieden, dass eine Wiedereinsetzung gemäß § 56 FGO in die versäumte Klagefrist nach § 134 FGO i.V.m. § 586 ZPO nicht in Betracht kommt, da die Klägerin nicht ohne Verschulden verhindert war, diese Frist einzuhalten.
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"Ohne Verschulden" verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist jemand dann, wenn er die für einen gewissenhaft und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und ihm nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet hat. Wegen unverschuldeten Rechtsirrtums kann nach ständiger Rechtsprechung des BFH Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur gewährt werden, wenn sich der Irrtum auf die Frist selbst oder die Form der Fristwahrung bezieht. Irrtümer über das Wesen einer Ausschlussfrist oder über materielles Recht begründen dagegen eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht (BFH-Urteil vom 29. November 2006 VI R 48/05, BFH/NV 2007, 861; BFH-Beschluss vom 12. Juni 2007 VI B 14/07, BFH/NV 2007, 1626). Ebenso wenig rechtfertigen Irrtümer, die sich auf das Verhältnis mehrerer Verfahren zueinander beziehen, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (BFH-Urteil vom 14. März 1989 VIII R 295/84, BFH/NV 1989, 754; BFH-Beschluss vom 8. Mai 1996 X B 166/95, BFH/NV 1996, 771).
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