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BFH 02.09.2011 - III B 9/10
BFH 02.09.2011 - III B 9/10 - Anwendung einer Definition aus der Datenbank "Wikipedia" - Keine grundsätzliche Bedeutung der Frage über die Zuordnung des konkreten Betriebs zum verarbeitenden Gewerbe
Normen
§ 171 Abs 10 AO, § 76 Abs 1 S 1 FGO, § 96 Abs 1 S 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 2 Abs 1 S 1 Nr 2 InvZulG 2005
Vorinstanz
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 1. Dezember 2009, Az: 5 K 495/08, Urteil
Leitsatz
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1. NV: Mit dem Vortrag, das FG habe bei der Subsumtion eine möglicherweise fehlerhafte Definition aus der Datenbank "Wikipedia" angewendet, wird kein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO, sondern im Kern eine fehlerhafte Rechtsanwendung gerügt .
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2. NV: Allein das Fehlen einer Entscheidung des BFH zu der Frage, ob der konkrete Betrieb nach dem Investitionszulagenrecht dem verarbeitendem Gewerbe zuzuordnen ist, begründet keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. In der Rechtsprechung ist geklärt, nach welchen Grundsätzen diese Zuordnungsentscheidung zu treffen ist .
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) beantragte für das Wirtschaftsjahr 2006 für die Anschaffung von beweglichen Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens eine Investitionszulage in Höhe von 27.837 €. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) setzte mit Bescheid vom 9. Mai 2007 die Investitionszulage 2006 auf 0 € fest, weil der Betrieb des Klägers nicht dem verarbeitenden Gewerbe angehöre (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Investitionszulagengesetzes 2005 --InvZulG 2005--).
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Einspruch und Klage blieben erfolglos. Zur Begründung führte das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen an, für die Beantwortung der Frage, ob ein Betrieb dem verarbeitenden Gewerbe zugehöre, sei die Klassifikation der Wirtschaftszweige als Dokumentation der Verkehrsauffassung heranzuziehen. Danach sei der Betrieb des Klägers nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2003 (WZ 2003), dem Abschnitt A "Land- und Forstwirtschaft", Unterklasse 01.41.1 "Erbringung von landwirtschaftlichen Dienstleistungen für den Pflanzenbau, Bereitstellung von landwirtschaftlichen Maschinen mit Bedienungspersonal", nicht dem Abschnitt D "Verarbeitendes Gewerbe", Unterklasse 15.71.0 "Herstellung von Futtermitteln für Nutztiere" zuzuordnen. Ausweislich der Eintragung in Wikipedia --Stichwort "Silage"-- handele es sich bei Silage um durch Milchsäuregärung konserviertes hochwertiges Grünfutter, das hauptsächlich in der Milchviehfütterung Verwendung finde. Bei der Haltbarmachung von Grünfutter handele es sich --so das FG weiter-- um eine genuin der Landwirtschaft zuzuordnende Tätigkeit, die grundsätzlich von den landwirtschaftlichen Betrieben selbst durchgeführt werden könne. Die Tätigkeit des Klägers bestehe nun darin, die Silierung im Lohnauftrag der einzelnen Landwirte durchzuführen; hierzu verfülle er vor Ort das zerkleinerte Pflanzenmaterial (ggf. unter Zugabe von Silierhilfsmitteln) mit einer speziellen Presse in lange Kunststoffschläuche. Dass der Kläger eine landwirtschaftliche Tätigkeit im Lohnauftrag ausführe, werde auch durch die von ihm vorgelegten Rechnungen bestätigt. Danach stelle er den einzelnen landwirtschaftlichen Betrieben nicht das Produkt seiner Tätigkeit, sondern das Zurverfügungstellen seines Maschinenparks einschließlich der Arbeitskraft des Bedienungspersonals in Rechnung. Außerdem sei in dem vom Bayerischen Landesamt für Statistik herausgegebenen Stichwortverzeichnis zum Wirtschaftszweig 01.41.1 die "Rundballensilage" ausdrücklich genannt. Ob die Silierung in Ballenform oder in Form eines Schlauchsilos erfolge, habe keine Bedeutung. Ebenso sei unerheblich, dass die Tätigkeit des Klägers vom Statistischen Landesamt … mit Schreiben vom 20. November 2008 nach der Klassifikation der Wirtschaftszweige, Ausgabe 2008 (WZ 2008), einem Wirtschaftszweig zugeordnet worden sei, der nach der Klassifikation der WZ 2003 dem Abschnitt D "Verarbeitendes Gewerbe", Unterabschnitt DG, Unterklasse 24.66.0 "Herstellung von sonstigen chemischen Erzeugnissen, anderweitig nicht genannt" entspreche, weil diese Zuordnung offenkundig fehlerhaft sei. Nach alledem gehöre der Betrieb des Klägers nicht dem verarbeitenden Gewerbe an.
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Mit seiner Beschwerde macht der Kläger die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) geltend. Das FG habe gegen seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) verstoßen. Die Entscheidungsgründe seien auf einem Sachverhalt aufgebaut, der mit Hilfe von Wikipedia ermittelt worden sei. Bei Zweifeln über den tatsächlichen Arbeitsprozess bei der Schlauchsilierung hätte daher das FG --auch ohne einen entsprechenden Beweisantrag-- andere Beweismittel, wie z.B. einen Sachverständigen, heranziehen müssen. Hieraus resultiere die fehlerhafte Auffassung des FG, die Schlauchsilierung sei der Rundballensilierung gleichzustellen. Während die Rundballensilierung eine schlichte Haltbarmachung von Gras als Futter darstelle, werde bei der Schlauchsilierung ein neues Misch-/Hochleistungsfutter aus verschiedenen Ausgangskomponenten hergestellt. Auch wenn der Arbeitsprozess der Schlauchsilierung im finanzgerichtlichen Verfahren vorgetragen worden sei und sich dieser in komprimierter Form im Urteil wiederfinde, habe das FG seiner Entscheidung einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt. Daneben habe die Rechtssache auch grundsätzliche Bedeutung, weil die Frage, ob es sich bei der Schlauchsilierung um eine nach dem InvZulG 2005 begünstigte Tätigkeit handele, höchstrichterlich noch nicht entschieden sei. Diese Rechtsfrage betreffe einen Großteil der Futtermittelhersteller. Die Klärungsbedürftigkeit ergebe sich gerade daraus, dass das FG nicht --wie es die Rechtsprechung bestimme-- der Einordnung der Tätigkeit durch das Statistische Landesamt gefolgt sei, sondern diese selbst vorgenommen habe.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Sofern Zulassungsgründe überhaupt in einer den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form dargelegt wurden, liegen sie jedenfalls nicht vor.
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1. Soweit der Kläger geltend macht, das FG habe auch ohne entsprechendes Beweisangebot von Amts wegen weiter aufklären müssen, wie der Arbeitsprozess der Schlauchsilierung im Einzelnen beschaffen sei, wird die damit behauptete Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) bereits nicht schlüssig dargelegt.
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a) Rügt der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht mit der Begründung, das FG habe auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären müssen, so muss er substantiiert vortragen, welche Tatsachen das FG auch ohne besonderen Antrag hätte aufklären müssen, aus welchen Gründen sich dem FG die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen, obwohl der Beschwerdeführer selbst keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, und dass die nicht aufgeklärten Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des FG entscheidungserheblich waren (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 120 FGO Rz 207; vgl. auch Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. April 1992 II B 174/91, juris; vom 28. Juli 2004 IX B 136/03, BFH/NV 2005, 43; vom 19. Januar 2005 VII B 61/04, BFH/NV 2005, 921).
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b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Der Kläger legt schon nicht dar, warum sich dem FG eine weitere Aufklärung der vom ihm durchgeführten Tätigkeit der Schlauchsilierung hätte aufdrängen müssen. Nach Lage der Akten (vgl. gerichtliches Schreiben an den Kläger vom 21. Oktober 2009; Sitzungsprotokoll vom 1. Dezember 2009) hat das FG u.a. eigene Ermittlungen zur Aufklärung der Frage angestellt, wie die vom Kläger durchgeführte Tätigkeit der Schlauchsilierung im Einzelnen beschaffen ist. Im Übrigen trägt der Kläger auch selbst vor, dass dieser Arbeitsprozess Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens gewesen ist. Schließlich bleibt unklar, warum der Kläger --wie dem Sitzungsprotokoll vom 1. Dezember 2009 zu entnehmen ist-- selbst keine weiteren Beweisanträge gestellt hat, obwohl in der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit erörtert wurde, dass der Betrieb des Klägers gegebenenfalls in die Unterklasse 01.41.1 "Erbringung von landwirtschaftlichen Dienstleistungen für den Pflanzenbau, Bereitstellung von landwirtschaftlichen Maschinen mit Bedienungspersonal" der WZ 2003 einzuordnen sei.
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2. Soweit der Kläger vorträgt, das FG habe unzulässigerweise die Entscheidungsgründe auf der Datenbank "Wikipedia" aufgebaut, indem es hieraus die Definition des Begriffs "Silage" entnommen habe, wird bereits kein Verfahrensfehler geltend gemacht.
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Selbst wenn die vom FG gebrauchte Definition unzutreffend gewesen sein sollte --was im Übrigen nicht dargelegt ist-- und man die Rüge des Klägers dahingehend verstehen will, dass das FG seiner Entscheidung einen (vermeintlich) unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt habe (Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO; vgl. Lange in HHSp, § 96 FGO Rz 161), läge hierin kein Verfahrensverstoß. Die Anwendung einer fehlerhaften Definition des Begriffs "Silage" hätte im Streitfall nicht zur Folge, dass das FG bei seiner Entscheidung von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgeht, sondern würde allenfalls eine unzutreffende Tatsachenwürdigung oder fehlerhafte Rechtsanwendung begründen. Damit wendet sich der Kläger im Kern gegen die inhaltliche Richtigkeit des Urteils. Hierdurch lässt sich jedoch die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht erreichen (Senatsbeschluss vom 24. Februar 2010 III B 13/09, BFH/NV 2010, 931, m.w.N.).
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3. Ebenso kommt der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage, ob es sich bei der Schlauchsilierung um eine nach dem InvZulG 2005 begünstigte Tätigkeit handele, keine grundsätzliche Bedeutung zu.
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a) Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den BFH geboten erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 23. März 2009 XI B 89/08, BFH/NV 2009, 976, m.w.N.).
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b) Danach fehlt es im Streitfall an der Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage. Nach der Rechtsprechung des BFH und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist bereits hinreichend geklärt, unter welchen Voraussetzungen ein Betrieb dem verarbeitenden Gewerbe zuzuordnen ist.
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Für die Auslegung des Begriffs des verarbeitenden Gewerbes im Investitionszulagenrecht ist grundsätzlich das vom Statistischen Bundesamt herausgegebene Verzeichnis der Wirtschaftszweige maßgeblich (z.B. Senatsurteil vom 28. April 2010 III R 66/09, BFHE 229, 562, BStBl II 2010, 831). Heranzuziehen ist das Verzeichnis der Wirtschaftszweige in der für das jeweilige Streitjahr geltenden Fassung (z.B. Senatsbeschluss vom 30. August 2010 III B 2/09, BFH/NV 2010, 2306). Weiter ist in der Rechtsprechung geklärt, dass --entgegen der Ansicht des Klägers-- die Eingruppierungsentscheidung des Statistischen Landes- oder Bundesamtes keine Bindungswirkung besitzt. Diese Entscheidung der Statistikbehörde stellt keinen Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 der Abgabenordnung) dar (z.B. Senatsbeschluss in BFH/NV 2010, 2306). Im Übrigen sind die FG zu einer vollständigen Überprüfung der Eingruppierungsentscheidung der Statistikbehörde verpflichtet; sie dürfen nicht nur eine eingeschränkte Kontrolle dieser Entscheidung vornehmen (BVerfG-Beschluss vom 31. Mai 2011 1 BvR 857/07, juris). Allein das Fehlen einer Entscheidung des BFH zu der konkreten Fallgestaltung --hier der Eingruppierung der Schlauchsilierung-- begründet weder einen Klärungsbedarf noch erst recht das erforderliche Allgemeininteresse (BFH-Beschluss vom 19. Januar 2006 VIII B 114/05, BFH/NV 2006, 709, m.w.N.).
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