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BFH 11.03.2011 - II B 152/10
BFH 11.03.2011 - II B 152/10 - Aussetzung des Verfahrens gegen einen Folgebescheid bis zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit eines Grundlagenbescheids nicht stets geboten; keine Klagebefugnis der Erbengemeinschaft gegen Erbschaftsteuerbescheide
Normen
Art 19 Abs 4 GG, § 40 Abs 2 FGO, § 74 FGO, § 20 Abs 1 ErbStG 1997
Vorinstanz
vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 13. Oktober 2010, Az: 5 K 370/06, Beschluss
Leitsatz
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1. NV: Es kann ermessensgerecht sein, das Klageverfahren gegen einen Folgebescheid trotz ausstehender Entscheidung über einen Grundlagenbescheid nicht auszusetzen, wenn die Klagebegründung den Folgebescheid als solchen betrifft und im Verfahren über diesen Bescheid entscheidungserheblich ist .
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2. NV: Ist die Klage gegen einen Folgebescheid unzulässig, ist das Klageverfahren nicht wegen der noch ausstehenden Entscheidung über einen Grundlagenbescheid auszusetzen .
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3. NV: Eine Erbengemeinschaft ist nicht zur Klage gegen die gegenüber Erben ergangenen Erbschaftsteuerbescheide befugt .
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin zu 1. (Klägerin zu 1.) ist Miterbin zur Hälfte nach ihrem im April 2003 verstorbenen Bruder E. Die Klägerin und Beschwerdeführerin zu 2. (Klägerin zu 2.) ist die Erbengemeinschaft nach E, zu der neben der Klägerin zu 1. auch deren Bruder B gehört.
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Während des Klageverfahrens erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die geänderten Erbschaftsteuerbescheide vom 12. Februar 2010, durch die er die Erbschaftsteuer aufgrund des Feststellungsbescheids des zuständigen Lagefinanzamts vom 15. Juni 2009 gegenüber der Klägerin zu 1. und B auf jeweils 4.488 € herabsetzte. Bei den Besitzposten berücksichtigte das FA u.a. aufgrund des Feststellungsbescheids vom 15. Juni 2009 jeweils einen Anteil von 19.875 € an land- und forstwirtschaftlichem Vermögen. Der Feststellungsbescheid wurde von der Klägerin zu 1. mit der Klage vom 30. November 2010 angefochten, nachdem der Einspruch erfolglos geblieben war.
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Entgegen dem Antrag der Klägerinnen setzte das Finanzgericht (FG) das Verfahren wegen Erbschaftsteuer durch Beschluss vom 13. Oktober 2010 gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus, da die Entscheidung des Lagefinanzamts in dem Einspruchsverfahren gegen den der Erbschaftsteuerfestsetzung zugrunde liegenden Bewertungsbescheid abzuwarten sei. Das FG half der dagegen gerichteten Beschwerde nicht ab, weil der Bewertungsbescheid aufgrund der dagegen erhobenen Klage noch nicht bestandskräftig und Grundlagenbescheid für den Rechtsstreit wegen Erbschaftsteuer sei.
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Die Klägerinnen führen zur Begründung ihrer Beschwerde aus, die Aussetzung des Verfahrens sei unangebracht. Das Klageverfahren gegen die Feststellungsbescheide würde sich nämlich erübrigen, wenn ihrem Antrag entsprechend bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer für das land- und forstwirtschaftliche Vermögen die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der im Jahr 2003 geltenden Fassung (ErbStG) sowie der Freibetrag nach § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 ErbStG berücksichtigt würden.
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Die Klägerinnen beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben.
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Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
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Da der von den Klägerinnen im Klageverfahren wegen Erbschaftsteuer vertretenen Auffassung nicht gefolgt werden könne, müsse die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Feststellungsbescheids abgewartet werden.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Klageverfahrens nach § 74 FGO liegen nicht vor.
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1. Nach § 74 FGO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen Rechtsstreits bildet, die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits aussetzen.
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a) Eine Abhängigkeit zwischen zwei anhängigen Verfahren in diesem Sinne besteht nur, wenn der Ausgang des einen (möglicherweise auszusetzenden) Rechtsstreits von dem anderen (möglicherweise vorgreiflichen) Verfahren in der Sache beeinflusst werden kann. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn feststeht, dass es im erstgenannten Verfahren nicht zu einer Sachprüfung kommen kann, dieses also unabhängig vom Ausgang des anderen Verfahrens zur Klageabweisung führt. Das ist u.a. der Fall, wenn die Sachentscheidungsvoraussetzungen fehlen (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. September 1989 X R 8/86, BFHE 158, 205, BStBl II 1990, 177).
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b) Ist die für eine Aussetzung erforderliche Abhängigkeit von zwei Verfahren gegeben, steht die Entscheidung über die Aussetzung grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Dabei ist es regelmäßig geboten und zweckmäßig (Ermessensreduzierung auf Null), dass das Gericht den Streit um die Rechtmäßigkeit eines Folgebescheids aussetzt, solange noch unklar ist, ob und wie der angefochtene Grundlagenbescheid geändert wird (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 25. August 2010 II R 65/08, BFHE 231, 239, BFH/NV 2011, 379; BFH-Beschluss vom 22. September 2010 IV B 120/09, BFH/NV 2011, 257).
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Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos. Bei der Entscheidung über die Aussetzung sind vielmehr prozessökonomische Gesichtspunkte und die Interessen der Beteiligten abzuwägen (BFH-Urteil vom 11. Mai 2010 IX R 26/09, BFH/NV 2010, 2067, unter II.1., m.w.N.; BFH-Beschluss vom 31. Mai 2010 X B 163/09, BFH/NV 2010, 2082, unter II.1.a).
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Im Einzelfall kann eine solche Abwägung ergeben, dass trotz ausstehender Entscheidung über einen Grundlagenbescheid eine Fortführung des Verfahrens gegen den Folgebescheid ermessensgerecht ist (BFH-Urteil in BFHE 231, 239, BFH/NV 2011, 379, unter II.3.a, m.w.N.). Das ist z.B. dann der Fall, wenn das Vorbringen eines Beteiligten den Folgebescheid als solchen betrifft und im Verfahren über diesen Bescheid entscheidungserheblich ist. In diesem Fall kann das betreffende Vorbringen bereits zur Entscheidung über die Klage führen, ohne dass es noch auf die Entscheidung über den Grundlagenbescheid ankommt. Dann kann eine zeitnahe Entscheidung sowohl der Prozessökonomie als auch dem (objektivierten) Interesse der Beteiligten entsprechen. Von Bedeutung ist dabei, dass unbeschadet einer Entscheidung über den Folgebescheid dieser bei einer nachfolgenden Aufhebung oder Änderung des Grundlagenbescheids (auch im dagegen gerichteten Klageverfahren) gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) ebenfalls aufzuheben oder zu ändern ist, ohne dass es einer weiteren gerichtlichen Entscheidung bedarf (BFH-Urteil in BFHE 231, 239, BFH/NV 2011, 379, unter II.3.a, m.w.N.).
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2. Der Rechtsstreit war danach nicht auszusetzen.
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a) Die Aussetzung scheidet hinsichtlich der Klägerin zu 2. schon deshalb aus, weil deren Klage, soweit sie sich gegen die Festsetzung von Erbschaftsteuer richtet, unzulässig und die vom FG zu treffende Entscheidung danach nicht von einer etwaigen Änderung des Feststellungsbescheids abhängig ist. Die Unzulässigkeit der Klage der Klägerin zu 2. ergibt sich aus § 40 Abs. 2 FGO. Die Klägerin zu 2. ist durch die Erbschaftsteuerbescheide nicht beschwert, weil diese lediglich gegenüber der Klägerin zu 1. und B ergangen sind. Eine Erbengemeinschaft als solche ist nicht Steuerschuldner der Erbschaftsteuer (§ 20 Abs. 1 Satz 1 ErbStG).
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b) Hinsichtlich des Klageverfahrens der Klägerin zu 1. sind die Voraussetzungen für eine Abweichung von der Regel, dass das Klageverfahren gegen einen Folgebescheid bis zur Entscheidung über einen angefochtenen Grundlagenbescheid auszusetzen ist, erfüllt. Über das Begehren der Klägerin zu 1., die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b ErbStG anzuwenden und den Freibetrag nach § 13a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 2 ErbStG zu gewähren, kann unabhängig von dem noch nicht bestandskräftigen Feststellungsbescheid entschieden werden. Es entspricht unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf effektiven und somit auch zeitgerechten Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes) der Prozessökonomie, über diese Fragen im Klageverfahren wegen Erbschaftsteuer alsbald zu entscheiden. Hat die Klägerin zu 1. dabei Erfolg, würde sich in ihrem Klageverfahren gegen den Feststellungsbescheid die Entscheidung über die unter Umständen schwierigen Bewertungsfragen erübrigen. Andernfalls würde die Abweisung der Klage gegen den Erbschaftsteuerbescheid der Berücksichtigung einer etwaigen späteren Herabsetzung des festgestellten Werts des land- und fortwirtschaftlichen Vermögens nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 110 Abs. 2 FGO nicht entgegenstehen.
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3. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen, da es sich um ein unselbständiges Zwischenverfahren handelt (BFH-Beschluss vom 28. Juni 2010 III B 73/10, BFH/NV 2010, 1847).
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